Der Schrecken als Leere

Johann Kresnik inszeniert sein Tanztheater "Goya" ohne Schockeffekte

"Die Welt ist eine Maskerade. Alle wollen scheinen, was sie nicht sind, alle betrügen und keiner erkennt seinen Nächsten." Dieser Befund des spanischen Malers Goya y Lucientes (1746 bis 1828) bestimmte auch sein ästhetisches Credo. Weshalb aus dem hochdotierten Hofmaler bald der demaskierende Chronist alltäglichen Horrors und militärischer Exzesse wurde.

Der Künstler wird zum Kritiker, die Kunst politisch. Ein Thema, wie geschaffen für den politischen Künstler Johann Kresnik. Eindrucksvoll puristisch und ohne pädagogische Umwege begibt sich Kresnik in seinem neuen choreographischen Theater, "Goya - Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer", direkt in das Zentrum des globalen Schreckens. Dröhnender Maschinenlärm stimmt auf den eineinhalbstündigen Albtraum ein und endet erst mit dem Auftritt des Ensembles. Aus dem von ihm gesummten Grundton entsteht allmähliche Bewegung, entsteht "Goyas Welt aus Gewalt, Zwang, Dämonen, Anpassung und Liebe" (Programmheft).

Die Tänzer posieren reglos auf gut zwei Dutzend Holzklötzen, bevor sie mit ihren Äxten synchron darauf einhauen. Über einen gewaltigen Kleiderhaufen klettert ein rotgewandeter Vamp nach vorne und verwirrt die strenge Geometrie der Berserker, ehe die ihn eingemeinden. In immer neuen Anläufen führt Kresnik vor, wie die Gesellschaft mit aller Macht das Individuum abschafft und Fluchten aus dem Ornament der Masse bestraft. Eine Frau kämpft verzweifelt unter einem meterlangen Holzbrett, an das ihre ausgestreckten Arme gefesselt sind. Menschen in Soldatenmänteln schauen ihr eine Weile amüsiert zu, bis zwei mit Äxten das Holz zertrümmern und das Mittelstück über der gekrümmten Gestalt anzünden.

Abgesehen von wenigen Ausnahmen dominieren die Farben Schwarz und Weiß die Inszenierung, die einer dreidimensionalen Radierung ähnelt. Zwei Tänzerinnen in blauen Kleidern werden wie unfreiwillige Fakire auf Nagelbrettern hereingekarrt. Dann wird eine bis zur Taille entkleidet, geteert und gefedert. Goya nimmt sie in die Arme und tanzt mit ihr, als wäre alles in Ordnung. Ergreifend wie ein Foto von "Reporter ohne Grenzen" - und die gute Gesellschaft überschüttet den vortrefflichen Maler für sein rührend arrangiertes Elendsentertainment eimerweise mit Geld. Die Münzen bleiben Goya auf der Haut kleben, und trotz aller wilden Tanzekstase wird er sie nicht mehr los.

Was Goya an Schrecken der Welt festgehalten hat, ist bei Kresnik nur noch als leere Fläche präsent. Gewaltige, matt schimmernde Metallplatten ersetzen die Abbildung des Grauens, das nach all den blutigen Jahrhunderten nicht mehr als "Du sollst dir kein Bild machen", sondern einzig als Blackout im kollektiven Gedächtnis auftaucht: "Du kannst dir gar kein Bild davon machen". Statt dessen überträgt Kresnik den nackten Wahnsinn auf die akustische Ebene.

Zur brachialen, stark rhythmisierten Musik von Serge Weber machen die Tänzer ein Höllenspektakel, traktieren mit Eßbesteck, Bohrmaschinen und Äxten das glatte Blech. Einmal wird der halbnackte Goya darunter gezwungen, bis er sich, zu Tode verstört, befreien kann. Dann hält er sich immer noch, in konvulsivischen Zuckungen über den Boden schlitternd, die Ohren zu. In einer späteren Variation dieser Folterszene ist Goya zwischen zwei parallel stehenden Metallplatten gefangen, auf denen die nach ihnen geschleuderten Pflastersteine solch infernalischen Lärm verursachen, daß er zusammenbricht.

Fortschreitende Taubheit schärfte dem historischen Goya den Blick, ließ ihn, zunehmend isoliert, die Wortfassaden seiner Umgebung durchschauen. Für einige der so entstandenen Werke, die "Caprichios" (1797/98) und "Die Schrecken des Krieges" (1808-1814), selbst für "Die nackte Maja" (1797), drohte ihm die Inquisition mit der Todesstrafe. 1824 emigrierte Goya nach Bordeaux, wo er vier Jahre später starb.

Anders als in früheren Choreographien, in denen Kresnik durchaus peinlich plakativ wurde, vermeidet er diesmal, vielleicht, weil man es hier unbedingt erwarten würde, spekulative Schockeffekte. Eindringlich und formgenau konzentriert er sich auf ein Grundthema: Angst vor Unterdrückung und Diktatur, die weiter als Spaniens Himmel reicht. Gedichte von Lorca und Pasolini, die einzelne Tänzer wie mühsam verdrängte Augenzeugenberichte ausstoßen, geben dieser Angst heutige Worte. Die letzte Szene heißt nur noch "Nada!" - greller Feuerzauber blendet, dann beschließt der donnernd aufsetzende eiserne Vorhang das garstige Geschehen. Lauter Mißklang, und trotzdem stimmt jeder Ton.

"Goya - Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer". Choreographisches Theater von Johann Kresnik. Musik: Serge Weber.

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin-Mitte. Wieder am 29. Januar und 7.,19.,26. Februar