Platzhirsch

Offenbar aus Furcht, der zukünftige Intendant des Berliner Ensembles, Claus Peymann, könne ihm die Planstelle des jungen wilden Theatermanns streitig machen, mosert Frank Castorf (46) an der Arbeit des scheidenden Burgtheaterchefs herum. Die innovative Kraft Peymanns werde überschätzt, so der Intendant der Berliner Volksbühne. "Wer zu lange im Wiener Luxus gelebt hat, dem fehlt die Kämpferqualität". Peymanns Produktionen seien "hausbacken, verträglich für jede Steglitzer Vorstadtvillensiedlung und insofern dem Geist der Anarchie nicht unbedingt entsprechend". Castorf, der gerade seinen Anarcho-Kiez (Berlin-Mitte) verlassen hat, um eine Nestroy-Collage am Wiener Burgtheater zu inszenieren, schiebt's aufs Alter: "Sechzig Jahre signalisieren ein gewisses biologisches Ende. Ich hoffe, daß er zumindest das Ende seiner Intendanz erlebt."

Peymann, der aus seiner Zeit des Wiener Luxus ganz andere Sachen gewöhnt ist, nahm das Gebaren des Berliner Platzhirsches gelassen. Castorf und Einar Schleef sind für ihn "über alle Diskussionen und Geschmacksgrenzen hinweg die beiden prägenden Berliner Regisseure der Stunde". Offenbar wenig beeindruckt ist Peymann von Castorfs Mit-60-ist-Schluß-Theorie. Erst kürzlich konnte er den 84jährigen George Tabori dazu überreden, für das Berliner Ensemble ein neues Stück zu schreiben. Tabori hatte damit seinen schon vor längerer Zeit gefaßten Entschluß, nicht mehr als Dramatiker zu arbeiten, revidiert.