Walser mit Hut

Wo Walser draufsteht, ist auch Walser drin

Walser bleibt Walser

Ein Walser kommt

selten allein

Der wahre Walser

Der echte Walser

Der Dichter Walser

Einmal Walser,

immer Walser

Walser an Walser

Walser mit Hut

Eine Variation

Es wurde Frühling, und nichts erschien. Schon begann Gras über die Sache zu wachsen. Es wurde Sommer, und wieder Herbst. Niemand scherte sich um die Blätter. Aber dann, nach Jahr und Tag, ging doch noch einer her und brachte die Geschichte unter die Leute: Der Schriftsteller Martin Walser bereiste auf Einladung des "stern" die karibische Insel Trinidad. Was er dort vorfand, war alles andere als ein Garten Eden. Und daher auch kein Thema für den "stern". Er habe, schrieb die Redaktion, "dort nur Elend und Unterdrückung gesehen". Walsers Reiseerfahrungen erscheinen jetzt in DAS DA:

Martin Walser
TRINIDAD - Variationen eines Würgegriffs
Das Gras wächst,
aber inzwischen verhungert das Pferd.
(Westindisches Sprichwort)

Es ist natürlich angenehm, im November mit einer Vierstrahligen durch unsere Wolkendecke zu stoßen, sich auf den Leitstrahl zu setzen, für 1 Pfund Sterling beim Bordsteward einen Kopfhörer zum stereophonen Hören zu leihen, mit Tschaikowsky's Pathetischer Symphonie im Kopf über den Südatlantik einzufliegen und erst wieder herunterzugehen, wenn keine Wolkendecke mehr zu durchstoßen ist, sondern nur noch aufgepaßt werden muß, daß man das unter den riesigen Flügeln einfach nicht größer werdende Inselchen auch tatsächlich trifft.

Ahnungsvoll will das Inselchen sich verdrücken. Aber es entkommt ihm nicht. Er stößt herunter und steigert sich.

Es ist natürlich sehr angenehm, im November in ein Land zu fliegen, in dem es das ganze Jahr fast gleichmäßig warm ist (30-35 Grad), in dem alles blüht und gedeiht, was im "Robinson" vorkam, in dem 42% der Bevölkerung Schwarze sind, und kaum ist er gelandet auch noch 38% Inder, 15% Gemischte, 5% Chinesen, Syrer, Libanesen, Amerikaner, Europäer in den Würgegriff geraten.

Es ist natürlich angenehm, gleich vom 1. Taxi- chauffeur zu erfahren, daß es Rassenprobleme hier nicht gebe, der Premierminister sei schwarz, einige Minister seien Inder, einige schwarz; Katholiken, Hindus, Moslems und 100 Protestantismen - - - Es ist natürlich angenehm, in ein Land zu kommen, dessen Nationalhymne - - - Es ist natürlich angenehm, von einer großen Illustrierten so wohin geschickt zu werden mit dem Auftrag, nach ein bißchen Paradies zu suchen. Natürlich ist es dann auch noch angenehm, in ein Land der 3. Welt zu kommen, dessen Premierminister schon 1943 seine Doktorarbeit über das Thema "Kapitalismus und Sklaverei" schrieb - - -

Offen bleibt nur:Ist es nun angenehm oder unangenehm, zu Leuten zu kommen, die von Europäern in Afrika und Indien gestohlen wurden, damit sie ein gestohlenes Land vor der Küste Amerikas bearbeiten (so hat es der Premierminister ausgedrückt)? Oder beeinträchtigt das die Fülle der Hibiskusblüten, die Palmengrazie und die vor Grün schier tropfenden (so drückt sich der frappierte Dichter aus) Bananenbäume? Müssen wir, wenn wir in der für Paradies geeigneten Maracas-Bucht Pelikane beim Fischen beobachten, unbedingt daran denken, daß der Premierminister es nicht geschafft hat, seinem Volk ein Selbstbewußtsein zu ermöglichen?

Es fällt ihm bei der nachträglichen Verarbeitung des paradiesischen Eindrucks jedenfalls auf, daß er beim Anblick der fischenden Pelikane zumindest an die fischwirtschaftlichen Probleme der Region hätte denken sollen:

Wir denken aber vielleicht, wenn wir sehen, wie der Pelikan seinem schweren Schnabel nach ins Wasser stürzt, tatsächlich daran, daß die zwei Inseln des Staates Trinidad und Tobago im Jahr für 4 Millionen (Trinidad)-Dollar (etwa 2 Millionen Mark) Fisch einführen, weil sie noch kein Kapital bilden konnten für eine ausreichende eigene Fangflotte - - -

Aber auch, daß er so nicht weiterkam. Er unternimmt keinen ferneren Versuch, die Fülle der karibischen Naturerscheinungen tiefer mit den vorzutragenden Mangeldaten zu verknüpfen, sondern erzählt, wie es ihm bei dem erging, den Verhältnissen höchstpersönlich auf den Grund zu gehen:

Am Morgen gleich in die Frederickstraße, zum Tourist Board. Irgend jemand mußte mir doch was sagen über Trinidad und Tobago. Wir saßen in einem dunklen eisigen Innenraum und warteten. Ich sagte vor mich hin: Wenn ich hier 10 Minuten bin, habe ich vereiste Nieren. Die Mädchen, die sich so weit als möglich von ihren großen Schreibmaschinen weglehnten, hatten viel weniger an und froren nicht. Zum Glück kam bald eine und sagte, meine Art Fragen lege man besser gleich dem Public Relation Officer der Regierung vor. Draußen der Überfall der feuchten Hitze. Wir reagierten jetzt zum 1. Mal auf das höfliche, kurze, fragende Anhupen eines Taxis (einen Weißen wollen die einfach nicht gehen sehen). You'll beat the shower, sagte der Fahrer. Wir hatten übrigens dem täglichen millimeterdicht herunterpreschenden Schauer nicht entgehen wollen, da wir gar nicht bemerkt hatten, daß sich an der 1000 m hohen Bergkette hinter der Stadt schon die Wolke dieses Tages entlanggeschoben hatte, die in fünf Minuten über der Stadt abladen würde.

(Kein Stoff für flüchtige Leser, diese in die Traufe stolpernden Anschaulichkeiten.)

Mit Hilfe eines Grußes fuhren wir am Posten vorbei in den Garten des Weißen Hauses, hatten bis zur Treppe 1 m und auf der Treppe 2 1/2 m und waren doch klatschnaß, bis wir in die Halle kamen. Wenn die Eingangshalle oder das Büro des Pressereferenten mit diesen Eisboxen bewehrt gewesen wäre wie etwa die Halle der Banken! Aber dieses Weiße Haus war weder so gut bewacht wie die Banken noch so kalt.

Umso kühler der Pressereferent:Der Pressereferent allerdings ließ uns gleich wieder weitergleiten. Unsere Fragen ließen sich wohl am ehesten in der Handelskammer beantworten und in einem Gewerkschaftsbüro, z. B. in dem der Lehrergewerkschaft in der Vincentstraße. K. sagte: Sowas von irrsinniger Zurückhaltung. Ich sagte: Auf jeden Fall Distanz.

Exotische Fragen offenbar, aber es stellt sich immer drängender die, wer K. ist. Was aber nicht weiter an ihm nagt.

Da der "shower" noch "on" war, waren wir wohl nicht sehr lange im Weißen Haus gewesen.

Dafür, obschon es noch immer so gut wie gleich am Morgen ist, bereits der Mittagessenshunger.

Bitte, zum Essen jetzt. Und zwar local food, bitte. Da fiel dem nur ein Chinese ein.

Kein Wunder. Der Taxifahrer, so einer wie die eine, hatte nur um die Ecke Lokal und Hü verstanden.

Wieder in der Frederickstraße. Die Stadt hat hauptsächlich 3 Straßen - die sofort mit ihm durchgehen, beziehungsweise vor ihm abhauen, und sich erst in Sicherheit wiegen, als sie ihn mit Mühe und Not los und wieder unter sich sind - (Charlotte, Frederick, Vincent), die vom Hafen auf die Bergkette zuführen, diese Straßen müssen, bevor sie dann unter anderen Namen die ersten Hügel erreichen, links oder rechts um eine riesige Wiese herumbiegen, die Queen's Park Savannah (an der unser Queen's Park Hotel liegt). Alle drei Straßen müssen auch den Unabhängigkeitsplatz überqueren und dürfen nach der Marmorflankenberührung mit dem Kapital gleich wieder gemütlich einheimisch werden. Die Charlottenstraße (nach einer deutschen ins Englische verheirateten Prinzessin) hat die ärmeren, dunkleren Läden, die Frederickstraße ist der Stolz der Nation (seltsam unschuldig prangt dort z. B. am Haus der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft der Fast-black-power-Spruch: More power to the nation), die Vincentstraße bietet u. a. Haschisch, Behörden und Arbeitslosigkeit - - -

Folgen drei Spalten Auskünfte allgemeinster Art. Er versucht, das dürre Fremdmaterial ein wenig aufzulockern, und es erscheint, plötzlich, King Kong. Aber dann ist er es doch nicht: King Kong kommt nicht aus dem Urwald, sondern aus der Wallstreet, und er hat nicht Fell und Pranken, sondern eine Krawatte, eine rasch alternde Frau und das allmächtige Kapital - - -

(Polemik, wie Martin Walser sie versteht. Kühlt das Mütchen an Schwachen. Aber unter dem Strich einfach zu mager für die Redakteure in Hamburg, das Resultat seiner Musterung der Weiber, und auch der Schuß Politik tatsächlich anders als gewünscht.) Das Taxi hält.

Als wir vor dem "Lotus" hielten, fragte ich nach dem Fahrpreis.

Selbstverständlich mit dem in Drittweltländern angebrachten Unterton. Und ohne im Gebrauch des Possessivpronomens die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu wahren, stellt er eine ihm verdächtige Reaktion des Fahrers sicher: Er ließ seinen Kopf nach hinten fallen, preßte seine flachen Hände gegen seine Augen, fuhr dann mit den flachen Händen abwärts über sein ganzes Gesicht, so wie es bei uns ein Professor machen würde, den man gerade gefragt hatte, bei welchem Barockdichter der Tod ein grünes Geschmeide trage; die ganze Gebärde hatte die Preisnennung höchstens um eine Sekunde verzögert, aber diese 3/4 Sekunde machte den Preis, den er jetzt hell herausschmetterte, nicht zum Ergebnis einer wirtschaftlichen Kalkulation, sondern zu einem Einfall 5 Dollar. (Trinidad-Dollar - eine Währung, die wie es scheint beständig erheblichen Kursschwankungen ausgesetzt ist:1 TT-Dollar etwa 2 Mark).

Aber der Mann hat Glück, der Dichter ist bei Laune, der Stern zahlt.

Schon längst schien wieder die Sonne. Aus den hohen Gittertoren sprudelten die schön uniformierten Schulkinder. Alle Schulen dieses Stadtteils scheinen an Kirchen zu hängen. Weiß Gott, welche Kirchen das sind. Manche sahen unter diesem Himmel wirklich nicht gutartig aus.

Doch er fürchtet sich nicht, sondern schafft entschlossen Ordnung: Überhaupt gehören sie als Bauwerke ganz zur Familie der Banken. Nichts reicht hier so weit in den Himmel und wirkt so mächtig und so aus einem Geist (wenn auch aus 2 verschiedenen Epochen) wie Kirchen und Banken. Eine feste Burg ist unsere Bank, das ist hier architektonisch verwirklicht. Diese monetäre und religiöse Trutzburghaftigkeit und Bewehrtheit wollte ich noch schnell fotografieren. Da wurden wir von weißblauen Uniförmchen eingekreist und zwei von denen (Buben - damit nur keine Mißverständnisse aufkommen) wollten auch fotografiert werden. Danach hatte es mich schon die ganze Zeit gelüstet.

Und er wirft in der Aufregung die ganze Trutzburghaftigkeit und Bewehrtheit wieder um: Aber es ist eins, auf wehrlose Kirchen- und Bankenbauwerke die Kamera zu richten, und ein anderes, mit ihr auf Menschen zu zielen, die von diesen Kirchen und Banken beherrscht werden.

Einerseits. Und andererseits kann es passieren, daß die Hand zittert, die Bilder verwackeln. Die Buben jedoch halten still. Er knipst.

Und schrieb auch noch gleich die Namen auf zum Bilderschicken. Aber da wurden die zwei von einem Älteren, der dazu extra vom Fahrrad stieg, hart weggescheucht. Da er mit denen Klartext sprach, also Creole, verstand ich nicht jedes Wort, aber doch den Sinn: seid ihr denn wahnsinnig, euch fotografieren zu lassen, von solchen!

Nun, mag sein. W. und K. ziehen sich zum Lunch zurück.

Im kalten und fensterlosen "Lotus" blieb es kinohaft dunkel, auch nachdem ich die Sonnenbrille abgenommen hatte. Aber eines der schwarzen Mädchen fand uns. Wir waren die einzigen Gäste. Süßsaurer Hühnergulasch und gegingerten Fisch und zwei Carib Lager. Unsere Bestecke wanderten hin und her über den Tisch. Probier du erst mal meins!

Stäbchen hin, Gabeln her, schnell ist alles alle.

Macht "mit" 11 Dollar. Ich sagte 12 und gab ihr einen 15er Schein. Sie ging zur Chinesin an der Kasse und lieferte den Schein ab und sagte 12 und brachte 3 Dollar zurück. Man kriegt als Serviererin in Trinidad 25 Dollar in der Woche (wenn man Glück hat). Aber sie lieferte ihr Trinkgeld ab.

Er beschließt, kein zweites Trinkgeld an das Dummerchen zu verschwenden.

Und wir gingen in die Vincentstraße, um Fragen an den Sekretär der Lehrergewerkschaft zu stellen. Zum Glück gab es in der gemütlichen Kleinvilla keine Eisluft.

Lediglich die Atmosphäre ist wiederum frostig.

Es gab ein Mädchen, das sich von der Maschine wegbog und manchmal wieder hinlangte, wie angeekelt.

(Er nimmt sich nun schon zum zweiten Mal die Andeutung heraus, die Mädchen dort schrieben noch nicht lange. Dabei ist es ihnen ganz klar bloß vergangen, als ihnen vor die Augen trat, wohin die allgemeine Schulpßicht führen kann, sie den Mann vom Bodensee erblickten, der sich aus einer journalistischen Verlegenheit helfen lassen wollte.) Auch die Angestellten der Lehrergewerkschaft sehen auf Distanz.

2 Männer, keiner der Gesuchte. Und meine Fragen müsse schon der Sekretär selbst beantworten.

Aber da sie geluncht haben und die Kleinvilla gemütlich finden, lassen W. und K. sich nieder und harren des Sekretärs, der da nicht kommen will. Die Zeit vergeht. Die Angestellten der Lehrergewerkschaft nehmen an, deutlicher nicht werden zu müssen. Schließlich wundern sich W. und K. dann doch ein bißchen, und er wird frech: Nachdem wir fast zwei Stunden lang die eher irrsinnige Zurückhaltung der zwei Männer und des Mädchens auf die Probe gestellt hatten, sagten wir, es sei vielleicht besser, die Fragen später zu stellen. Es war schon bald 4 Uhr. Draußen schaute uns, als wir in Richtung Queen's Park Savannah wanderten, ein junger Arbeiter, der gerade Sand vom Sandhaufen auf dem Trottoir holte, und das komische Exemplar und K. auf sich zutrotten sah, so neugierig an, daß ich ein Wort riskierte. Ich wollte, weil ich den ganzen Tag nichts erfahren hatte, kurz vor Tagesende (um 6 fällt die Sonne ins Meer) noch ganz hastig irgendetwas erfahren, also hatte ich nach unverhülltem Anbändeln einfach gefragt: Und wieviel verdienen Sie bei dieser Arbeit? - - - Ein paar Tage lang händigten wir uns durch die immer überfüllten Straßen von Port of Spain, blieben manchmal minutenlang eselhaft träumerisch stehen im Duftstrahl, der uns aus einer Bäckerei heraus getroffen hatte; faßten uns dann und gingen hinein und kauften von all diesen Brotsorten: Kokosbrot, Zitronenbrot, Bananenbrot - und bedauerten, daß das Land von Nescafe erobert ist, d. h. Kaffee noch anpflanzt, ihn aber ausschenkt nur noch in Form dieses importierten Instant-Zeugs - kurz, mal wieder kalter Kaffee.

Weil ich unter meinem Strohhut so beschäftigt war mit Landundleutebeobachten, hatte ich nicht bemerkt, daß K. sich einen blutigen Fuß gelaufen hatte. Abends um 5, mitten in der hin und her schiebenden Masse merkte sie's, sie kann nicht mehr.

Aber wie kommt sie auch dazu, einem Kerl, der sie zum Dank vor aller Welt verstümmelt, überallhin nachzulaufen? Ach, sie findet, es sind nur die Schuhe schuld: Diese Sandalen hätte sie sich nicht mehr flicken lassen dürfen, sieht sie jetzt ein. Aber bitte, komm, generöser Leichtfuß, der er ist im Urlaub, der Schwadroneur, wir gehen doch seit Tagen an nichts als Schuhläden vorbei, und alle voller Sandalen. Aber die Läden sind noch voller als die Straßen. Der letzte Werktag vor 3 Feiertagen: Sonntag, Divali, Eid ul Fitr. Im 1., 2. und 3. Geschäft: nichts. Jedes Mal drängte sich zu uns einzigen Weißen der jedes Mal indische Chef her. Auch im 4. Geschäft. Auch hier wollten sich schon Größe und Aussehen nicht in EINEM Modell zusammenfinden.

Siehe da. Kaum geht es um seinen Kram, und es klappt etwas nicht, hat er nicht mehr das geringste Verständnis für die Zustände in der 3. Welt, und greift kopfschüttelnd zu Großbuchstaben.

Schon war der Chef wieder weg, die schwarze Verkäuferin lehnte sich wieder an ihre Schachtelwand zurück, da rief von neben dran eifrig eine kleine indische Verkäuferin, die, die uns gefielen, seien doch in Größe 38 da, und hatte sie schon geholt und die paßten, und wir waren froh und ließen die alten da und fragten, er stellt sich so dumm wie er ist, um eine Vorzugsbehandlung herauszuschinden, ob wir uns jetzt bis zur Kasse durchdrängen müßten, neben der die Frau Inderin stand wie ein Hausaltar neben dem anderen. Nein, nicht nötig. Das Mädchen nahm das Geld. Ich hatte doch gleich an ihren Verkaufsaktivitäten gemerkt, daß die zum indischen Besitzerclan gehörte. Wir drängten weiter in Richtung Savannah. In einem Geschäftseingang einer Bäckerei blieben wir wieder stehen - sie schnuppern den Duftstrahl, er döst walserhaft vor sich hin, gibt sich dann einen Ruck und kauften diesmal zwei Eis.

Eine folgenschwere Entscheidung: Erst als ich der schwarzen Verkäuferin die 2 25ct-Stücke schon gegeben hatte, merkte ich, daß dies eines jener vielen Geschäfte war, in denen man zuerst an der Kasse bezahlt und mit dem Zettel holt man sich dann was man bezahlt hat. Das Mädchen lief mit den zwei 25ct-Stücken das ganze Hufeisen des Ladentisches aus, denn die Kasse war genau am anderen Hufeisenende. Weil wir Weiße waren, hatte sie uns nicht darauf aufmerksam gemacht, daß hier first pay herrschte. Für mich wären es bis zum anderen Hufeisenende nur 3 m gewesen. Wir warteten also bis sie zurückkam, um ihr zu danken und uns zu entschuldigen. Und die 10 ct wollten wir natürlich auch nicht mehr haben. Da lief sie mit den 10 cents wieder das ganze Hufeisen aus, drängte sich hinter allen Kolleginnen durch und lieferte die 10 cents bei der chinesischen Kollegin an der Kasse ab.

Anstatt sich davon ein halbes Eis zu leisten.

Betrübt drängten wir uns hinaus und weiter.

Aber sie kommen nicht sehr weit: Nach etwa 30 Minuten erfolglosen Drängens spürte ich plötzlich eine Hand auf der Schulter. Der indische Chef des 4. Schuhgeschäfts. Wir hätten unsere Schuhe nicht bezahlt. Ich, automatisch: 21.99. Sowas erfindet man ja nicht. Dann kommen Sie mit! Ich hatte das Gefühl, alle schauten zu, wie der Chef uns abführte, einen Weg bahnte durch sein Lokal, und uns eine Treppe hinaufführte in seine Büros, die das Lokal wie eine Galerie umgaben.

Kaum noch ein Schuhgeschäft, eher schon eine moderne Räuberhöhle, das Lokal.

Glas vom Boden bis zur Decke. Also alle sahen von unten herauf. Die indische Verkäuferin wurde geholt. Der Chef sagte, wir behaupteten, wir hätten bezahlt. Mit einer nicht so festen Stimme sagte sie, wir hätten nicht bezahlt.

Unser Held zögert. Etwas rührt ihn an. War es nicht unter Umständen eine grelle Unfreiheit, die hier zum Vorschein kam? Was, wenn die kleine indische Verkäuferin doch nicht zum Besitzerclan gehörte, sondern eine unschuldige kleine Diebin war? Fieberhaft erwägt er, sich als Gentleman zu versuchen: Da lag es an mir, den alten, ertappten Ganoven zu spielen, der es eben immer wieder mal probiert.

Und hört und staunt, wie es förmlich aus ihm herausbricht: Ja, sagte ich ohne jede Gewissensverklemmtheit, also sozusagen heidnisch heiter, wenn das Fräulein das sagt, dann haben wir wohl doch nicht bezahlt.

Ernüchterung: Das Mädchen ging, der Chef und ich tauschten Geld und Quittung aus.

Eine so profane Verrichtung, daß er vollends zu sich kommt: Leider hielt ich meine Rolle nicht ganz durch.

Und er gibt sich, wie es eben seine wahre Art ist, dem Chef zu verstehen: Feige sagte ich, als ich die Quittung annahm: Das ist sicher die beste Lösung. K. sagte draußen: Teure Sandalen. Ich sagte: hoffentlich nimmt er dem Mädchen jetzt nicht noch ihr Geld ab. K. sagte: Noch schlimmer wäre es, wenn das mit einer schwarzen Verkäuferin passiert wäre.

Er sagte, sagt er: Ja, eigenartig, jede Art von Verfügung, ob zu recht oder zu unrecht, wird, wenn sie über den Angehörigen einer anderen Rasse ausgeübt wird, sofort zur Gewalt. Die Sandalen, stellten wir im Hotel fest, waren made in italy. Ich las dann noch ein bißchen über das Divalifest, dessen Vorabend angebrochen war - - - Folgen Lesefrüchte. Ich lese auch etwas, Martin Walser 1968, Suhrkamp, Vorleben, Nachwort zur Ergänzung: - - - Hier wird endlich einmal berichtet, nichts als berichtet, fast nichts als berichtet - - - Es entsteht durch die Art - - - Erzählung eine Glaubwürdigkeit, die man nur erreichen kann, wenn man sie nicht beabsichtigt - - - hat es nicht in der Hand, ob - - - eine Passage zur Selbstverteidigung oder Selbstanklage wird - - - scheint ganz einfach dem Diktat - - - Erinnerung folgen zu müssen - - - Und selbst wenn - - - dem Gedächtnis wertend dreinpfuschen möchte, der Sachverhalt scheint immer durch, stellt sich immer dar - - -

Neuer Anlauf: In Kafkas Erzählung "In der Strafkolonie" steht der Satz: "Du bist ein Fremder, sei still". Trotzdem sagt der Reisende, der still sein soll, seine Meinung über das, was er zu sehen bekommt. Er sagt: "Ich bin ein Gegner dieses Verfahrens." Dieser Ausspruch des Reisenden genügt, daß ein zum Tode Verurteilter freigelassen wird und der Verurteilende sich selber hinrichtet.

Es kann losgehen: Als wir nach 8 Tagen Trinidad über den glühenden Flugplatz auf die vollkommen glanzlose alte Zweimotorige zugingen, zeigte sich der erste Wiedergänger.

Was natürlich auf die Nähe der Insel Haiti mit ihrem weltbekannten Voodoo-Zauber zurückzuführen ist. Nein, doch nicht: Vielleicht weil die Fluglinie, die die Halbstundenflüge zwischen Trinidad und Tobago besorgt, ARAWAK heißt. Arawak ist ein südamerikanischer Indianerstamm, der auch diese Inseln einmal innehatte, dann aber von unseren Leuten hier so schnell ausgerottet wurde, daß er nur noch ein paar Fluß- und Landschaftsnamen hinterlassen konnte.

(Er hat mit seinen Scherzen einfach kein Glück.) K. sagte: Der Pilot sieht aus wie Hemmingway. Ich schaute hinauf.

Und tatsächlich, im Gegensatz zu den Stoffeln in der DAS-DA-Redaktion kennt er den Mann: Hemmingway!

Er ist es, sagte ich. Wahrscheinlich darf er hier trinken, so viel er will. Und drüben auf der Palmeninsel Tobago ging's gleich weiter: der Taxifahrer, der durch unseren Fahrer II per Telefon zum Flugplätzchen Tobago gebeten worden war, stellte sich uns zwar vor als Mr. Kennedy, aber in Wirklichkeit war es der, den unser beider Lippen sofort aussprachen: Satchmo. Satchmo wie er leibt und lebt.

(Man versteht schon. Wie aus einem Munde riefen sie sich zu: Guck mal, ein typischer Neger!)

Wir setzten uns gehorsam auf seinen Riesenrochen Impala. Das Hotel bestimmte er. Crown-Reef-Hotel. Nigelnagelneu. Wir, die ersten und einzigen Gäste. Eröffnung erst morgen.

Keine Absteige, sondern eine schwer vorstellbare Pracht: Einstöckig, zwei weit ausschwingende Flügel, in der Mitte eine Andeutung von Krone, alles aus Holz, Mahagony, innen viel Geflochtenes, Stoffbilder mit hiesigen Szenen, und wie es da an dieser schönen Store Bay lag, war es schön, 120 Zimmer und doch inselmäßig, kein Hauch Hilton.

Sondern fashionable: Zur Eröffnung kam tout Trinidad und Tobago. Zwei Sorgen hatten die Veranstalter.

Erstens W. und zweitens W.? Nein, andere: Am Eröffnungstag sollten nicht nur Diplomaten, hohe Beamte, Schaufenster-Direktoren u. dgl. dasein, sondern auch die einfachen Leute von Tobago, das dort so genannte Graswurzelelement. Diese demokratische ad-hoc-Leistung ist nicht ganz mißlungen.

Schließt er aus dem Erfolg seiner durchweg auf angemessene Abweisung gestoßenen Bemühungen, an diesem Tag irgendetwas zu erfahren: Die einzigen Leute, mit denen wir an diesem turbulenten Tag ins Gespräch kamen, waren auf Anhieb 1 Elektriker und 1 Student, der nebenher als Drucker arbeitete. Der Elektriker für 5 Dollar, der Drucker-Student für 6 Dollar am Tag. Der Elektriker bezeichnete sich als Lehrling, aber es war ihm nicht gesagt worden, wie lange die Lehrzeit dauern würde. Sorge Nr. 2 war - - - Folgt eine längere Betrachtung der aus der Mischung aus Fremdkapital und Graswurzelelement sich ergebenden zwei Seiten einer Hoteleröffnung auf Tobago. Dabei gerät ein gewisser Mr. Carlson ins Gerede: drittgrößter Rabattmarkenmann der Welt und dringend verdächtig, Besitzer der die das Crown Reef Hotel betreibenden Carribean Hotel Developement Co. Ltd.

betreibenden Canning Company sowie der Radisson Hotels in Minneapolis Minnesota USA zu sein. W. nimmt die Spur auf.

Aber der, den ich fragen wollte, der alles wissen würde, war nicht zu sprechen. Und läßt nicht locker. Jedoch: Als ich den Mann, der alles wissen würde, wieder nicht hatte sprechen können, sagte dieser Taxifahrer: Merken Sie nicht, die reichen Sie herum.

Dafür gelingt es ihm, einen neuen Wechselkurs der Landeswährung in Erfahrung zu bringen: 1500 Trinidad-Dollar = 750 US Dollar - also 1 TT-Dollar = etwa eine gute DM.

Abends wurde im Speisesaal ein enormes Buffett angeboten. Da es für uns das Dinner war, eroberten wir uns etwas von den Feinheiten, dann suchten wir einen Platz. Alle Tische waren besetzt, aber in der Mitte war noch eine lange Tafel, die nur an einem Ende mit 7 Leuten angeknabbert war: Mr. Carlson am Kopf und links und rechts runter je 3 Leute, sein Stab. Einer davon war schwarz. Wir wollten die nicht stören, also nahmen wir - kein unverhülltes Anbändeln, keine bohrenden Fragen nach dem Ertrag der Allmacht und so weiter, nur hungrig - so weit wie möglich von denen entfernt am anderen Tafelende Platz und wollten da unsere Tellerchen leeressen. Sofort kam einer vom Stab und sagte, dieser Tisch sei reserviert und kippte, als wir - anstatt sich in aller Ruhe als Zelebritäten zu erkennen zu geben - eilfertig aufgesprungen waren, gleich alle Stühle. Wir zwängten uns irgendwo anders hin. Der Carlson-Stab mit dem Alibi-Schwarzen blieb bis zum Ende ungestört an seiner Tafel. Da K. und ich aus dem Beherbergungsgewerbe stammen, kam uns diese Aufführung eines Beherbergers seltsam vor. Und das am Tage der Eröffnung.

Ein kapitaler Fehler des Amis. Zu sich her winken hätte der Magnat den Dichter sollen. Anstatt ihn sich zuzuziehen: Die sieben Herren sahen jetzt, weil ringsum alles voll war und sie soviel Platz und Leere um sich geschaffen hatten, eher aus wie in einem Gangsterfilm, da kommt es öfter vor, daß sich jemand mit seiner Pistolenmacht so etwas leistet - - - Folgen weitere Anmerkungen zum Thema Hotels und Hoteliers. Auch einige ganz allgemeine aus dem Wasserburger Nähkästchen: Der Hotelier gleicht sich ja dem gesellschaftlichen Verputz seiner Gäste unmäßig an. Der, der die oberste Klasse bedient, entwickelt sich bald zu einem Protokollchef sondergleichen. Der mittelständische Hotelier glimmt vor Biedersinn. Der kleinbürgerliche Gastwirt will auch noch im Urlaub aufspringen und zugreifen.

K. wirft sich dazwischen.

K. drängte mit Macht aus dem Crown Reef hinaus.

Und spricht mit Engelszungen: Weil wir nach einer Besichtigung des Tobagohauptstädtchens Scarborough (auf der Atlantikseite der Insel) in einem kleinen Hotel namens "Robinson Crusoe" Mittag gegessen hatten und endlich endlich einheimisch beköstigt worden waren.

Verlorene Liebesmüh. Er sagt, in unmäßiger Angleichung an den Beherberger aus Minneapolis Minnesota USA: Anyway, sagte ich, an unsere Pflicht erinnernd, ich muß noch ein paar Stunden in den Herzkammern des Cocktail-Imperiums verbringen. Ich vertrat also das Leistungsprinzip, damit mir K. nicht völlig ins Paradies verkäme. Wenn wir in unserer Nische unter huschenden Krebsen und fischenden Pelikanen lagen, wollte es jeden Augenblick ausbrechen. Aber wir hatten eben doch am Vormittag eine Fahrt in ein Jugendlager in den Bergen gemacht, weil in der Zeitung zu lesen war, Leute von der Regierung kämen zu einer Diskussion mit den Jugendlichen, die hier 18-24 Monate ausgebildet werden zu Schreinern, Elektrikern, Schweißern oder Automechanikern.

Ein Fiasko: Satchmo-Kennedy hatte uns hinaufgefahren. Es war weit. Und wurde immer grüner. Und heißer. Der junge Leiter führte uns herum. In der Schlafbaracke waren zu viele Betten. Setzlinge von allen Inselpflanzen gab es. Schweine und Hühner. Was einer auch lerne, etwas Landwirtschaft lerne er mit. Es war Mittag. Die Leute von der Regierung fehlten immer noch. West Indian Time, sagte Satchmo. Deh kinda sometimish, sagte ich, um ein bißchen zu prahlen mit meinen creolischen Brocken, die ich sammelte wie K. die Kakaofrüchte, Hibiscus- und Pfefferblüten - - - Das Lager liegt auf einer asphaltierten Plattform im Gebirge.

Er hat keine Lust mehr.

War es nicht längst zu heiß, Fragen zu stellen? Weil ich nichts mehr sagte, fragte der Leiter, wie wir denn hinaufgekommen seien.

Vielleicht auch, um zu erfahren, wieso und wozu eigentlich. Keine Antwort. Mr. Kennedy versucht, die Situation zu retten: Satchmo sagte, wir seien die ersten, die diesen Trip gebucht hätten.

Schweigen. Die Leute von der Regierung machen nach wie vor keine Anstalten, der Zeitungsmeldung zu entsprechen. Nun, womöglich ohnehin ein auf die englischen Brocken zurückzuführendes Mißverständnis. Betretenes Schweigen. Steigende Hitze. Dem Leiter fällt etwas ein: Wir sollten uns doch noch ins Gästebuch eintragen. Mir fiel nichts ein. Also wollte ich einfach schreiben, was ein anderer weiter oben geschrieben hatte: Deeply impressed with everything.

Die üblichen Schwierigkeiten. Er weiß nicht, was, und er weiß nicht, wie, bis es wie von selber aus ihm schreibt.

Und als ich das geschrieben hatte und dem Leiter das Buch schon wieder zuschieben wollte, stieß mich K. an. Ich schaute noch einmal ins Buch. Ich hatte geschrieben Deeply depressed - - - Ich sagte schnell etwas und malte das Wort um in seine freundliche Version.

(K. stößt ihn an. Er sieht, daß es nichts geworden ist. Fummelt daran herum. Sieht, es wird nicht besser. Versucht eine Verzierung. Tritt zurück und bildet sich etwas ein, läßt schließlich alles irgendwie stehen. Und macht sich die übliche falsche Hoffnung, in solchem Falle könnte wenigstens ehrlich länger währen.) Die Erinnerung verblaßt. Ohne Weiteres verrinnen die Stunden in der Herzkammer des Cocktail-Imperiums.

Also komm, sagte ich, fliegen wir zurück in die Hauptstadt. Also flogen wir am 7. Tag zurück nach Port of Spain, das manche ohnehin eine Höllenstadt nennen.

Er will sagen: Das heißt, man kriegt dort eher mit, wie es wirklich zugeht hier.

Und läßt es zugehen: Wir shoppten uns durch die (auf einmal zusammengelegte) Frederick- und Charlottenstraße und hatten endlich Papiertüten voller Broschüren, Platten, Chawls und Jeans - - - Folgt eine Spalte Shopping verknüpft mit Mangeldaten. Plötzlich ein Landsmann: Immer wieder sprang jetzt ein blasser dicker Deutscher vom Trottoir, hielt an einem Schaft ein schwarzes Kästchen, spannte seinen unendlichen Hosenboden, richtete dieses Kästchen auf eine Frau, die ihre Früchte auf dem Tablett (wollte er bestimmt nicht sagen, sondern hätte wenn er wüßte die Artikelfrage nolens volens durch den Griff zum richtigen entschieden) und das auf dem Kopf vom Markt heimtrug. Ja, heute war eines dieser Schiffe angekommen, die von Insel zu Insel fahren und die Gäste Landausflüge machen lassen.

In den drei hauptsächlichen Straßen Port of Spains, der Höllenstadt, die ihn reizt, sich derart über seine Verhältnisse aufzuführen, daß man mitkriegt, wie es wirklich zugeht hier, geht es mitunter also auch noch so zu, daß die einheimischen Taxifahrer ihren Augen nicht mehr trauen: Die Deutschen sahen einander unheimlich ähnlich. Und da kam schon wieder der Inder und bot zum 4. Mal diese Taxifahrt an. Der machte es, indem er mich 4 Mal für einen anderen hielt, überdeutlich, daß ich zu meinen Landsleuten gehörte. Oder war das nicht immer derselbe Inder?

Wieder völlig überflüssige Gedanken, die er sich macht, aber endlich einmal gelingt ihm ein Witz. Einer von der Art der Irrenwitze: Doch, doch, natürlich. Ich war ja auch immer derselbe.

Ein eigenartiger Kauz: Ich hatte keine 8 mm Kamera, an meiner Identität war nicht zu zweifeln, ich hatte die Rollei B 35 von Vetter Hugo. Und ich hatte sie auch auf Menschen gerichtet. Allerdings, zuhause, beim Nachzählen der Bilder, stellte es sich heraus, daß ich weitaus am häufigsten K. fotografiert hatte, und zwar wie die weiße Brandung sich mit ihr beschäftigte. Auf Armut und Elend z. B.

(ich schwöre, daß die Abkürzung von ihm ist) hatte ich das Objektiv so gut wie gar nicht gerichtet.

Genug. Es folgt noch dies und das, aber er fängt sich nicht mehr: Plötzlich bog K. - - - Woolworth - - - Gassen aus Sprays und Kämmen aus gefrorener Limonade - - - Verrückt! - - -Woolworth! - - - Na ja, ich sagte nichts mehr - - - Ich trug die Tasche und folgte - - - K. warf mir mehr als einen triumphierenden Blick zu - - - Zum letzten Mal von der Stadtmitte hinaus zum Hotel - - - Sobald wir aus der Geschäftsstraße raus sind, döst gleich alles - - - Das Flugzeug! - - - Die tief grün und rot und blau angestrichenen Häuschen in der weißen Mittagssonne - - - Welche Verkehrtheit schon, den politischen Willensausdruck dieses Volkes in einem Weißen Haus unterzubringen - - - Ich dachte, ich werde das melden - - - Ist ja klar - - - Obwohl jeder sehen kann - - - z. B. schon Schraubenzieherindustrien - - - Hinein und den Glassturz zerschmettern, unter dem ein paar Mondsteinchen liegen - - - Rannten nicht unter den Saman-Baum - - - Kaum ist man irgendwo, erinnert einen schon alles an etwas anderes - - -

Sie reisen heim.

Auf dem Rückflug kriegte ich Carmen ins Ohr. Über London stießen wir durch die Wolkendecke in das Dunkel des Novembervormittags. Dann stieg aus dem Flugzeug ein Haufen widerlich geröteter Blonder; selbst die Braunen kamen mir obszön vor in diesem gespenstischen Halbdunkel der nördlichen Welt. Und am widerlichsten war, daß unter uns ein trompetendes Niesen begann, das nicht mehr aufhören wollte.

Es stürmt nur so auf ihn ein, aber es ist keine Zeit, die Phänomene ins Trockene zu bringen. Das Mutterland des Kapitalismus kommt davon, sie müssen weiter. Aber immerhin erfahren wir: Er kann es seither den Imperialisten nachfühlen, daß es sie in wärmere Länder zog.

Als wir in Schaffhausen, vor dem letzten Umsteigen, im Bahnhofsbuffett noch Kalbsbraten mit Spätzle aßen, war ich froh, daß uns eine Bedienung bediente, die nicht für 45 Mark in der Woche arbeitete. Das Land, durch das wir fuhren, war dunkel bis zur Farblosigkeit. Die Leute lächerlich bzw. krankhaft weiß. Als wir den Heimatbahnhof verließen, sie also praktisch im Gegenteil schon fast wieder zu Hause waren, blieb K. stehen - was ist ihr? Will sie nicht mehr? Ach, es ist Frau Käthe, und sie ist vernünftig, und sie möchte nur, daß die Geschichte nicht unter die Leute kommt; sie findet, es sei besser so: drehte die schöne Basttasche um; jetzt war den Augen der Umwelt die Seite der Tasche entzogen, auf der grell rot eingeflochten war: TRINIDAD TOBAGO.

Sieht er ein, und ist erleichtert: Dafür war ich sehr dankbar - - - Und hat dann doch nicht an sich halten können, der Dussel. Geniert sich irgendwie, und irgendwie wieder nicht. Läßt Frau Käthe walten, aber versteht nicht, was sie ihm eigentlich bedeuten wollte. Setzt sich, von allen guten Geistern verlassen, an den Schreibtisch und packt aus.

Aus: "Mainz wie es singt und lacht", Salzhausen-Luhmühlen, 1976; wir danken dem Autor für die freundliche Genehmigung zum Abdruck.

Eine unveränderte Neuausgabe des Textes von Martin Walser, Martin Walser, "Variationen eines Würgegriffs - Bericht über Trinidad und Tobago", ist erschienen in der Reihe Radius Bibliothek, Perlen der deutschen Gegenwartsliteratur, "Die besondere Reihe meisterhafter Kleinprosa - hervorragend ausgestattet -: besonders sorgfältiger Satz, gedruckt auf gutes Papier, Fadenheftung, gebunden in echtes dunkelblaues Leinen", Radius Verlag, Stuttgart 1991.