Schule als Fabrik

Von Lean-Production zur Lean-Education - die deregulierte Bildung

Erst mahnte der Bundespräsident seine Deutschen, es müsse ein Ruck durch ihr Land gehen. "Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen (... ) alle müssen Opfer bringen." Dann legte er noch mit einer Rede zur Bildungspolitik nach: Die Ausbildungsdauer sei zu lang, die erzieherischen Werte müßten offensiv in den Unterricht eingebaut werden usw.

Der Ruck ist inzwischen mehrfach durch das Bildungswesen gegangen, Kürzungen wurden allen Bildungseinrichtungen in den Ländern - gleichgültig, ob schwarz, gelb, rot oder grün regiert - abverlangt. Das Deutsche Studentenwerk stellt in seiner jüngst veröffentlichten 15. Sozialerhebung fest, daß der Anteil der Kinder aus Arbeiterfamilien, die ein Studium beginnen, in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen sei. "Die Chance, in Deutschland eine Hochschule zu besuchen, ist wesentlich von der sozialen Herkunft abhängig", faßte Hans Dieter Rinkens, Präsident des deutschen Studentenwerks das Ergebnis der Erhebung zusammen und forderte einer grundlegende Reform des staatlichen Ausbildungsförderungssystems.

Nur 14 Prozent der Studienanfänger (bzw. 9 Prozent in den neuen Ländern) kommen aus diesen Familien, bei Angestellten- und Beamtenkindern beginnen 47 Prozent bzw. 56 Prozent ein Studium. Diese Zahlen korrespondieren mit jenen über sinkende Fördermittel (Bafög) für Studenten sowie mit einer steigenden Zahl studentischer Erwerbstätiger. 66 Prozent der Studenten in den alten Ländern bzw. 56 Prozent in den neuen arbeiten durchgehend während des Studiums, oft in prekären Beschäftigungsverhältnissen und in Konkurrenz zu anderen Erwerbslosen.

In allen Bundesländern haben sich die Lernbedingungen für Schüler und die Arbeitsbedingungen für Lehrer an den Schulen verschlechtert. Die Ausstattungen der Schulen werden immer dürftiger, die Arbeitszeit der Lehrer ist nach unterschiedlichen Modellen jeweils heraufgesetzt worden. Die Folgen der Einsparungen bekommen zuerst diejenigen zu spüren, die bzw. deren Eltern nicht über die Mittel verfügen, um die Mängel des öffentlichen Bildungsangebotes durch privat finanzierte Bildungsangebote (von Literatur über Nachhilfe bis zur Privatschule) zu kompensieren.

Während noch vor zehn Jahren die Deregulierung des Bildungswesens auf den entschiedenen Protest einer reformorientierten Öffentlichkeit gestoßen wäre, gibt es heute nur noch vereinzelte Versuche, sich zu wehren. Der von Herzog geforderte "Ruck" ist längst ein Anliegen von Sozialdemokraten, Grünen, Gewerkschaftern, liberalen und linken Hochschulprofessoren.

Ein Patentrezept zur Verschlechterung und Umsetzung von Kürzungen im Bildungswesen firmiert unter dem Titel "Mehr Autonomie für die Einzelschule und -universität". Wurden damit ehemals noch Vorstellungen von einer Verringerung staatlicher Bevormundung und der Möglichkeit eines größeren politischen Freiraums verbunden, wird damit heute die Forderung, Schulen wie Unternehmen zu führen, verknüpft. Aufgabe des Schulleiters ist nach diesem Modell, in der Funktion eines Managers nach Effizienzkriterien die knapper werdenden Mittel zuzuteilen. Stand der konservative ehemalige sächsische Staatssekretär Wolfgang Nowak 1995 noch allein mit seiner Forderung, Schulen müßten sich - wie in der "freien Wirtschaft - von ungeeigneten Lehrern trennen können, so sprang ihm kurz darauf der fortschrittliche Bielefelder Professor Klaus Hurrelmann zur Seite, indem er größere Freiräume der Schulleiter-Manager auch in personellen Fragen forderte.

Der ehemalige Leiter des Schulamtes Frankfurt/M. und jetzige Berater der Berliner Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD), Tom Stryck, erklärte vor zwei Jahren, daß Hessens Schulen immer selbständiger werden: "Eltern übernehmen Reparaturen oder waschen Handtücher, Schüler streichen Klassenzimmer, und Direktoren mausern sich zu Schulmanagern."

Im August 1996 verkündete der damalige GEW-Vorsitzende Dieter Wunder auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Bundesverband Junger Unternehmer eine "strategische Allianz für eine Schulreform". Über den Schulleiter als Manager war man sich in der Allianz einig; der Unterschied, so Wunder, liege manchmal nur in der Wortwahl: Während die GEW mehr "Selbständigkeit" für die Schulen fordere, sprächen Wirtschaftsvertreter eher von "unternehmerischem Handeln". Wesentliche Anregungen zur Deregulierung des Bildungswesens gehen vom European Round Table (ERT) genannten Zusammenschluß europäischer Konzernchefs aus. Beiteiligt sind u.a. die Firmen Volvo, Philips und Fiat. Um der Unverträglichkeit des staatlichen Bildungssystems in den europäischen Länder mit dem Lean-Production-Konzept der Unternehmen entgegenzuwirken, fordert der ERT eine Entbürokratisierung und Umgestaltung der Schulen im Sinne moderner Managementmethoden. Schlagworte wie Humanressourcen, Verschlankung, Leistungsanreize, flexibler Einsatz von Lehrkräften bestimmten nicht nur die Forderungkataloge der Unternehmen, sondern 1992 auch ein Memorandum zur Hochschulbildung in Europa der EU. Damals mußte das Memorandum noch aufgrund des Protestes von Hochschulrektoren und Studentenverbänden zurückgezogen werden.

1998 akzeptierte der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Klaus Landfried, die Unterordnung der Universität unter wirtschaftliche Deregulierungs- und staatliche Kürzungsinteressen, als er behauptete: "Die Voll-Universität mit dem gesamten Fächerspektrum ist nicht mehr finanzierbar und international nicht wettbewerbsfähig". GEW-Vorstandsmitglied Gerd Köhler plädierte schon 1996 dafür, "sich auf die bislang als neoliberal kritisierte Politik einer leistungsorientierten Hochschulfinanzierung und eines betriebswirtschaftlichen Hochschulmanagements einzulassen." Was herauskommt, wenn Hochschulen gezwungen sind, immer dramatischere Mittelkürzungen im Sinne von "mehr Wettbewerbsfähigkeit" umzusetzen, ist u.a. in Berlin zu beobachten. Jede Hochschule streicht "autonom", was sie am ehesten für entbehrlich hält. Die integrierte Lehrerbildung, deren Kernstück gerade die Verzahnung der Studienbereiche für die verschiedenen Lehrämter ist, wurde von FU, TU und Humboldt-Universität und der HdK infolge der vom Senat verfügten Kürzungen zur Disposition gestellt. Damit wird - bereits völlig unabhängig von der Bereitschaft, Lehrer einzustellen - allein durch Reduzierung des Nachwuchses ein stetig steigender Lehrermangel produziert.

Auch der direkte Zugriff von Unternehmen auf staatliche Schulen ist für Sozialdemokraten und Grüne kein Tabu mehr: Unter dem Applaus der Grünen hob die sozialdemokratische Schulsenatorin in Berlin das Werbeverbot an Schulen auf. Eltern, die sich gegen McDonalds-Logos im Klassenzimmer aussprachen, wurde von der grünen ehemaligen Schulsenatorin Sibylle Volkholz entgegengehalten, sie glaubten doch nicht ernsthaft, die Sanierung aller Schulgebäude sei mit öffentlichen Mitteln bezahlbar. Um welchen Preis die Bildungsfinanzierung durch private Unternehmen möglich wäre, darüber kann sich jeder seine eigene Vorstellungen machen.

In einer Erklärung der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung der Grünen wurden Schüler bereits vor zwei Jahren als "Kunden" bezeichnet, die Dienstleistungen der Lehrer in Anspruch nehmen. Die beabsichtigte Dienstleistungsgewerkschaft, in der die GEW aufgehen soll, knüpft an diesen Gedanken an. Wo Grüne, Sozialdemokraten und Gewerkschafter deregulierend voranschreiten, rufen ausgewiesene Konservative zum Angriff auf die lezten Relikte der SPD-Bildungsreform-Ära. Weg mit den Gesamtschulen - für ein Menschenrecht auf Leistung und Erfolg, forderte jüngst die FAZ in einem Kommentar, in dem sie hocherfreut auf jüngste Äußerungen Gerhard Schröders reagiert, der - gleich Herzog - "Kuschelecken" und "Schmusepädagogik" den Kampf ansagt.