Geisterfahrer in Washington

IWF und Weltbank fanden auf ihrer Jahrestagung keine Antwort auf die internationale Finanzkrise

Vor dem Jahrstagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank waren die Erwartungen noch groß gewesen: Crashs und Pleiten häufen sich, mittlerweile wird selbst eine neue Weltwirtschaftskrise nicht mehr ausgeschlossen. Doch die Frage, wie man der internationalen Finanzkrise beizukommen gedenke, blieb auch in Washington unbeantwortet. Den Finanzspezialisten fehlt es zwar nicht an theoretischen Konzepten, aber auf deren Umsetzung können sie sich nicht einigen.

Schnelle Entscheidungen von der Jahrestagung des IWF und der Weltbank hatte niemand erwartet, doch ein wenig mehr hätte bei dem Treffen, das vergangene Woche zu Ende ging, schon herauskommen können, meinte beispielsweise der Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter. Er warf dem IWF Täuschung und mangelnde Entschlußkraft vor. Damit befindet sich Walter zwar in bester Gesellschaft, denn derzeit läßt sich kaum jemand die Chance entgehen, dem IWF mangelhaftes Krisenmanagement anzukreiden. Die harsche Kritik an Michel Camdessus, dem französischen Chef des IWF, der seine Rolle als Prügelknabe mit Fassung trägt, zeigt allerdings die allgemeine Ratlosigkeit darüber, wie den Krisen vorzubeugen ist.

Zwar bestreite niemand, daß der IWF Fehler gemacht hat und die Investoren durch Einsätze wie im Falle Mexikos 1995 dazu verleitete, ihre Risikoprüfung zu vernachlässigen. Die Investoren konnten sich im Notfall auf die Hilfe der Institution verlassen. Erst dadurch sei die hohe Zahl ungesicherter Kredite, die auch die spätere Rettungsaktion des IWF in Asien beinahe hat verpuffen lassen, möglich geworden. Dabei hatte vor allem die USA den IWF damals zu der Rettungsaktion gedrängt, um die Krise nicht über den Rio Grande schwappen zu lassen. Daran hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert, denn Washington plädiert auch derzeit für eine Hilfsaktion im Rahmen von 35 Milliarden US-Dollar, um dem angeschlagenen Giganten Brasilien zu stützen.

Ein Hilfspaket, das von Rüdiger Dornbusch, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), heftig kritisiert wird. Cardoso habe nichts getan in den letzten vier Jahren, um die notwendigen Strukturreformen auf den Wege zu bringen. Das werde ihm nun mit einem Milliarden-Hilfspaket vom IWF vergütet, kritisierte der angesehene Ökonom. Ein präventives Agieren hätte bereits nach der Tequila-Krise einsetzen müssen, aber dazu wäre eben auch die Reform des IWF nötig gewesen.

An dieser Situation hat auch die Jahrestagung nichts geändert - vor allem, weil sich die Regierungsvertreter nicht auf einen gemeinsamen Weg einigen können. Während US-Präsident William Clinton Kapitalverkehrskontrollen, internationale Standards zur Regulierung des Bankensektors, eine verschärfte Bankenaufsicht und Einstellung der Kreditzahlungen an Gläubiger im Krisenfalle, wenn auch unter Aufsicht des IWF, befürwortete, wollte Finanzminister Robert Rubin seinem Chef nicht in allen Punkten folgen. Gerade die Kapitalverkehrskontrollen stoßen nicht nur bei Rubin auf wenig Gegenliebe. Auch Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer sprach sich gegen diese Kontrollen aus, während der französische Finanzminister Dominique Strauss-Kahn die internationale Gemeinschaft aufforderte, dieses Thema nicht länger als Tabu zu betrachten.

Schließlich sei unstrittig, daß gerade der Abzug kurzfristiger Anlagen viel zum Ausbruch der Krise beigetragen habe. 200 Milliarden Dollar, rund zwei Drittel der urspünglich investierten Summe, sind seit Beginn der Asienkrise aus den Schwellenländern abgeflossen - eine Lücke, die keine multinationale Organisation schließen könne. Trotzdem konnte sich das Leitungsgremium des IWF nicht zu konkreten Maßnahmen zugunsten dieser Schwellenländer durchringen. Man wolle erst einmal die unterschiedlichen Mittel für Kapitalverkehrskontrollen genauer untersuchen, ist in der Erklärung des Komitees zu lesen. Auch der Vorschlag Clintons, einen IWF-Zusatztopf zu schaffen, der Staaten mit Liquiditätsproblemen vor Ausbruch einer Krise unter die Arme greifen solle, müsse eingehend geprüft werden. Die Erklärung besteht in erster Linie aus Absichtsbekundungen. Auch die geforderte Transparenz im internationalen Finanzverkehr ist in weiter Ferne, denn wie der verbesserte Informationsfluß zustande kommen soll, konnte nicht fixiert werden.

Gleiches gilt für die Beteiligung privater Investoren und Banken an den Kosten eines Krisenmanagements. Zwar herrschte Einigkeit, daß diese einen Teil der Kosten übernehmen müßten. Wie dies umzusetzen sei, blieb schleierhaft. Und von einem Schuldenerlaß für Länder wie Nicaragua oder Haiti, denen das Wasser bis zum Halse steht angesichts einer Schuldenquote, die die jährlichen Einnahmen mehrfach übersteigt, war erst gar nicht mehr die Rede.