Spekulanten an die Kette

Nach dem jüngsten Banken-Crash sollen die G-8 Staaten eine stärkere Kontrolle des internationalen Finanzsystems durchsetzen

Nacktes Entsetzen herrscht in den Chefetagen der Großbanken, nachdem vergangenen Donnerstag bekannt wurde, daß der Investmentfonds Long Term Capital Management (LTCM) kurz vor der Pleite steht. Allein die schweizerische Großbank UBS muß mindestens eine Milliarde Mark abschreiben, ihre Aktien verloren innerhalb weniger Stunden rund 30 Prozent ihres Wertes.

Das Debakel des "vielleicht spekulativsten Investmentfonds der Welt" (FAZ) könnte der Anfang einer Pleitewelle sein. Sogenannte "Hedge-Fonds" wie die LTCM setzen ihr Kapital vor allem in den risikoreichen emerging markets der Schwellenländer ein. Fehlspekulationen bei Termingeschäften in Rußland und Asien führten jetzt zu den enormen Verlusten, die die gesamte Bankenbranche in Schwierigkeiten bringen. Denn von dem Absturz des Hedge-Fonds sind neben der UBS auch so renommierte Kreditinstitute wie Merrill Lynch und die Deutsche Bank betroffen, die im Vertrauen auf schnelle Gewinne Milliarden-Kredite an den Fonds vergaben. Die Außenstände der LTCM belaufen sich möglicherweise auf bis zu 100 Milliarden Dollar.

Der Crash des Fonds wird die Diskussion um eine Reform des internationalen Finanzsystems zusätzlich anfachen, wenn sich die führenden Industrienationen (G-8) demnächst treffen, um über die Situation in Rußland und Lateinamerika zu beraten. Der Ruf wird lauter, die Risiko-Fonds schärfer zu kontrollieren und neue Regeln für das internationale Finanzsystem zu schaffen.

So appellierte der britische Premierminister Tony Blair vergangene Woche an seine Amtskollegen, ein "neues Bretton Woods für das kommende Jahrtausend" zu entwerfen. Er forderte eine Reform der internationalen Finanzinstitutionen: Das nunmehr 54 Jahre alte System sei angesichts der massiven Kapitalströme nicht mehr tauglich. Anfang Oktober sollen auf der Jahreshauptversammlung von IWF und Weltbank erste Weichen in Richtung Transparenz, verbesserter Überwachung und Regulierung gestellt werden, so der derzeitige Vorsitzende der sieben größten Industrieländer (G-7).

Für Michel Camdessus, den derzeitigen IWF-Chef, kommen die Forderungen Blairs nicht allzu überraschend. Der IWF habe sich als Krisenmanager in den letzten Monaten nicht gerade profiliert, gibt Camdessus im Interview mit der Zeit unumwunden zu. "Wir haben uns nicht frühzeitig um Informationen zum kurzfristigen Kapitalverkehr gekümmert. Unsere Mitgliedsstaaten waren vor der Krise einfach nicht mit der richtigen Informationsmaschinerie ausgestattet."

Der kurzfristige Abzug von Anlagen ließ die asiatischen Tigerstaaten in die Krise rutschen und brachte die lateinamerikanischen Regierungschefs in den vergangenen Wochen ins Schwitzen. Für den Generalsekretär der Welthandelsorganisation Unctad, Rubens Ricupero, ein unhaltbarer Zustand, denn vor allem die Schwellenländer hätten derzeit die Zeche zu zahlen. Doch die Geldgeber in New York, Frankfurt und Zürich seien durch ihr kurzsichtiges Denken ebenso verantwortlich für die internationalen Finanzmarktkrisen wie die Kreditnehmer, die ihre eigenen Verhältnisse und Möglichkeiten überschätzt hätten, meint Ricupero.

Mit dieser Einschätzung befindet sich der Unctad-Mann in bester Gesellschaft. Die Zahl der Experten, die dem spekulative Kapital, das bei den geringsten Anzeichen einer Krise fluchtartig abgezogen wird, die Hauptschuld an die Misere zuschieben, nimmt zu. In dem illustren Kreis befinden sich Joseph Stiglitz, Chefökonom der Weltbank, ebenso wie SPD-Finanzexperte Oskar Lafontaine. Für sie kommt es nicht überraschend, daß die Unctad jetzt geeignete Maßnahmen zum Schutze der Schwellenländer, die eigentlichen Verlierer der derzeitigen Finanzkrise, fordert.

Mehr Kontrolle an den Finanzmärkten, mehr Transparenz in Sachen Bonität und Risiko verlangt Unctad in ihrem Jahresbericht 1998. Eine ähnliche Auffassung vertritt Dr. Heinz Mewes, Chefökonom der Dredner Bank Lateinamerika AG: "Man muß unterscheiden zwischen Portfolio-Investitionen und beispielsweise Direktinvestitionen. Das Problem ist das heiße Geld, das spekulative Kapital, welches kurzfristig angelegt wird und auch kurzfristig wieder abgezogen wird. Eine Kontrolle in diesem Bereich kann ich mir durchaus vorstellen, aber weitergehende Kapitalrestriktionen führen zu einer langsameren Entwicklung", erläutert Mewes seine Bedenken gegenüber zu viel Kontrolle der Kapitalmärkte.

Einige Schwellenländer wie Chile hatten bisher durchaus erfolgreich versucht, den sogenannten Casino-Kapitalismus zu zähmen. Dort hatte die Zentralbank bis vor kurzem bei kurzfristigen Auslandskrediten mit einer Laufzeit von bis zu einem Jahr eine Einlage von 30 Prozent als Rückversicherung verlangt. Doch in Folge der weltweiten Kapitalflucht aus den emerging markets blieb der chilenischen Regierung vergangene Woche nichts anderes übrig, als die Maßnahme abzuschaffen, um überhaupt noch Gelder auf den internationalen Finanzmärkten zu erhalten.

Mit derartigen Regulierungsmaßnahmen können sich derzeit immer mehr Regierungsvertreter und Banker anfreunden. Auch Camdessus hat damit kein Problem, sehr wohl allerdings die Verfechter einer ultraliberalen Politik, wie zahlreiche konservative Abgeordnete im US-Kongreß. Sie vertrauen ganz auf die Selbstreinigungskräfte des Marktes. Ihnen ist der IWF als Finanzfeuerwehr ein Dorn im Auge, da er sein Geld verpulvere und unfähige Regierungen und Spekulanten vor dem Bankrott rette, wie Jesse Helms, bekannter Republikaner, jüngst anläßlich der Debatte um die Zahlung der US-Außenstände an den IWF formulierte.

Doch Helms kämpft auf verlorenem Posten: Kontrollmaßnahmen für spekulatives Kapital sind en vogue, um die emerging markets, willkommene Absatzmärkte für die Industriesstaaten, nicht sich selbst zu überlassen. Ohne Hilfsmaßnahmen, die derzeit in Form von Krediten für Länder wie Brasilien, bereits anlaufen, könnte es zu einer globalen Rezession kommen, wie die Unctad bereits warnte.

Neue Spielregeln für den globalen Finanzmarkt statt zügelloser Liberalisierung heißt jetzt die Devise. "Der unkontrollierte Kapitalverkehr, wie er in dem Mulitlateralen Investitionsabkommen (MAI) noch vorgesehen ist, wird von mehreren OECD-Staaten mittlerweile abgelehnt", stellt Prof. Windfuhr vom Forum Umwelt & Entwicklung fest. Neuverhandlungen des Abkommens scheinen somit unumgänglich, denn mittlerweile fürchten viele der Experten um die grundsätzliche Legitimität des neoliberalen Projekts, so Windfuhr.

Sinkende Akzeptanz für dieses Mo-dell würde sich jedoch auch in den Exportquoten der Industrieländer bemerkbar machen, was auch Tony Blair nicht verborgen geblieben ist. Der will dem internationalen Finanzsystem einige Korsettstangen verpassen, die sich nicht allein auf die verbesserte Finanzaufsicht bei den Investmentfonds beschränken sollen, sondern auch auf die Reformierung von IWF und Weltbank.