Die alte Masche ist passé

In der vom Siemens Kulturforum gesponserten Ausstellung "Dream City" fehlt ein Beitrag. Über ein Projekt zum Thema Zwangsarbeit konnten sich Konzern und Künstler nicht einigen

"'Dream City' zeigt gesellschaftsbezogene zeitgenössische Kunst von über 30 internationalen KünstlerInnen im Innen- und Außenraum Münchens. Zu diesem Kunstprojekt haben sich das Museum Villa Stuck, der Kunstverein München und der Kunstraum München in Zusammenarbeit mit dem Siemens-Kulturprogramm und auf dessen Initiative zusammengeschlossen. (...) Die Auseinandersetzung mit sozialen Prozessen ist ein Schwerpunkt aktueller künstlerischer Produktion. Dabei werden der Umgang mit klassischen Kulturgütern und der nationalsozialistischen Vergangenheit, die Volks- und Festkultur Münchens genauso zu konkreten Ansatzpunkten wie AIDS, Migration oder die ökologischen Folgen der Überflußgesellschaft."
Faltblatt zur Ausstellung "Dream City"

"Dream City" solle künstlerische "gesellschaftskritische Positionen erstmalig in dieser Dichte in München sichtbar machen", so Dirk Luckow, "Dream City"-Kurator für das Siemens Kulturforum, das 50 Prozent der Kosten übernahm, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Die Liste der ausgestellten Künstlerinnen und Künstler bestätigt dies: Neben Joseph Beuys, Vito Acconci und Olaf Metzger sind u.a. auch Tim Rollins, Stefan Römer und Michaela Melian beteiligt.

"Die freie Gestaltung durch den Künstler ist oberstes Gebot", sagte der Kulturprogramm-Leiter Michael Roßnagel im Rheinischen Merkur vom 7. August 1998, aber: "Die alte Masche - die Firma hat zu zahlen, die Kunst hat das Kritik- und Moralrecht - ist passé", ergänzte er am 25. November 1998 in derselben Zeitung.

Mit dieser Auffassung des Siemens-Kulturprogramms konnten zwei an der Ausstellung beteiligte Künstler allerdings wenig anfangen: Wenn am 24. März "Dream City" in München eröffnet wird, fehlt ein Beitrag, der im Faltblatt zur Ausstellung als Auseinandersetzung "mit der nationalsozialistischen Vergangenheit" angekündigt wird. Sechs Wochen vor der Eröfffnung zogen Annette Weisser und Ingo Vetter ihren Beitrag zurück.

Die beiden in Berlin lebenden Künstler thematisieren seit mehreren Jahren den Komplex "Arbeit und Unternehmenspolitik". Ihr Beitrag zu "Dream City" beschäftigt sich anhand einiger Artefakte aus einem erhaltenen Vorstandszimmer aus den zwanziger Jahren, das Weisser und Vetter in der ehemaligen Konzernzentrale in der Berliner Siemensstadt vorfanden, mit der Geschichte des "Hauses Siemens". "Dieses Zimmer", beschreiben die beiden ihr Vorhaben in einem Brief an die Beteiligten des Gemeinschaftsprojekts, "sollte die Grundlage unseres Ausstellungsbeitrags sein, um anhand des (symbolischen) Nachvollzugs der Übersiedlung der Konzernleitung von Berlin nach München im Februar 1945 die nach wie vor unbefriedigende öffentliche Diskussion über die Verflechtungen der deutschen Wirtschaft mit dem nationalsozialistischen Regime in die Ausstellung hineinzutragen. Dieser Umzug markierte zudem einen Wendepunkt in der Unternehmenspolitik, woran sich unsere Ausgangsfrage nach dem Wandel des Verständnisses von Arbeit hätte festmachen lassen."

Das Siemens Kulturforum war über das Projekt informiert und hatte zunächst Interesse signalisiert, aber nach mehrmonatigen Verhandlungen relativierte man die Zusage, das Arbeitszimmer zur Verfügung stellen zu wollen. Als schließlich der Katalogbeitrag von Weisser und Vetter vorlag, stellte sich heraus, daß Siemens ihn nicht unwidersprochen hinnehmen würde.

Anlaß der Auseinandersetzung war eine Formulierung, die als Schriftzug in eines der Bilder des Arbeitszimmers eingearbeitet ist: "1943 bestand über 30 Prozent der Belegschaft aus FremdarbeiterInnen, Kriegsgefangenen, jüdischen ZwangsarbeiterInnen und KZ-Häftlingen, schätzungsweise 50 000 Personen. Legt man eine durchschnittliche Dauer von zwei Jahren Zwangsarbeit bei 40 Wochenstunden zugrunde, errechnet sich aus der Entschädigungssumme von DM 20 Millionen ein Stundenlohn von zehn Pfennigen. Finanzielle Entschädigungen als Lohnausgleich zu deklarieren, ist insofern jedoch unzulässig, als daß Zwangsarbeit seit den Nürnberger Prozessen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wird.

Daß die Siemens AG nach über 50 Jahren Bereitschaft zeigt, auf die Entschädigungsforderungen überlebender ZwangsarbeiterInnen einzugehen, hängt nicht zuletzt mit dem für das Jahr 2001 geplanten Börsengang in den USA zusammen. Eine negative Imagekampagne durch Verbände wie z.B. der Jewish Claims Conference würde den Erfolg dieses Vorhabens erheblich beeinträchtigen."

Auf Initiative von Kurator Luckow kam es am 5. Februar 1999 zu einem Gespräch zwischen Weisser, Vetter und Eberhard Posner, Vorstandssprecher der Siemens AG, verantwortlich für "Unternehmenskommunikation", der PR-Abteilung, die auch für "humanitäre Hilfe" (Posner) an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zuständig ist.

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Eberhard Posner: Ich bin hier nicht der Mensch, der die Zensur ausübt. Ich würde Ihnen gerne die Gelegenheit geben, die Fakten zu verstehen, damit Sie sich selber ein Bild machen können, wie die Zusammenhänge sind. Faktisch sind da ein, zwei Fehler drin, das werden Sie erkennen, wenn wir grundsätzlicher über diese Zeit reden.

Annette Weisser: Welche Punkte sind das Ihrer Meinung nach?

Posner: Erstens ist es nicht das erste Mal, daß wir einen Hilfsfonds einrichten. Wir haben bereits in den sechziger Jahren einen Vertrag mit der Jewish Claims Conference unterschrieben und denen damals auch Geld gegeben. Es geht auch gar nicht um Entschädigungen, allein das Wort ist ganz falsch. Sie müssen zwei Dinge unterscheiden: Das eine ist Entschädigung, und das andere ist Hilfe. Entschädigung ist ein rechtlicher Begriff. Nach allgemeinem Völkerrecht wurden nach dem Zweiten Weltkrieg der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches diese Entschädigungen als Verpflichtung übergeben. Die Bundesregierung hat bereits alleine ungefähr 104 Milliarden Mark Entschädigung gezahlt, auch an ehemalige Zwangsarbeiter.

Das sind meistens Renten. Nach dem Bundesentschädigungsgesetz kriegt jeder, der eingruppiert ist als Geschädigter durch das Regime, eine Rente. Das wird nicht mit ausgefallenen Sozialabgaben verrechnet, sondern das ist eine generelle Entschädigungsrente. Das sind wie gesagt bereits über 100 Milliarden, und wenn man das mit einrechnet, was die nächsten Jahre ansteht, kommt man locker auf einen Betrag von 130 Milliarden, der unter anderem auch dem Kreis der ehemaligen Zwangsarbeiter zufließt. Das Problem ist, daß die ganzen Wiedergutmachungszahlungen an die Länder im Osten vor der Öffnung Anfang der neunziger Jahre an die dortigen Regierungen ging, und die haben das nicht weitergegeben.

Das ist der Hintergrund, weswegen wir jetzt zusätzlich zu den Zahlungen in den sechziger Jahren wieder einen Hilfsfonds eingerichtet haben, als humanitäre Hilfe, unabhängig von der Frage, ob die vom Staat Geld kriegen oder nicht. Deshalb muß man diese beiden Themen sauber trennen: Entschädigung und Hilfe. Die humanitäre Hilfe können Sie nicht auf Arbeitszeiten umrechnen, die hat damit nichts zu tun. Diese Summe wird pauschal festgelegt, egal, ob jemand zwei Jahre, zwei Monate oder zwei Tage Zwangsarbeiter war.

Ingo Vetter: Das Bundesentschädigungsgesetz anerkennt Zwangsarbeit nicht als Entschädigungsgrund, sondern nur im Zusammenhang mit KZ-Inhaftierung.

Posner: Ich habe mir das im einzelnen nicht durchgelesen

Vetter: Nach dem Gesetz ist Zwangsarbeit nicht strafbar, obwohl Zwangsarbeit bei den Nürnberger Prozessen als Verbrechen gegen die Menschheit eingestuft wurde. Die Forderungen sind deshalb immer die nach Entschädigung.

Posner: Ich möchte noch mal klarstellen, daß das, was Siemens oder VW jetzt macht, kein Ersatz für Entschädigung ist. Wenn wir Entschädigungen zahlen würden, rein hypothetisch, müßten wir so vorgehen, wie Sie hier vorgehen: Wer hat wann wo wie lange gearbeitet, und was steht ihm dann möglicherweise noch zu. Das ist nicht unser Ansatz.

Weisser: Aber unserer. Uns geht es genau darum, die Forderung der Opferverbände nach Entschädigungszahlungen in unserem Katalogbeitrag zu unterstützen.

(...)

Weisser: Wir sind der Meinung, und natürlich nicht nur wir, daß Siemens so wie alle anderen Konzerne eine individuelle Verantwortung trägt, die nicht auf die Zeitumstände oder das System zurückzuführen ist.

Posner: Den ganzen Satz mache ich mit bis zu "konzernindividuell". Wir sind auf zwei Ebenen beteiligt, als Bürger der BRD und als Unternehmen. Die Bürger der BRD helfen der Bundesregierung über ihre Steuerzahlungen, ihrer Pflicht nachzukommen, die sie noch nicht vollständig geleistet hat. Die andere Ebene ist: Was können wir darüber hinaus noch tun, um zu helfen?

Vetter: Noch mal: Was wir behaupten, ist doch nur, daß es eine Verantwortung der einzelnen Unternehmen gibt, die nicht auf den Staat übertragen werden kann.

Posner: Und an der Stelle unterscheiden wir uns eben. Ich habe nichts dagegen, daß Sie das so sehen, aber dann müssen Sie auch konsequenterweise sagen: Die deutsche Industrie, also auch Siemens, hat die Nazis an die Macht gebracht und hat deshalb alles, was dann kam, zu verantworten. Wenn Sie das sagen, ist Ihre Argumentation in meinen Augen wenigstens schlüssig.

Weisser: Wenn wir das behauptet hätten, säßen wir wahrscheinlich jetzt nicht hier.

Posner: Dann müssen Sie aber bitte schön ihre Meinung noch mal überprüfen. Wenn Sie akzeptieren würden, daß es die Schuld aller Deutschen war, daß es zu diesem Regime kam und dem ganzen Scheiß, der daraus folgte, dann müssen Sie akzeptieren, daß auch heute alle Deutschen dafür geradestehen müssen.

Vetter: Aber die Verantwortung der Industrie ist damit doch nicht ausgeklammert. Sie formulieren ja dann die Industrie als ein Neutrum!

Weisser: Was die Betroffenen über die Forderung nach Entschädigung einklagen, ist doch ein - wenn man es so nennen will - Schuldeingeständnis der deutschen Unternehmen, und das bleibt nach wie vor aus.

Posner: Wir haben uns bekannt - schriftlich und mündlich - zu unserer moralischen Schuld und als Teil der BRD die Bundesregierung dazu aufgefordert, die Lücken bei den Entschädigungszahlungen zu schließen.

Vetter: Unser Interesse war, die Forderung der Opferverbände auf Entschädigung in diese Ausstellung "Dream City" hineinzutragen, als Forderung an die Konzerne, in diesem Fall den Konzern Siemens, der diese Ausstellung sponsert.

Posner: Dagegen habe ich doch nichts. Tun Sie es aber bitte auf eine Weise, die korrekt ist. Schreiben Sie meinetwegen, daß die Forderungen an die Konzerne bestehen, daß die Unternehmen aber sagen: Dafür sind wir nicht die richtigen Adressaten, das ist der Staat. Und die Unternehmen sind Teil des Staates.

(...)

Vetter: Es geht darum zu sagen: Ja, wir haben an der Zwangsarbeit verdient.

Posner: Und wir sagen: Wir haben daran nicht extra verdient, sondern diesen Konzern würde es heute gar nicht mehr geben, wenn wir damals gesagt hätten: No. Wir sagen: Die Bundesregierung soll doch bitte endlich diesen Entschädigungsforderungen nachkommen, und dafür braucht die Bundesregierung Geld, und das kriegt sie aus dem allgemeinen Steueraufkommen, und wenn das nicht reicht, müssen sie ihre Steuerpolitik ändern.

Vetter: Aber hier geht es doch um das Unrecht, das ganz konkret bei Siemens passiert ist.

Posner: Als Teil der deutschen Kriegswirtschaft! Wenn Siemens Nein gesagt hätte, würde es den Laden heute nicht mehr geben.

Weisser: Angenommen, wir formulieren nichts um, was wäre dann der nächste Schritt?

Posner: Das ist nicht mein Thema. In dieser Frage bin ich nicht Ihr Gesprächspartner. Wenn dieser Katalog veröffentlicht würde und auch das Kunstwerk, was Sie da machen, müßten wir möglicherweise sagen, daß wir die Sache anders sehen.

Weisser: Und das wäre zum Beispiel eine Gegendarstellung im Katalog?

Posner: Wieso? Wir würden leider darauf hinweisen müssen, daß Sie hier die Fakten verdrehen.

Weisser: Aber an welcher Stelle würden Sie darauf hinweisen?

Posner: Das ist nicht mein Thema. Ich bin nicht das Siemens-Kulturprogramm. Wenn Sie bei dieser Version des Textes bleiben, wird das Siemens-Kulturprogramm aus meiner Sicht überlegen, wie es damit umgeht.

*

Nachdem Weisser und Vetter zunächst in Betracht gezogen hatten, den Katalogbeitrag zu überarbeiten, waren schließlich die zähen Verhandlungen um das Zimmer und die Äußerungen Roßnagels ausschlaggebend dafür, sich aus dem Projekt zurückzuziehen.

"Vielleicht ist es auch dem Siemens- Kulturprogramm zu verdanken, daß sich das Unternehmen umstrukturiert, es moderner wird und es auch mehr Patente anmeldet als noch vor einigen Jahren", sagte Roßnagel im Rheinischen Merkur. "Wir wollen", begründeten die Künstler ihre Absage in einem Brief an die an der Ausstellung Beteiligten, "mit unserer Arbeit nicht dazu beitragen, die Modernisierungsmaßnahmen eines Atom- und Rüstungskonzerns zu optimieren." Andere Künstlerinnen und Künstler zogen sich zwar ebenfalls zurück, begründeten ihren Schritt jedoch nicht.

Für Weisser und Vetter bestand das Problem vor allem darin, daß sie zum einen nicht nachvollziehen wollten, warum sich ihre Haltung zur Entschädigungsdebatte mit der des Sponsors decken muß - auch juristisch eine fragwürdige Position von Siemens - und zum anderen, weil sie nicht auf die Strategie der künstlerischen Provokation setzen wollten. Deshalb verzichteten sie auf das "Angebot", ihren Beitrag durch eine Gegendarstellung von Siemens im Katalog zu kontern.

So bilanzieren sie in einer Erklärung: "In einer im Januar vom Siemens-Kulturprogramm herausgegebenen Presseerklärung wird die Frage gestellt: 'Welcher Platz innerhalb der Gesellschaft wird einer Kunst zugewiesen, die ihre Position gerade in der Aufklärung dieser Gesellschaft und dem Engagement für sie sieht?' Ohne die Möglichkeit einer relevanten künstlerischen Aussage für andere damit ausschließen zu wollen, kann aufgrund unserer Erfahrungen dieser Platz im Moment nur außerhalb der Machtkonstellation eines solches Sponsoringverhältnisses stehen."

Roßnagel formulierte die Gegenposition so: "Die Bereiche sind nicht mehr isoliert - hier die Ökonomie, dort die Kunst. Es geht um eine neue Art von gemeinschaftlichem Kulturverständnis." Mithin geht es hier auch um eine alte Art gemeinschaftlichen Kulturverständnisses: der gesellschaftlichen Verdrängung der nationalsozialistischen Verbrechen, die auch ein künstlerisches Schweigen über Täter und Tatbeteiligung implizieren. Wer da nicht mitmacht, kann es ja bleiben lassen.

Das teilweise gekürzte Gespräch wurde mit Einverständnis von Eberhard Posner aufgezeichnet.