Merci, Monsieur!

RU 486 - Pharmaindustrie, Emma und die katholischen Bischöfe beschwören das Wunder des dezenten Schwangerschaftsabbruchs.

Das Zaubermittel mit dem störrischen Namen RU 486 sei geeignet, heißt es, einen uralten Frauentraum zu erfüllen: den Schwangerschaftsabbruch ohne ärztliche oder gar staatliche Kontrolle, ohne operativen Eingriff, ganz risikofrei. Ein paar Pillen zum Frühstück geschluckt, und schon ist die Angelegenheit erledigt. "Das schonendste Abtreibungsmittel der Welt", jubelt Emma in ihrer jüngsten Ausgabe. "Wenn diese Pille nicht länger blockiert, sondern endlich weiterentwickelt werden kann, dann könnten Frauen ganz selbstbestimmt, auch ohne Ärzte, entscheiden, ob sie ein Kind bekommen oder nicht."

Ein Skandal sei es, daß die Abtreibungspille nicht auf dem bundesdeutschen Markt erhältlich sei. "Merci, Monsieur!" hieß es 1998 im selben Blatt. Der Dank richtete sich an Edouard Sakiz, den Mit-Erfinder des Medikaments. Sakiz war früher Präsident des französischen Pharmakonzerns Roussel und ist heute der europaweit einzige Hersteller von RU 486.

"Eine neue Dimension" des Schwangerschaftsabbruchs nannte bereits 1991 der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Bischof Karl Lehmann die "Abtreibungspille", eine "Verharmlosung und Bagatellisierung der Tötung ungeborenen menschlichen Lebens", "privat" könne es demnächst beseitigt werden.

Ob es sich bei dem Szenario von der diskret-privaten Abtreibung um eine Utopie handelt oder eine Schreckensvision, sei vorerst dahingestellt. Wichtig ist, daß das Szenario keinen Bezug zur Realität hat. Dennoch wird die Idee, ein Schwangerschaftsabbruch sei zukünftig eine völlig unkomplizierte Angelegenheit, kolportiert, und zwar von sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen. Dazu zählen Frauen wie Männer, Atheisten wie Christen, Feministinnen wie Frauenfeinde, sogenannte Abtreibungsbefürworterinnen wie "Lebensschützer".

In diesem Punkt herrscht Konsens zwischen Gruppierungen, die mit dem Szenario der flott und dezent abtreibenden Schwangeren ihre jeweilige Position in der öffentlichen Diskussion um die Freigabe eines relativ neuen Medikamentes untermauern. Das Erstaunliche und auch Bedrohliche daran ist, daß in dieser Debatte keine Fakten mehr zählen, sondern sich auf der einen wie der anderen Seite Fiktionen verselbständigt haben, die sich nur in Nuancen voneinander unterscheiden.

Nachdem RU 486, die "Abtreibungspille", 1982 in Frankreich entwickelt worden war, geriet das chemische Abortivum schnell in die Schlagzeilen: Es handele sich um eine einfach zu handhabende, komplikationslose und zudem schonende Methode des Schwangerschaftsabbruchs, eine "Revolution" für die Frauen, eine Jahrhunderterfindung. Insbesondere US-amerikanische Feministinnen, darunter einflußreiche (Gesundheits-)Politikerinnen, propagierten RU 486 als Alternative zu den bisherigen operativen Eingriffen, woraufhin militante Organisationen ihre Anti-Abtreibungs-Kampagnen forcierten.

Verglichen mit der Debatte in den USA, wo bereits mehrere Abtreibungsärzte ermordet wurden und sich die "Lebensschützer" vor den Kliniken postieren, um die hilfesuchenden Frauen zu beschimpfen, wirkt die öffentliche Diskussion in Deutschland geradezu harmlos. Ähnlich wie auch andere gesellschaftliche Debatten um feministische Themen könnte aber auch die hierzulande ausgetragene Kontroverse mit der üblichen Zeitverzögerung nach dem Vorbild der US-amerikanischen funktionieren. Diesen Aspekt sollte man bedenken, statt darauf zu vertrauen, daß sich Vernunft und Sachlichkeit durchsetzen werden.

RU 486 ist weder so etwas wie eine unkomplizierte Pille "danach", noch handelt es sich um ein ausgereiftes Medikament, das, wie von Gegnern und Befürwortern immer wieder behauptet wird, die individuelle Entscheidung von Frauen über eine Schwangerschaft privatisieren kann. Sowohl die Propagandistinnen von RU 486 - allen voran die Zeitschrift Emma - als auch die Hardliner-Clique katholischer Eminenzen sind im Grunde einer, wie man vermuten könnte, geschickten Werbekampagne der Pharmaindustrie aufgesessen.

Das Medikament, ein Antigestagen, verhindert im frühen Stadium einer Schwangerschaft die Rezeption von Progesteron, einem Hormon, das man als "schwangerschaftsschützend" bezeichnen könnte. Es handelt sich also um einen schwerwiegenden Eingriff in das weibliche Hormonsystem. Als Folge der mehrmaligen Einnahme von RU 486 stirbt der Embryo ab, weil die Frucht sich von der Gebärmutterschleimhaut ablöst. Um eine künstlich herbeigeführte Fehlgeburt auszulösen, müssen allerdings zusätzliche Hormone, Prostaglandine, eingenommen werden. Diese lösen Wehen, also Geburtskontraktionen und die entsprechenden Schmerzen aus. Vor allem in diesem Stadium der Abtreibung, die sich über Stunden hinzieht, können Komplikationen auftreten, die eine ärztliche Kontrolle erfordern. In mindestens zwei Prozent aller Fälle muß zusätzlich eine Ausschabung der Gebärmutter vorgenommen werden.

Wenn Emma diese Methode als "sanfte Abtreibung" bezeichnet und dafür werbewirksam auf die Barrikaden geht, spricht das mindestens für eine gewisse Unkenntnis. Immerhin, so Martina Schröder vom feministischen Frauengesundheitszentrum in Berlin, liegt die Komplikationsquote bei sachgerecht ausgeführten Abtreibungen nach der mechanischen Absaugmethode unter Lokalanästhesie mittlerweile bei unter 0,5 Prozent. Wenig weiß die RU 486-Forschung dagegen über die Folgen, die sich aus dem Umstand ergeben, daß die betroffenen Frauen einen "Gebärvorgang" über sich ergehen lassen müssen, der sich über einen relativ langen Zeitraum erstreckt.

Eine Genehmigung für die Medikation von RU 486 bedeutet keineswegs, daß die Pille rezeptfrei zu erwerben wäre - das Medikament unterläge nicht nur ähnlichen Beschränkungen wie Betäubungsmittel, sondern auch dem Beratungs- und Indikationszwang nach Paragraph 218. Diese Tatsache könnte man mit viel Optimismus als veränderbar erklären - an den Tücken des Medikamentes würde aber auch eine Streichung des Paragraphen nichts ändern.

Die Lobeshymnen in Emma sind also nicht nur unbegründet, sondern genaugenommen frauenfeindlich. Fast drängt sich ein Vergleich mit den von Renate Klein und anderen Autorinnen beschriebenen Werbekampagnen US-amerikanischer Feministinnen für das Medikament auf, die Studien der RU 486-produzierenden Industrie verbreiteten und auf eine unabhängige Forschung und Stellungnahme verzichteten.

RU 486 hat zugleich die Phantasie der Abtreibungsgegner beflügelt: Daß die bundesdeutschen Lebensschützerverbände sich im Zusammenhang mit der relativ neuen medikamentösen Abtreibungsmethode zu der Aussage hinreißen ließen, es sei ein chemisches Tötungsinstrument, vergleichbar mit Zyklon B zur Ermordung der Juden, sollte eigentlich kaum verwundern. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner, bekannt für seine pressewirksamen Auftritte, hat zumindest erreicht, was er wollte - die Dämonisierung des umstrittenen Präparats und die Verteufelung von Frauen, die abtreiben. Wenn es darum ging, die Debatte anzuheizen, waren Abtreibungsgegner noch nie zimperlich. 1991 verschickten z.B. Die Deutschen Konservativen mehr als eine Viertelmillion Briefe, denen neben einem 5 Zentimeter langen Plastik-"Baby" namens Anja - die Nachbildung eines angeblich drei Monate alten Embryos - ein Begleitbrief beilag, in dem behauptet wurde, es handele sich um ein "Mädchen", blond und blauäugig, das Opfer von "Folter" und "Mord" geworden sei.

Die feministische Berliner Beraterin Martina Schröder ist es wie viele andere Frauen auch leid, sich mit derartigen "Argumenten" abzugeben. Immer öfter rufen Frauen in der Beratungsstelle an, die aufgrund von Presseberichten hoffen, diese Pille garantiere einen komplikationslosen Schwangerschaftsabbruch. Ihnen muß sie leider sagen, daß sie einer Kampagne aufgesessen sind. Selbst in Frankreich, wo das an einem geheimen Ort produzierte Medikament bereits zugelassen ist und bei mittlerweile 60 000 Abbrüchen pro Jahr - einem Drittel aller Abtreibungen - angewandt wird, geht nichts ohne ärztliche Kontrolle - und das ist in diesem Fall auch richtig so, wenn Frauen nicht unter Lebensgefahr abtreiben wollen.

Jede Frau, die abtreibt, hat ihre Gründe, warum sie die Schwangerschaft nicht austragen will. Die Entscheidung trifft sie wie 50 Millionen andere Frauen auch, die weltweit abtreiben. Ob mit oder ohne RU 486 - sie hat einige schwierige Wochen vor sich. Da helfen ihr weder die Märchen der Alice Schwarzer noch die Satansbeschwörungen des katholischen Kardinals Meisner.

Renate Klein, Janice G. Raymond, Lynette J. Dumble: Die Abtreibungspille RU 486. Wundermittel oder Gefahr? Konkret Literatur Verlag, Hamburg, 1992