Die Nostalgie des Phallus

Fellatio und der mächtigste Mann der Welt.

Hatte William Clinton nun Sex mit Monica Lewinsky, und wenn ja, wie? Und macht es einen Unterschied zu fragen, ob Lewinsky Sex mit Clinton hatte? Die Klärung dieser Fragen muß auch nach den erfolgten Verhören offen bleiben. Die mediale Seifenoper schlittert unter der Foucaultschen Pointe des sexuellen Wahrheitsspiels in die Unabschließbarkeit. Michel Foucault schrieb in den Siebzigern "Der Wille zum Wissen" vor dem Hintergrund des katholischen Europa.

Doch scheint es in den vergangenen dreißig Jahren vor allem in den puritanischen Vereinigten Staaten zu einer Kulmination der Geständnispraktiken gekommen zu sein. Noch nicht einmal im ehemals viktorianischen England erreichen die in der Post-68er-Ära geführten Sexualitätsdebatten eine vergleichbare Vehemenz. PornographInnen und ihre VerfolgerInnen, Sexologische Institute, BekennerInnen sexueller Identitäten, von enthaltsam bis fetischistisch hochspezialisiert, machen den Sex zu einer Angelegenheit der US-amerikanischen Nation.

So zeugt Clintons Zippergate eben nicht, wie es hierzulande gerne gesehen wird, von der allgemeinen Verklemmtheit der USA. Genauso wenig geht es um die einfache Beantwortung der Frage nach Wahrheit oder Meineid. Im angeblichen Skandal zeigt sich vielmehr die Sexbesessenheit, nicht nur des Starr-Inquisitors, sondern auch der Medien und ihres Publikums. Clintons Zwang und Lewinskys neuentwickelter Wunsch des Bekenntnisses der sexuellen Wahrheit sind dabei der Treibstoff der Lüste.

Die Jagd nach

dem Phantasma der Wahrheit entwickelt die Energie eines Perpetuum Mobile. Denn dem Versprechen der Wahrheit ist seine Uneinlösbarkeit bereits mitgegeben. Das sexuelle Geständnis steht selbst unter dem Zeichen der Lust und funktioniert darüber hinaus als Anreiz zur Lust, mehr über die Lüste zu hören. Bekennen und Bekenntnisse erlauschen sind sexuelle Praktiken.

Als Publikum der Clintonschen Vorabendserie haben auch wir, ob wir wollen oder nicht, teil an diesem Spiel. Im Reden und Hören über den Sex verschmelzen die Ebenen der sexuellen Praktiken und der sexuellen Diskurse. Es entsteht die paradoxe Situation, daß die Frage, was Sex eigentlich sei, zwar ungemein berechtigt, aber jeder Versuch der Antwort den Bereich des Sexuellen bis zur Unkenntlichkeit ausdehnen muß. Clintons Vorgehen, auf einer genauen Definition einer sexuellen Beziehung zu bestehen und sein Tun darin nicht wiederzufinden, ist daher nur vordergründig ein kluger Schachzug. Denn die diskursive Sexmaschine der Investigationen läßt sich auch von anwaltlichen Definitionen nicht stoppen, sondern erhält so erst recht einen Anlaß für die Produktion von sexuellen Details.

Und gerade das Detail der Fellatio hat es in sich. Je mehr sich der Bereich des Sexuellen ausdehnt, je mehr disparate Lüste entstehen, desto geringer wird die definitorische Macht des Phallus. Allein vor dem Hintergrund der schwindenden Macht des Phallus ist es möglich, Fellatio nicht als sexuellen Akt zu begreifen. Galt vormals lediglich dies als Sex, was mit erigiertem Penis ausgeführt wurde, so scheint heute die Beteiligung des Penis allein nicht mehr ausreichend für ein sexuelles Verhältnis zu sein. Im Akt der Fellatio kreuzen und vermischen sich die Muster sogenannter männlicher phallischer Penetrationsaktivität und weiblicher passiver Aufnahme des Phallus.

Die Aktivität des Saugens und Schluckens, die durchaus kannibalistische Einverleibung des anderen, machen aus dem Mund das Horrorkabinett des penetrierten Penetrationsinstrumentes. Clintons Eingeständnis einer zwar "unangemessenen und unschicklichen Beziehung", aber nicht einer sexuellen Beziehung zu Lewinsky offenbart, daß der Präsident und seine Berater nicht gewillt sind, den Machtverlust des Phallus hinzunehmen.

Nostalgisch hängen sie an der vormaligen Macht des Phallus, das Reich des Heterosexuellen allein durch die Penetration der Vagina zu beherrschen. Passive Fellatio ist ihnen schlichtweg nicht ausreichend phallisch genug, um Sex zu sein. Wer aber wie Clinton phallisches Denken immer noch nicht verlernt hat, gerät leicht in die Situation, als sexueller Verschwender wertvoller Ressourcen dazustehen. Der orale Sex steht im Widerspruch zu seiner im Rahmen des Systems erfolgreichen Haushalts- und Arbeitsmarktpolitik. Aus diesem Grund sind weitere, diesmal onanistische Geständnisse zu befürchten.

In 22 Staaten der USA wird konsensueller oraler und analer Sex unter Erwachsenen als Sodomie mit bis zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen oder Geldstrafen geahndet. Die Erotisierung des Mundes und des Anus gefährdet den biologistischen Alptraum von der heterosexuellen Asymmetrie der Geschlechter. In der heterosexuellen Ordnung muß das, was der eine hat, der anderen mangeln. Doch was fehlt beim oralen Sex? Was bleibt von "Mann" und "Frau", wenn Mund und Anus den Phallus verdrängen?

Der Mund, mit dem Clinton keinen Sex hat, ist geschlechtlich genausowenig codiert wie eine masturbierende Hand. Doch nicht nur die heterosexuelle Zweigeschlechtlichkeit gerät aufs neue mit Clintons Fellatio in die Krise, sondern auch das bürgerliche Liebesideal. Dieses wird nun von Lewinsky wieder eingefordert, wenn sie darauf besteht, eine romantische Verschmelzung gegensätzlicher Körper in gegenseitigem Liebestaumel habe doch stattgefunden. Daß die Storyline dieser Sommerloch-Soap nicht nur einem Hollywood-Drama wie "Wag the Dog", sondern einem tieferliegenden pornographischen Skript folgt, dürfte spätestens seit den militaristischen Strategien des Weißen Hauses deutlich geworden sein. Denn auch in der heterosexuellen Pornographie erfolgt auf die Mutprobe, den Penis in die vagina dentata des weiblichen Körpers zu versenken, der sichtbare Beweis der unverletzten Wiederkehr des Phallus im Cum Shot.

Doch was in der pornographischen extrakorporalen Ejakulation eine Inszenierung ist, wird mit den Marschflugkörpern auf den Sudan und Afghanistan Materialität.