Auf sanften Pfoten

Selektion in vitro

Die Gentechnik revolutioniert nicht nur den Kapitalismus, sie bringt auch eine neue Qualität des Faschismus hervor.

Die Gentechnologie beeinflußt und revolutioniert die kapitalistische Produktion (eine andere gibt es nicht mehr) in fast allen Produktionsbereichen. Sie verändert die Zusammensetzung der Werkstoffe und damit die Produktionsabläufe von der Rohstoffbeschaffung bis zum Endprodukt. Sie verändert und manipuliert die Nahrung, pharmazeutischen Produkte und Alltagsgegenstände. Sie ist die erste Technologie, die ein sich selbst vermehrendes Risiko kennt (z.B. durch gentechnisch manipulierte, freigesetzte Kleinstlebewesen). Sie verändert den Umgang mit der Natur. Und sie verändert das Bild des Menschen: Der geplante gentechnische Eingriff in die Keimbahn des Menschen eröffnet die Option von Menschenzucht und künstlicher Rekonstruktion. Die Zuchtexperimente der NS-Faschisten waren dagegen grobschlächtig. Ein künftig möglicher Technofaschismus wird eine vollkommen andere Erscheinungsform haben als der uns bekannte NS-Faschismus: Terror und Vernichtung ohne KZ, wissenschaftlich verbrämt, auf High-Tech-Niveau und vielleicht mit umfassender gesellschaftlicher Akzeptanz.

Das Interesse an der Zucht von Menschen gehört seit einigen tausend Jahren zur sozialen Utopie der Herrschenden. Die Idee war solange politisch kaum wirksam, wie die technologische Entwicklung nicht reif war. Heute erscheint die Menschenzucht als realistisches Projekt. Der aus dem Darwinismus entwickelte Sozialdarwinismus thematisierte die Absicht, "die natürliche Auslese" des Menschen sozial zu steuern. Mit der Eugenik - in Deutschland historisch "Rassenhygiene" - wurde die Ideologie entwickelt, den Menschen einerseits nach seinen (behaupteten) Erbanlagen zu qualifizieren, in "minder- und hochwertiges Leben" zu sortieren, und zur "Verbesserung des menschlichen Genpools" züchtend in die Erbanlagen des Menschen einzugreifen.

"Wenn wir, sagen wir mal in 200 Jahren, die DNA maschinell herstellen können, dann könnten wir genau entscheiden, welchen Menschen, nach welchem genetischen Vorbild, wir haben wollen", verkündete Johua Lederberg, Nobelpreisträger für Medizin und Physiologie 1966. Er schlug vor, es doch einmal mit der Züchtung von "subhumanen Individuen" zu versuchen - gentechnischen Kreuzungen aus Menschen und Affen für spezielle niedere Aufgaben. 1970 führte Lederberg vor dem Repräsentantenhaus in Washington die Notwendigkeit aus, durch vorgeburtliche Selektion und später durch gentechnischen Umbau "defekter Menschen" die Zahl der Belegungen von Krankenhaus- und Anstaltsbetten - und damit die Kosten - um ein Viertel zu senken. Damit steht er in der Tradition der NS-faschistischen "Rassenhygiene" und "Erbgesundheitslehre". Lederberg ist kein Außenseiter seiner Branche, er gehört zur Elite der internationalen GentechnikerInnen. Viele, wenn nicht die meisten seiner KollegInnen denken ähnlich.

Zuchtauswahl, die Entwicklung der Gesellschaft hin zur "freiwilligen" Eugenik (Auswahl "hochwertiger" Keimzellen, Verhinderung "minderwertigen" Lebens), Leihmütter, vegetative Vermehrung von sogenannter Genialität, Diskriminierung und Vernichtung von "genetisch Defektbelasteten" - Begriffe wie diese prägen die Sprache der GentechnokratInnen bis heute. Die Menschheit trägt eine "genetische Bürde", und RassehygienikerInnen, SoziologInnen und GentechnologInnen sind nur da, um uns ein wenig von der Last des Lebens abzunehmen.

Der Medizin-Nobelpreisträger F. H. C. Crick, heute einer der berühmtesten Gentechnologen, sagte auf der berüchtigten Ciba-Konferenz 1962 in London: "Haben die Menschen überhaupt ein Recht, Kinder zu bekommen? [Es] wäre (Ö) für die Regierung nicht sehr schwierig, der Nahrung etwas beifügen zu lassen, was den Nachwuchs unterbindet. Außerdem könnte sie (Ö) ein anderes chemisches Mittel bereithalten, das die Wirkung des ersteren aufhebt und das nur solche Leute erhalten, deren Fortpflanzung erwünscht ist. Von der humanistischen Ethik aus sehe ich nicht ein, wodurch ein Recht auf Kinder zu begründen sein soll."

Ein anderer Gentechniker, der US-Eugeniker und Nobelpreisträger Hermann Joseph Muller, gibt sich frauenfreundlich: Er will die Frauen von der "oft unerträglichen Last ihres Geschlechts" befreien und die "unvorstellbare Tortur der Geburt (...) mildern". Sein wirkliches Ziel: "Ein solcher Fortschritt in der Wissenschaft der Fortpflanzung würde uns die wertvolle Möglichkeit eröffnen, die Entwicklung des Embryos sehr viel unmittelbarer zu steuern", und von noch größerer Bedeutung wäre die "Möglichkeit, Embryos mit überragenden Erbanlagen selektiv großzuziehen oder gar zu vermehren".

Die Gen- und ReproduktionstechnologInnen haben es verstanden, die Geschichte ihrer Wissenschaft zu verbergen, denn ein Grundstein der heutigen Humangenetik wurde in den faschistischen Vernichtungsanstalten und Konzentrationslagern gelegt. Von dort stammt offensichtlich auch ihr Menschenbild: "Die besten Geister der Menschheit" , so Muller, "werden genetische Methoden entwickeln, die neue Eigenschaften, Organe und Biosysteme erfinden, die den Interessen, dem Glück und der Herrlichkeit jener gottgleichen Wesen dienen, deren dürftige Vorahnung wir elenden Kreaturen von heute sind."