Bis zum Happy-End

Tout va bien

Erst später werden wir erfahren, daß sie sich im Mai 1968 kennengelernt haben. Wenn sie von dieser Zeit sprechen, legen sie ein besonderes Gewicht in ihre Stimme - Erinnerung, Verlust einer Zeit: "La lutte continue" stimmt für ihr Leben nicht.

Sie (Jane Fonda) ist Korrespondentin für einen amerikanischen Radiosender in Paris. Seit den Maitagen ist sie zu einer "Expertin für Linksradikalismus" geworden. Er (Yves Montand) hat ihr die Kontakte zu linken studentischen Gruppen verschafft, zur Gauche prolétarienne etc. Er ist Nouvelle-Vague-Filmemacher, Linksintellektueller, der nicht mehr weiß, wie er Filme machen soll. Also macht er Werbeproduktionen und nennt das "Ehrlichkeit". Sie ist eher am Punkt "Kompromiß und Verzweiflung". Sie streitet mit ihrem Chef, der ihr Sachen umschreibt, und zweifelt an dem, was sie jahrelang gemacht hat: Journalistin sein, über Dinge schreiben, an denen sie nicht beteiligt ist.

"Tout va bien" (Frankreich 1972, Regie: Jean-Pierre Gorin, Jean-Luc Godard) habe ich vor einiger Zeit eher zufällig nachts auf Video gesehen. Je länger ich zusah, um so mehr bekam ich das Gefühl, Szenen zu sehen, von denen ich mir schon immer gewünscht hatte, daß sie gedreht werden. "Tout va bien" ist ein Film übers Filmemachen, ein Film über die unterschiedlichen Ökonomien der Macht in Beziehungen, über die Jahre nach '68, die Zeit nach der Bewegung. Er stellt intellektuelle Arbeit in Frage und vor allem führt er in Fabrik und Supermarkt. Mittelpunkt des Films, der an seinen Rändern viele lose Szenen mit sich führt, Fragmente, Auftritte und Monologe, ist eine Fabrikbesetzung. Zufällig werden sie und er Teil dieses Ereignisses, das ihnen klar macht, was sie unbewußt schon wissen: sie stagnieren. Bei einem Interviewtermin mit einem Wurstfabrikanten über "neues Management" geraten sie an die ArbeiterInnen, die ihren Chef eingesperrt haben: "Grève illimité. On a raison de séquestrer les patrons." Die "Tout va bien"-Mischung besteht aus Langsamkeit, theaterhafter Distanz und plötzlichen Beschleunigungen: Der Wurstfabrikant hält einen Monolog über das Ende des Klassenkampfes und den Beginn des Kapitalismus mit menschlichem Antlitz. Plötzlich taucht ein CGT-Funktionär mit seiner "Wir sitzen alle in einem Boot"-Rhetorik auf und fliegt raus. Zögerlich beginnen die ArbeiterInnen über direkte Aktionen zu diskutieren, über die Arbeit am Fließband ud ihre Müdigkeit, von anderen vertreten zu werden, von Gewerkschaften, Journalismus, Soziologie.

Die Schlußszene spielt im Großraumsupermarkt, der größten gesellschaftlichen Fabrik außerhalb der Fabrik. Sie und er haben sich getrennt. Sie hat ihm erklärt, daß sie das Meta-Bild, das in seinem Hirn ihre Beziehung repräsentiert, nicht erträgt: Eine Minute lang sieht man ein erigiertes Glied. Jetzt recherchiert sie im Supermarkt: lange Fahrt an 25 Kassen entlang, dahinter der Stand eines KPF-Funktionärs: "Mieux vivre, das neue Programm für nur noch 4 Francs 75!" Gegen das "Besser leben" der KPF gibt eine Gruppe von Aktivistinnen die Parole "alles gratis" aus. Die Polizei verprügelt die Leute mitten in ihrem konsumatorischen Glück.

Katja Diefenbach lebt als freie Autorin in Berlin