Wort für Wort

Seit dem Ende der Avantgarde gilt in der Literatur: Erlaubt ist, was unterhält. Nach diesem Kriterium wird in den Verlagen gründlich aussortiert. Oder publiziert. Das kann auch eine Geschichte der Kindheit im Dritten Reich sein, im August wie im September auf den Bestenlisten, und alle Feuilletons haben den Roman bereits vor der Buchmesse abgefeiert.

Der Verfasser Martin Walser ist der Großschriftsteller Deutschlands im Jahr 1998, er hat in 40 Jahren über 9 000 Seiten geschrieben und erhält am 11. Oktober den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Heute geht es dem Autor nur um Sprache. Sagt er. "Politik hat mich nie interessiert", teilt Walser in einem Interview der Süddeutschen Zeitung mit.

Ich lese statt Walsers "Ein springender Brunnen" lieber in Kurt Vonneguts "Zeitbeben". Der Amerikaner hat in seinem lapidaren Ton das weltgeschichtliche Ereignis als literarischen Comic-strip erzählt, so die Geschichte des Sündenfalls, kurz und bündig, ohne etwas auszulassen: "Satan ließ Eva den Apfel durch eine Schlange überreichen. Eva biß ab und gab ihn an Adam weiter. Er biß ab, und dann wurde gefickt." Von diesen shortest stories gibt es noch viele bei Vonnegut - bis plötzlich ein Roman daraus geworden ist, mit einem großartigen Plot (Buchkritik Seite 17).

Auf der Buchmesse in Frankfurt/M. geht es wie üblich vor allem um Lizenzen, und es geht um digitale Kommunikation, die große Konkurrentin des Buches. Aber die Aufregung jener Zeit, als die ersten CD-Roms in Frankfurt ausgestellt wurden, hat sich gelegt. Obwohl Literatur zunehmend in CD-Roms oder ins Internet eindringt, wird doch das Medium Buch bleiben. Das Thema von CISAC, der Dachorganisation von Verwertungsgesellschaften, die Honorare und Lizenzgebühren für Künstler, Musiker und Schriftsteller eintreiben und auszahlen, war vor kurzem in Berlin die Frage, ob man im nächsten Jahrhundert das Urheberrecht in der digitalen Kommunikationsgesellschaft ganz vergessen könne. Vorläufig, so viel ist sicher, gibt es kein international geschütztes Copyright im wichtigsten Medium der Zukunft, dem Internet.

Nicht im Internet, sondern in der "Anderen Bibliothek" erscheint Chestertons "Verteidigung der Orthodoxie", die so heterodox wie möglich ist. Diese Philosophie des englischen Konvertiten erinnert manchmal an Eckhart, den Mystiker, der auch ein Meister der philosophischen Paradoxie war. (Seite 19)

"Die Identität" hört sich ebenfalls wie ein philosophischer Titel an. Von Heraklit weiß man: Keiner steigt zweimal in denselben Fluß. Auch der Autor des Buches mit dem hochtönenden Titel, Milan Kundera, hat seine Zweifel an der Identität, benötigt aber, wo Heraklit mit einem einzige Bild auskommt, ein ganzes Bilderalbum, um diese zu illustrieren. (Seite 16)

Die Arbeit als Herausgeber des Tagesspiegel läßt Hellmuth Karasek genügend Zeit, ein Buch über seine Jahre im Spiegel zu schreiben. Man darf von der Erwartung ausgehen, daß seine Kritik schonungslos ist. Unsere auch.(Seite 21)