Unfreiwillige Selbstkontrolle

Unter deutschem Vorsitz wird die Abschottung der Schengen-Grenzen perfektioniert

Wenn es um Flüchtlingsabwehr geht, spielt Manfred Kanther gern den Vollstrecker. Und so ließ er es sich nicht nehmen, die erste Sitzung des Exekutivausschusses der Schengen-Staaten unter deutscher Präsidentschaft persönlich zu leiten. Wichtigster Tagesordnungspunkt beim Treffen des höchsten Gremiums der Vertragsstaaten am Mittwoch vergangener Woche in Königswinter bei Bonn: ein Aktionsplan, um eine mögliche Fluchtbewegung aus dem Kosovo zu unterbinden.

Als Vorboten dieser Bedrohung führte Kanther an, allein im August hätten in Deutschland 3 035 Kosovo-Albaner einen Asylantrag gestellt, 10 000 Menschen seien von März bis August "illegal" aus Albanien nach Italien eingereist und in Sizilien seien im gleichen Zeitraum 6 000 Menschen aus Nordafrika "festgestellt" worden. Schon am 21. August hatte die deutsche Präsidentschaft eine Sondersitzung der "Task Force" - die für "Migrationskrisen" zuständige Spezialistenrunde der Abschottungsgemeinschaft - einberufen, um den jetzt beschlossenen Aktionsplan auszuarbeiten.

Konkret sind folgende Maßnahmen vorgesehen: "Durchführung intensiver Kontrollen an den Grenzübergangsstellen, lückenlose Überwachung der Land- und Seeaußengrenzen, Absicherung der nicht öffentlich zugänglichen Hafenbereiche, polizeiliche Inlandsmaßnahmen, vor allem auf Hauptverkehrsachsen, unverzügliche und konsequente Rückführung illegal eingereister Drittstaatsangehöriger und Verhängung von Sanktionen gegen Verkehrsunternehmen, die Passagiere ohne die erforderlichen Dokumente in einen Schengen-Staat befördern."

Schon Ende letzten Jahres hatte die EU einen ähnlichen Aktionsplan beschlossen, damals gegen Kurden aus dem Irak und der Türkei. Auch Kanther zieht diese Parallele. In der Presseerklärung der "deutschen Präsidentschaft" zur jüngsten Exekutivausschußsitzung heißt es: "Wie bereits bei der Bekämpfung der illegalen Einreise von Kurden aus dem Irak und der Türkei in den Schengen-Raum in der ersten Hälfte dieses Jahres geht es erneut darum zu verhindern, daß Mittel- und Westeuropa zum Zielgebiet eines Zustroms illegaler Migration und damit einhergehender Kriminalität wird. Die beschlossenen Maßnahmen haben sich bei der Eindämmung der Kurden-Zuwanderung bewährt."

Neu sind die Maßnahmen also nicht. Doch inzwischen bedienen sich speziell die deutschen Innenpolitiker des Schengen-Instrumentariums mit zunehmender Routine, um gegebenenfalls unabhängig von EU-Gremien in "bestimmten Migrationskrisensituationen" Abwehrmaßnahmen ausarbeiten, bzw. absegnen zu lassen.

Doch bei der Forderung nach schärferen Kontrollen an den Außengrenzen möchte es die deutsche Präsidentschaft nicht belassen. Damit die beschlossenen Maßnahmen mit der von Deutschland gewünschten Härte umgesetzt werden, sollen auch die Schengen-Staaten selbst stärker kontrolliert werden. Zusätzlich zu dem vorhandenen Instrumentarium bedürfe es "einer weiteren vertrauensbildenden Maßnahme unter Wahrung der nationalen Souveränität", um "Besorgnisse über die Leistungsfähigkeiten des Systems auszuräumen". Diesem Ziel dient der ebenfalls in Königswinter installierte "Ständige Ausschuß" zur Überprüfung der Anwendung des Schengener Abkommens. Der deutsche Vorschlag, darüber hinaus auch noch "Verbindungsbeamte" in die Vertragsstaaten zu schicken, ging dann einigen doch zu weit. Er habe nur "gedämpfte Zustimmung" gefunden und werde jetzt geprüft.

Für Staaten, die ihr Grenzregime nicht wie gewünscht perfektionieren, hält der Exekutivausschuß eine Sonderbehandlung bereit. Ein solcher Problemfall ist in Kanthers Augen Griechenland, das an der Schengener Zusammenarbeit teilnimmt, obwohl es die Grenzkontrollen auch für Bürger der Schengen-Staaten aufrechterhält. In Königswinter wurde ein Ad-hoc-Ausschuß eingesetzt, der sich mit dem Fall Griechenland befassen soll.

Mängel im griechischen Grenzregime hatte eine "Untergruppe Grenzen der Arbeitsgruppe 1", die das ganze vergangene Jahr mit einem Besuchsteam an den Schengen-Außengrenzen unterwegs war, in einem Bericht festgestellt. Detailgenau wird dort die Situation an den Grenzübergangsstellen, auf Flughäfen und Seehäfen berichtet. Diese jährlichen Berichte begnügen sich nicht mit allgemeinen Feststellungen, aufgelistet sind auch Vorschläge zur Verbesserung der Kontrolle an einzelnen Grenzübergängen.

Die Rüge an Griechenland in diesem Bericht hat bereits jetzt Konsequenzen, die zeigen, in welche Richtung die Entwicklung geht. Dort gehen inzwischen Polizei und Militär in "Sondereinsatzgruppen" gemeinsam gegen "illegale Einwanderung und organisierte Kriminalität" vor. An der gemeinsamen Grenze arbeiten griechische und albanische Polizei zusammen. Mit Albanien wurde ein Übereinkommen zur polizeilichen Kooperation einschließlich einer Rückübernahmeklausel, die auch für Drittstaatenangehörige gilt, abgeschlossen.

Für fünf Millionen Dollar wird der alte Athener Flughafen derzeit für Schengen-Anforderungen umgebaut, ein neuer ist in Bau. Probleme bereitet noch die physische Trennung von abfliegenden Intra- und Extra-Schengen-Passagieren. Der Bericht empfiehlt Griechenland deshalb zusätzliche Kontrollen vor der "Vermischung" der Passagiere, um Menschen aus Staaten mit "hohem Risiko" herausfiltern zu können. Für die bürokratische Präzision des Besuchsteams spricht die Kritik, die Schalteröffnungen der Kontrollkabinen zeigten in die falsche Richtung.

Geradezu herbeiorganisiert wird ein neuer Konflikt mit der Türkei durch die Aufforderung an Griechenland, endlich die lückenlose, auch nächtliche, Patrouillentätigkeit auf See an den Inseln zur türkischen Küste durchzuführen. Griechenland wird außerdem dringend nahegelegt, mit der Türkei Rückübernahmeabkommen abzuschließen. Sollte das aufgrund der bekannten politischen Probleme nicht möglich sein - Versuche dazu sind schon mehrmals gescheitert - sollen die Vertragsstaaten gemeinsam einspringen und mit der Türkei ein Abkommen abschließen, das auch Drittstaatsangehörige einschließt.

Streng geprüft werden aber nicht nur die Schengen-Länder selbst, sondern auch die EU-Beitrittskandidaten. Sie müssen nach dem Amsterdamer Vertrag mit dem Beitritt die Schengener Sicherheitsstandards übernehmen. Zur Prüfungsvorbereitung wurde den Vertretern Tschechiens, Ungarns, Polens und der anderen Bewerbern in Königswinter symbolisch ein "Schengenhandbuch" überreicht.

Jetzt heißt es Hausaufgaben machen: "Von großer Bedeutung" sei, so die deutsche Präsidentschaft, "daß die Beitrittsstaaten auf die Übernahme des Schengener Besitzstandes intensiv vorbereitet werden. Gerade dies hat sich die deutsche Schengen-Präsidentschaft zu einer vornehmen Aufgabe gemacht."