Einer für alle

Bei Sebastian Haffner kommt auch die Linke ins Schwärmen

Der Journalist Sebastian Haffner ist am 2. Januar im Alter von 91 Jahren gestorben. Mit seinen "Anmerkungen zu Hitler", seinen Kolumnen im stern sowie zahlreichen Fernseh-Beiträgen ist er auch einem größeren Publikum bekannt geworden. Bewunderer hatte er bei Konservativen und Liberalen genauso wie bei der deutschen Linken.

Was machte Sebastian Haffner so interessant für Rechte wie Linke? Raimund Pretzel, so der Geburtsname von Haffner, war Jurist von Beruf und bis 1936 im Staatsdienst tätig, lehnte die nationalsozialistische Politik aber bald ab und entschloß sich zur Emigration, auch wegen seiner Liebesbeziehung zu einer Jüdin. 1938 ging Pretzel nach England. Dort wurde er 1940 erstmals unter dem Pseudonym Sebastian Haffner publizistisch tätig. Sein Erstlingswerk mit dem Titel "Germany: Jekyll & Hyde" ist eine Zustandsbeschreibung des nationalsozialistischen Deutschlands, das sich, nach Darstellung Haffners, gleich seinem Führer nicht mit der schmählichen Niederlage im Ersten Weltkrieg abfinden konnte.

"Die wütende, blutrünstige Erbitterung, die sich nach 1918 in ganz Deutschland ausbreitete", schreibt Haffner, "ist identisch damit, wie Hitler, vom Leben zurückgestoßen und in der Dachkammer eines Männerwohnheims wohnend, auf die Niederlage reagierte. Hitler brauchte nur 'Hitler' mit 'Deutschland' austauschen, um in Tausenden und Millionen von Deutschen die schreckliche, haßerfüllte Erbitterung aufleben zu lassen, wie er sie empfand." Diesen Auftakt zu Haffners publizistischer Karriere nannte Volker Ullrich in der Zeit, anläßlich der deutschen Neuausgabe, "ein furioses Debüt".

Die Linke dagegen ist angetan von Haffners Abrechnung mit der Sozialdemokratie während der Novemberrevolution. Haffners unter dem Titel "Der Verrat" erschienene Schilderung der Mitwirkung der Sozialdemokraten an der Zerschlagung der Revolution sowie deren Verstrickung in die Morde an den Kommunisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ist die fesselndste populärhistorische Aufarbeitung dieses bedeutsamen Einschnitts in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung.

Micha Brumlik schwärmte in der Frankfurter Rundschau über das "Kabinettstück radikaldemokratischer Historiographie". Nun kann Haffner selbst wahrlich nichts dafür, daß die Linke bis dato nicht selbst für eine erfolgreiche Generalabrechnung mit dem sozialdemokratischen "Verrat" in der Lage war: Denn als "radikaldemokratisch" ist schwerlich jemand zu bezeichnen, der zugleich Luther, Metternich, Bismarck und Niekisch als historische Vorbilder angibt.

Für seine "Anmerkungen zu Hitler" erhielt Haffner, der 1954 nach Berlin zurückgekehrt war, 1978 den Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf. Der marxistische Faschismus-Experte Reinhard Opitz wies vor über zehn Jahren in seinem Standardwerk "Faschismus und Neofaschismus" scheinbar ungehört darauf hin, daß mit Haffners "abstruser, personalisierter" Faschismus-Theorie die NS-Massenvernichtung auf eine Persönlichkeitsspaltung Hitlers reduziert werde. Zwei Seelen lebten nach Haffner in der Brust des deutschen Diktators: Politiker und Bestie. Im Dezember 1941 habe "Hitler als Politiker zugunsten des Massenmörders Hitler" abgedankt. Eine wahrlich abstruse Analyse, die um so bemerkenswerter ist, da Haffner zugleich in einer Fernsehdiskussion bekundete, "daß Hitler kein verächtlicher Politiker war, solange er sich noch Mühe gab, einer zu sein."

Hitler als Verräter der deutschen Sache, weil er das deutsche Reich in den Untergang getrieben habe? Haffner selbst gab dazu skurrile Statements in der nationalrevolutionären Postille wir selbst (2/1981) ab: "Imperialismus ist eine 'rechte' Idee, Nationalismus eine 'linke'". Auch sonst schien er inhaltlich keine Berührungsängste mit Faschisten nationalrevolutionärer Prägung zu haben. In seinem gemeinsam mit dem nationalkonservativen Mitglied der rechten Unabhängigen Ökologen Deutschlands, Wolfgang Venohr, publizierten Buch "Preußische Profile" äußerte er: "Der wahre Theoretiker der Weltrevolution, die heute im Gange ist, ist nicht Marx und nicht einmal Lenin. Es ist Niekisch."

Der "NS-Abweichler" Niekisch gilt den Nationalrevolutionären als leuchtendes Vorbild, das eine Identifikation mit dem Faschismus erlaubt, die die Schuldfrage ausspart. Stolz konnte daher auch wir selbst 1981 Haffners Huldigungen an diesen "deutschen Revolutionär" veröffentlichen: "Die nationalrevolutionäre Theorie hat in Deutschland eine lange Tradition. Mit ihr ist der Name Ernst Niekisch an vorderster Stelle verbunden. Seine Rückkehr ins politische Bewußtsein ahnungsvoller Deutscher macht ja gute Fortschritte."

Da wundert es auch nicht, daß das neurechte Wochenblatt Junge Freiheit Haffner 1993 seine Anerkennung aussprach. Denn Haffner ist damit gut nutzbar für die neurechte Propaganda eines deutschen nationalen Sozialismus jenseits von Marxismus und Internationalismus. Der nationalkonservative Publizist zwingt einer sich antinational definierenden Linken Zweifel an dualistischen Zuschreibungen auf: Denn Haffner konnte stets ganz verschiedene politische Haltungen gleichzeitig vertreten; er zeigte nationalistisches und demokratisches Engagement, antifaschistische und autoritäre Neigungen.