Wilhelm Hankel, der vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Euro klagt

»Es gibt keine Blankoschecks«

Gemeinsam mit Karl Albrecht Schachtschneider, Wilhelm Nölling und Joachim Starbatty sind Sie vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Sie beklagen eine Zerstörung des Sozialstaates durch die Einführung des Euro, andererseits kritisieren Sie den Vorschlag der französischen Regierung, die Währungsunion durch eine Sozialunion zu ergänzen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Das ist ein Widerspruch, aber einer zwischen den EU-Vertragspartnern. Offensichtlich gibt es eine konträre Auslegung der Maastrichter Verträge vor allem durch Frankreich und Deutschland. Frankreich hat nie akzeptiert, daß die Währungsunion als Stabilitätsunion konzipiert wurde, und versucht deswegen seit Jahren, diesen Kernpunkt zu verwässern. Deutschland hingegen verteidigte die Maastrichter Stabilitätsvorgaben. Auf der EU-Regierungskonferenz letzten Sommer in Amsterdam hat sich nun Frankreich durchgesetzt, die Stabilitätsunion wurde um eine Beschäftigungsunion erweitert.

Es entspricht uralter Rechtsauffassung, daß Vertragsbindungen obsolet werden, wenn die Verträge nicht mehr einheitlich interpretiert werden. Damit sind die Maastrichter Verträge über die Währungsunion hinfällig.

Bundesfinanzminister Waigel und die linken Euro-Kritiker behaupten das Gegenteil: In Amsterdam habe sich Deutschland durchgesetzt, schließlich sei dort der Euro-Stabilitätspakt rechtsverbindlich beschlossen worden.

Er wurde nur in einer verwässerten Fassung beschlossen. Es wird keinen Automatismus bei der Bestrafung von Haushaltssündern geben, in jedem Fall haben die EU-Gremien das letzte Wort. Waigel kann also, wenn die Budgetdefizite eines Euro-Staates die erlaubte Höhe überschreiten, eine Buße beantragen - aber ob er dafür bei seinen Amtskollegen aus den Partnerstaaten eine Mehrheit findet, ist alles andere als sicher.

Ihr Mit-Kläger Schachtschneider sprach davon, der Euro verletze ein "Bürgerrecht auf wirtschaftliche Stabilität". Nun ist dieses Bürgerrecht aber nicht Bestandteil der deutschen Verfassung, oder?

Wir befürchten, daß bei der vorgesehenen Euro-Einführung folgende Artikel des Grundgesetzes verletzt werden: Zum einen der wohl wichtigste Artikel der deutschen Verfassung, der Artikel 38, wonach keine deutsche Regierung ein Mandat hat, gegen das Volk zu regieren. Zum anderen Artikel 14, die Eigentumsgarantie, und Artikel 20, der Deutschland als sozialen Rechtsstaat bezeichnet. Die Euro-Einführung aber wird ohne Zustimmung des Volkes betrieben, sie gefährdet das Eigentum der Bürger und setzt den sozialen Rechtsstaat außer Kraft, weil sie dessen wichtigste Instrumente - die Möglichkeit zur Auf- und Abwertung der eigenen Währung, zur Veränderung der nationalen Leitzinsen sowie die Haushaltsautonomie des Nationalstaates - beseitigt.

Anfang Mai entscheiden nun die EU-Gremien, welche Staaten zum Euro-Beitritt zugelassen werden und wie die Wechselkursparitäten bei der Umstellung ausfallen würden. Ein Urteil, das erst danach käme, träfe doch auf vollendete Tatsachen?

Es ist keineswegs sicher, daß die Entscheidung Anfang Mai fällt. Noch liegen die Wirtschaftsdaten des für die Euro-Zulassung entscheidenden Jahres 1997 nicht vor, und erst auf dieser Grundlage werden die Europäische Kommission und das Europäische Währungsinstitut (EWI) ihre Empfehlungen abgeben. Vor allem das EWI ist dafür bekannt, daß es sehr gewissenhaft prüft - Blankoschecks wird es sicher nicht verteilen.

Aber selbst wenn Anfang Mai die Vorentscheidungen fallen: Noch bis Ende des Jahres könnte der Zug gestoppt werden. Zum Beispiel könnte Deutschland die beschlossenen Wechselkursparitäten für die Euro-Umstellung stornieren. Es widerspricht ohnedies meiner volkswirtschaftlichen Erfahrung, daß diese Paritäten im Mai beschlossen werden und bis zum 1. Januar 1999 ihre Gültigkeit behalten sollen: Da werden die internationalen Finanzmärkte schon vorher Korrekturen erzwingen.