Warum?

Steven Spielbergs Der Soldat James Ryan erweckt den Kriegsfilm zu neuem Leben.

Spielberg ist indes nicht der einzige Regisseur, der auf die Schlachtfelder des Zweiten Weltkriegs zurückkehrt. Terrence Malick ("In der Glut des Südens") verÞlmte mit "The Thin Red Line" die Kämpfe um die Gualdalcanal-Basis. Der mit John Travolta und George Clooney besetzte Film läuft im November an. Mehr als 30 weitere Kriegsvehikel beÞnden sich zudem in der Vorbereitung: Brad Pitt will mit den Coen-Brüdern "To The White Sea" realisieren, die Geschichte eines amerikanischen Kampfpiloten, der nach der Bombardierung Tokios abgeschossen wird und eine Odyssee durch Asien erlebt. "Braveheart"-Autor Randall bietet mit "Wings As Eagles" eine Novität - einen deutschen Helden, der amerikanische Kriegsgefangene verteidigt. Vorgesehene Besetzung: Arnold Schwarzenegger. Ebenfalls in Warteposition steht das Bruce-Willis-Projekt "Combat". Doch wirklich neue Geschichten sind nicht zu erwarten. Action-Spezialist Paul Verhoeven ("Starship Troopers"), der mit "Soldier of Orange" 1978 selbst eine Kriegs-Story drehte, zeigt sich enttäuscht von den neuen Scripts: "Keiner zeigt die Kriegsführung wahrhaftig. Immer geht es um die Amerikaner, die hinter den feindlichen Linien in Not geraten oder Gefangene heraushauen müssen."

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"Hallo ihr Lieben. Herzlich willkommen zu Minh Khai und Friends. Ich beÞnde mich heute in Köln und zwar am Set, und zwar habe ich einen Gast hier, den ich schon länger kenne, und zwar vor vier Jahren habe ich ihn kennengelernt, da war er noch ein Nobody, also nicht ganz ein Nobody, aber damals noch was ganz anderes, und dann kam Der bewegte Mann, und dann war er sehr berühmt, hier ist Til Schweiger."

"Und dann zwei Stunden später bin ich, hab' ich so'n, ich hab' da so'n Riesen Ford Bronco, weißt Du ja, O. J. Simpson, mmh -" "Au ja!" "- und hab'nen nagelneuen Ford Explorer plattgefahren, weil, ich hab's nicht gesehen, weil ich nur in dem Treffen war, so, ja. Also, nachher wäre ich nicht, baaatsch. Ich hab' gesagt, jetzt komme ich - das schaffe ich nicht mehr. Und hab`s dann noch irgendwie geschafft so. So'n Chinesen, der kein Wort Englisch gesprochen hat so." "Ähä. Was hast'n du zu ihm gesagt als erstes? Weißt du's noch?" "Zum Chinesen oder was? You fucking idiot, I didn't see you." "Nein. Zum Spielberg! Zum Chinesen -" "Ich, äh -" "Hi, Mr. Spielberg, it's me?" "Ich hab' erstmal gar nichts gesagt."

"Bei Nennung des Namens Spielberg versinken junge Schauspieler tief im Boden. Du, so beteuert jeder, seist das Idol schlechthin. Hast Du ein Rezept, um sie ein bißchen aufzulockern?" "Jaja, aber das gibt sich nach fünf Minuten."

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Der gute Mensch von Hollywood. Steven Spielberg, Regisseur von "Der Soldat James Ryan" und "Schindlers Liste", hat Erfolg. Kritikern ist er daher suspekt.

Doch bei der Eröffnung des Festivals von Venedig erfolgte der Gegenschlag so prompt, wie nach einem Schuß das Zerfetzen des getroffenen Körpers unausweichlich ist.

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1. So war es.

2. Sowas haben wir noch nie gesehen.

3. Sowas revolutioniert das Genre.

4. Sowas hat Auswirkungen.

5. Sowas ist das reinste Gewissen.

6. Sowas von betroffen.

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Spiegel: "Mr. Spielberg, haben Sie gedient?"

"Während dieser schicksalhaften Begegnung am Strand von Hawaii (wir bauten dabei eine monumentale Sandburg) erzählte mir George die Grundzüge der Story und ich begann schon Blut zu lecken."

Ob es wirklich bei den Zuschauern einen Bedarf an neuen Kriegsfilmen gibt, von denen in den nächsten Monaten noch mehrere anlaufen, wird interessant sein zu beobachten. Traditionell ist es schwer, Frauen in Kriegsfilme zu locken, zumal sie darin meist nur am Rande vorkommen. Das gilt auch für "Private Ryan". Ob sich eine mit viel Gewalt in Kino und Fernsehen aufgewachsene neue Generation von Kinogängern von Spielbergs Schlachtszenen beeindrucken lassen kann, ist fraglich.

Wie nähert man sich der Arbeit eines solchen Regisseurs? Muß man nicht, um der Gewissenslage in der Bundesrepublik Genüge zu tun, zunächst das ideologisch Zwiespältige dieser Filme untersuchen, ihren Amerikanismus und Eskapismus? Sicher. Aber dies tun wir nicht.

Imagine Hieronymus Bosch with a Steadycam.

Sein Invasionsdrama "Der Soldat James Ryan" ist ein beklemmender thrill ride für alle, die wissen wollen, was es bedeutet, in den Krieg zu ziehen.

Menschen verlassen die Kinos, als kämen sie von der Front. Blaß, wie gelähmt, unfähig, die Frage der wartenden Journalisten "Wie war's?" zu beantworten.

Wegen eines Kriegs-FILMS? Gibt's davon nicht reichlich? Sicher, doch dieser bleibt nicht auf der Leinwand.

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"1941 - Wo bitte, geht's nach Hollywood?" hieß eine Klamotte, die Spielberg 1979 drehte. Darin tauchte ein U-Boot der Japaner vor der Küste Kaliforniens auf, um die (als kriegswichtigen Komplex eingestufte) Filmfabrik zu zerstören.

Der Film, der Amerika erschüttert

Schlamm, Tod, Angst und Mut. US-Soldaten nach der Landung an der Normandie-Küste - eine Szene aus Steven Spielbergs neuem Meisterwerk "Saving Private Ryan". Ein Film, der dich an die Front schickt.

Fast drei Stunden habe ich's stur durchgehalten, dann weinte ich doch. Als der alte Mann mit lichtem Haar und Bäuchlein, in ausgebeulter Hose durch ein riesiges Feld voller weißer Kreuze marschiert, vor einem mit der Aufschrift "Captain John Miller" auf die Knie fällt und zitternd seine Frau fragt, ohne sie anzuschauen: "War ich DAS wert?! War ich ein guter Mensch?"

There's nothing like the premiere of a Steven Spielberg movie to bring out Hollywood's big guns - especially when it's a hot buzz Þlm like Saving Private Ryan.

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Wie sieht der Zweite Weltkrieg aus, wenn Steven Spielberg ihn inszeniert?

Es gibt keinen Bruch zwischen dem, was die da oben wollen und dem, was er will, denn hier geht es um höhere Belange.

Es ist der beste KriegsÞlm unserer Zeit.

Der KriegsÞlm, der alle KriegsÞlme beendet.

Die 25-minütige Sequenz zur Schlacht am Omaha Beach ist ein Inferno, in dem nicht einmal mehr die lenkende Hand eines Regisseurs zu spüren ist.

Die "Los Angeles Times" befand, daß trotz der übertriebenen Sentimentalität, der schwachen Rahmenhandlung und teilweise konventionellen Elemente es dem Regisseur gelingt, den MainstreamÞlm in nie zuvor gegangene Richtungen zu lenken. Ob das amerikanische und später auch das internationale Publikum dem wirklich folgen will, wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen.

"Ich wünsche mir, daß die Leute, die meinen Film sehen, jede einzelne Farbe in Celies Regenbogen fühlen lernen."

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Einer der GIs, die den US-Einsatz in Europas Krieg überlebten, war "Private Ryan" (Gefreiter Ryan). Steven Spielberg ("E.T.", "Jurassic Parc") erzählt in seinem neuesten Film "Saving Private Ryan" die Geschichte seiner Rettung.

Er ist einer der 34 250 US-Soldaten, die am "D-Day", dem 6. Juni 1944, in der Normandie landeten. Und damit - zusammen mit den Alliierten - "die Welt retteten" (so Bill Clinton). Vor den Nazis. Rund 1 500 starben pro Stunde, am Ende des Tages lagen 10 549 Leichen am Strand.

Den "Gefreiten Ryan" gab es nicht. Aber in der Wirklichkeit ähnliche Fälle. So verlor Fritz Niland von der 101-Airborne Abteilung im Juni 1944 seine drei Brüder. Innerhalb von 72 Stunden.

Übrigens. "Böse Deutsche kommen nicht vor. Nur deutsche Soldaten."

Die Deutschen sind - wie könnte es anders sein - der Feind.

Nie machte Hollywood der Patriotismus so viel Spaß wie im Zweiten Weltkrieg.

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"Aber du hast mal auf deine Agentur gehört und hast Steven Spielberg 'nen Korb gegeben für seinen -" "Keinen Korb gegeben, ich hab' den Film nicht gemacht." "Und wieso nicht?" "Na ja, weil ich auf die Agentur gehört hab', hm mh." "Und weil die Rolle vielleicht zu klein war." "Nein, zu klein nicht. Die war klein, aber das war nicht der Auslöser."

"Der Hauptgrund war, daß er unbedingt wollte, daß die Rolle in Deutsch gesprochen wird, also mit englischen Subtitles, also, weil ich da 'nen deutschen Soldaten spiele, es war übrigens kein Nazi, wie das so zu lesen war, sondern ein deutscher Soldat, der die Amis eigentlich Klasse findet, der es ziemlich cool findet, daß er da gefangen worden ist. Es war eigentlich 'ne schöne Rolle."

"Aber in Deutsch war eben das Argument, wir wollen nicht im ersten Film, der, von dem man ausgehen kann, daß er sehr erfolgreich wird, dich so schon als Deutschen etablieren. Das war ja bei 'Replacement Killers' genauso. Da sollte ich ja auch irgendwie einen deutschen Akzent haben oder so."

"Und deswegen hast du gesagt, du willst gar nichts dann sagen lieber?" "Genau."

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Er - ein Messias? Spielberg zuckt die Schultern.

Um seine Erziehung hat sich Walt Disney gekümmert, die Eltern ersetzte ihm der Fernsehapparat.

Er Þlmt wie ein Besessener: Erst Familienfeste, dann aufeinanderprallende Spielzeugeisenbahnen, bald schon Krieg, von dem ihm der Vater erzählt.

Spiegel: "Oder woher rührt Ihre Faszination für den Krieg, die sich schon in Ihren Teenager-Filmen zeigt und Ihr ganzes Werk durchzieht?" Spielberg: "Als Jugendlicher bezog ich meine Kenntnisse über den Krieg aus zwei Quellen: von Hollywood und aus den Geschichten, die mein Vater mir erzählte."

"Er sprach viel darüber. Und traf sich regelmäßig mit Veteranen seiner Truppe. So hatte ich reichlich Gelegenheit, dabeizusitzen und erwachsene Männer erzählen zu hören, wie es wirklich war - und ihre Geschichten klangen nun mal ganz anders als jene, die ich aus Hollywood-Filmen kannte. Zuerst wußte ich nicht, wem ich glauben sollte: meinem Vater und seinen Freunden - oder den Kriegsfilmen. Ich entschied mich für die Filme."

"Aber dann erzählte mir Papa von seinem Luftwaffeneinsatz in Burma, und das paßte so gar nicht zu Hollywood."

Man muß ihm im allgemeinen bescheinigen, daß er im Rahmen seines von Hollywood geprägten Denkens beharrlich versucht, bei der nackten Wahrheit zu bleiben.

"Irgendwann fiel der Groschen, daß er immer die Wahrheit gesagt - und Hollywood mich getäuscht hatte."

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Trotz Warnungen vor den Gewaltszenen wurde der Film am Startwochenende Spitzenreiter mit Einnahmen von über 30 Millionen Dollar, während "Zorro" sich mit nur noch 12 Millionen Dollar begnügen mußte.

Bei aller Wucht ist Spielbergs Film doch ein Hollywoodprodukt, hinter dem sich bisher Dagewesenes nicht zu verstecken braucht.

Ähnlich wie der Wilde Westen sorgte der Zweite Weltkrieg für eine der langlebigsten Filmtraditionen überhaupt.

Die Friedhofsrahmenhandlung weckt Assoziationen zu "Hair" und zur Abschlußsequenz von Spielbergs eigenem "Schindlers Liste".

Spielbergs Verhältnis zu seinem Vater ist heute weit besser, als es in den vergangenen Jahren war. Die Zeit heilt alle Wunden.

Früher hatte sich Spielberg jedesmal zu Tode gelangweilt, wenn sein Vater Kollegen nach Hause einlud.

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"Wir sind jetzt hier in Köln, und zwar weil du deinen neuesten Film hier drehst, Der Eisbär, und mir ist aufgefallen, du hast ja schon mehrere Filme hier in Köln gedreht, also muß Köln dir eigentlich viel bedeuten eigentlich oder, als Stadt."

"Na, hat mich weniger, eigentlich ist Köln 'ne sehr, ähm, blöde Stadt zum Drehen, also für'n KinoÞlm, weil die Stadt eben im Zweiten Weltkrieg ähm, ziemlich eingeäschert worden ist, und deswegen gibt's hier nur so häßliche Fünfziger Jahre Bauten, so Postkrieg-Bauten, und, ähm, sehr schwer, hier schöne Motive zu Þnden, in Köln."

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Wir sind mit im Boot. Wir hören das Kreischen der Schiffsmaschinen, der Sturm tost, rauh ist die See, wir fühlen die Angst der zitternden Soldaten.

Dann fällt die Bugklappe - und die Kamera jagt uns hinein in einen Schußhagel, stakkato, unentrinnbar.

Sicher war es anders an diesem D-Day in der Normandie. Vergangenheit läßt sich auch nicht mit Hilfe von noch so vielen Augenzeugen "rekonstruieren".

Kein Film kann mit der Wirklichkeit, die er vorführt, mithalten.

Und doch ist die Filmsequenz beklemmend authentisch. Wegen der angegrauten Farben, die der Genauigkeitsfanatiker Spielberg mit Spezial-Bleichverfahren auf Vierzigerjahre trimmen ließ; wegen der so "primitiv" wie damals reßektierenden, Þlterlosen Objektive, die er verwendete - vor allem aber, weil der Regisseur mit all seinem Können einfängt, was die Natur des Krieges ausmacht: das grausame Leiden; die allgegenwärtige Angst; das systematische - und dann wieder so zufällige - Auslöschen von Leben.

Zudem akzeptieren die Zuschauer Gewalt als erzählerisches Mittel stärker denn je.

"Auch wenn schon mein Vater in einem Technicolor-Krieg kämpfte, glaube ich, daß wir zu dieser Zeit am ehesten einen Bezug herstellen, wenn wir sie in schwarz-weiß sehen."

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20 Minuten lang wirst du mit einer BILDER-Gewalt konfrontiert, wie es sie zuletzt in Stummfilmen gab. Und mit einer neuen Form von Realismus - die nichts mit der "CNN-war-dabei"-Authentizität zu tun hat. Vielmehr mit der inneren, oft verwirrenden Wahrheit der Geschichte - die man NUR rückblickend, niemals vor Ort, verstehen kann.

His technique extends to the smallest details. BLOOD-SPLATTERED LENS - There are spots of blood on the lens amid the carnage, and the camera vibrates as a huge tank rumbles up.

Er trägt unseren veränderten Sehgewohnheiten Rechnung.

Die Kamera fällt auch schon mal hin, das macht es wirklichkeitsnäher.

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"With Saving Private Ryan, I wanted to give the audience a visceral experience and not just to make them voyeurs. The only reason I held back from showing everything my father and his friends had related was to save the film from getting an NC-17 rating."

Sobald die ersten Boote an der "Omaha"-Küste landen und die nassen, wehrlosen Soldaten (die Bomber, die sie unterstützen sollten, kamen nicht!) vom Kugelhagel niedergemetzelt werden, duckst du dich im Kino-Sessel. Weil du die Schlacht nicht nur siehst, sondern auch HÖRST. Ich ahnte gar nicht, wie LAUT ein Krieg ist! In den meisten Kriegsfilmen übertönt doch nach dem ersten Schußwechsel ein Streichorchester die Kampfgeräusche. Spielberg läßt sie donnern: das Maschinengewehr-Feuer, das Brüllen der Männer mit aufgerissenen Leibern. Man hört, wie sie vor Angst kotzen, sich jammernd kreuzigen, kämpfen, umkippen, 20 Minuten lang. Das einzige, was fehlt, ist Gestank.

Und noch etwas "fehlt": eine STORY. Dialoge. Es gibt nur Chaos, Gemetzel und Mut.

"Wir haben versucht, dem wahren Geschehen so nah wie möglich zu kommen, so daß man den Krieg fast schmecken und riechen kann."

The film is probably best remembered for its inspired "Odorama" gimmick, scratch-and-sniff-cards allowing the audience to share Francine's heightened sense of smell, as she sniffs her way through life's puzzlements.

Bei der Europa-Premiere in London wischen sich hochdekorierte Weltkrieg-II-Veteranen die Tränen aus den Augen und bleiben noch lange, wie betäubt, in ihren Sesseln sitzen. In den USA ist eine Hotline eingerichtet, bei der sich alle melden können, die der Film verstört hat; im Internet kommunizieren täglich Tausende aufgewühlte Jugendliche mit der Opa-Generation.

Nach den Schlachtszenen setzt die Filmhandlung ein.

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Diese Art von Einwand zerschellt an jedem gelungenen KriegsÞlm, den man sich vor Augen führt.

Die zarte, fast verblassende Flagge am Anfang und Ende des Films ist eben nicht - wie von manchen beschrieben - ein militaristisches Geprotze, das von Vietnam nichts wissen will, sondern eine Visualisierung der Gefahr, daß der damalige Einsatz und seine Protagonisten in Vergessenheit zu geraten drohen.

"Ich bin dann später durch Los Angeles gefahren, der Film ist noch nicht gestartet, aber der startet jetzt bald. Und dann überall die Riesenbillboards gesehen. Geiles Plakat. Super Drehbuch. Ich fand das Drehbuch echt klasse. Super Besetzung. Na ja. Dann stehst du mit dem Auto an der Ampel und denkst, mhm, vielleicht, mmh. Aber ich denk' mal, es wird alles gut gehen, wenn ich den Film sehe, was ich denke, so, hm."

Einen Hunger nach etwas Bedeutungsvollem in einer Zeit sehen die Macher des Films.

Der Auftrag ist ein Mensch.

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Das Wichtigste - wie üblich - zum Schluß: Das Buch zum Film ist out. In ist das Museum zum Film. Steven Spielberg hat einige Millionen Dollar gestiftet für ein D-Day-Museum in der Normandie.

Der Mann bleibt dennoch unverstanden, nicht nur als Regisseur. Richtig ist, daß Spielberg seine Projekte wie ein Politiker seine Reden plant: Er fragt sich, was die Leute sehen und hören wollen. Das wird ihm gern als Charakterlosigkeit ausgelegt. Doch dieser Haltung liegt nichts Kalkulierendes zugrunde. Sie entspricht vielmehr seinem an Frank Capra orientierten Verständnis vom Verhältnis zwischen Demokratie und Entertainment.

"Nicht, daß sich hier nicht über viele und vielerlei Fragen ernsthaft streiten ließe; es läßt sich." (Jan Philipp Reemtsma, Mord am Strand, Allianzen von Zivilisation und Barbarei, Aufsätze und Reden, Hamburg 1998, Des Schreckens innewerden.)

"Kannst Du Dir nach 'Schindlers Liste' überhaupt noch vorstellen, traditionelle Konfektionsware für Hollywoods Entertainment-Industrie zu machen?" "Mich begeistert einfach Geschichte. Ich möchte, daß meine Kinder bestimmte Sachen erfahren, wenn sie alt genug sind. Es ist, als würde man in eine Zeitmaschine steigen und damit zurück durch die Jahrhunderte fliegen - um dann möglichst alles, was die Menschen damals gelebt haben, selber zu erleben. Es ist fast so, als würde man Europa bereisen und in Rom zu Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle hochschauen. Du kneifst dich unwillkürlich in den Arm und fragst dich: 'Stehe ich wirklich hier? Ist dies tatsächlich die Sixtinische Kapelle? Wurden die Wände übermalt? Ist es eine Reproduktion? Sieht's noch so aus wie damals, wie all die Jahre?'"

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Mit einer Spende von sechs Millionen Dollar, dem Reingewinn von "Schindlers Liste", hat Spielberg die Stiftung gegründet.

Eine eigene Stiftung, die "Survivors of the Shoah Visual History Foundation".

Sie hat sich eine wahrhaft monumentale Aufgabe gestellt: Per Video sollen die Lebensgeschichten aller KZ-Überlebenden aufgezeichnet werden. Sie werden in einer neuartigen Datenbank gespeichert, aufgeschlüsselt, verknüpft - eine Art kollektives Gedächtnis des Holocaust entsteht, festgehalten für die Ewigkeit.

Spielbergs Shoah Foundation.

Die Gründung einer Familie. Patronym Schindler: die "Schindler-Juden".

Eine lange Geschichte, ein Wechselspiel von glücklichen Zufällen hat dazu geführt, daß aus dem Schicksal der Schindlerjuden überhaupt ein Film geworden ist und eben jetzt.

Ansonsten wurde anerkannt, daß "Schindlers Liste" einer der komplexesten Filme zum Thema war.

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Die Lagerrampe von Auschwitz, Oktober 1944. Ein Zug rollt durch das Tor, aus Viehwaggons werden Frauen und Kinder entladen. "Wir gehören nicht hierher", rufen die Frauen, "wir sind Schindlerjuden!" Doch es hilft ihnen nicht.

Dann geht das Licht wieder an, und aus den Duschen an der Decke kommt - Wasser.

Wir wissen, wie die Menschenvernichtung in den Todesfabriken vonstatten ging, und Spielberg weiß es. Aber er zeigt es nicht.

Bei einem Regisseur, der sich nicht gescheut hat, Mörderhaie, Außerirdische und Dinosaurier vor die Kamera zu holen, wirkt diese Zurückhaltung überraschend. Doch das ist nicht die einzige Überraschung in Spielbergs Film, der im März in die deutschen Kinos kommen soll, aber schon jetzt ein Ereignis der Zeitgeschichte ist.

Ja, es geht.

Seit "Schindlers Liste" gilt sein Interesse substantielleren Sujets.

"Schindlers Liste" führt in einen Bereich historischer Wirklichkeit, in den keine Dokumentation vordringt.

"Fragen Sie beim Wechsel der Videokassette, wie es dem Überlebenden geht, bedanken Sie sich nach dem Interview für das Erzählen der Geschichte. Rufen Sie am nächsten Tag an und erkundigen Sie sich nach dem Wohlbefinden", waren die Ratschläge der Initiatorinnen.

Nicht selten brechen die Befragten bei der Schilderung traumatischer Erlebnisse - vor allem, wenn es um den Tod von Angehörigen geht - in Tränen aus oder verharren plötzlich in bedrückendem Schweigen.

"Niemand kann so ein Schweigen ertragen. Sie müssen es aber, zeigen Sie, daß Sie das können", erging die Aufforderung der Trainerin Darlene Basch.

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"Für mich ist die Shoah-Foundation ein Traum gewesen, von dem ich nichts ahnte. Und wenn ich jetzt darauf zurückblicke, glaube ich, es ist das beste, was ich machen kann. Es bedeutet mir mehr als Filmemachen. Mehr als die Geschichte des 2. Weltkriegs im Film zu erzählen. Sogar mehr als einen Film über die Shoah zu machen. Oder einfach nur Unterhaltungsfilme. Darauf bin ich wirklich stolz. Stolz auf unsere Arbeit. Stolz auf Ihre Arbeit. Stolz auf alle, die die Erinnerung an die Shoah wachhalten. Und abgesehen von meiner Familie hat mich nichts mehr erfüllt."

"Plötzlich hatte ich etwas getan, das Sinn hatte. Ein Ziel, einen Zweck."

"Wenn ich 1940 nach Berlin gegangen wäre, hätte man mich als Juden umgebracht. Jetzt bekomme ich einen Orden. Nicht schlecht!"

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"Schindlers Liste" war auch ein Resultat der Gewißheit, daß die amerikanischen Juden inzwischen in der Gesellschaft so sehr angekommen sind, so sehr selbstverständlicher Teil von ihr waren, daß nicht nur ihre wirtschaftlichen und kulturellen Beiträge anerkannt, sondern auch ihre leidvollen Erinnerungen in den Mainstream aufgenommen worden waren - wie auch der Bau der großen Holocaust-Museen in Washington und Los Angeles bestätigte. "Der Soldat James Ryan", Spielbergs neuester Film, setzt diesen Weg fort.

Spielberg stellt die Frage nach der Wahrheit. Wo findet sie sich? Im Erzählten? Oder in Akten? Und er plädiert radikal für die erzählte Wahrheit.

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Und dann - dann kommt der Regen. Und mit ihm die Stille. Zuerst fällt ein Tropfen ganz langsam auf ein Ahornblatt (großformatig, leinwandfüllend). Dann kullern vier, fünf Tropfen auf ein anderes Blatt. Und bald trommeln die wuchtigen Tropfen auf Baumkronen. (Diese Szene ist so lyrisch, mutig und genial, daß man an ein anderes Spielberg-BILD erinnert wird, an den roten Mantel des kleinen Mädchens in seinem Schwarzweiß-Epos "Schindlers Liste".) Doch sobald ein schwergesaugter Soldatenstiefel im Schlamm versinkt, kehrt der Krieg zurück. Lärmend, tötend, Männer schluckend.

Sieht er sich als ein Hieronymus Bosch mit der Handycam? Ja, dieser Vergleich gefällt ihm: So wollte er den Krieg auf die Leinwand bannen, als großes, grauenhaftes Gemetzel.

Männer, die mit ihren Schmerzen allein fertig werden mußten. Oft ohne Opium. Spielberg zeigt ihre Qualen. Bloß und blutig. Brutal. Er sagt: "Ich habe mich an meine Grenzen gehalten. Ich zeige nur das, was ich mir selbst zumute."

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Der Tod am Omaha Beach

Steven Spielberg besiegt den Zweiten Weltkrieg

im Kino:

"Saving Private Ryan"/ Von Andreas Kilb

Der 24. Juli 1998 war ein guter Tag für die Amateurphotographen am Strand von Santa Monica. Eine Herde Delphine, etwa fünfzehn Tiere insgesamt, war von Westen her in die Bucht hereingeschwommen und zog langsam nordwärts Richtung Malibu, immer nah am Ufer entlang. Die kleinen Tümmler sprangen verspielt im Wasser herum, die Größeren hielten gemächlich mit ihnen Schritt. Boote voll neugieriger Touristen begleiteten sie. Die Angler am Santa Monica Pier vergaßen ihren Fang und starrten in die Wellen, badende Familien stürzten sich auf ihr Gepäck und kramten die Kameras heraus. Kinder schrien, die Brandung rauschte, und es war eine Lust am Leben zu sein. Es traf sich, daß am gleichen Tag in Los Angeles, wie überall in Amerika, Steven Spielbergs neuer Film "Saving Private Ryan" anlief, der ebenfalls an einem Strand beginnt, nur an einem viel schlimmeren, grausamen, blutigen.

Der Tod am Omaha Beach

Steven Spielberg besiegt den Zweiten Weltkrieg im Kino:

"Saving Private Ryan"/ Von Andreas Kilb

Dann ist die Kamera am Strand, zwischen zitternden, brüllenden, um ihr Leben rennenden Männern. Einer betrachtet ungläubig seinen Helm, an dem ein Streifschuß abgeglitten ist; im selben Augenblick trifft ihn ein Geschoß in die Stirn. Ein anderer bückt sich, um seinen linken Arm aufzuheben, den eine Granate abgerissen hat. Ein dritter betrachtet schreiend seine aufgerissenen Gedärme. Sanitäter versuchen einen Verwundeten zu bergen, der von immer neuen MG-Kugeln getroffen wird; schließlich sterben auch die Sanitäter. Ein reglos Liegender wird umgedreht: In seinem Gesicht klafft ein riesiges Loch. Dies alles in grau- und grünstichigen, wie unter starken Kopfschmerzen wahrgenommenen Bildern, von plötzlichen Bewegungen verzerrt, als wäre die Kamera selbst ein Soldat, der durch den Sand robbt. Als in der Nähe eine Granate kracht, erlischt auch der Ton des Films. Die Leinwand wird taub. Regen fällt und verwischt den Blick durchs Objektiv. Blut und Sand spritzen ins Auge des Betrachters, des Zeugen.

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Dann folgen 2 Stunden 20 Minuten SpielÞlm, und hätte der Zuschauer nicht Tom Hanks als Captain Miller schon beim Sturm auf die Omaha-Beach begleitet, könnte er fast denken, er sei in einem neuen Film gelandet - so ändert sich die Erzähltechnik.

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Denn einen Antikriegsfilm zu drehen heißt, gegen den einzigen Verbündeten loszuschlagen, den man im Kino hat: den Zuschauer.

Wortlastig, schuldbewußt und natürlich ohne Happy End. In Deutschland muß das so sein.

"Ist dann nie so passiert. Und wenn du dich schon so drauf gefreut hast und denkst so und so und so und die Produzenten von ihm und er selber hat auch gesagt: Hier, wir machen das alles am Drehort, frag' den, ich bin dafür bekannt, ich improvisiere."

"Und da hab' ich mir gedacht, dann stehe ich da in England im Erdloch, weißt du, um mich rum Tom Hanks, Tom Sizemore, Edward Norton, Ed Burns, Matt Damon, weißt du, also die Crème de la crème des amerikanischen Kinos, und da sag ich nicht: Äh, I have a question. Could we talk about my part now? What is this? Da hab' ich gedacht, das bring ich nicht." "Shut up, down there." "Genau. Who the fuck is this German Fritz here? What's up. Da Spielberg. So. Hier. Mit so'nem Helm auf."

Natürlich werden auch in Deutschland große, repräsentative Spielfilme über jene finsteren Jahre gedreht, aufwendige Produktionen mit zumeist gewaltigem Erfolg. Wolfgang Petersens "Boot" etwa oder Joseph Vilsmaiers "Stalingrad", der im letzten Jahr fast eineinhalb Millionen Besucher ins Kino zog.

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Ende 1993 beweist Spielberg, daß er statt Geschichten auch Geschichte verÞlmen kann.

"Schindlers Liste" bringt ihm endlich zumindest etwas Respekt bei Kritikern, darüber hinaus bekam er seine ersten Oscars.

Viele Intellektuelle, die ansonsten jammern, daß die Menschen an "Vergangenheits-Bewältigung" nicht interessiert sind, tun sich schwer mit einem Film, der in ausverkauften Kinos gezeigt wird.

Mit "Schindlers Liste" (1993) änderte sich Spielbergs Ansehen grundlegend. Seine linken Kritiker schäumten, weil er sich aus Fantasialand heraus auf ein Gebiet vorgewagt hatte, für das sie absolute Deutungshoheit beanspruchten.

Vor allem die Beschäftigung mit dem Holocaust war eine ziemlich exklusive Angelegenheit.

Dann führt er den Gymnasiasten, eine Weltpremiere, seine erste CD-Rom für den Unterricht vor: per Mausklick in das Schicksal von vier Überlebenden des Holocaust.

Ziel aller Anstrengungen ist natürlich das virtuelle, dreidimensionale Holocaust-Museum.

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Steven Spielbergs Film "Schindlers Liste" kam zur rechten Zeit.

Ob es überhaupt eine adäquate Form für den SpielÞlm gibt, etwas über die planvolle Ermordung der Juden in Europa durch den deutschen Faschismus auszusagen, ob in der Kinomaschine von Hollywood tatsächlich etwas von der Entfremdung des Menschen von seiner Geschichte durch und nach Auschwitz zu vermitteln ist, ob also, umfassender, das System der populären Mythologie dem System der Vernichtung gerecht werden kann, ob schließlich Steven Spielberg nicht auch in Schindlers Liste letztlich mit den rhetorischen Figuren des Mainstream und nicht zuletzt mit seiner eigenen Privatmythologie arbeitet und damit das eigentliche, das aufklärerische Ziel verfehlen und dann doch Versöhnung und Erlösung über dem Unversöhnbaren, Nicht-Erlösbaren anzubieten - all das sind Fragen, die sich der zukünftigen Filmgeschichtsschreibung, der zukünftigen Philosophie des Films stellen werden. Sie wirken indes reichlich zweit- und drittrangig angesichts der schieren Notwendigkeit eines solchen Filmes in der Zeit der schmutzigen Renaissance des Faschismus in den Straßen und der schleichenden Refaschisierung nicht nur in Deutschland.

Doch seit den Dreharbeiten keimt in dem Viertel, wo nach dem Exodus der jüdischen Bewohner der Verfall regierte, wo Arbeitslose, Kriminelle und andere Randexistenzen der Gesellschaft Zußucht fanden, verstärkt neues Leben.

Schwarz ßießt das Blut im Schwarz-Weiß-Film, und dieser verfremdende Effekt hebt den Skandal erst recht ins Bewußtsein.

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"Faszinierend aber ist, zu welchen Extremen man Menschen offensichtlich bringen kann. Und welche Reserven man mobilisieren kann, um auch noch die zehn Kilometer Fußmarsch am nächsten Morgen zu packen. Es ist unfaßbar, zu welchen Leistungen Menschen in derart extremen Situationen fähig sind."

Spielbergs über 5 000 freiwillige Helfer haben schon mit 47 000 Überlebenden in 55 Ländern gesprochen. Für die Meisten der Shoah-Überlebenden sei es zuerst eine Qual, dann aber wie eine Befreiung gewesen, erzählt Spielberg den Schülern.

Generell erwartet die Stiftung, daß die Interviewer umsonst arbeiten.

Sie sind Lehrer, Journalisten, Psychologen. Eine grundsätzliche "Neigung zur Melancholie" verbindet sie mit der Holocaust-Problematik, so eine Teilnehmerin aus Hannover.

Der nachhaltige Eindruck, den der Film "Schindlers Liste" hinterließ, hat einen anderen bewogen, hierher nach Frankfurt/Main zu kommen.

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Die digitale Erfassung sämtlicher Überlebender des Holocaust, die Vernetzung ihrer individuellen Biographien und Berichte mit allen anderen Dokumenten der Datenbank und die interaktive Einbindung des Lesers am Terminal kommen Spielbergs Utopie so nah wie momentan nur denkbar.

Die laufenden Kosten bestreitet die Shoah Foundation aus Spenden und aus Mitteln der amerikanischen Regierung.

Da es sich um ein Spielberg-Projekt handelt, ist es zugleich das ehrgeizigste seiner Art.

Spielbergs Vision ist so großzügig und massiv, daß er entschieden hat, eine eigene Organisation zu bilden, um all das kontrollieren zu können.

Das Archiv soll einmal so umfassend sein wie kein anderes.

Aber als ein Mädchen fragt, ob sie das im Bild erzählte auch nachlesen könnte, ist er ein wenig irritiert. Natürlich könnte sie sich alles ausdrucken lassen, sagt er, und weist dann nochmals auf die Vorteile der interaktiven CD hin.

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Nach Unterzeichnung eines Vertrages kommt es dann zur ersten Begegnung zwischen den Über-lebenden und den Interviewern.

Geführt wird das Vor-Interview auf der Grundlage eines 37-seitigen Fragebogens.

Es liege eben an den Interviewerinnen und Interviewern, das Verfahren mit größtem Anstand durchzuführen.

"Wenn sich die Zuschauer diesen Film ansehen, möchte ich, daß sie eines verstehen: was Anstand ist. Wie man nur einen kleinen Teil Anstand behält inmitten von Chaos und Horror. So wie es dieser Film zeigt. Diese Suche nach Anstand war für mich ein besonders wichtiges Motiv."

Am Ende der komplizierten technischen Aufbereitung der Videotapes, einem für spätere Generationen angelegten Weltarchiv, steht ein Computerinterface, das durch ein Stichwortverzeichnis gezielt aktiviert und mit einem einfachen Mausklick gesteuert werden kann. Derzeit können etwa 12 000 Einzelbegriffe abgerufen werden: von Auschwitz-Birkenau über Todesmärsche bis hin zu Zagreb oder Zugtransport.

Die Zahl der Schlagwörter soll in absehbarer Zeit anwenderfreundlich reduziert werden.

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"Hast du Angst, daß man dich deswegen in Amerika für eine Rolle besetzt, weil man sich erhofft, daß das hier in den Kinos besser läuft, in den deutschen Kinos?" "Nee, da habe ich überhaupt keine Angst vor, weil das ist eigentlich genau auch so mit der ausschlaggebende Punkt."

"In Amerika dreht sich in der Produktion eigentlich alles nur um das Box-Office. Um den Profit. Und die lesen ja auch die internationalen Fachzeitschriften. Und die wissen ganz genau, wieviel Millionen Dollar Filme umgesetzt haben, in denen ich mitgespielt habe. Und die sagen sich, na ja, wenn ich den in den Film tue, kann das zumindest in Deutschland einen Effekt haben. Ja."

"Es gibt also unheimlich viele Angebote, wo Leute eben mir irgendwelche, was weiß ich, Hauptrollen anbieten in einem Film anbieten, die noch nicht finanziert sind, weil die sich denken, wenn der Schweiger mitspielt, kriegen wir Geld aus Deutschland. Und die einzige Angst die ich dabei habe ist, daß man sich für die falschen Projekte entscheidet und die funktionieren dann nicht, und die sagen, naja, ob der Schweiger jetzt da mitspielt oder nicht macht irgendwie keinen Unterschied."

Es ist nicht das erste Projekt dieser Art, jedoch das aufwendigste. Seit 1994 führten weltweit 2 212 Mitarbeiter 16 533 Interviews, bei denen insgesamt 31 688 Stunden auf 62 668 Video-Kassetten aufgezeichnet wurden. Bis Ende 1997 sollen 50 000 Überlebende der Verfolgung durch das NS-Regime befragt werden, die Stiftung rechnet mit Kosten von 60 Millionen Dollar.

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Ungefähr 150 Interviews werden zur Zeit pro Woche durchgeführt. Im August will man auf der ganzen Welt täglich 64 "testimonies" auf Band bringen.

Eine logistische Herausforderung, wie an den Wandplänen des Jerusalemer Büros abzulesen ist, die mit blauen, orangenen, grünen Kärtchen gespickt sind.

Am Ende des Gesprächs wird der Überlebende im Kreise seiner Familie gefilmt, um so, wie ein Mitarbeiter der Stiftung sagt, ein "Bild der Hoffnung" zu vermitteln.

Jedem der Interviewten wird anschließend die Telefonnummer von "Amcha" in die Hand gedrückt, einer Hilfsorganisation für die Überlebenden in Israel, die psychologische und soziale Unterstützung anbietet.

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Eine Überziehung ist nur dann möglich, wenn man aufgrund der im Vor-Interview gesammelten Informationen zu dem Urteil kommt, daß zwei Stunden nicht ausreichen.

In diesem Fall ist die Koordinationsstelle rechtzeitig zu verständigen.

Denn erstens muß das Kamerateam dann mehr als vier Kassetten mitbringen und zweitens mehr Zeit als üblich.

Nicht wenigen Teilnehmern wird diese Bedenkzeit gelegen kommen, um selbst noch einmal zu überdenken, ob sie tatsächlich ihr "eigenes Leben hinter sich lassen können" (Carol Stulberg), wenn sie mit einem Überlebenden des Holocaust zusammentreffen.

Normalerweise werden diese Teams für zwei Interviews am Tag eingeteilt.

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Und immer wieder hieß es: "If there are any prob-lems, call Jessica!"

Gemeint ist Jessica M., die mit ihrer Kollegin Nina G. im Frankfurter Satelliten der Foundation sitzt.

Im Notfall rufen sie Psychologen und Ärzte zur Hilfe.

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"Morgens um 9 Beverly Hills runtergefahren. Die haben da so komische Stopschilder. Die haben ein Stopschild, obwohl keine Querstraße ist. Ja. Nur daß du, daß die Omis irgendwie jetzt bremsen, kucken, und jetzt runterschalten. Ja? Die Automatik runterschalten." "Genau." "Das hat also keinen Zweck. Das ist keine Straße. Das ist nur: STOP. Und da bin ich immer seitlich da, ich hab ja immer bei Bernd gewohnt früher, ich bin da immer drübergefahren. Und just an diesem Morgen, bumm, gleich Motorradbulle hinter mir, geil. Und zwei Stopschilder habe ich überfahren." "Oah." "Das gab erstmal fette Strafe. Und 8 Stunden Verkehrserziehung. Ohne Klimaanlage hier. Da wirst du wahnsinnig."

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Die Story von 1941 war aus einer Idee entstanden, die Robert Zemeckis und Bob Gale bereits 1975 für John Milius entwickelt hatten. Sie beruhte auf drei historischen Begebenheiten: Im Februar 1942 tauchte ein japanisches U-Boot an der Küste von Santa Barbara auf. Eineinhalb Tage später entlud sich die Nervösität der Bevölkerung im "Great Los Angeles Air Raid": Panik brach aus, die Leute holten ihre Waffen aus dem Schrank und ballerten in die Luft. Eine Nacht lang war der Himmel über L.A. von Flugabwehrfeuer beleuchtet, obwohl gar keine feindlichen Flugzeuge auftauchten. Und 1943 gab es die "Zoot Suit Riots", Kämpfe in Lokalen und auf offener Straße zwischen Marinesoldaten und Zivilisten.

"'Schindlers Liste' ist ein Kriegsfilm, der auf historischen Tatsachen basiert. Wie 'Saving Private Ryan' hat er die Realität zum Thema - und eben nicht den Holocaust oder den Zweiten Weltkrieg als Backdrop für ein fiktives Abenteuer.

Spielbergs Film ist ein mobiles Pendant zu den Holocaust-Museen in den USA, das Produkt und die Konsequenz einer audiovisuellen Moderne, in der alles, was ist, als Bild & Ton reproduzierbar geworden ist.

Zehn Jahre lang trug der Regisseur den Stoff mit sich herum. Es gelingt ihm, in Nuancen darzustellen, worüber andere Epen gedreht oder Bibliotheken verfaßt haben. Wenn einer, nachdem er bei der Räumung des Ghettos Krakau einen Juden aus seinem Versteck im Klavierkasten gezerrt und erschossen hat, eine Mozart-Sonatine spielt, symbolisiert das die Lust am Töten.

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"Und es klang so klasse und ich hab mich schon so gefreut und ich hab' gedacht, das ist der Jackpot, ne."

"Man kann ja auch nicht immer, ja, das ist, na ja, es ist nicht immer einfach. Ich hatte mich mit ihm getroffen und er hat mir zwei Stunden lang verklickert, was diese Rolle sein soll und wie wichtig die ist, und tada tadata."

"Der Vorteil an Köln ist eben das, daß Köln in NRW liegt, und NRW ist meiner Meinung nach die beste Filmförderungsanstalt."

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Drei dichtgedrängte Tage über den Holocaust. Wer hält das aus?

Die über 120 ausgewählten Teilnehmer einer Trainingssession der durch Steven Spielberg ins Leben gerufenen Survivors of the Shoah Visual History Foundation (taz vom 30.3.1995), die Anfang September im Frankfurter "Ökohaus" abgehalten wurde, mußten diese Hürde überspringen, um danach als Interviewer für die Stiftung tätig zu werden.

Um die eigenen Gefühle auf dieser Gratwanderung besser zu verarbeiten, empfiehlt die Mitarbeiterin der Shoah-Foundation ihren zukünftigen Interviewern, ein gesondertes Tagebuch anzulegen.

Und mit Freunden und Angehörigen über die gemachten Erfahrungen während der Interviewertätigkeit zu sprechen.

"Mr. Hanks, waren Sie auf die Brutalität der Inszenierung gefasst?" "Ich wusste beim militärischen Training in der Vorbereitungsphase die physische Tortur der Dreharbeiten einzuschätzen und habe nach der letzten Klappe, völlig entkräftet, mehr geheult als je zuvor."

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"Ich hab' gehört in LA sind überall deine Plakate, und zwar, äh -" "Das stimmt nicht." "Du bist ja auch Hugo-Modell. Nein?" "Nee, die sind nicht überall. Es gibt, am Sunset-Boulevard gibt's eins und eins am Beverly-Boulevard. Also zwei." "Gibt's denn Leute, die, ich hab' das gehört, also ich kenn' das nicht -" "Ja, aber die schreiben, das sind dieselben Leute, die schreiben, daß irgendwie, weißte, daß Steven Spielberg mich mit besoffenem Kopp aus der Party rausgeschmissen hat, weil ich gesagt hab', ey Steven, mach mal meine Rolle größer. Oder die sagen, ich spiel' die Hauptrolle mit Mira Sorvino und so'n Kram. Oder machen Interviewschlagzeilen, und sagen, das geht dann so: TV Movie, irgendwie, ich baller Tom Hanks weg und so'n Scheiß, weißte, das ist genau dasselbe Kroppzeug ey, wenn die sowas schreiben. Da hängen zwei Plakate. Nicht mehr." "Ja, aber gibt es Leute, die dich da erkennen, also die dann sagen: du bist doch der Typ, der da am Sunset hängt?" "Ja also in den Schwulendistrikten. In denen ich mich nicht so oft aufhalte."

Tom Hanks auf der Suche nach einem verschollenen GI - wenn Spielberg so einen Film dreht, explodieren nicht nur Granaten, sondern auch Emotionen.

"Er hat zu mir gesagt, daß er mich toll findet. Daß er zwei Filme gesehen hat von mir und daß er mich 'nen guten Schauspieler findet, und da hab' ich so innerlich gedacht, während das Treffen noch lief, na, Bingo, ey, selbst wenn er dich jetzt nicht nimmt -" "Glaubst du ihm das?" "Ja, ich glaub' schon, sonst würde er mich nicht treffen wollen. So."

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Er ist der Herr der Bilder, nicht der Worte - sein gigantisches Cyberspace-Holocaust-Archiv kommt ohne ein Blatt Papier aus.

Solche Überlegungen sind für Spielberg, den Jünger des Authentischen, weit hergeholt.

Er vertraut der "Objektivität" seiner Kamera, wenn seine Shoah-Interviewer die abgesprochenen Fragen stellen.

"Als ich am Strand stand und ,Der Soldat James Ryanâ drehte, mußte ich mich jeden Tag kneifen. Nicht um mich zu erinnern, warum ich es tue, sondern um mir zu sagen: 'Mach's so, wie's tatsächlich war.'"

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Jüngeren Benutzern des digitalisierten Videoarchivs soll es in naher Zukunft außerdem möglich sein, zwecks Veranschaulichung Ausflüge ins virtuelle Konzentrationslager zu unternehmen.

Den Opfern ein Gesicht geben will das Projekt, ihnen "die Chance eines zweiten Überlebens" eröffnen.

Um Erzählungen abzurufen, genüge es, einzelne Gesichter schlicht "anzuklicken".

Zum ersten Mal will der berühmte Hollywood-Regisseur hier seine CD-ROM mit Interviews von Holocaust-Überlebenden zeigen - und kämpft mit der Technik. Die Maus rutscht nicht dorthin, wo sie hin soll. Das Programm startet nicht richtig.

Doch die Schüler sind ganz still und warten geduldig. Sie finden Spielberg sympathisch: ein Weltstar, der so normal ist.

"Ihr seid meine Brüder und Schwestern", sagt Spielberg zu den Schülern.

Ein Weltstar spricht zum Holocaust.

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Des Teufels Saboteur

Von Andreas Kilb

Am 13. März 1943 wird das Krakauer Ghetto liquidiert. Die zwanzig Minuten Film, die Spielberg diesem Blutbad widmet, machen ohne große Worte verständlich, warum er "Schindlers Liste" drehen mußte. Überall, wo etwas geschieht, ist die Kamera in Augenhöhe dabei. Mitten unter den Opfern, auf den Stiegen der Häuser, im Dreck der Hinterhöfe, am Straßenrand, wo die Leichen sich stapeln, in der Abstellkammer, die von MP-Geschossen durchsiebt wird. So entsteht ein rhythmisches Mosaik des Mordens, das keine Illustration des Geschehens mehr ist, sondern die reine, zum Bild geronnene Panik, das pochende Entsetzen, der Amoklauf der Angst.

Des Teufels Saboteur

Von Andreas Kilb

Mit diesen Bildern, die in der Filmgeschichte ohne Gegenstück sind, hat Spielberg den Kampf um die Erinnerung gewonnen, den er in "Schindlers Liste" ausÞcht. Von nun an wird der Film all die Phasen des großen Schlachtens nachzeichnen, die man aus den Dokumenten kennt, von der Selektion über den Transport bis zur "Desinfektion" in Auschwitz, und der Bann, der bis heute über der Darstellung dieser Hölle lag, wird endgültig gebrochen sein.

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"Was hast du denn den Tag zuvor gemacht, bevor du zu Steven Spielberg gefahren bist? Der hat dich glaube ich zu sich eingeladen. Nach Hause." "Nein, nicht zu sich nach Hause." "In seine Firma." "In seine Firma, ja." "Was hast du denn gemacht vorher?" "Nicht geschlafen, und aufgeregt, Unfall gebaut habe ich am selben Tag."

Konfusion, Panik, Angst ziehen uns in einen Raum, in dem es keine Welt gibt, und in ein Geschehen, das keine storyline ordnet und kein Held kontrolliert.

Tom Hanks (als Captain Miller) zieht einen verwundeten Kameraden hinter sich her, um ihn zu retten, ohne zu ahnen, daß von dem Mann vom Bauch abwärts nichts mehr übrig geblieben ist.

Die Botschaft ist sentimental, ein Nein zum Krieg, ein Ja zum Leben.

Doch bei Spielberg gilt dieser Gegensatz nicht: Das Leben kann kitschig sein und die Anekdote grau in grau. Fakt ist: Steven Spielberg, der Dollarmilliardär, ist der mächtigste Mann in der Filmindustrie und einer der Lieblingsgäste Bill Clintons. Er darf, wenn er in Washington weilt, im oberen Stockwerk des Weißen Hauses schlafen. Im Gegenzug speist Clinton öfter bei den Spielbergs in Beverly Hills.

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Eintausendzweihundert Menschen hat vor fünfzig Jahren ein einzelner das Leben gerettet.

Seine Shoah Foundation rettet Erinnerungen.

Das gemeinnützige American Film Institute (AFI) hat gewußt, was es mit seiner gewagten Liste der "100 besten amerikanischen Filme" auslösen würde.

Andere runzelten in aller Öffentlichkeit die Stirn darüber, daß Hollywoods Regie-Superstar Steven Spielberg in diesem Kanon der 100 besten Filme gleich mit fünf seiner Streifen vertreten ist - mehr als jeder andere Regisseur.

"Sie haben nicht gewonnen, weil sie die Besten sind, sondern weil das jene Filme sind, die von den Umfrageteilnehmern gesehen wurden", schrieb Kritiker Mick La Salle.

"Ich fühlte mich geehrt, auf dieser Liste zu sein. Aber ich telefonierte sofort mit Jeannie Furstenberg vom AFI und bot ihr an, zwei meiner Filme zurückzuziehen und dafür zwei andere auf die Liste zu setzen: "Der weiße Hai" und "Jäger des verlorenen Schatzes" im Tausch gegen Preston Sturges "Sullivans Reisen" und "Die Marx Brothers in der Oper".

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Niemand kann sagen, was in den Menschen vorgeht, die Spielbergs Film ansehen.

Nach einem kurzen Prolog stürzt er das Publikum für fast eine halbe Stunde ins Chaos, dem nur entrinnt, wer das Kino verläßt.

Es gibt kein Mittel, in die Köpfe und die Herzen der Kinogänger zu schauen.

Ich glaube nicht, daß Spielberg ans Publikum denken kann. Wie kann man an zwölf Millionen Zuschauer denken?

Das Leben von acht Menschen zu riskieren, um einen zu retten? Macht das Sinn?

Rettung verpßichtet.

"I think there are people who will submit to it," Spielberg says, using the word "submit" to respond to a question I ask him about the willingness of audiences to watch movies which show the true horror of war. "I think it's a very potent cocktail. I think that people will be both shaken and stirred by it. I think that, of people who give it a chance, there will be people who say it is too real. There are others who will say, 'I think it is a very honest re-creation.'"

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Der erfolgreichste Regisseur aller Zeiten ist mit seinem "Ryan" nur die Vorhut eines ganzes Geschwaders: In Hollywood werden gerade über ein halbes Dutzend Weltkrieg-II-Filme abgedreht oder geplant.

Was bleibt sind die Panik und die Angst, die Bilder der Leichen am Strand und der toten Fische, das Pfeifen der Geschosse und die Trauer in den Augen von Tom Hanks.

Spielberg zeigt, daß Kunst aufklärend wirkt und selbst in einer durch Bilder abgestumpften Zeit eine erstaunliche Kraft auszuüben vermag.

"Manche Achtjährige, die Gewalt in Videospielen genießen, sollte man in 'Der Soldat James Ryan' festbinden. Dann würden sie sich vor Schreck die Seele aus dem Leib heulen und später keine Schlagzeilen als Mörder ihrer Klassenkameraden machen. Vielleicht.

Tom Hanks: "Wir haben keinen Augenblick daran gedacht, daß wir irgend etwas davon wirklich tun. Keinen Augenblick waren wir so sehr in dem ganzen Irrsinn verfangen, daß es uns auf dem Weg nach Hause noch tangiert hätte."

TV-Movie: "Wie kann man sich bei soviel Spaß in den Seelenzustand der Soldaten von damals versetzen?" Tom Hanks: "Natürlich haben wir zu keiner Zeit geglaubt, wir hätten wirklich jemanden erschossen. Schließlich sind die Jungs, die getötet wurden, am Ende wieder aufgestanden, haben sich vom Schmutz befreit und sind mit dem Auto nach Hause gefahren, genauso wie wir."

Wenn er die Wahl hat, sein Publikum mit einem Requiem einzuschüchtern oder durch die Darstellung einer gelungenen Rettungsaktion zu ähnlicher Kühnheit in vergleichbaren Situationen zu ermuntern, wird er letzteres tun. Er hat nichts dagegen, wenn jemand, der in der Berliner S-Bahn sitzt und die Bedrohung eines Türken beobachtet, an den Straßenterror gegen Juden denkt - wenn er das braucht, um ihn zum Eingreifen zu veranlassen.

"Es gab Situationen, denen sie sich tatsächlich ausgesetzt sahen - die ich aber trotzdem nicht im Film zeige, weil sie für dieses Medium einfach zu extrem sind. Anderenfalls hätte ich die imaginäre Linie im Sand von 'Omaha Beach' überschritten, die ich mir selbst gezogen hatte."

Der Holocaust ist vor allem darin einzigartig, daß er sich mit einem Flammenkreis umgibt, einer Grenze, die nicht überschritten werden darf, weil ein bestimmtes, absolutes Maß an Greueln nicht übertragbar ist. (Claude Lanzmann)

"Um Geschichte zu lernen, mußt du der Geschichte ins Auge sehen."

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Spiegel: "Gibt es für Sie derzeit einen anderen ,notwendigenâ Krieg, etwa in Bosnien?" Spielberg: "Ich glaube, da sind die Dinge noch halbwegs unter Kontrolle. Aber denken Sie an das Abschlachten der Menschen in Ruanda vor ein paar Jahren: Das war ein Völkermord, und dagegen hätte etwas geschehen müssen. Manchmal müssen Kriege geführt werden, auch noch in der heutigen Zeit. Moralische Führung ist wichtig."

Den Anspruch, das Kino in eine reale Welt zu verwandeln, noch nie hat Spielberg diesen Versuch so radikal gewagt wie mit seinem neuesten Film Saving Private Ryan. Auch diesmal vertraut er Augenzeugen.

Der Zuschauer stürzt in einen Abgrund und verläßt den Film innerlich zitternd, bleich, stumm, aufgewühlt. Er war Augenzeuge, nicht Kinobesucher.

Fernsehbilder aus Sarajevo kann man abschalten, diesen Film nicht.

Steven Spielberg, der Herr der Haie und Dinos, feiert Triumphe mit seinem neuen Film: "Der Soldat James Ryan", der übernächste Woche in Deutschland anläuft, symbolisiert auch den Kampf des Regisseurs mit den Schatten der eigenen Vergangenheit.

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Obwohl es vielerorts Probleme mit der Auslieferung der Kopien gab, konnte sich "Private Ryan" sofort auf Platz 1 der Box-Office-Liste setzen und über 30 Millionen Dollar einspielen - eine dringend benötigte Geldspritze für die bislang nicht sonderlich erfolgreiche Dreamworks Firma von Spielberg.

Es muß ziemlich lästig sein, als reicher Mensch zu gelten und in einem der Þnanziell ausgedörrten Berliner Gymnasien aufzutauchen. Das Schulpersonal verhält sich wie eine ausgehungerte Vampirfamilie, in deren Reichweite eine blutvoll blühende Jungfer auftaucht. Genau dreimal wird Spielberg, immerhin ein Gast, im Laufe des Gespräches um Geld gebeten - für eine Schülerreise, für ein Buchprojekt und für eine Gedenktafel, - genau dreimal weicht er elegant aus. Zu der Gedenktafel, die den ermordeten jüdischen Schülern gelten soll, sagt
er im allerfreundlichsten Ton: "Wenn ihr eine Gedenktafel möchtet, dann hängt doch einfach eine auf."

Gewinner. Steven Spielberg (51), US-Star-Regisseur, tut etwas für die Aussöhnung von Deutschen und Juden.

Am Abend erhielt der Regisseur ("Schindlers Liste") von Bundespräsident Herzog das "Große Verdienstkreuz mit Stern". Bild meint: Verdient!

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Steven Spielberg Anfang September auf Europa-Tournee, das ist ein Wirbelwindtrip mit Privatßugzeug und 60 seiner engsten Mitarbeiter, von Venedig über Deauville nach London und dann zu dem "schwierigsten, aber auch aufregendsten Teil": nach Berlin. Er erhält aus der Hand des Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz. 17 Verwandte sind im Holocaust umgekommen; noch immer kauft der Vater keine deutschen Produkte - und nun ist er Ehrendeutscher. Das hätte sich Steven Spielberg nicht träumen lassen.

"Aber ehrlich gesagt, wir Jungs hatten eine Riesenzeit beim Filmen, wir trugen Uniformen und gingen jeden Tag bei großartigem Wetter an einen herrlichen Set, die Leute waren wunderbar, freilich waren die Gründe für dieses Spiel, das so viel Spaß machte, ziemlich ernste Gründe." Sollte man doch meinen.

"Polizeianwärter in Österreich mußten sich eine Zeitlang meinen Film anschauen, bevor sie ihren Dienst antreten durften."

Eröffnet werden die 55. Filmfestspiele mit Steven Spielbergs "Saving Private Ryan". Über diesen Film haben Sie ja erst gestern gelesen.

Sure, war may be hell, but the Private Ryan premiere war a stargazer's heaven.

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Spielbergs Filme - auch der jetzt mit solcher Häme übergossene "Private Ryan" - sind Gesten, durchaus feierliche, die gedenken wollen, sich an die Toten wenden, aber vor allem an die Lebenden. Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes mag nicht die eleganteste Art sein, ihm dafür einen Dank auszusprechen. Den Nachfahren der Täter steht sie trotzdem gut zu Gesicht.

Spielbergs moralische Warte ist unangreifbar.

In der Tat ist dieser Film eher als Memorial gedacht, eher eine Geste der Würdigung der Vätergeneration (auch Spielbergs Vater war Soldat), denn als Dokument. Aber in ihm steckt ein Gedanke, mit dem er schon "Schindlers Liste" vorantrieb: Wer ein Menschenleben rettet - und das in einer Situation des totalen Chaos, das jede moralische Entgleisung legitimieren würde -, rettet die ganze Welt. Es ist der Gedanke, mit dem sich auch Steven Spielberg selbst aus dem Sumpf gezogen hat, in dem er seine ziemlich trostlose Zeit als Heranwachsender verbrachte.

In dieser Entwicklung liegt die Dignität des Spielbergschen Îuvres.

Spiegel: "Sie muten dem Zuschauer in 'Soldat Ryan' die schlimmsten Grausamkeiten des Krieges zu, er wird quasi mitten in die Schlacht geworfen. Sie sprachen selbst von einer 'physischen Erfahrung', die er durchmachen müsse. Warum?"

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Dieser Film könnte Ihnen gefallen, wenn Sie Schindlers Liste und Die Brücke mochten. Kilb.

Außer BILD, Spiegel und TV-Movie: Die Woche ("Warum?" usw), Konkret, Rolling Stone, SZ, FAZ, usw, VIVA zwei.