Spielen heißt kämpen

3-D-Krise

Kurz nach meinem dreizehnten Geburtstag beschloß ich, mir endlich die erste Freundin zuzulegen. Eine Liebe war bereits vorhanden. Sie trug rote Locken und hörte auf den schönen Namen Nicole. Also sammelte ich all meinen Mut, ging nachmittags zum evangelischen Jugendzentrum und fragte sie: "Willst du mit mir gehen?" Sie sah mich aus weit aufgerissenen Augen an und wunderte sich nur: "Bist du besoffen?" Offenbar hielt sie mich für einen schwer verwirrten Gurkenkopf und hatte damit gar nicht so unrecht, denn prompt glitt ich in die erste große Krise meines Lebens und genoß sie - ich begann zu puzzeln.

500, 1 000, 2 000 Teile. Spanische Karavellen und deutsche Städte. Immer wieder Städte. Berlins Kurfürstendamm setzte ich gleich zweimal zusammen. Bis der Sexus doch allzusehr drängte, und es kam, wie es kommen mußte: Die Pubertät. Die ich 20 Jahre später gerade glücklich überwunden hatte, als mir eine liebe Person überraschend ein 3-D-Puzzle zum Geburtstag schenkte: Notre Dame. Der Traum jedes Liebhabers. Mit Schaumgummi verstärkte Ausbuchtungen, daß die Nippel nicht sofort abbrechen. Statt platt dahingefläzter Pappe recken sich prächtige Türme in die Höhe. Schon fiel ich ins Puzzlefieber. Meine gierigen Hände zitterten den kleinen Teilchen entgegen. Wogen sie mal rechts, mal links. Befühlten die rundlichen Nippel. Die Glocken Notre Dames huben an... - Moment mal! War ich schon in der zweiten Pubertät? Hatte ich sonst nichts zu tun? Ein halber Quadratmeter Dom. 1 000 Teile - genauer: neunhundertsechsundzwanzig Schaumonster, die mich anschrien: "Setz uns zusammen!" Das macht nach Adam Sitzriese sechs Wochen Gefummel...

Den ersten Puzzlestein zerbröselte ich ganz fein und verscharrte die Überreste in einem Blumentopf. Die nächsten Teile überantwortete ich den Fluten des Toilettenbeckens. Als ich jedoch beinahe mit einer Handvoll vor dem Mülleimer erwischt wurde, zurrte ich mir ein kleines Beutelchen zurecht, in dem jetzt jedesmal, wenn ich die Wohnung verließ, eine stattliche Zahl Puzzlesteine mitreiste, bis zum nächsten U-Bahnhof, wo ich sie mal auf einer Banklehne, mal zwischen den Zeitungsstapeln des Kioskes deponierte, um zu beobachten, wie Fremde nach den Fundstücken griffen und verzückt aufstöhnten: "Uuh, ein Puzzlestein..." Wobei en passant endgültig die leidige Frage geklärt werden konnte: Heißt es Puzzeln oder Passeln? Nur Kretins sprechen es englisch korrekt aus, alle anderen wie meine selige Oma: "Bist du schon wieder am Busseln? Geh doch mal an die frische Luft. Da draußen wartet auch so ein Mädchen."