Krach im Hinterhof

Weiter wie bisher?

Die Initiatoren des Krieges gegen Jugoslawien sitzen in Bonn, nicht in Washington.

Der Krieg gegen Jugoslawien eskaliert. Unter dem Vorwand der "Flüchtlingshilfe" werden Bodeneinsätze vorbereitet. Immer konkreter zeichnet sich die Gefahr eines langandauernden und die Provinzgrenzen des Kosovo weit überschreitenden Eroberungskrieges ab. Dieser worst case wird die 1989 geschaffene Konstellation der Weltpolitik über den Haufen werfen. Mehr noch als der Fall der Mauer ist er eine Zäsur, die auch der antinationalen Linken ein "weiter wie bisher" nicht erlaubt, sondern sie mit neuen analytischen und politischen Herausforderungen konfrontiert.

Warum wird Jugoslawien kaputtgebombt? Die deutsche Interessenlage ist noch am leichtesten zu beantworten: Dieser Krieg ist die Fortsetzung der deutschen Jugoslawien-Politik mit anderen Mitteln, und diese ist stets einem Sonderweg gefolgt. Während die anderen Nato-Mächte über Jahre hinweg die territoriale Integrität eines multiethnischen Jugoslawien zu verteidigen und den auf die Region ausstrahlenden Konflikt zwischen Serben und Kosovo-Albanern zu dämpfen suchten, indem sie nicht nur Druck auf Belgrad, sondern auch auf die UCK ausübten, setzte die deutsche Bundesregierung entlang ihrer völkisch ausgerichteten Destabilisierungspolitik von Anfang an auf Eskalation. Die Verhandlungspolitik "des Westens" wurde unterminiert und bekämpft, und als eine "Fehleinschätzung der Situation, die auf europäischen Vorstellungen von zivilem Dialog und Konsens-Kultur gründet", kritisiert - etwa von der FAZ am 11. März 1998.

Aus diesem Grund lehnte im Mai 1998 Bonn die Unterbindung des Waffentransfers von Albanien zur UCK ab, da eine derartige Maßnahme darauf hinauslaufe, "das serbische Unterdrückersystem gegen die Kosovo-Albaner zu unterstützen" (FAZ, 28. Mai 1998). Als erste und damals einzige Macht forderte Deutschland (genauer: Volker Rühe und Joseph Fischer; Außenminister Kinkel hatte sich distanziert) im Juni 1998 den Nato-Militärschlag gegen Milosevic. "Rühes forsches Verlangen sorgte für erhebliche außenpolitische Verwirrung", berichtete der Spiegel: "Ausgerechnet die Deutschen preschen in dieser heiklen Frage vor, monierten mehrere Amtskollegen Kinkels in der Außenministerrunde beim EU-Gipfel in Cardiff." (Nr. 26/98). In der FAZ wurde am 26. September 1998 dieses Vorpreschen hingegen ausdrücklich gelobt. Die Bundesregierung habe "für ein beherztes Eingreifen plädiert, als Washington seinen Balkan-Radar abgeschaltet hatte". Damit habe Deutschland "Bündnisfähigkeit und, dagegen ist nichts einzuwenden, seinen Führungswillen bewiesen."

Für die Umsetzung dieses Führungswillens erwies es sich als vorteilhaft, daß dem mit Abstand wichtigsten Posten im Nato-Apparat, dem Nato-Militärausschuß, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, vorsaß. Eben dieses Gremium wurde im Juni 1998 mit der Ausarbeitung von Einsatzmöglichkeiten beauftragt, die die Gewaltanwendung beider Konfliktparteien beenden sollten. "Allzu wörtlich haben die Planer ihren Auftrag aber offenbar nicht genommen", analysierte später der Leiter des Hamburger Instituts für Friedensforschung, Reinhard Mutz: "Denn die Einsätze, die sie vorschlagen, (Ö) wären einseitig gegen einen der beiden Kontrahenten gerichtet. (Ö) Die Kontrolle der albanischen Grenze fehlt bezeichnenderweise im Katalog der Nato-Optionen. Minister Rühe hatte sie schon im Vorfeld für politisch unerwünscht erklärt." (Streitkräfte und Strategien, 8. August 1998)

Die Naumann-Vorschläge liefen entweder auf die Stationierung von 53 000 Nato-Soldaten zur "Friedenssicherung" im Kosovo oder auf den Einsatz von 200 000 Nato-Soldaten im Bodenkrieg hinaus. Während General Naumann offen für den Bodenkrieg Partei ergriff, wurde der Einsatz dieser Truppen von anderen Nato-Staaten hinter verschlossenen Türen in Frage gestellt: "Hinter den martialischen Kulissen jedenfalls wühlt ein international besetzter Chor schon wieder nach den Noten für das Hohelied auf Gewaltverzicht und friedliche Einigung", mokierte sich Constanze Stelzenmüller in der Zeit (8. Oktober 1998).

Im Gegensatz zur deutschen Position standen in der Tat Frankreich und Großbritannien der Bombardierung Belgrads selbst noch drei Wochen vor Kriegsbeginn höchst skeptisch gegenüber. Dies geht aus einem Kommentar von Josef Fitchett hervor, der es als "unwahrscheinlich" bezeichnete, "daß die Nato von den europäischen Regierungen eine Zustimmung für Luftschläge erhalten" werde. Offiziell hätten sich zwar "London und sogar auch Paris" hinter die Kriegsoption gestellt. Sie hätten damit aber lediglich "einen öffentlichen Streit mit Washington über ein theoretisches Problem vermeiden wollen, dessen Umsetzung in die Praxis sie ohnehin nicht erwarteten" (International Herald Tribune, 5. März 1999).

Unausgesprochen oder ausgesprochen lief die deutsche Orientierung darauf hinaus, den Willen der Serben mit Gewalt zu brechen, um entweder die Unabhängigkeit des Kosovo oder aber die Errichtung eines Protektorats der Westmächte im Kosovo durchzusetzen. Von dieser Warte aus betrachtet kann der bisherige Verlauf des Nato-Krieges nicht als ein Debakel, sondern nur als ein Erfolg bewertet werden.

Warum aber haben sich die historischen Gegenspieler der deutschen Ambition, Frankreich, Großbritannien und die USA, der von Naumann gezeichneten Linie seit Januar 1999 schrittweise angeschlossen? Und warum haben sich die USA an die Spitze eines Prozesses gestellt, der unausweichlich den Bodenkrieg und die unumkehrbare Abspaltung des Kosovo zur Folge haben wird?

In diesem Krieg geht es nicht allein um die Frage der Sezession. Die Schlachtfelder des Kosovo sind zugleich das Kampffeld für die Austragung von innerimperialistischen Konflikten. Der Kampf um die Neuverteilung von Einfluß und Macht tritt mit dem Krieg gegen Jugoslawien in eine neue Runde ein. Übergreifend geht es der Nato und insbesondere den USA darum, die russische Position in Ost- und Südosteuropa weiter zurückzudrängen und die eigene Machtstellung in der gesamten Region zu erhöhen. Nato-Ost-Erweiterung und Kosovo-Krieg sind insofern miteinander verknüpft.

Gleichzeitig spitzen sich hinter den Kulissen der Nato die Widersprüche zwischen den Großmächten zu. Dies beleuchtet beispielhaft ein Kommentar der IHT vom 23. Februar 1999: "Der bekannte Spruch aus den Vierzigern besagt, daß der Zweck der Nato darin bestand, die Amerikaner drinnen, die Russen draußen und die Deutschen unten zu halten. Es liegt in der Natur der heutigen Verhältnisse, daß der letzte Zweck weiterlebt, sofern man 'Deutschland' mit 'Europäische Union' übersetzt. Angesichts der Tatsache, daß die EU auf dem Sektor der Ökonomie und des Handels immer härter und wettbewerbsbetonter auftritt", heißt es weiter, "liefert die andauernde Vorherrschaft der USA auf dem Feld der europäischen Sicherheit ein nützliches Gegengewicht. (Ö) Die derzeitigen Unstimmigkeiten über die neue Auftragsdefinition der Nato sind der unausgesprochene und erstaunlich diskret behandelte Ausdruck dieser neuen Konkurrenzbeziehung zwischen Westeuropa und den USA."

Wollten die USA mit der Übernahme der Führung im Kosovo-Krieg und der Kontrolle seiner von Deutschland ausgelösten Dynamik die Europäische Union bzw. deren deutsche Vormacht "unten halten"? Hatten die USA im Vorfeld der Bombardierung das Risiko des Angriffs auf Jugoslawien geringer bewertet als das Risiko einer Glaubwürdigkeitskrise der Nato, die zu deren Auseinanderfallens führen könnte?

Wie dem auch sei: Aus der Sicht der USA, deren Interesse an einer Erhaltung der jugoslawischen Integrität schemenhaft zumindest auch in der Phase der Rambouillet-Verhandlungen noch zu erkennen war, kann der bisherige Verlauf des Nato-Krieges nicht als ein Erfolg, sondern nur als ein Debakel bewertet werden. Ironischerweise könnte es gerade die Aktivierung der Nato für diesen Krieg sein, die der von Deutschland nicht nur geliebten Allianz den Garaus macht.

Während die USA auf den ersten Blick bei den Angriffen auf Jugoslawien der Hauptkriegstreiber zu sein scheint, macht die genauere Analyse deutlich, daß die Initiatoren der derzeitigen Zerschlagung Jugoslawiens nicht in Washington, sondern in Bonn oder Berlin zu finden sind. Während die USA ihre nationalen Interessen ebenso nüchtern wie brutal und insofern berechenbar formulieren, wird die deutsche Kriegs- und Interessenpolitik von ideologischen Prämissen getrieben, die sie weitaus unberechenbarer macht. Hier zu zählt die völkische, den multiethnischen Staat a priori ablehnende Ideologie sowie die wahnhafte Projektion von "KZ"- und "Auschwitz"-Phantasien auf den serbischen Widersacher. Diese wirkungsmächtigen Differenzen zu betonen, hat mit einer Parteinahme für die Politik der USA als angeblich kleinerem Übel nichts zu tun. Diese verbietet sich in diesem Krieg von selbst.

Ebenso verkehrt ist allerdings die Parteinahme für jene "deutschen Kriegsgegner", die Deutschland als opportunistischen Mitläufer oder gar Opfer des Kosovo-Krieges stilisieren, um ihren Nationalismus erneut antiamerikanisch ausagieren zu können. Zwischen der Losung "Hauptfeind USA!" und der Carl Schmitt-Parole vom "Interventionsverbot für raumfremde Mächte" liegt in diesem Land nur ein Schritt.