The Story of the Hurricane

Vor zehn Jahren wurde der Boxer Rubin "Hurricane" Carter vom Vorwurf des Mordes freigesprochen.

Am 26. Februar 1988, vor genau zehn Jahren, sprach ein US-Gericht den früheren Mittelgewichtsboxer Rubin "Hurricane" Carter frei. Zwanzig Jahre zuvor war Carter zusammen mit seinem Freund John Artis wegen angeblich gemeinsam begangenen dreifachen Mordes verurteilt worden.
Carters Geschichte wurde von Bob Dylan in dem Lied "Hurricane", das sich auf der LP "Desire" (1975) findet, besungen. Sie beginnt so:

Pistol shots ring out in the barroom night / Enter Patty Valentine from the upper hall. / She sees the bartender in a pool of blood, / Cries out, "My God, they killed them all!" / Here comes the story of the Hurricane, / The man the authorities came to blame / For somethin' that he never done. / Put in a prison cell, but one time he could-a been / The champion of the world.

Three bodies lyin' there does Patty see / And another man named Bello, movin' around mysteriously. / "I didn't do it", he says, and he throws up his hands / "I was only robbin' the register, I hope you understand. / I saw them leavin'", he says, and he stops / "One of us had better call up the cops." / And so Patty calls the cops / And they arrive on the scene with their red lights flashin' / In the hot New Jersey night.

Am 17. Juni 1966 wurden in der Lafayette-Bar in Paterson im US-Staat New Jersey zwei Männer und eine Frau erschossen. Der Profiboxer Hurricane Carter und sein Freund John Artis waren zu dieser Zeit mit Carters Auto in Paterson, Hurricanes Geburtsstadt, unterwegs. Die beiden waren noch nie in der Lafayette-Bar, auch an jenem Abend nicht. Das Ziel ihrer Fahrt war Carters Wohnung, wo Hurricane noch Geld holen wollte. Auf der Straße wurden sie zweimal von der Polizei angehalten. Nach der zweiten Kontrolle mußten sie zur Lafayette-Bar mitkommen, wo sie dort anwesenden Zeugen gegenübergestellt wurden. Die erkannten die beiden aber nicht als die flüchtigen Täter. Auf Nachfrage erklärte die Polizei zunächst, Carter und Artis "waren nie verdächtig".

Am 14. Oktober 1966 aber sagte Alfred P. Bello, ein in der Kleinstadt bekannter weißer Krimineller, gegenüber der Polizei aus, er habe gesehen, wie zwei etwa gleich große Schwarze aus der Bar geflüchtet seien. Bello wollte zusammen mit seinem Kumpel Arthur Dexter Bradley an jenem Abend einen Raub begehen. Ob sie die Lafayette-Bar ausrauben wollten oder eine Fabrik in der Nachbarschaft, ist bis heute unklar. Auch ihre Rolle bei dem Mord wurde nie geklärt.

In der Zwischenzeit absolvierte Hurricane in Argentinien einen Kampf gegen Rocky Rivero, den er gewann. Im Mai 1967 sollte er gegen Richard "Dick Tiger" Ihetu eine zweite Chance auf den Weltmeistertitel im Mittelgewicht erhalten, 1964 hatte er gegen Joey Giardello nur nach Punkten verloren.

Fast ein Jahr nach dem Mord und nur gestützt auf Bellos und Braxters fragwürdige Aussagen sowie angereichert durch zwei weitere nicht minder fragwürdige Zeugen, denen, was Tonbandprotokolle beweisen, die Polizei Sätze in den Mund legte, wurden Hurricane Carter und John Artis am 27. Mai 1967 von einem nur von Weißen besetzten Gericht wegen dreifachen Mordes zu dreimal lebenslänglicher Haftstrafe verurteilt. Der Staatsanwalt plädierte für die Todesstrafe. Daß Carter und Artis eine deutlich unterschiedliche Körpergröße aufweisen, war dabei nur der geringste Teil des Skandals.

Carter, der mit Martin Luther King befreundet war und Kontakte zu Malcolm X hatte, sagte später: "Ich war schon vor diesem Mord isoliert. 1964, nachdem die New Yorker Polizei bei Riots in Harlem ein schwarzes Kind erschossen hatte, hatte ich gesagt, daß Eltern eigentlich auf der Straße sterben müßten, um ihre Kinder zu schützen, aber daß sie statt dessen gezwungen werden zuzuschauen, wie die Polizei mit Gewehren auf Kinder schießt. Am 17. Juni 1966 legten sie mir die Handschellen an."

Meanwhile, far away in another part of town / Rubin Carter and a couple of friends are drivin' around. / Number one contender for the middleweight crown / Had no idea what kinda shit was about to go down / When a cop pulled him over to the side of the road / Just like the time before and the time before that. / In Paterson that's just the way things go. / If you're black you might as well not show up on the street / 'Less you wanna draw the heat.

Alfred Bello had a partner and he had a rap for the cops. / Him and Arthur Dexter Bradley were just out prowlin' around / He said, "I saw two men runnin' out, they looked like middleweights / They jumped into a white car with out-of-state plates." / And Miss Patty Valentine just nodded her head. / Cop said, "Wait a minute, boys, this one's not dead". / So they took him to the infirmary / And though this man could hardly see / They told him that he could identify the guilty men.

Hurricane Carter war bei seinen Mitgefangenen ein angesehener Häftling, bei den Aufsehern nicht. Er trug keine Anstaltskleider, beteiligte sich nicht an der Arbeit und konnte nicht auf eine frühzeitige Entlassung wegen guter Führung hoffen. Statt dessen schrieb er ein Buch, "The Sixteenth Round", das 1975 erschien. Das sandte er aus dem Gefängnis "wegen seiner früheren Einbindung in den Kampf um Bürgerrechte" an Bob Dylan, wie Carter es begründete. Im Juni besuchte Dylan ihn im Gefängnis. Carter erklärte danach: "Ich verließ ihn, nachdem ich ihn das erste Mal gesehen hatte, mit dem festen Wissen, daß die Philosophie dieses Mannes auch meine ist. Man trifft nicht sehr oft solche Leute."

Dylan ging es ähnlich. "Ich fühlte, daß der Mann unschuldig ist - wegen seiner Art zu schreiben", sagte er einmal in einem Interview. Dylan schrieb zusammen mit Jacques Levy den "Hurricane"-Song, den er am 30. Juli 1975 in New York aufnahm. Aber diese erste Version wurde nie veröffentlicht. Im Oktober 1975 trug Dylan sein Lied erstmals im Fernsehen vor, und auf Dylans legendärer "Rolling Thunder"-Tournee wurde es immer gespielt. Mit leicht verändertem Text wurde "Hurricane" am 24. Oktober 1975 neu aufgenommen. Die Anwälte der Plattenfirma CBS befürchteten, daß die ursprüngliche Formulierung, Bradley und Bello "robbing the bodies", zu Klagen führen könnte. In Wirklichkeit prozessierten aber nicht die zwei Kleinganoven, sondern die Zeugin Patty Valentine. Den Prozeß verlor sie 1979.

Das letzte Konzert der "Rolling Thunder"-Tournee am 7. Dezember 1975 im Madison Square Garden in New York wurde "Night of the Hurricane" genannt. Organisiert wurde es gemeinsam von Bob Dylan und dem Box-Weltmeister Muhammad Ali. Wenige Wochen später wurde ein zweites und letztes Benefit-Konzert für Hurricane Carter veranstaltet, "The Second Night Of The Hurricane", am 25. Januar 1976 in Huston, Texas.

Four in the mornin' and they haul Rubin in, / Take him to the hospital and they bring him upstairs. / The wounded man looks up through his one dyin' eye, / Says, "Wha'd you bring him in here for? He ain't the guy!" / Yes, here's the story of the Hurricane, / The man the authorities came to blame / For somethin' that he never done. / Put in a prison cell, but one time he could-a been / The champion of the world.

Four months later, the ghettos are in flame, / Rubin's in South America, fightin' for his name / While Arthur Dexter Bradley's still in the robbery game / And the cops are puttin' the screws to him, lookin' for somebody to blame. / "Remember that murder that happened in a bar?" / "Remember you said you saw the getaway car?" / "You think you'd like to play ball with the law?" / "Think it might-a been that fighter that you saw runnin' that night?" / "Don't forget that you are white."

Am 17. März 1976 ordnete der New Jersey Supreme Court ein neues Verfahren an. Bradley und Bello hatten, nach Ablauf der Verjährungsfrist und weil die Polizei ihnen eine zugesagte Belohnung nicht ausgezahlt hatte, ihre Meineide zugegeben. Carter und Aris kamen auf Kaution frei, Muhammad Ali holte sie am Gefängnistor ab und gab ihnen etliche tausend Dollar. Doch in diesem neuen Verfahren, es endete am 22. Dezember 1976, wurden Carter und Artis erneut verurteilt. Die gleichen Freiheitsstrafen - dreimal lebenslänglich für jeden - wurden verhängt, und beide mußten zurück ins Gefängnis.

Ende 1981 wurde John Artis auf Bewährung entlassen, nachdem er schon 15 Jahre inhaftiert war. Hurricane Carter aber mußte im Gefängnis bleiben. Am 17. August 1982 wies der New Jersey Supreme Court in einer Vier-zu-drei-Entscheidung den Antrag von Carters Anwalt Myron Beldock auf ein neues Verfahren zurück.

Arthur Dexter Bradley said, "I'm really not sure." / Cops said, "A poor boy like you could use a break / We got you for the motel job and we're talkin' to your friend Bello / Now you don't wanta have to go back to jail, be a nice fellow. / You'll be doin' society a favor. / That sonofabitch is brave and gettin' braver. / We want to put his ass in stir / We want to pin this triple murder on him / He ain't no Gentleman Jim."

Rubin could take a man out with just one punch / But he never did like to talk about it all that much. / It's my work, he'd say, and I do it for pay / And when it's over I'd just as soon go on my way / Up to some paradise / Where the trout streams flow and the air is nice / And ride a horse along a trail. / But then they took him to the jailhouse / Where they try to turn a man into a mouse.

Erst das Jahr 1985 brachte für Hurricane Carter die Freilassung. Am 7. November 1985 befand der liberale Richter H. Lee Sarokin, daß die Anklage im ersten und zweiten Verfahren gravierende Mängel aufweise und daß sie "eher auf Rassismus als auf Gründen, eher auf Geheimhaltung als auf Enthüllung" basiere. Er verwarf die bisherigen Entscheidungen und strengte einen neuen Prozeß an. Die Staatsanwälte argumentierten, Carter sei gefährlich und müsse inhaftiert bleiben. Richter Sarokin verwarf auch dies und ordnete an, daß Carter ohne Kaution das Gefängnis verlassen durfte: "Menschlicher Anstand erfordert seine sofortige Freilassung." 19 Jahre lang hatte Carter unschuldig im Gefängnis gesessen.

Die Staatsanwaltschaft unternahm noch weitere Versuche, Carter wieder in Haft zu nehmen, doch er blieb frei. Der US-Court für Beschwerdeverfahren bestätigte Richter Sarokins Entscheidung, und am 26. Februar 1988 wurde endlich der alte Schuldspruch gegen Carter und Artis aufgehoben. Eine Haftentschädigung wurde aber nie gezahlt.

All of Rubin's cards were marked in advance / The trial was a pig-circus, he never had a chance. / The judge made Rubin's witnesses drunkards from the slums / To the white folks who watched he was a revolutionary bum / And to the black folks he was just a crazy nigger. / No one doubted that he pulled the trigger. / And though they could not produce the gun, / The D.A. said he was the one who did the deed / And the all-white jury agreed.

Rubin Carter was falsely tried. / The crime was murder "one," guess who testified? / Bello and Bradley and they both baldly lied / And the newspapers, they all went along for the ride. / How can the life of such a man / Be in the palm of some fool's hand? / To see him obviously framed / Couldn't help but make me feel ashamed to live in a land / Where justice is a game.

Hurricane Carter ist jetzt 61 Jahre alt und lebt im kanadischen Toronto. New Jersey will er "nicht mal mehr überfliegen", geschweige denn betreten, sagte er einmal einem Reporter. Und seine Boxerkarriere, die sehr gut begonnen hatte, konnte er, im Alter von 49 Jahren wurde er aus der Haft entlassen, vergessen. Der WM-Kampf 1967 gegen Dick Tiger wäre seine Altersversorgung gewesen.

1991 schrieben die Journalisten Sam Chatton und Terry Swinton ein Buch über ihn, "Lazarus and the Hurricane: The Untold Story of the Freeing of Rubin Hurricane Carter". 1992 brachte die renommierte Sports Illustrated unter dem Titel "True to His Words" eine Geschichte über ihn, aber ansonsten passierte nicht mehr viel.

"Die 16. Runde war meine endgültige Freilassung", sagte Carter 1997 dem englischen Journalisten Steve Bunce, "ich mußte diese Runde gewinnen, um allen zu danken, die sich mit mir solidarisierten und mir glaubten. Ich habe gewonnen."

Mit Bob Dylan hat er keinen Kontakt mehr. "Ich habe etliche Geschichten über das gehört, was sich wirklich ereignete", sagte Dylan in einem Interview, das kurz vor Carters Freilassung erschien, "es waren gute und schlechte."

Carter selbst stört sich nicht an solch merkwürdigen Auslassungen. Im April 1996 besuchte er ein Dylan-Konzert in Toronto. "Er war sehr stattlich, sprach viel mit Leuten, schüttelte Hände und gab Autogramme", erinnert sich eine Besucherin, "einige Besucher versuchten Bob darauf aufmerksam zu machen, daß Hurricane Carter anwesend ist, aber das klappte nicht."

Now all the criminals in their coats and their ties / Are free to drink martinis and watch the sun rise / While Rubin sits like Buddha in a ten-foot cell / An innocent man in a living hell. / That's the story of the Hurricane, / But it won't be over till they clear his name / And give him back the time he's done. / Put in a prison cell, but one time he could-a been / The champion of the world.

So endet die story of the Hurricane. Arthur Dexter Bradley ist übrigens tot, und Alfred P. Bello gehört zu einem Zeugenschutzprogramm der Polizei in New Mexico.