Amtliche Wurzenbehandlung

Das Landratsamt genehmigt die Wiedereröffnung des NPD-Zentrums in der sächsischen Kleinstadt

Die Schließung währte kurz: Kaum war der Parteitag der NPD-Sachsen vorüber, da genehmigte das Wurzener Landratsamt auch schon die teilweise Wiedereröffnung eines Neonazizentrums in der sächsischen Kleinstadt. Damit dürfte die Mühe der Rechtsextremen nun doch nicht umsonst gewesen sein. Schließlich hatten NPD-Kader und andere Neonazis aus dem Bundesland die ehemalige Lagerhalle monatelang zum "nationalen Jugendtreff" ausgebaut.

Im Vorfeld des NPD-Parteitages, der am 28. November dort stattfinden sollte, wurde das Gebäude auf Druck der Polizei wegen "baupolizeilicher Mängel" geschlossen. Die Folge: Die NPD mußte das Parteitreffen in der Dinosaurier-Abteilung eines Wildparks bei Wurzen abhalten. Nach antifaschistischen Protestaktionen erschienen nicht einmal genügend Mitglieder, um über die NPD-Landesliste für die im kommenden Jahr anstehenden sächsischen Landtagswahlen abzustimmen.

Das sollte nicht noch einmal vorkommen. Offenbar nach Beschwerden führender NPD-Kader, allen voran des Wurzener Neonazichefs Markus Müller, hat das Landratsamt jetzt zumindest Müller selbst und einer Handvoll weiterer Führungsmitglieder den Zutritt zur Halle wieder erlaubt. Damit sind die Rechtsextremen ihrem Ziel, das Gebäude - ähnlich wie das bis zum August 1996 von Neonazis besetzte Haus in der Wurzener Käthe-Kollwitz-Straße - zu einem wichtigen überregionalen Zentrum auszubauen, näher gekommen. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung hatte NPD-Chef Müller noch kurz vor der Schließung erklärt, in der Halle würden eine Autowerkstatt, ein Fotolabor, ein Computer- sowie ein Fitneßraum entstehen. Tatsächlich dient das Gebäude, das die NPD von einem lokalen Bauunternehmer gemietet hat, in erster Linie als Versammlungsort für Kader und Fußvolk. So wurde bereits am 27. Juni ein von der Polizei aufgelöstes Treffen von 200 Rechtsextremen im Dresdener Hygiene-Museum bei einem Pressefest des neofaschistischen Blättchens Europa Vorn in Wurzen fortgesetzt - mitsamt einem Vortrags von Europa Vorn-Chef Manfred Rouhs und einem Liederabend des Nazibarden Frank Rennicke.

Zuletzt geriet das Zentrum Anfang Dezember bundesweit in die Schlagzeilen: Am 3. Dezember hatte das ARD-Magazin "Kontraste" einen Bericht mit Aufnahmen von einem Naziskinkonzert in der Lagerhalle ausgestrahlt, bei dem antisemitische Lieder gegrölt wurden. Im Bild: Tanzende Neonazis, die sich von einer Skinheadband beschallen ließen. Die Refrains der Lieder sprechen für sich: "Wetzt die blanke Klinge auf dem Bürgersteig, laßt die Messer flutschen in den Judenleib! Blut muß fließen knüppelhageldick. Wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik", oder: "Hißt die rote Fahne mit dem Hakenkreuz". Auch der Hitlergruß aus dem Publikum fehlte nicht.

Inzwischen sichtet die Polizei das ausgestrahlte Material nach Anhaltspunkten für Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung und Aufrufen zu Straftaten. Doch in Wurzen selbst stoßen solche Bilder über das Nazizentrum kaum auf Empörung. Die jetzige Wiedereröffnung spricht eher für eine Verharmlosungsstrategie des Landratsamtes gegenüber den Neonazis. So hatte beispielsweise der Wurzener Kreisjugendamtsleiter Peter Stöhr gegenüber der Süddeutschen Zeitung erklärt: "Seit die Jungens ihr eigenes Gelände haben, ist die Gewalt hier seltener geworden. Viel seltener. Bis dahin, daß an der benachbarten Tankstelle keine Diebstähle mehr vorkommen."

Selbst von einer Entschuldigung aus dem Landratsamt für die kurzfristige Schließung der Lagerhalle war in Wurzen in den letzten Wochen die Rede; aus dem Amt wird dies jedoch heftig dementiert. Unwahrscheinlich wäre ein derartiger Kniefall keineswegs. Schließlich sehen die zuständigen Stellen, allen voran Bürgermeister Anton Pausch (CDU), das Problem mit den Wurzener Rechtsextremen in erster Linie bei AntifaschistInnen und JournalistInnen, die über die Neonaziaktivitäten berichten.

Auch als im Oktober rund 20 Neonazis vier Jugendliche angriffen und sie mit Flaschen und Fußtritten krankenhausreif prügelten, sah man sich in der Stadt keineswegs zum Handeln genötigt. Daran ändert auch die Versetzung des ehemaligen Leiters der Sonderkommission Rechtsextremismus (SoKo Rex) Merbitz nach Wurzen nichts. Schließlich gehört rassistische und neonazistische Gewalt hier schon so lange zum Alltag, daß sie bereits zum Bestandteil der Wurzener Normalität geworden ist.