Sind die Nazis im Osten stärker?

Interview mit Burkhard Schröder über sein neues Buch "Im Griff der rechten Szene"

Wird der Osten Deutschlands braun?

Wenn es so weitergeht: ja. Wenn sich nicht bald demokratische Gegenkräfte entfalten, wird die Tendenz in einzelnen Städten, sich zu "braunen Zonen" zu entwickeln, unumkehrbar werden. Ich habe für mein Buch die Entwicklung in mehreren Städten untersucht. Nicht immer, aber immer öfter muß man konstatieren: Eine linke Jugendszene gibt es dort nicht mehr, die Schulen und Jugendtreffs werden von den Rechten beherrscht, und die Sozialarbeiter schauen verständnisvoll zu. Wer anders denkt, zieht nach Leipzig oder Berlin, und wer als ausländischer Bauarbeiter oder Besitzer eines Kebab-Imbisses dorthin kommt, muß um Leib und Leben fürchten.

Man könnte sagen: Da spricht wieder der arrogante Wessi über die Lage im Osten. Denn die Wahlergebnisse für die Rechtsradikalen sind doch im Westen horrend - siehe zuletzt Hamburg -, und nicht im Osten. Dort ist vielmehr die PDS mittlerweile zweitstärkste Partei.

Mit Wahlergebnissen hat das wenig zu tun: In Schwedt regiert die SPD, in Wurzen die CDU, in Fürstenwalde ein FDP-Bürgermeister, in Quedlinburg ist er beim "Bürgerforum" - aber das ist nur die politische Oberfläche. An der Basis der Gesellschaft wächst dagegen die braune Tendenz ganz unabhängig vom Wahlverhalten, denn die Jugendlichen verstehen sich ja gar nicht politisch, wenn sie gegen Ausländer sind, gegen den "Judenstaat" motzen, Nazi-Musik hören. Das alles ist für sie Kultur, Lebenseinstellung - nicht Politik.

Gibt es harte Fakten und Zahlen für diese Thesen?

Ich habe einige Zeit in den genannten Städten recherchiert. Die meisten Einschüchterungen und Repressalien, von denen mir Jugendliche oder Lehrer berichtet haben, kommen gar nicht mehr in die Polizeistatistik, geschweige denn in die Presse. Und die Zahl der Morde ist nur deswegen zurückgegangen, weil die potentiellen Opfer das Weite gesucht haben.

Zu den Zahlen: Am 29. Mai 1997 stellte die Universität Potsdam eine Studie vor. Demnach unterscheiden sich ostdeutsche Jugendliche, in diesem Fall die in Brandenburg, signifikant in ihren politischen Ansichten von westdeutschen Jugendlichen gleichen Alters. Rechtsextremismus und Antisemitismus sind erheblich weiter verbreitet. Rund ein Drittel aller Jugendlichen vertreten die Position: "Deutschland braucht wieder einen Führer".

Man könnte weiterhin einwenden: Die Nazi-Strukturen im Osten sind doch von Kadern aus dem Westen aufgebaut worden.

Das stimmt zum Teil. Aber die generalisierende Aussage: Alles Böse kommt aus dem Westen, ist falsch. Es gab schon zu DDR-Zeiten eine rechte Jugendkultur. Jetzt verbindet sich Kulturpessimismus und DDR-Nostalgie zu einer Stimmung gegen die "westliche Dekadenz" - diese Massenstimmung wird von der PDS noch recht und schlecht im demokratischen Rahmen gehalten, aber im Jugendmilieu der Kleinstädte bildet diese Stimmung das ideale Umfeld für die Faschos. Besonders gefährlich ist die Verharmlosung rassistischer Gewalt als Ausdruck einer sozialen Notlage - hier verbinden sich linke Sozialromantik und rechter Antikapitalismus: Die armen Jugendlichen, die keine Lehrstelle und kein Jugendzentrum haben. Die überwiegende Mehrheit der Sozialarbeiter in den von mir untersuchten Kommunen verhält sich unpolitisch gegenüber den von ihnen betreuten Rechten - das heißt, es sind deren "nützliche Idioten" beim Organisieren der Infrastruktur, beim Beschaffen von Geld und Räumen. In den internen Diskussionszirkeln werden sie von den Nazis auch genau so bezeichnet.

Und die PDS?

Teilweise helfen PDS-Leute beim Organisieren antifaschistischer Demonstrationen. Aber an der PDS-Basis sieht es finster aus. Der PDS-Politiker Volker Wachholz hat mir dazu eine bezeichnende Geschichte aus Quedlinburg erzählt: Er habe auf einer PDS-Sitzung ein Flugblatt des "Nationalrevolutionärs" Steffen Hupka vorgelesen "und alle haben fleißig genickt", bis er ihnen eröffnete, von wem das Machwerk stammte. Hupka soll sogar schon auf einer PDS-Parteiversammlung aufgetaucht sein, "und alle freuten sich, daß ein junges Gesicht zu sehen war".

Burkhard Schröder: Im Griff der rechten Szene. Ostdeutsche Städte in Angst. rororo aktuell, Reinbek 1997, 250 Seiten, DM 14,90