Geliebtes Dromedar

Einteiliger Busen, schlampiger Alien-Look und das übliche Jump-and-Run-Spiel - Was ist an Lara Croft so aufregend?

Die Frau ist 31 Jahre alt, Tochter eines englischen Aristokraten, ihre Mutter wird nirgendwo erwähnt, sie selbst genoß eine erstklassige Internats-Erziehung, ihre Leidenschaften sind Archäologie und Sport. Sie kann alles das, was Männer gewöhnlich an Frauen nicht ausstehen können. Sie ist sportlich, schnell, gebildet, entschlossen, niemals zu heiraten, spricht mehrere Fremdsprachen und ist in der Lage, die meisten Männer dieses Planeten (die sie abfällig als "Kerle" bezeichnet) glatt umzuhauen - und gilt trotzdem als sexy. Denn sie ist die Titelheldin eines Computerspiels: Lara Croft ist die Frau, in die sich Männer und Jungs gleichermaßen heftig verknallt haben.

Wirklich Angst haben müssen sie vor der ihnen so deutlich überlegenen virtuellen Frau nicht. Dabei sind die männlichen Motive so klar, daß sie sogar eine gezeichnete Figur erkennt. Lara über sich und ihre Erfinder im fiktiven Hyperworld-Interview: "Ich meine, sie haben sogar so viele ihrer eigenen Charaktereigenschaften miteinfließen lassen, und natürlich auch besondere körperliche Attribute - man kann daran schon herleiten, daß ein Haufen Kerle das programmiert hat."

Frauen in Computerspielen waren bisher entweder Begleiterin des Titelhelden oder besonders dusslige, nervende Wesen, die ständig aus selbstverschuldeten Gefahrensituationen gerettet werden mußten. Und niemals diejenigen, die Spaß haben. Wie ihn zum Beispiel Larry hat, ein kleines häßliches Männlein, das in seiner inzwischen achtteiligen gleichnamigen Spielreihe beständig auf der Suche nach einem guten Fick ist und, damit es überhaupt zum Sex kommen kann, knifflige Aufgaben erfüllen muß. Larry ist doof, lustig und dauergeil, er muß ständig Rückschläge hinnehmen und steht doch immer wieder auf.

Lara Crofts Leben ist dagegen todernst, sie darf keinen Gedanken an Schwänze verschwenden, immerhin könnte schon hinter der nächsten Flußbiegung ein mordlustiger Säbelzahntiger lauern. Meistens lauert er sogar tatsächlich: Tomb Raider III ist in dieser Hinsicht ebenso wie seine Vorgänger ein recht überraschungsloses Spiel. Denn eigentlich passiert in T III nichts, was nicht schon vor Jahren bereits in anderen Computerspielen passiert wäre. Lara kann rennen, schwimmen, gehen, stehen, klettern, schießen und schlagen, also all das, was Rechnerhelden eben so können, und wenn sie ihre Benutzer überfordert, dann stehen im Internet zahlreiche Tips und Cheatcodes zur Verfügung, mit denen man dann doch das nächste Level erreichen kann.

Das klingt nicht nur ermüdend, sondern ist es auch, zumal T III üblichen Jump-and-Run-Erfolgsgames wie Prince of Persia stark ähnelt. Letzteres handelt von einem Prinzen, der seine gefangene Prinzessin retten und auf dem Weg zu ihr eine Menge Abenteuer bestehen, kämpfen, klettern und springen muß. Lara hingegen darf nicht etwa ihrem hilflosen Verlobten zu Hilfe eilen, sondern muß gegen das Böse antreten - auch für Computerfiguren gilt das Showbiz-Gesetz "Liiert sind sie nur die Hälfte wert".

Daß Tomb Raider solchen Erfolg hatte, liegt vor allem an Lara. Warum, ist eher unklar, verfügt die virtuelle Dame doch bloß über einen einteiligen Busen, der sie zum Dromedar unter den Computer-Heldinnen macht. Was wie ein Beleg für den Schwachsinn des Mannes klingt, sich stunden- bzw. tagelang in ein recht belangloses Spiel zu vertiefen, bloß weil die Heldin eine Frau ist, vor der man sich im normalen Leben zitternd unter der Bettdecke verkriechen würde, gilt in den Lara verehrenden Kreisen jedoch als unglaublich hip. Und Lara in ihrem von Sigourney Weavers Alien-Look beeinflußten paramilitärischen Outfit - grüne Armee-Hot-Pants, schwere Stiefel, ärmelloses T-Shirt - als sexy.

Schon kurz nach dem Start von T III waren auch diejenigen, die schon seit längerem zu Ende pubertiert haben, ganz hin und weg. "Ein Wort zur Optik: obwohl Lara und ihre Welt aus eher groben Polygonen zusammengesetzt und die Steuerung nicht immer sehr präzise ist, tut das den Abenteuern nicht den geringsten Abbruch", begeisterte sich zum Beispiel der Rezensent von McGames für das technisch unzulängliche Game. Sein Kollege von computer erklärte: "Ehrlich: Ich mochte Big Jim nicht, fand Action Man besser. Der Recke hatte den tollen Camper und 'nen großen Gorilla. Damals war ich acht, heute bin ich 33. Aber eins ist geblieben: Ich stehe immer noch auf Puppen. Und da bin ich nicht der einzige. Schauen doch ständig die anderen Jungs vorbei. Interessieren sich angeblich 'nur für technische Details'. Gerade eben hänselten sie mich wegen des Geräuschpegels."

Denn Lara kann nicht nur rennen und springen, sondern auch, wenn sie denn sterbend zusammenbricht, ganz wunderbar stöhnen. Was ihre Fans begeistert, denn das macht sie dann doch zu einem nicht ganz so unmenschlichen Wesen. Das ist wohl wichtig, denn in Interviews mit der fiktiven Lara bemühen sich ihre Erfinder immer sehr darum, Lara Züge zu verleihen, die die Männerwelt von einer Frau erwartet. Im Gespräch mit Hyperworld ("Zu allererst, danke, daß Sie sich Zeit nehmen, mit uns zu plaudern. Wir wissen, daß Ihr Leben ziemlich hektisch ist") ließen sie Lara Croft z.B. antworten: "Ganz meinerseits. Eigentlich ist es sogar ganz schön, die Waffen mal für fünf Minuten ruhen zu lassen. Ach, und ich brauche ja wohl eine Maniküre. Das kommt davon, wenn man an Felsen, Vorsprüngen hängt ... DAS geht auf die Nägel." Über ihr reiches Elternhaus äußert sich Lara: "Aber immerhin bekam ich dort eine Menge Champagner zu trinken, und ein Mädchen kann sich darüber ja wohl nicht beschweren." Und überhaupt: "Eine Frau muß ihre Geheimnisse haben."

Daß Lara in Wirklichkeit aber nicht lebt, ist den Männern einfach nicht beizubringen. Sie erfanden für sie sogar ein eigenes Medium, die im vorigen Jahr gegründete Internet-Zeitung The Croft Times. Neben neuesten Nachrichten von ihrem Idol, der Wahrheit über Laras Wohnung und ihre Maschinenpistolen kann man ihre wöchentlich fortgesetzten Memoiren lesen und sich von Lara eine Weihnachtskarte schicken lassen. Und sie umziehen. Denn Lara gibt es dort jetzt auch als Papier-Ankleidepuppe, der, wie es sich für eine richtige Frau anscheinend gehört, große Mengen völlig unterschiedlicher Kleider zur Verfügung stehen - in der Ausgabe vom 3. Januar zum Beispiel ein viktorianisches Ballkleid. Und auch wie ihre Heldin nackt aussieht, kann man im Internet erfahren.

Anfang Dezember erfaßte die Lara-Manie sogar den britischen Wissenschaftsminister Lord Sainsbury, der vorschlug, sie zu einer Botschafterin für britischen Erfindergeist und britische Technik zu machen. Es müsse deutlich gemacht werden, daß das Land nicht nur historische Errungenschaften zu bieten habe, sondern auch Heimat für bekannte Wissenschaftler wie Stephen Hawking sei. Die von der britischen Firma Eidos entwickelte Lara stehe für herausragende Leistungen seines Landes - offenbar hatte niemand dem Lord erklärt, daß in Hot Pants durch ein technisch drittklassiges, schwer gepixeltes Computerspiel zu hüpfen nicht der Gipfel technischer Möglichkeiten ist. Denn Lara ist das, was Mann daraus macht. Und so ruhen die Jungs nicht, bis sie auch im wirklichen Leben über eine Lara verfügen können. Ein Film mit einer menschlichen Darstellerin werde jetzt geplant, freut sich The Croft Times, eine ihnen passende Kandidatin haben die Croft-Fans schon gefunden. Mit der wilden Virtuellen hat Rhona Mitra, Sängerin des noch nicht veröffentlichten Tomb Raider-Titels "Beautiful Days", allerdings bis auf die Nationalität - beide sind Engländerinnen - nichts zu tun. Die Schauspielerin Mitra kam in der Vergangenheit nur dadurch in die Schlagzeilen, daß ihr Vater, ein führender britischer Schönheitschirurg, angeblich ihre Brüste vergrößerte. Männer sind blöd.