Feindbild Israel

Antiimperialistische Amnesie

Antizionismus, Antiimperialismus und die Freiburger Zeitschrift blätter des informationszentrums 3. welt (iz3w). Ein kritischer Rückblick in eigener Sache.

Israel und Palästina, Antizionismus und Antisemitismus - mit kaum einem Problemfeld tat sich die Neue Linke in der Bundesrepublik schwerer. Und das ist bereits ein Euphemismus. Sie war selbst Teil des Problems: auf der Suche nach einer politischen Identität im Land der Nazis, gefangen in einer manichäischen antiimperialistischen Weltanschauung und in einem "ehrbaren Antisemitismus", wie Jean Améry den Antizionismus bereits 1967 nannte.

Auf diesem ideologischen Terrain versuchte sich die deutsche Linke freizustrampeln von ihrer Nationalgeschichte, die sie angeblich, wie sie selbst unermüdlich versicherte, doch gar nicht betraf, weil sie sich mit dem antifaschistischen Widerstand identifizierte.

Auch die Zeitschrift blätter des informationszentrums 3. welt (iz3w) stand nicht beiseite. Führt man sich die iz3w der letzten drei Dekaden noch einmal vor Augen, so fällt eine seltsame Gemengelage auf: von klugen Reflexionen über die Fallstricke des Antizionismus, über heute kaum begreifliche Indifferenz bis hin zum offenen Antisemitismus, das alles läßt sich teilweise in einer Ausgabe gebündelt finden. Doch der Reihe nach.

1. Akt: Das grübelnde Schweigen

Vor dem Hintergrund eines politischen Klimas, in dem die Springer-Presse den israelischen Sieg im Sechstagekrieg 1967 als "Blitzkrieg" feierte und in dem hinter jedem Araber ein Terrorist vermutet wurde, entdeckte die Neue Linke die "Opfer der Opfer". Sie gab ihre pro-israelische Haltung auf und reihte die Palästinenser in den weltweiten Befreiungskampf der Völker gegen den Imperialismus ein. Dabei wurde der Antizionismus zu einer Selbstetikettierung wie Antikapitalismus, er war weit mehr als eine bloße Kritik am israelischen Nationalismus.

Der Antizionismus war wie der Antiamerikanismus Teil einer geschlossenen antiimperialistischen Weltanschauung, die gute und schlechte Staaten auseinandersortierte, "echte und gewachsene Völker" gegen das Böse kämpfen ließ - gegen Fremdherrschaft, an der nur störte, daß Herrschaft von Fremden ausgeübt wurde; gegen den "Militärisch-Industriellen Komplex", deren Protagonisten sich alle Wochen heimlich an einer abgelegenen Tankstelle trafen, um sich alle erdenklichen Schweinereien auszudenken. Israel war die Agentur dieses Imperialismus im Nahen Osten, zudem kein Staat wie andere, sondern ein "zionistisches Gebilde" und wurde daher mit Anführungszeichen versehen. Zumal den Juden abgesprochen wurde, ein richtiges Volk zu sein.

Kurzum: Zionismus war nach 1967 in der deutschen (linken) Öffentlichkeit zu einem Schlagwort verkommen. Mit ihm wurden sämtliche Übel im Nahen Osten in Verbindung gebracht, dem Staat Israel wurde als einzigem Staat der Welt die Anerkennung abgesprochen, weil er "rassistisch" und "künstlich" sei. Vor allem aber wurde immer wieder versucht, die Zionisten als Kollaborateure und Profiteure der Nazis hinzustellen; ja, als mit ihnen wesensverwandt. Man wollte den Antisemitismus-Vorwurf abwehren und die eigene antifaschistische Gesinnung hervorheben, desweiteren das zentrale Begründungsmoment für einen jüdischen Staat - die Erfahrung der Vernichtungspolitik - entkräften. Mit einem Wort: die Zionisten waren wie vormals die Juden die Feinde der Menschheit; Linke mußten daher nicht nur Antikapitalisten oder Antiimperialisten sein, sondern auch Antizionisten.

Was in der Redaktion der iz3w in den siebziger Jahren diskutiert wurde, wissen wir nicht sicher. Erst im Dezember 1982 infolge des Libanon-Krieges erschien der erste von zwei Palästina-Schwerpunkten (Nr. 106 und 107) nach zwei - wie im Editorial mitgeteilt wird - "gescheiterten ernsthaften Anläufen". Daß man sich im antiimperialistischen Jargon zu Hause fühlte, zeigt die Beteuerung, der oberste Maßstab in der Beurteilung des Palästina-Konfliktes sei das Unabhängigkeits- und Selbstbestimmungsrecht der Völker. Und es sei nur die schwere historische Hypothek, die die Auseinandersetzung mit dem Nahost-Konflikt lähme. Der Eindruck liegt nahe, man hätte ganz gerne befreit und ungehemmt in der Palästina-Solidarität mitgemischt, und dies sei eigentlich auch geboten, wenn diese unselige Geschichte mit den Juden nicht gewesen wäre.

2. Akt: Anything Goes

Nun aber hatte man das vermeintliche Tabu gebrochen. Vermeintlich, weil selbstredend Kritik an Israel und am Zionismus so zulässig ist wie an der sozialen Marktwirtschaft oder an der Politik jedes beliebigen Staates. (1) Warum also mußte gegen ein Gebot verstoßen werden, das niemand aufgestellt hat? Weil man sich selbst im antizionistischen und antiimperialistischen Diskurs der Neuen Linken bewegte, aber darüber ein gewisses Unbehagen empfand. Heraus kamen jedenfalls zwei Palästina-Schwerpunkte, die heute zu großem Erstaunen Anlaß geben.

Nicht daß man das Existenzrecht Israels diskutiert oder die Bodenverbundenheit und den heroischen Kampf der Palästinenser gefeiert hätte. Im Gegenteil diskutieren die späteren harschen Kritiker des Antizionismus, Dan Diner und Micha Brumlik, die verschwommenen Grenzen von Antisemitismus und Antizionismus. So nennt ersterer beispielsweise eine solche Kritik am Zionismus antisemitisch, die "die europäisch-antisemitischen Bedingungen jüdischer Emigration nach Palästina standhaft übersieht und statt dessen die dortige Anwesenheit von Juden auf ein zionistisches 'Komplott' zurückführt".

Befremdlich wirken vielmehr zunächst die Illustrationen. Aufgemacht sind die Hefte mit Titelbildern, auf denen Stacheldrähte und die Inschrift "Palästina" zu sehen sind, die das Schicksal der Palästinenser mit dem von KZ-Insassen vergleichen sollen. Auch darf ein arabischer Dichter auf einem Titelblatt eankündigen, daß er mit dem "Feinde der Menschlichkeit keinen Kompromiß schließe und bis zum Ende kämpfen" werde.

Eklatant sind die in Stürmer-Manier gehaltenen Karikaturen, die die Hefte durchziehen. Ein hakennasiger Menachim Begin schlägt Uno, USA und die EG beschimpfend auf eine Weltkugel ein, bis diese platzt, um am Ende in Selbstmitleid badend auszurufen: "Hab ich's nicht gesagt? Die Welt haßt uns!" So waren, sind und bleiben die Juden selbst schuld an ihrem und unserem Unglück.

Anything goes hieß also das Motto in den blättern. Anfang der achtziger Jahre. Wie konfus und verwickelt die Hirne in der Redaktion gewesen sein müssen, zeigt folgender Satz aus dem Editorial des zweiten Heftes: "Ausgehend von der moralischen Schuld an der Massenvernichtung durch die Nationalsozialisten wird nachgewiesen, daß Wiedergutmachungsleistungen an den Staat Israel, besondere Erleichterungen und Unterstützungsleistungen durch deutsche Kapitalhilfe und deutsche Handelsbeziehungen sowie militärische Kooperation die BRD zum Aufbau zionistischer Strukturen im Staate Israel beigetragen hat und die territoriale Expansion auf Kosten des palästinensischen Volkes mit ermöglichte." Sehen wir einmal von den Kleinigkeiten ab - was sind "deutsche Handelsbeziehungen", wieso wird Israel immer mit dem Zusatz "Staat" versehen, nicht aber die BRD? -, dann fragt man sich: Wer geht hier von was aus?

Die Redaktion wollte mitteilen, die BRD alimentiere Israel aus einer moralischen Schuld heraus. Geschrieben hat sie, daß die Redaktion wegen einer eigenen moralischen Schuld - die Abwehr eines von niemandem erhobenen Vorwurfs! - nachweisen will, daß die BRD mit der Unterstützung Israels das Unrecht verlängert. Nicht einfach weil die Politik Israels für Krieg und Unterdrükkung im Nahen Osten mitverantwortlich ist, sondern weil die Deutschen die Juden umgebracht haben und man sich mitschuldig fühlt, deshalb interessiert man sich so für Israels Untaten - so funktioniert die verquere Logik, die vielleicht das seltsame Gesamtbild der beiden Hefte erklärt.

So fordert man folgerichtig aus einer moralischen Schuld heraus, daß der Nachfolgestaat des Dritten Reiches die Unterstützung für den Staat abbricht, der den Überlebenden und ihren Nachkommen einen Schutz bieten will. Und da man solche Konsequenzen für die Solidaritätsarbeit irgendwie seltsam findet, weil man doch geschichtsbewußt ist, und zudem den "schwierigen Vorbedingungen im Bewußtsein der deutschen Bevölkerung" Rechnung tragen will, muß man noch etwas zur Gefahr des Antisemitismus sagen: "Nur eine differenzierte Argumentations- und Unterstützungsarbeit kann dem rasch auftauchenden Vorwurf des Antisemitismus standhalten." Er ist halt nur ein Vorwurf, der Antisemitismus, instrumentell und stante pede eingesetzt, sobald jemand ein kritisches Wort über Israel verliert.

3.Akt: Der offene Streit

1988 kam es in Freiburg zum offenen Streit um die "richtige" Palästina-Solidarität. Ausgelöst hatte ihn ein Flugblatt einer antiimperialistischen Kampfgruppe, in dem völlig unbekümmert die Beseitigung des "zionistischen Staatengebildes Israel" gefordert und ansonsten locker mit Formeln wie Antizionismus = Antifaschismus hantiert wurde. Es folgte eine überaus scharfe, den Antisemitismusvorwurf erhebende Polemik der Freiburger Initiative Sozialistisches Forum, die allerdings nicht nur gegen die einfältigen Gemüter der Autoren des "Kampfblattes" zielte, sondern auch an die Adresse der Freiburger Nahostgruppe gerichtet war. Diese distanzierte sich zwar von den gröbsten Plattheiten der Antiimps, doch auch sie versah zu jener Zeit den Namen Israel mit den berühmten zwei kleinen Anführungszeichen.

Auch die Redaktion der iz3w meldete sich mit zwei grundverschiedenen Papieren zu Wort. Das eine bestand auf dem "imperialistischen Charakter des zionistischen Staatengebildes", das zu be-seitigen wäre, ohne den Juden das Recht auf Heimat streitig zu machen. Der Autor nannte diese Warnung an die Juden, sie sollten ihren Staat beseitigen, ansonsten verspielten sie auch ihr Bleiberecht, eine "andere Palästina-Solidarität". Ansonsten bemerkte er zum Streit: "Dem Staate Israel kann eine solche Auseinandersetzung nur recht sein, läßt sich doch mit dem Hinweis auf den deutschen Massenmord an den Juden und der angeblichen Geistes- und Tatverwandschaft der Neuen Linken mit den Nazis und Neonazis das Erschlagen und Erschießen, das Foltern und Quälen von palästinensischen Kindern und Jugendlichen, das Knochenbrechen, die Willkürverhaftungen, die Kollektivbestrafungen, der Landraub, der Siedlungsbau (...), wenn nicht rechtfertigen, so doch in den Hintergrund drängen und die Frage nach Solidarität vergessen." Wer also über die Vernichtungspolitik und Antisemitismus nicht schweigen möchte, spielt den Imperialisten direkt in die Hände, lautet der Verratsvorwurf.

Dagegen bezichtigte die Gegen-Autorin die Antizionisten der historischen Amnesie: "Nach Auschwitz kann keinem Juden in der Welt eine Haltung verwehrt werden, die Dan Diner protozionistisch genannt hat: Die Betrachtung Israels als Rückversicherung als potentielles Asyl für den Fall neuer Pogrome, wo auch immer in der Welt." Dieses erfordere keine Demutshaltung gegenüber Israel, sei aber als Bestandteil internationalistischer Solidarität zu akzeptieren.

Ob es historische Amnesie in einem manichäischem Antiimperialismus war, die Antizionismus zu einem Identitätsmerkmal der Linken hat werden lassen, oder der Versuch einer historischen Amnestie für das deutsche Volk, auf das man sich als Linke beziehen wollte, indem man hoffte, das Unrecht gerade der Juden könne Entlastung bringen, läßt sich nicht verallgemeinern. Für die iz3w gilt wahrscheinlich die erste Erklärung. Es gab oben und unten, Imperialismus und unterdrückte Völker, Krieg, Gewalt und Ausbeutung. Auch ein Ereignis wie Auschwitz fiel hierunter, ein Blutbad unter vielen, mit dem einen Unterschied, daß es von Deutschen begangen wurde, was ein gewisses Unbehagen auslöste, aber keinen entscheidenden Einfluß auf die linke Theoriebildung ausübte. Nach diesem Streit war bei der iz3w die Periode des Antizionismus zu Ende.

4. Akt: Die Indifferenz

Doch der nächste Krieg kommt immer. Als im Januar 1991 der Krieg am Golf begann, befand sich auch Deutschland im Ausnahmezustand. Hamsterkäufe bei Aldi, Bettücher und Betbrüder, wohin man blickte. Die Deutschen trieb die Angst vor ökologischen Apokalypsen, Bombennächten ˆ la Dresden oder arabischen Terroranschlägen auf die Straße. "Kein Blut für Öl" - auf diese Parole einigten sich die Friedensbewegten mit den Linken, für die der Golfkrieg ihr vorerst letzter großer Auftritt in der Öffentlichkeit war.

Einige verabschiedeten sich vom nationalistischen und antiamerikanischen Einschlag in der Antikriegsbewegung angewidert ins Private oder ins Lager der Bellizisten. Wie hysterisch und durchgeknallt zum Teil auch diese Dissidenten waren, zeigen Hans Magnus Enzensbergers Gleichsetzung von Saddam Hussein mit Hitler und Wolfgang Pohrts Überlegungen, man solle auf Bagdad eine Atombombe werfen. Andere Linken trieben mit ihren Parolen von "USA-SA-SS" ihre übliche Agitation: das auf die USA zu projizieren, was sie von Deutschland ausblenden - den Völkermord. Auch das antiimperialistische Weltbild wurde wieder bemüht. Mit den Parolen "Nieder mit Imperialismus, Zionismus und Faschismus" (Vorschlag der Antiimp-AG), mit "Faschismus, Imperialismus, Zionismus" (antifa) oder mit "Zionismus, Imperialismus, Faschismus" (Palästina-AG) traf man sich auf der Straße und war sich nur in der Hauptstadtfrage der Revolution uneins: Dresden, Bagdad oder Hafenstraße. (2) Die Völker aber sollten mit "zärtlicher Solidarität" gegen die Imperialisten zusammenhalten.

Die verstohlene Solidarität mit Saddam Hussein, die zwar geleugnet wurde, aber immer wieder durchschien - etwa in der Schadenfreude über die Raketenangriffe auf Israel -, wurde in der iz3w nicht geteilt. Dennoch schloß man sich im wesentlichen der Einschätzung des Krieges als eines des Nordens gegen den Süden an. Leider unterließ man über der Kritik am Krieg die Kritik der Antikriegsbewegung mit ihren antiwestlichen Ressentiments. So war denn auch das Hauptanliegen des Golfkrieg-Heftes (Nr. 172,) dem in den Medien verzerrten Bild der Araber und des Islams entgegenzutreten. Die "wirklichen Kenner" - gemeint waren die Orientalisten - wurden mit detailreichen und sehr informativen Artikeln gegen die Fernsehexperten vom Schlage der Konzelmann und Scholl-Latour ins Feld geschickt.

Gegenüber der Bedrohung Israels durch die Giftgasraketen aber herrschte eine gewisse Indifferenz, zu sehr hing man noch am Dritte-Welt-Konzept. Ein einziger Kommentar im 43 Seiten starken Themenblock widmete sich diesem für die Friedensbewegung großen Dilemma, und auch dieser Kommentar fuhr eine Vermeidungsstrategie. Die Hälfte des Textes bestand im Bedauern, daß nach den Raketen-Angriffen die Vorwürfe an die Antikriegsbewegung, "sie habe aus Auschwitz nichts gelernt, sei antisemitisch und sei bereit, den Tod von Juden tatenlos mitanzusehen", Wirkung zeigten und der Protest ins Wanken geriete: als sei die Antikriegsbewegung das eigentliche Opfer der Giftgas-Bedrohung.

Dann wies der Autor das Bild zurück, die israelische Bevölkerung sei Saddams Geisel, der man nun mit Gewalt helfen müsse. Und falls man dies doch so sehen wolle, so habe diese Geisel eine Mitschuld an ihrer Lage. Nicht nur, weil sie jeden Kompromiß mit dem Geiselnehmer verweigere, sondern auch weil sie selbst Geiselnehmer sei und zusammen mit dem großen Freund USA am täglichen "Krieg der Reichen gegen die Armen" teilnehme. "Erst die kompromißlose Haltung Israels hat es möglich gemacht, daß erneut Vernichtungsdrohungen laut werden", heißt das Fazit. (Ähnlich hatte sich zuvor Grünen-Vorstandsmitglied Christian Ströbele geäußert, der die Raketenangriffe auf Israel als logische Konsequenz der Besatzungspolitik bezeichnete.)

Ungeachtet der Tatsache, daß Israel im Gegensatz etwa zu Ägypten oder Syrien überhaupt nicht Kriegsteilnehmer war, wurde hier wieder nahegelegt, daß die Juden selbst schuld seien, wenn sie mit Giftgas traktiert würden. Und das, was die Antikriegsbewegung der irakischen Bevölkerung zu Recht zubilligte - nicht mit ihrem Regime identifiziert zu werden -, das sollte anscheinend nicht für die israelische Bevölkerung gelten.

Insgesamt gesehen beteiligte sich die iz3w also nicht an den Plattheiten der Antiimp-Szene, doch erneut schlugen hier und da Bestandteile deren Weltbildes durch. Und zwar wurde im Golfkriegsheft der Zionismus oder Israel nicht als das Hauptproblem der Region geoutet, aber in der Mithaftung oder Relativierung Israels und im zweierlei Maß, mit dem man den Opfern der Kriegshandlungen begegnete, zeigte sich eine Ignoranz und Indifferenz gegenüber den erneut durch deutsches Giftgas bedrohten Juden.

5. Akt: Das letzte Wort?

Der ideologische Blick auf Israel und den Zionismus ist mittlerweile schlechte Vergangenheit der iz3w (die allerdings nie so schlecht war, wie die seines politischen Umfeldes), die antiimperialistische Linke Geschichte. Nachdem man über 20 Jahre lang Israel nur unter dem Gesichtspunkt des Palästina-Konflikts wahrnahm: Außenpolitik, Besatzungspolitik, Friedenspolitik, erschien im Januar 1993 endlich ein Themenschwerpunkt über die israelische Gesellschaft in den neunziger Jahren und ihre Konflikte - ein im übrigen bemerkenswert gutes Heft. Israel ist ein normaler Staat - das begreifen manche Linke bis heute nicht, die davon enttäuscht sind, daß Auschwitz aus den Juden keine besseren Menschen gemacht hat. Daß er eine spezifische Entstehungsgeschichte hat, ändert daran nichts. Wo sich zwei sogenannte Völker oder Nationalismen um ein Stück Land streiten, da gibt es eben keine revolutionäre Lösung; es gibt einen Kompromiß oder einen kannibalischen Konflikt.

Als normaler Staat ist Israel kritisierbar wie jeder andere Staat auch; solange aber die Antisemitenfrage nicht gelöst ist, braucht es einen Staat, der die Juden schützt - das dürfen Linke nicht übergehen. Das Editorial "Kein Frieden um Israel" vom Oktober 1997 endete: "Kritik am Zionismus kann nur als allgemeine Kritik am Nationalismus erfolgen. Das jedoch ist nicht das Anliegen des Antizionismus. Und damit ist der Antizionismus nicht mehr unser Anliegen."

Ob das letzte Wort damit gesprochen ist?

Anmerkungen

(1) Vgl. Henryk M. Broder: Der ewige Antisemit. Über Sinn und Funktion eines beständigen Gefühls. Frankfurt/M. 1986, S. 69 f.

(2) Vgl. Detlef zum Winkel und Oliver Tolmein: Herr P. und die Bombe. Vom Krieg der Polemiker. Hamburg 1991, S. 8

Jörg Später ist Mitarbeiter der iz3w