Die Untertanen

Polarisierung an den Unis

Die neuen Rechten zielen an den Hochschulen auf den Ausbau einer handlungsfähigen nationalen Elite

Jahrzehntelang, bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, waren die Mitglieder der deutschen Universitäten offen reaktionär, nämlich antidemokratisch, nationalistisch und rassistisch orientiert. Viele Hochschullehrer rechtfertigten den Nationalsozialismus nicht nur nachträglich und paßten sich an, vielmehr waren sie wegen ihrer politischen Vorstellungen aktiv an der Herausbildung des Nationalsozialismus als Herrschaftsform beteiligt, sie denunzierten Kollegen, säuberten Bibliotheken, lasen in Nazi-Uniformen. Für die meisten Studenten der zwanziger Jahre galt ähnliches: Auch sie waren völkisch, antisemitisch und revanchistisch. Nach dem Krieg bestand die - manchmal heuchlerische - Sorge, daß die Studierenden nicht für die Demokratie seien. In der Ende der fünfziger Jahre am Frankfurter Institut für Sozialforschung durchgeführten Untersuchung über "Student und Politik" wurde vermutet, daß neun Prozent der Studenten als grundlegend demokratisch, aber 16 Prozent als definitiv autoritär gelten konnten. Heikel war auch, daß 66 Prozent der Befragten politisch nicht festgelegt waren.

Solche Sorgen sind spätestens seit der Studentenbewegung hinfällig, die Hochschullehrer wie auch die Studierenden sind weitgehend demokratisch, vielfach links orientiert - zum Bedauern der alten und neuen Rechten, die beklagen, daß die Universitäten keine Stützpunkte mehr für die nationale Bewegung seien. Das Ziel insbesondere der neuen Rechten ist, durch Metapolitik kulturelle Hegemonie auch an den Universitäten zu erlangen. Geht es zunächst darum, die Themen und intellektuellen Orientierungen von Studierenden von rechts zu bestimmen, so ist das mittelfristige Ziel der Aufbau einer nationalen Elite. Sie soll befähigt sein - im Unterschied zu den gegenwärtig herrschenden Eliten, die mit den Westmächten kollaborieren würden - die Interessen Deutschlands effektiv zu vertreten, die biologisch-kulturelle Homogenität des deutschen Volkes zu schützen, sich frei zu machen von dem vom Ausland eingeredeten Schulgefühl über die von den Nazis verfolgte rassistische Expansions- und Vernichtungspolitik, und Deutschland wieder die Territorien wie Ostpreußen, Schlesien, Sudetenland, Österreich und Südtirol zurückzugewinnen, die durch Kriegsniederlagen verloren wurden.

Führende Vertreter der alten und vor allem der neuen Rechten kommen allerdings selbst aus den Universitäten, sie haben Professuren, akademische Titel oder sind Studenten. In den vergangenen Jahren gab es an beinahe allen Universitäten Vorfälle, die zeigen, daß im akademischen Leben durchaus eine gewisse Zustimmung zu antidemokratischen und rassistischen Traditionen fortbestehen. So kann die völkisch und revanchistisch orientierte Deutsche Burschenschaft immerhin etwa 20 000 Studierende organisieren. Hochschullehrer bringen in ihren Vorlesungen Trinksprüche auf den Geburtstag des "Führers" aus, leugnen oder verharmlosen all das, wofür Auschwitz steht, entschuldigen die Verbände der SS und der Wehrmacht - deren Ehre ihnen als unverletzbar gilt - oder sorgen sich um den Bestand der biologischen Substanz des deutschen Volkes. Es gab und gibt Diskussionszirkel, in denen regelmäßig Vortragende von CDU, Republikanern, rassistischen Burschenschaftlern und Vertretern von Zeitschriften wie Junge Freiheit und Critic-n zusammenkommen.

Das jüngste Beispiel: Zum 150. Jahrestag der Frankfurter Nationalversammlung vermietet die Stadt Frankfurt im Oktober 1998 einem Ad-hoc-Zusammenschluß von Akademikerverbänden die Paulskirche. Er erhält die Paulskirche, weil es sich um einen "Zusammenschluß" handele, gegen den die Oberbürgermeisterin und die CDU keine Bedenken hätte - obwohl auch eben die Deutsche Burschenschaft dazu gehört.

In einer Untersuchung, die Gerd Paul und ich am Institut für Sozialforschung durchgeführt haben, haben wir gefragt, ob und wieweit Positionen der alten und insbesondere der neuen Rechten auch unter Studierenden zu finden sind. Die Mehrheit der Studierenden sind demokratisch (45 Prozent), nur 25 Prozent sind unprofiliert. Der Anteil derjenigen, die sich als autoritär bezeichnen lassen, beträgt 15 Prozent.

Die Autoritären lehnen Demokratieprinzipien wie Streikrecht oder oppositionelles Verhalten ab, sind nationalistisch und fremdenfeindlich-rassistisch. Bemerkenswert an dieser Gruppe von Personen ist, daß sie sich politisch keineswegs am rechten Rand sieht, sondern in der rechten Mitte; es handelt sich überdurchschnittlich häufig um Männer, die wegen ihrer Herkunft zur höchsten sozialen Klasse zu rechnen sind. Ein weiteres statistisches Merkmal dieser Gruppe ist, daß die ihr zugehörenden Personen häufiger Ingenieur-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften studieren. Bemerkenswert ist dies deswegen, weil aus diesen Studienfächern sich in Deutschland nach wie vor die sogenannten Führungskräfte rekrutieren. Die nähere Beobachtung zeigt, daß diese Gruppe der Studierenden den Wohlfahrtsstaat ablehnen, Gleichberechtigung distanziert gegenüberstehen, sehr leistungsorientiert sind und einen starken Staat ebenso wie die Marktwirtschaft befürworten.

Während von manchem Konservativen diese empirischen Ergebnisse beschönigt werden und gefordert wird, man solle Studierende eher nach ihrem Beitrag zur Sicherung des Standorts Deutschland und nicht nach ihrer politischen Orientierung beurteilen, haben die Vertreter der neuen Rechten die Ergebnisse als Hinweis darauf interpretiert, daß es für ihre Ziele tatsächlich eine Basis an den Hochschulen gibt und aufgefordert, entsprechend politisch aktiv zu werden. Mit dieser Reaktion zeichnet sich ein neues Muster ab: Die Rechten ziehen sich nicht mehr, wie noch in den sechziger Jahren, in politische Lethargie zurück, sondern versuchen, offensiv zu reagieren, sie sind politisch interessiert und aktiv. In Marburg haben sie bei den Stupa-Wahlen 1997 zwei Sitze erhalten.

Auf diese Weise repräsentieren die Rechten an den Hochschulen möglicherweise eine neue Tendenz. Es kommt nicht zu einem politischen Vakuum, vielmehr zeichnet sich eine Polarisierung unter den Studierenden nach Fächern, nach sozialer Herkunft, nach Geschlecht und politischen Zielen ab. Erste Anzeichen waren im Streik vom November/Dezember 1997 deutlich zu erkennen: Feministinnen wurden ausgebuht, Linke beschimpft, Jurastudenten forderten besondere Vergünstigungen von der Universitätsleitung, knapp wurde in Frankfurt verhindert, daß Wiwi-Studierende sich dafür aussprachen, die Polizei gegen Streikende zu rufen, für viele ging es lediglich um ein effizientes Studium und um die Verbesserung ihrer Karrierechancen auf Kosten anderer.