Schuften statt spielen

Weltweit müssen rund 300 Millionen Kinder unter extremen Bedingungen arbeiten

Knapp achtzig Prozent der Lederfußbälle, mit denen hierzulande Bundesligaprofis wie Straßenkicker auf Torejagd gehen, stammen aus dem pakistanischen Sialkot. Genäht werden sie von rund 7 000 Kindern. Aber auch im Orangensaft, in Streichhölzern, in Teppichen, Kleidung oder im Kaffee kann die Arbeit von Kindern stecken. 250 Millionen Minderjährige müssen Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten oder zum Familieneinkommen beitragen. Die Vereinten Nationen bzw. das Kinderhilfswerk (Unicef) gehen sogar von etwa 300 Millionen aus - Tendenz steigend. Zur Jahrtausendwende rechnen Unicef-Spezialisten mit 375 Millionen Kindern unter 15 Jahren, die unter teilweise extremen Bedingungen schuften. Ein Teil dieser Kinderarbeiter befindet sich derzeit auf dem "Globalen Marsch gegen Kinderarbeit". Am 17. Januar startete die erste Delegation in Manila, die zweite brach am 25. Februar in S‹o Paulo auf und die dritte am 21. März im Kapstadt. Endpunkt des Sternmarsches unter dem Motto "Ausbildung statt Ausbeutung" ist Genf, wo am 3. Juni die ILO ihre Jahrestagung abhält.

Der wichtigste Punkt auf der Tagesordnung ist die neue Konvention gegen Kinderarbeit, zu der eben auch die Betroffenen gehört werden wollen. Anläufe zur Ächtung der Kinderarbeit in der Welt hat es bereits mehrere gegeben. Der erste datiert aus dem Jahre 1929. Damals initiierte die ILO das Abkommen gegen Zwangsarbeit, in dem erstmals auch die Kinder explizit genannt wurden. Doch bis 1973 sollte es dann noch dauern, bis man sich auf konkrete Schutzmaßnahmen einigte: Das Übereinkommen 138 zur Festlegung eines Mindestalters für verschiedene Beschäftigungsarten wurde damals als bahnbrechendes Abkommen gefeiert.

Doch die Sache hatte einen Haken: gerade mal von 60 Staaten wurde das Abkommen ratifiziert, so daß die Bilanz unterm Strich dürftig ausfällt. Nicht mehr als 21 Entwicklungsländer haben das Übereinkommen bis heute unterzeichnet - unter ihnen jedoch keiner der asiatischen Staaten, in denen weit mehr als die Hälfte der Kinderarbeiter leben. Seitdem ist die Zahl malochender Kids stetig gestiegen und auch in den reichen Ländern der EU ist Kinderarbeit längst kein Märchen aus der Epoche der Industrialisierung mehr.

Rund zwei Millionen Heranwachsende, so schätzt die ILO, schuften in der EU hinter Tresen oder auf dem Bau, wobei allerdings eine hohe Dunkelziffer eingeräumt wird. Allein in Deutschland arbeiten einer Studie der Bundesländer zufolge etwa 600 000 Kinder. Weitaus verbreiteter als hierzulande ist die Kinderarbeit allerdings in Portugal, und auch in Großbritannien hat ihre Zahl mit den wirtschaftlichen Umstrukturierungen erheblich zugenommen. Doch im Vergleich mit anderen Kontinenten ist deren Zahl noch gering. In Lateinamerika muß jedes fünfte Kind, in Afrika jedes dritte und in Asien jedes zweite Kind arbeiten. Doch die Hoffnung, mit Verboten und Appellen die Kinderarbeit aus der Welt zu schaffen, haben Experten schon lange aufgegeben. Auch die ILO hat ihre Position im Laufe der letzten Jahre überdacht.

Demzufolge geht es der ILO in dem Konventionsentwurf vorrangig darum, die gravierendsten Formen der Kinderarbeit zu beseitigen, ohne das Fernziel ihrer Abschaffung aus den Augen zu verlieren. Zu den "extremen Formen der Kinderarbeit" zählen Sklaverei, Kinderhandel sowie Prostitution, Pornographie und Drogenhandel. Generell gilt, daß alle Tätigkeiten, die die Gesundheit, Sicherheit oder Sittlichkeit der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren gefährden, international geächtet werden sollen. Dieses Ziel soll durch die Konvention und die sie ergänzenden Aktionsprogramme schnellstmöglich umgesetzt werden.

Das gesamte Abkommen besteht dabei aus zwei Teilen: der rechtlich bindenden Konvention und einer ergänzenden Empfehlung. Mit letzteren werden die Unterzeichner aufgefordert, innerstaatliche Aktionsprogramme auf den Weg zu bringen. Von seiten deutscher Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie Kindernothilfe oder terre des hommes wird gerade diese Zweiteilung kritisiert. Effektiver wäre es, so deren Vorschlag, die Aktionsprogramme direkt in die Konvention zu implementieren und damit rechtlich verbindlich zu machen. Ein Vorschlag, der bei der Bundesregierung auf wenig Resonanz stößt, da sie um die "Konsensfähigkeit" des Abkommens fürchten. Je weniger umfangreich und leichter erfüllbar ein derartiges Abkommen wäre, desto leichter wäre dessen Ratifizierung, ist aus Bonn zu hören.

Für die betroffenen Kinder geht es erst einmal darum, sich Gehör zu schaffen. Dabei steht für sie zunächst die Einlösung von Grundrechten im Vordergrund. Aber auch die Ursachen der Kinderarbeit wie beispielsweise die unzureichenden Ausbildungsmöglichkeiten sollen auf der Konferenz thematisiert werden. Ganz ähnlich argumentieren die Initiatoren des Marsches. Rund 700 NGOs haben sich unter dem Dach des Kinderschutzbündnisses Step zusammengefunden, um die Idee von Kailash Satyarthi, einem indischen Elektroingenieur, zu realisieren. Der ist genauso wie Manju Vira Gupta, die Step-Verantwortliche in Indien, mit der bisherigen Resonanz zufrieden.

An die Abschaffung der Kinderarbeit in Indien sei jedoch, so Gupta, derzeit nicht zu denken. Für viele Familien in der Dritten Welt sei die Unterstützung durch die Kinder überlebensnotwendig. An ein Ende der Kinderarbeit sei aber nur zu denken, wenn man die Ursachen bekämpfe - die ungerechte Verteilung des Reichtums.