Die Untertanen

Elite, Leistung, Wettbewerb

Akzeptanzmuster für neurechte Ideologien innerhalb der StudentInnenschaft

Wer nach der Akzeptanz und Resonanz (neu)rechter wie neoliberaler Ideologie innerhalb der StudentInnenschaft fragt, kann dies angesichts des gegenwärtigen Politisierungsschubs besser überprüfen als zu anderen Zeiten. Es wäre allerdings intellektuell unredlich, die politische Dimension der aktuellen studentischen Protestwelle auf das Niveau der unerbetenen Beifalls- und Solidaritätsbekundungen des gesamten Bonner Parteien- und Regierungsspektrums zu bringen.

Dies erspart einem jedoch nicht die genaue Auseinandersetzung mit der Stoßrichtung dieser - wohl kalkulierten - offiziellen Fürsorglichkeiten, zumal sie auf problematische Tendenzen zielen, die innerhalb der Streiks durchaus vorhanden sind (ohne diese freilich zu bestimmen). Wenn etwa Rüttgers als verantwortlicher Wissenschaftsminister an vorderster Stelle "Verständnis" und "Sympathie" äußert, ist dies nicht allein ein Ablenkungsmanöver von der Rolle des Buhmanns, sondern durchaus kalkuliertes Eigeninteresse. Schließlich will er das gesamte Hochschulsystem auf das neoliberale Paradigma "Konkurrenz", "Wettbewerb" und "Leistung" umpolen. Dafür müssen jedoch bestimmte institutionelle Minimalbedingungen vorhanden sein, die es für einen größeren Teil der Studierenden als kalkulierbar erscheinen läßt, sich überhaupt mit Aussicht auf Erfolg am "Wettbewerb" zu beteiligen. Das ist eindeutig nicht mehr der Fall, wenn sich etwa 400 Anspruchsberechtigte in einem für 20 Leute ausgelegten Seminarraum versammeln wollen (wodurch der Streik in Gießen ursprünglich ausgelöst wurde). Wenn, wie an manchen Hochschulstandorten, eine bestimmte kritische Schwelle an Defizitfinanzierung unterschritten ist, wird auch ein neoliberales Konkurrenzmodell ad absurdum geführt. "Mehr Geld" für die Hochschulen dürfte daher in Rüttgers' Interesse liegen. Der Streik kommt ihm folglich gelegen, um seine Verhandlungsposition im Kabinett zu stärken.

Es kommt hinzu, daß es sich keine bürgerliche Regierung leisten kann, auf längere Sicht einen relevanten Teil der StudentInnenschaft gegen sich aufzubringen. Auch die heutigen Massenhochschulen sind und bleiben das zentrale Rekrutierungsfeld für die systemtragenden ExpertInnen in Wirtschaft und Staatsapparaten. Dafür muß immer ein bestimmtes Niveau an materieller Befriedigung und ideologischer Akzeptanz reproduziert werden. Die gängige studentische Kritik an der offiziellen Hochschulpolitik, diese würden Wissenschaft und Bildung auf "wirtschaftliche" Funktionen reduzieren, greift insofern zu kurz, als damit die in der Inszenierung dieser Politik wirksamen ideologischen Identifikationsmuster und Problemlösungsversprechungen übersehen werden. Der gegenwärtige Formwandel des Kapitalismus wird etwa bildungspolitisch inszeniert als "Übergang vom Industrie- ins Informationszeitalter" (Rüttgers). Im "Bundesbericht Forschung" (1996) heißt es dazu anschaulich: "Der Rohstoff Information wird zum entscheidenden Produktionsfaktor. Die Art und Weise des Wirtschaftens selbst verändert sich - mit neuen Chancen, steigenden Umweltbelastungen und drohender Ressourcenverknappung entgegenzuwirken. Wettbewerbsvorteile haben diejenigen Länder, die bei der Erzeugung und Verteilung von Information, bei der effizienten Umwandlung in Wissen und insbesondere bei der breitenwirksamen Nutzung von Wissen Erfolge verzeichnen."

In diesem Konzept sind verschiedene Motive nicht ungeschickt miteinander verkoppelt: Sicherung des deutschen Standortes - Effizienz des Wissenschaftssystems - "Lösung" ökologischer Probleme; diese spezifische Kombination von Ökonomie und Moral bündelt sich in dem Versprechen einer wachsenden gesellschaftlichen Bedeutung - einer Pionierrolle - der wissenschaftlich-technischen Intelligenz. Etliche Resolutionen der letzten Wochen enthielten etwa den Hinweis, daß die Hochschulen allein deswegen nicht kaputtgespart werden dürften, weil Bildung in einem rohstoffarmen Land unsere "wichtigste Ressource" sei (irgendwo gab es auch die Losung "Deutschland spart sich dumm und dämlich", wie ein Professorenverband in einer Sammlung von "Protest-Zitaten" wohlwollend hervorhebt). Dies mag alles gut gemeint oder naiv sein, ist allerdings auch als latente Bereitschaft interpretierbar, sich in einen techno-nationalistischen Elitekonsens einbinden zu lassen.

An dieser Stelle müßte der Einwand kommen, daß in einer Situation, wo 40 Prozent eines Altersjahrganges (in der fünfziger Jahren: fünf Prozent) studieren, die Masse der HochschulabsolventInnen gar keinen Zugang mehr zu gesellschaftlichen Elitepositionen erhält, daß vielmehr Erfahrungen von periodischer Arbeitslosigkeit und prekären Beschäftigungsverhältnissen unterhalb der eigenen Qualifikation auch für immer mehr AkademikerInnen prägend sind. Das ist zutreffend. Allerdings hat die Akzeptanz von Konkurrenz-, Selektions- und Eliteideologien nichts mit entsprechenden realen gesellschaftlichen Chancen zu tun. Gerade die Alltagserfahrung, daß der Kreis der Erfolglosen, der Verlierer und sozial Ausgegrenzten größer wird, kann in der sozialen Breite Konkurrenz- und Verdrängungsverhalten fördern. Mit der Höhe des Bildungsabschlusses wird die Chance verbessert, zu den Modernisierungsgewinnern zu gehören, d.h. sich überhaupt mit realistischer Erfolgsaussicht am Wettlauf um die "besten Plätze" beteiligen zu können. Allein dieser Sachverhalt wirkt unter Bedingungen der Kürzung öffentlicher Ausgaben entsolidarisierend und zugleich entpolitisierend. Auf eine simple Formel gebracht: Je schneller ich besser bin als andere, umso größer meine Aussichten, gesellschaftlich erfolgreich zu sein. An den Hochschulen wirkt sich dies in Strategien individueller Studienzeitbeschleunigung bei optimierter Anpassung an vorgegebene Leistungsstandards aus. So kann ein Blickwinkel entstehen, daß nicht der Staat, welcher sich aus der Finanzierung von Bildung zurückzieht, das Problem ist, sondern die vielen unmotivierten und "unbegabten" MitstudentInnen, die die Hochschulen überfüllen und dem eigenen Fortkommen hinderlich sind.

Damit ist keine blinde Zwangsläufigkeit beschrieben, vielmehr ein widersprüchliches politisches Konfliktfeld, in dem vorerst noch nichts entschieden ist. Der Streik ist allein deswegen gut, weil er Diskussionen über die Krise der Hochschulen und ihre Ursachen fördert, weil er größere Teile der StudentInnen zwingt, politische Positionen zu entwickeln, weil er schließlich latente Meinungen und Stimmungen an die Öffentlichkeit bringt und diese damit überhaupt erst der kritischen Diskussion und Polarisierung zugänglich macht. Etwas schematisch vereinfacht, entscheidet sich die künftige politische Meinungsführerschaft an der Hochschule entlang der folgenden Alternative: Gelingt es, das Problem der Hochschulfinanzierung im Sinne des wirtschaftsnationalistischen Standortsicherungskonzeptes zu bestimmen und zunehmend mit einer technokratischen Interpretation der Ökologieproblematik sowie einer entsprechenden Akzeptanz von Eliteausbildung zu verbinden? Oder gelingt die politisch-konzeptionelle Verkoppelung von ökologischer, sozialer und demokratischer Frage in einem neuen und radikalisierten Verständnis von Hochschulstrukturreform?