Dem Volke dienen

Der Shanghaier Kreis kämpft für eine Kulturrevolution, die in Berlin beginnen soll

Das Flugblatt schließt: "Solidarität der Menschen und Völker für eine freie Welt". Nur wenige Zeilen zuvor wird "vielen Menschen" die Erfüllung ihrer "Sehnsüchte" versprochen - wenn eine Kulturrevolution ausgelöst werden könnte. Aber nicht irgendeine und auch nicht gestartet von irgendwem: Wer hier so tönt, ist nicht eine Splittergruppe der chinesischen KP, sondern nennt sich "Shanghaier Kreis" und will eine "sozialistisch-patriotische Bewegung" initiieren.

Auch Ort und Datum für den Beginn der Revolution stehen schon fest: Am 18. März soll in Berlin demonstriert werden. Anlaß: eine Aktion zur symbolischen Umbenennung des Platzes vor dem Brandenburger Tor in "Platz des 18. März 1848". Denn die "1848er Revolution" ist für die Shanghaier Vorbild einer "sozialistisch-patriotischen Bewegung". Ebenso wie Rudi Dutschke. Die Aktion vor dem Brandenburger Tor soll ein öffentlichkeitswirksamer Schulterschluß von ehemals linken und neurechten Gruppen werden.

Als Teilnehmer haben sich bislang die Unabhängigen Ökologen, der Bund freier Bürger und die Berliner Sektion der "Deutschlandbewegung" angekündigt. Auch mit Horst Mahler wird zu rechnen sein. Denn der bis dato recht unbekannte Shanghaier Kreis, ein Hamburger Diskussions- und Aktionszirkel, hatte bereits Ende Februar versucht, Mahler bei seinen medialen Inszenierungen zu unterstützen. Doch zu einer angekündigten Montags-Demo des Ex-SDSlers und seiner nationalen Sammlungsbewegung "Unser Land" in Hamburg ist es bis heute nicht gekommen.

Der Shanghaier Kreis stellt eine gemeinsame Plattform für Ex-Kommunisten, Republikaner und andere Rechte dar und trat erstmals 1995 als "maoistische Gruppe" in Erscheinung: als "ein Kreis, der aus der kommunistischen, anarchistischen, heidnischen Richtung kommt, gleichwohl dem Antifaschismus verschworen". Die Gruppe bezog sich auf Mao Tsetung, das "Volk" und die "Massen".

Dabei spielte von Beginn an auch der Versuch einer positiven Bezugnahme auf eine vermeintlich deutsche Identität eine Rolle. So heißt es in dem ersten Text des Kreises: "Auf die Kraft der Massen vertrauen! (...) Solidarisch mit den unterdrückten und armen Völkern! - Wenn Deutschland so wäre, würden die Völker uns achten, wie wir Maoisten die Völker lieben und achten".

In einem späteren Text wurde schon offener formuliert: "Wir bekennen uns zu den fortschrittlichen Traditionen unseres Volkes und verdammen nicht insgesamt das deutsche Volk und seine Geschichte." Ein Selbst-Interview mit dem Initiator der Gruppe, dem ehemaligen DKP-Mitglied Dieter Schütt, bringt die Position des Shanghaier Kreises auf den Punkt: "Wir haben prinzipiell zum Volk eine positive Meinung. Wenn wir Volk sagen, dann impliziert das auch Nation."

Wie gut der Shanghaier Kreis die Sprache des Volkes versteht und sich mit dessen Problemen auskennt, wird auch anhand einer Einschätzung von Heinz Bömecke, Mitinitiator der Gruppe und Vorsitzender des Kreisverbandes Hamburg Nord der Republikaner, deutlich. Den rassistischen Mord an einem algerischen Flüchtling in Guben mochte er nur als "pubertierende Jungsrangeleien um die Gunst der Mädchen" interpretieren.

Neben der Funktion als Diskussionskreis und der öffentlichen Anbiederei durch Flugblätter (z.B. auf PKK-Soli-Demonstrationen) hat der Shanghaier Kreis, dessen Briefkopf früher noch ein fünfzackiger Stern anstelle des heutigen Yin-und-Yang-Zeichens zierte, noch eine weitere Bestimmung. In einem Positionspapier hieß es, er habe sich konstituiert, "weil wir uns in einer Gruppe auch 'selbsttherapeutisch' verwirklichen können. In einer Gruppe sind wir aktiver und fühlen uns auch psychisch besser."

In der Tat scheinen bei einzelnen Mitgliedern der Gruppe therapeutische Maßnahmen angebracht zu sein. Dieter Schütt ist seit gut 30 Jahren in Hamburg politisch aktiv und gibt mehr oder weniger regelmäßig Flugblätter mit dem Namen Der Funke heraus. Bis 1982 trug dieses Periodikum noch den Untertitel "Zeitung der marxistisch-leninistischen Initiative". Danach lautete er "undogmatisch, kulturrevolutionär" oder, in der aktuellen Variante, "querdenkerisch, tabubrechend, freigeistig, intuitiv und vorausschauend, radikalökologisch, undogmatisch, kulturrevolutionär".

Ging es Anfang der siebziger Jahre im Funken um politische Zensur und bewaffneten Kampf, erfolgte danach ein Schwenk ins Esoterische. Seither gehören Fragen zu unsichtbarer Materie, verschiedenen Inkarnationsstufen und Urenergiefunken zum Repertoire. Seit neuestem hat der Funke auch das Thema "Linke und Nation" entdeckt. Und sich gleichzeitig auf die Suche nach einem vermeintlich spezifischen "deutschen Nationalcharakter" begeben: "Wir Deutschen, wir linken Deutschen im besonderen, haben aufzuholen, herauszufinden aus Schmach und Schande (...). Was ist das deutsche Volk? Ein aus der Romantik kommendes, sentimentales Volk. Ein Volk von Naivität und Dümmlichkeit, ein Volk von Unterwürfigkeit und Resignation."

Linke haben nach der vom Shanghaier Kreis angestrebten Kulturrevolution allerdings nichts zu befürchten. In einem Artikel über die Hamburger Hafenstraße kommt Allroundaktivist Schütt zu dem Schluß, daß die BewohnerInnen der Hafenstraße "von edelstem Blut" seien.