SPD-Wahlkampfstrategie nach Hamburg

Farce nach Noske-Art

Als der Sozialdemokrat Gustav Noske 1919 seinen berühmten Ausspruch über den Bluthund tat, den einer wie er spielen müsse, verfolgte er damit ein Ziel: Noske, ganz der ergebene Diener seines Herrn, des späteren Reichspräsidenten Friedrich Ebert, sah einen neuen Staat entstehen, und er wollte, daß es ein sozialdemokratischer werden sollte - sozialdemokratisch nach seinen eigenen Vorstellungen und denen Eberts, die in höchstem Maße autoritär strukturiert waren. Wem es gelänge, die revoltierenden Arbeiter kleinzuhalten und das deutsche Militär zu schützen, so kalkulierte Noske, der würde auch mit der Unterstützung der Industrie rechnen können und so zur führenden Kraft der künftigen Republik werden.

Mit dieser Vorstellung lag Noske nicht falsch. Tatsächlich unterstützten Reichswehr und Schwerindustrie denjenigen Kandidaten, der versprach, die Arbeiterschaft unter Kontrolle zu halten und so für ein kalkulierbares Klima für Investitionen und Innovationen zu sorgen. Er war allerdings kein Sozialdemokrat; sein Name war Adolf Hitler.

Knapp achtzig Jahre später beweisen die deutschen Sozialdemokraten, daß sie nichts aus der Geschichte gelernt haben. Wieder priesen sie sich als die besseren Kämpfer für Recht und Ordnung, und wieder verstand der Souverän nur soviel: Daß das eine wichtige Frage ist, und daß es gilt, die zu stärken, denen man die Beantwortung dieser Frage zutraut.

Die auffällige Stille, die seit der Wahlniederlage in Hamburg um Gerhard Schröders Konzepte zur Inneren Sicherheit entstanden ist, deutet darauf hin, daß die Strategen im Ollenhauer-Haus am Überlegen sind, ob sich dieses Thema tatsächlich für einen sozialdemokratischen Wahlkampf eignet. Schröder mußte sich öffentlich von Parteichef Oskar Lafontaine und dem Fraktionsvorsitzenden Rudolf Scharping rüffeln lassen; aus Wolfgang Thierses Grundwertekommission sickerte sogar durch, man arbeite dort an einem Papier, das solche Forderungen wie Ökosteuern und einen Markt "zum Wohle des Menschen" enthalte.

Für Schröder, möchte man meinen, stehen die Zeichen auf Sturm; kein Wunder, daß der Niedersachse sich etwas zurückgezogen hat. Doch vermutlich war Schröder während der vergangenen beiden Wochen nur deshalb so ruhig, weil er bereits wieder über einem neuen Papier brütet. Wollte die Partei jetzt vom Schröder-Kurs abweichen, dann müßte sie nicht nur ihre Polizeipolitik grundlegend ändern, sondern vor allem auch die Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die damit unmittelbar zusammenhängen.

Es ist noch keine zwei Wochen her, daß die SPD unter Federführung Schröders ein Papier veröffentlichte, welches die neue Wirtschaftspolitik der Sozialdemokraten zum Gegenstand hatte. Was es von allen bisherigen solchen Papieren unterschied: Das Thema Vollbeschäftigung spielt keine Rolle mehr. Gesellschaftliches Elend kommt in Schröders Vision nicht vor, und gerade darum muß man davon ausgehen, daß die SPD, deren Vorstand dem Papier zustimmte, künftig einen sogenannten pragmatischen Umgang mit dem Problem pflegen wird. Das kann beinhalten, daß man an den allzu offensichtlichen Erscheinungen etwas herumlaboriert. Wer von Noske gelernt hat, weiß aber, daß es vor allem wichtig ist, draufzuhauen, wo die Probleme sich zuspitzen. Das und nichts anderes ist der Inhalt des jüngsten, von den SPD-regierten Ländern in trauter Einigkeit mit der CSU betriebenen Bundesratsvorstoßes. Es ist ziemlich egal, ob die Sozialdemokraten von mehr Polizei, mehr Abschiebungen und schärferen Jugendstrafen reden: Als Ergänzung zu ihrem sozialpolitischen Programm werden sie dergleichen genauso brauchen wie jede konservative Regierung.