Rüffel an Trüffel

Der Kalauerchef des Tagesspiegel hat sich was über den Spiegel ausgedacht.

Damals war's, auf Seite 85, die Welt war jung, denn Anna und Doppler waren jung. Anna trug "umgeworfene Schals", und auf Parties "rauschte sie durch die festlich Gekleideten" wie nur noch der Markenschampus durch dieselben oder die literarische Bildung durch Dopplers Hirn. Abends Liebe: "Es war ein Wunder, daß ihr Slip nicht an der Deckenlampe baumelte. Anna war eine spontane Frau, und die Welt war jung, damals."

Und morgens der Morgen danach: "Doppler wachte zuerst auf und sah sie, in ihren Schlaf gekrümmt wie in einen Mutterleib, er hörte ihren ruhigen Atem. Er sah nur ihren roten Haarwuschel und mußte sie sich aus der Erinnerung zusammensetzen. Annas Reiz, Annas Charme bestand für ihn aus ihrer Sprödigkeit, die manchmal zu zerbrechen schien wie Glas, dünnes Glas, und darunter kam etwas Weiches, Anschmiegsames, Feuchtes zum Vorschein: zärtlich halbgeöffnete Lippen, ein Blick, der so naß verschwamm, daß sie, die zwei gerade gerichtete, feste, nüchterne graugrüne Augen hatte, zu schielen schien vor Hingabe und Entgegenkommen. Dann streifte sie, unbewußt tat sie das, ihre Schuhe ab. Doppler, der ein Fußfetischist war, blickte verstohlen und begehrlich nach ihren Zehen, die sich sanft bogen wie die der Venus von Botticelli. Auch ihr Haar hatte für ihn das gleiche Rot. Sah er sie so weich, dann überkam ihn ein Glücks-, ja ein Triumphgefühl: Du bist der einzige, dem sie ihr zweites Gesicht zeigt, das Gesicht unter dem Glas."

Auch Hellmuth Karasek hat zwei Gesichter. Auf dem anderen, und es ist vermutlich nicht von Botticelli, sitzt er in den Redaktionskonferenzen des Tagesspiegel. Wozu diese Zeitung einen Herausgeber braucht und was er den ganzen Tag tut, fragte man sich seit seiner Berufung. Nun, da das Gerücht umgeht, er werde demnächst Erich Böhmes Nachfolger beim "Talk im Turm", hat es endlich einer verraten: Er erzähle pro Woche zwei Kalauer und drei Billy-Wilder-Anekdoten. "Ich weiß ja, daß ich nicht viel beitragen kann", sage er manchmal, "aber ich habe Sie hoffentlich ein bißchen unterhalten."

Traurig, daß unser zweitbester Literaturkritiker, weil er nicht rechtzeitig der gesetzlichen Rentenversicherung beitrat, im Alter nun den Redaktionskasper machen muß. Wer Karaseks goldigen Humor kennt, wird sich das entsprechend traurig vorstellen: "In dubio Prosecco!" Wie konnte es soweit kommen? Zwanzig Jahre hatte er für den Spiegel gearbeitet, bis eines Tages die Chefredaktion sein Lob des Films "Rossini" mit der Begründung zurückwies, Karasek bleibe unterm eigenen Niveau. Nicht jeder schreibt auf einem Niveau, unter dem noch zwei Fingerbreit Platz sind für eine mißratene Filmkritik, Karasek hätte also den Rüffel als Kompliment nehmen können.

Statt dessen nahm er seinen Abschied. Nun hat er sich mit einem Schlüsselroman blutig am Spiegel gerächt. Seine ehemaligen Chefs, Augstein und Böhme vor allen, treten kaum verkleidet als größenwahnsinnige sadistische Geisteszwerge auf. Sie sind, möchte man mit Karasek sagen, der alte Witze liebt, die Eunuchen des Journalismus: Sie können's nicht, wissen aber um so besser, wie's geht. Sie sind zynisch, stinken aus dem Mund und spannen ihren Untergebenen die Frauen ab. So ähnlich hat man sich das alles schon gedacht.

Zwei wirkliche Insider-Geheimnisse verrät Karasek aber doch: "Mann beißt Hund" sei eine Story, "Hund beißt Mann" sei keine. Und wenn unter einem Spiegel-Artikel ausnahmsweise der Name des Verfassers stehe, so wolle sich die Chefredaktion keineswegs von dem Zeug distanzieren, vielmehr fühle sich preisgekrönt, wer unter sein Werk auch noch seinen Cordt Schnibben setzen darf.

Karasek möchte den Herren des Spiegel alle Demütigungen heimzahlen, und kann doch auf keiner Seite verbergen, was er ihnen zu danken hat: "Der MP wußte nicht, daß er in zwei Jahren tot sein würde." Wo sonst hätte er gelernt, wie man mit simplen Mitteln einen solchen Thrill erzeugt? Und wo sonst hätte er sowas gelernt: "War das bei seinem letzten München-Besuch gewesen? Aber war da nicht Franz Josef Strauß gestorben gewesen, und es hatte gar keine Blasmusik spielen dürfen?" "Das Magazin" handelt nur beiläufig vom Journalismus, aber egalweg vom Ficken, Fressen und Saufen. Als Fickroman taugt das Buch wenig, als Saufroman noch weniger. Ob es, als Schlemmerroman gelesen, mehr hergibt, wage ich nicht zu beurteilen, denn Speisekarten kann ich mir nicht merken und verstehe immer nur soviel, daß Entenleber "an" Trüffelravioli satirisch gemeint ist. Wer mit Literaturkritik sein Geld verdient und trotzdem einen Roman schreibt, dem ist wohl nicht mehr zu helfen. "Seinem einen Chefredakteur begegnete er das zweite Mal auf der Toilette", hebt Karasek an. Sein einer Chefredakteur ist aber gar nicht sein einziger, sondern einer von zweien. Spätestens an dieser Stelle also, nach dem ersten Satz, sollte man den Schmarren auf ewig zuklappen.

Hellmuth Karasek: Das Magazin. Roman. Rowohlt, Hamburg 1998, 429 S., DM 45