Absprung ohne Illusionen

Professionell arbeitslos oder Modell mit Perspektiven - nach der Entlassung gründete die Belegschaft der Züchner-Werke eine Qualifizierungsgesellschaft

Eigene Büroräume und ein Schulungsraum im Industriegebiet Bramstedt bei Hamburg, das ist derzeit der wichtigste Anlaufpunkt für die ehemaligen Mitarbeiter der Züchner Metallverpackungs GmbH. Ein schlichtes Schild weist dem Besucher den Weg zur Qualifizierungsgesellschaft Barmstedt mbH, wo der ehemalige Betriebsratsvorsitzende Rolf Biermann seine Kollegen in Empfang nimmt, um mit ihnen Fragen über ihren künftigen Job zu klären.

"Berufliche Neuorientierung in einer Region mit Tausenden Arbeitslosen - dabei wollen wir unsere von der Schließung der Züchner-Werke betroffenen Kolleginnen und Kollegen nicht allein lassen", so umreißt Biermann sein Ziel und das der Qualifizierungsgesellschaft, die Ende 1997 gegründet wurde und sich nun der Öffentlichkeit präsentierte. Weit über 100 Leute waren gekommen, um ein Projekt zu feiern, das von Lokalpolitikern, dem Arbeitsamt, aber auch von der IG Metall und der ehemaligen Züchner-Belegschaft als beispielhaft bezeichnet wird.

Hervorgegangen ist die Qualifizierungsgesellschaft aus einem Arbeitskampf zwischen Belegschaft und IG Metall auf der einen und dem Unternehmen, dem weltweit agierenden Verpackungsriesen Cork Crown / Carnaud Metal Box, auf der anderen Seite. "Im April letzten Jahres erfuhr die Belegschaft von den Stillegungsplänen der Konzernmutter und beschloß umgehend, dagegen zu protestieren", erinnert sich der 52jährige Biermann. In einem ersten Schnitt sollten 85 der 130 Mitglieder der Belegschaft entlassen werden. Bis zur Stillegung des Traditionsbetriebes wäre es dann, so die Überzeugung von IG Metall und Belegschaft, nur noch eine Frage der Zeit gewesen. "Dem wollten wir nicht tatenlos zusehen, also gingen wir auf die Straße, besetzten den Betrieb und entwickelten zusammen mit der IG Metall ein Alternativkonzept", erläutert Biermann.

Dies war die Geburtsstunde der Qualifizierungsgesellschaft: Dem Mutterkonzern wurde ein neuer Haustarifvertrag vorgelegt, der den entscheidenden Passus über die Einrichtung einer Beschäftigungsgesellschaft enthielt. "Der Konzern ließ sich Zeit, bis er sich letztlich doch dazu bequemte, mit uns zu verhandeln", erinnert sich Peter Zabel, der als IG-Metallsekretär an den Verhandlungen teilnahm. Erst als die Belegschaftsaktionen nicht abrissen, immer wieder Demonstrationen, Informationsveranstaltungen, öffentliche Diskussionen organisiert und mit der Besetzung des Betriebes gedroht wurde, lenkte die Konzernführung ein.

In wochenlangen zähen Verhandlungen mit der IG Metall, der über 90 Prozent der Belegschaft angehörten, stimmte der Konzern schließlich den Forderungen der Belegschaft zu. "Die positive Entscheidung aus der Konzernzentrale in Paris hat uns nicht sonderlich überrascht. Konzerne dieser Größenordnung - Carnaud Metal Box hat immerhin einen weltweiten Umsatz von etwa 20 Milliarden Mark - reagieren recht empfindlich auf negative Schlagzeilen", erklärt rückblickend Peter Ladehoff, erster Bevollmächtigter der IG Metall-Verwaltungsstelle Elmshorn und damaliger Verhandlungsführer auf Arbeitnehmerseite.

Das Modell der Qualifizierungsgesellschaft Barmstedt ist in der Region Elmshorn mit über elf Prozent Arbeitslosen einmalig. Alle der 130 ehemaligen Züchner-Beschäftigten haben einen auf zwei Jahre befristeten Arbeitsvertrag, erhalten bis zum 30. November 1999 rund 90 Prozent ihres Lohnes und so die Möglichkeit, sich weiterzuqualifizieren und sich in neuen Berufsfeldern zu orientieren, ohne gravierende Lohneinbußen hinnehmen zu müssen. Zudem erhielt die gesamte Belegschaft eine Abfindung, die ihnen zu 100 Prozent erhalten blieb, da sie als "strukturell kurzarbeitend" gelten.

"Die Regelung der 'strukturellen Kurzarbeit' ist im Arbeitsförderungsgesetz fixiert und konnte bis zum Jahreswechsel für 24 Monate beantragt werden, wenn ein Betrieb aufgrund einer strukturellen Krise seine Tore schloß. In unserem Fall war das die zunehmende Verdrängung von Metallverpackungen durch Kunststoffe", erklärt Biermann. "Seit der Nivellierung des Arbeitsförderungsgesetzes (jetzt Sozialgesetzbuch III), die am 1. Januar 1998 in Kraft trat, sind es allerdings nur noch zwölf Monate, die 'strukturell kurzgearbeitet' werden können, womit wir gerade noch rechtzeitig das alte Modell nutzen konnten", ergänzt Hans-Joachim Olczyk, der Geschäftsführer der QGB, wie die Qualifizierungsgesellschaft der Kürze halber nur noch genannt wird.

Auch beim Arbeitsamt Elmshorn stieß das Züchner-Modell auf einhellige Unterstützung, wie Wilma Dropsch bestätigt. Für sie ist die Lösung des Arbeitskonflikts beispielhaft, "da die Hilfestellung der Qualifizierungsgesellschaft in jener Breite vom Arbeitsamt gar nicht geleistet werden kann". Der mittlerweile auf 118 Personen geschrumpfte Züchner-Belegschaft stehen eine Fülle von Qualifizierungsangeboten offen, die im Verbund mit verschiedenen Bildungsträgern angeboten werden. Derzeit läuft, so Geschäftsführer Hans-Joachim Olczyk, ein EDV-Grundlagenseminar sowie ein Kurs in Lagertechnik, wo Interessierte ihr Wissen auf den neuesten technischen Stand bringen können. Zudem können ausländische Kollegen ihre Sprachkenntnisse verfeinern und gemeinsam mit ihren deutschen Kollegen am Bewerbungstraining teilnehmen.

Finanziert werden die vielfältigen Aktivitäten der Qualifizierungsgesellschaft allerdings nicht allein vom Arbeitsamt und dem ehemaligen Arbeitgeber, der rund elf Millionen Mark zur Realisierung des Gesamtprojekts beisteuert, sondern auch aus dem EU-Sozialfonds. "Rund 500 000 Mark werden uns von der EU für Qualifizierungsmaßnahmen während der 'strukturellen Kurzarbeit' zur Verfügung gestellt", erläutert Frau Dropsch vom Arbeitsamt Elmshorn. Die Voraussetzungen für die berufliche Neuorientierung der ehemaligen Züchner-Belegschaft könnten somit kaum besser sein.

Zwölf Ehemalige haben bereits zum Jahreswechsel einen neuen Job gefunden, ohne deshalb pauschal auf die Leistungen der Qualifizierungsgesellschaft verzichten zu müssen. "Sollten sie entlassen werden, können sie zumindest solange, wie die QGB läuft, hierher zurückkommen und die ihnen zustehenden Leistungen beziehen", erklärt Biermann. Weitere acht sammeln gerade über Praktika erste Erfahrungen in anderen Betrieben und fünf haben beinahe schon den Absprung aus der Qualifizierungsgesellschaft geschafft: Sie haben ein Zweitarbeitsverhältnis aufgenommen.

Ob allerdings alle einen neuen Job in der strukturschwachen Region finden, wagt auch Biermann nicht zu hoffen. "Mit meinen 52 Jahren sieht es für mich beileibe nicht rosig aus, und die älteren Mitarbeiter geben sich ohnehin keinen Illusionen hin, die informieren sich in erster Linie über die Möglichkeiten, ohne große Nachteile in den Vorruhestand zu gehen."

Gelohnt habe sich der Arbeitskampf der Züchner-Belegschaft allemal, da seien sich alle einig, denn der Konzern sei gezwungen worden, Verantwortung für seine Mitarbeiter zu übernehmen und sich mit einer neuen Form des Sozialplans anzufreunden, resümiert Peter Ladehoff. "Das könnte ein Modell für Betriebe werden, die von der Schließung durch die Konzernherren bedroht sind. Wer Betriebe schließen will, muß eben damit rechnen, daß neue Instrumente der Arbeitsmarktpolitik auch von Belegschaften genutzt werden - dann müßten sie jedenfalls ein letztes Mal tief in die Tasche greifen."