Rosa für Jungs Hellblau für Mädchen

Die Sexualisierung des Mädchens als Frau

Schon vor Jahren malträtierte die britische Vogue das weibliche Vogue das weibliche Erwachsenenauge mit Models, die mit ihren noch halbleeren Kinderaugen aus Haute-Couture-Roben starrten. Unter dem Label "Natural Beauties" (Vogue, Nr. 1 / 99) sind Lolitas fortan Kult. Karl Lagerfeld zog aus diesem Reservoir seine neue "Chanel-Muse". War schon Stella Tennant Vorbild für den totalen Reduktionismus weiblicher Formen, so steigert Devon Aoki nun die Tendenz zur Entfraulichung. Sie sieht aus wie ein Grundschulmädchen.

Ellen von Unwerth inszeniert sie und ihresgleichen für Wella Italia mit dem Kommentar: "Wir appellieren an eine neue Weiblichkeit Ñ provokant, verführerisch, cool. Etwas davon steckt in jeder Frau." (Vogue, Nr. 1/ 99) Nur sind auf ihren Fotos keine Frauen zu sehen, sondern junge Mädchen, die teilweise zu weiblichen Kindern geschminkt sind.

Daß Hochglanz-Modemagazine ihr Geld darüber einholen, erwachsene Weiblichkeit unsichtbar zu machen, hat bislang noch nicht zu ihrem Ruin geführt. Diese Verantwortung tragen Frauen selbst. Was aber bedeuten diese Bilder vermädlichter Weiblichkeit für das Bild des femininen Kindes, und welches Bild vom Mädchen wird durch sie hergestellt?

Ich werde eine sprachliche Unterscheidung zwischen dem femininen Kind oder Mädchen und dem weiblichen Kind treffen, um deutlich zu machen, wo über Bilder des Weiblichen dem femininen Kind Bilder von der erwachsenen Frau auferlegt werden. Ebenso werde ich "erwachsen" adjektivisch benutzen, wo mir eine Unterscheidung zwischen einer kindlichen und einer erwachsenen Lebenswelt oder Phantasie notwendig erscheint.

Liest man Michel Foucaults "Sexualität und Wahrheit", so entsteht der Eindruck, daß Kindheit als soziologisches Phänomen westlicher Zivilisationen überhaupt erst bedeutend wurde, als es um die Kontrolle kindlicher Sexualität, allen voran der Masturbation und Onanie, ging. Es scheint, als sei Kindheit überhaupt erst im Diskurs über Sexualität und ihre Überwachung geschaffen worden und damit auch die erwachsenen Phantasien über eine kindliche Sexualität und die Faszination Erwachsener an dieser.

Die im 18. Jahrhundert einsetzende Rede über die kindliche Sexualität hat heute dazu geführt, daß vor allem feminine Kinder eine Sexualität zugesprochen bekommen, die sich benutzen und vermarkten läßt. Dafür notwendig ist, so zu tun, als wären sie schon im vollen Besitz dieses Gutes, als hätten sie schon die Fähigkeit erworben, Sexualität bewußt als Teil ihrer Identität zu erleben. Diese Auffassung markiert die Umdefinition eines femininen Kindes zu einem weiblichen Kind.

Wie zum Gegenbeweis zeigt gerade ein Beispiel mit einem Jungen, wohin eine solche Annahme führen kann. "The Little Helper", von Terry Richardson in Szene gesetzt, kolportiert nicht nur die Angst des erwachsenen Mannes vor der sexuell potenten Frau, sondern auch das kolonialistische Herrschaftsverhältnis, nicht etwa zwischen der abgebildeten Frau und dem sexualisierten Knaben, sondern zwischen diesen beiden Objekten der Faszination und dem fotografierenden Manne. "A man in uniform should not forget his privileged position. Nor should he ever seek to gain advantage from this." (The Face, Nr. 18 / 1998)

Auch hier wird mittels des Bildes eines Kindes, in diesem Falle eines Jungen, die Rede über einen Erwachsenen, hier einen Mann, geführt. Es gibt aber auf diesen Fotos keinen Mann. Er steht hinter der Kamera. Die kindliche Sexualität steht nicht mehr unter der Obhut des Erwachsenen, Kontrolle meint nicht mehr Verbot, sondern kontrollierenden Einsatz zur Visualisierung einer männlichen, erwachsenen sexuellen Phantasie. Und die Sexualität der weiblichen Erwachsenen wird in der Umwendung männlicher Ängste verkindlicht.

In fataler Folgerichtigkeit lassen sich dann auch feminine Kinder und Mädchen erwachsener Weiblichkeit ähnlich machen. Comic-Serien wie die aus Japan stammende "Sailor Moon" von Naoko Takeuchi arbeiten mit dieser Diminution weiblicher Identitäten. Im Alltag decken Bunny Sukino und ihre Schulfreundinnen eine ganze Bandbreite divergenter Mädchen-Identitäten ab. Verwandeln sie sich jedoch im fliegenden Kleiderwechsel zu den Kriegerinnen zur Rettung der Erde, erhält ihre äußere Gestalt eine Typisierung und Normierung, die es so vergleichsweise nur auf dem Straßenstrich (z.B. der Berliner Oranienburger Straße) gibt.

Und nur in dieser Gestalt können sie von sich als von "Frauen" sprechen, und nur mit Blick auf diese zweite und eigentliche Gestalt läßt sich erklären, warum die heute angemessene sprachliche Genauigkeit hinsichtlich der Geschlechterkonstruktionen im Fanzine über Bord geworfen wird, und "jeder eine Sailorkriegerin finden (kann), mit der er sich identifizieren kann".

Mädchenwelten werden auf ein männliches Gegenüber hin konzipiert und als Welt, in der die geschlechtliche und sexuelle Identität von Mädchen nicht entstehen und sich bilden kann, sondern von einem reduzierten und normierten Bild des Weiblichen von vornherein determiniert wird.

Die Ausstellung thematisiert die Herstellung und Benutzung weiblicher kindlicher Sexualität verschiedentlich, und die Beispiele, die ich herausgreife, lese ich unter dem Stichwort "Sexualisierung des Mädchens als Frau". Welche Formen der Sexualisierung wo konkret zu sehen sind, werde ich im einzelnen zu zeigen versuchen, generell aber scheinen mir diese Arbeiten Effekte jener identitätspolitischen Debatten zu sein, die über den Körper, d.i. über das Geschlecht und die Sexualität, geführt werden.

Entgegen der theoretischen Debatte, welche den Umgang mit erwachsenen weiblichen Identitäten zum Thema hat, werden in den künstlerischen Arbeiten aber weibliche Kinder in Ausübung von Identitäts-Praktiken erwachsener Weiblicher gezeigt. Die dabei zu beobachtende latente Gewalttätigkeit dieser Arbeiten resultiert aus der Kollision zwischen einem Bild des Mädlichen und dem diesem, vermittels eines Bildes des Weiblichen, auferlegten Wissen vom Sexuellen jenseits der Erfahrung.

Zbigniew Liberas "You Can Shave Your Baby" läßt sich ins Verhältnis setzen zu jener Mädchenkultur, die über das Spiel mit der Babypuppe bis hin zur Barbie-Puppe feminine Kinder zu Müttern und Ehefrauen sozialisieren soll. Die verblödende Reduktion dieser weiblichen Spielwelten auf Wickeln, Aus- und Anziehn und das Kämmen wird in eine sexuelle Obsession gewendet und kann so gewendet werden, weil die Spielwelt des Mädchens auf unterschiedliche Weise den sexuell konnotierten Körper zum Gegenstand hat, ihren eigenen oder den der Spiel-"Gefährtin". Eingeübt wird nicht der Umgang mit den kontingenten Angeboten dazu, was "Frau" und "Weiblichkeit" sein könnte, eingeübt wird der Umgang mit Sex.

Mike Kelley und Sue Williams brutalisieren die Effekte dieser Sozialisation in ihren Fotografien nach einem Konzept von Aura Rosenberg. Wenngleich Jungen und Mädchen es gleichermaßen mögen, sich zu verkleiden und zu schminken, eignet sich das kindliche Spiel der Mädchen mit einer zukünftigen, erwachsenen weiblichen Geschlechtsidentität offenbar dazu, Zusätzliches mitzubenennen.

Wenn Kelley "Carmen" zur kindlichen Hure ˆ la "Letzte Ausfahrt Brooklyn" zurichtet, dann tritt er in dem dualen Verhältnis Fotograf-Mädchen in die Position des Bedrohers und des Bedrohlichen. Aus dem Verkleidungsspiel heraus wird die zusätzliche Information über den Verlust jungfräulicher Unschuld entwickelt. Die Gewalttätigkeit der Inszenierung läßt zudem den Blick des Männlichen auf das Weibliche als immer auch gewalttätig erscheinen, dem gegenüber sich das Weibliche mit Beginn seiner Entstehung nur als Opfer beugend positionieren kann.

Williams hingegen begibt sich in die Position der Beobachterin und Kommentatorin dessen, was passiert, wenn ein übergroßes Etwas in eigentlich zu schützende feminine Lebensräume einbricht. Daß das Mädchen ausgerechnet bei Barbie-Puppen, diesen asexuellen Sexbomben, Halt sucht, überhöht die bedrohte Unschuld, da das Spiel des Mädchens gezeigt wird als eines, das auf diese Situation schon vorbereiten soll. Mädchen haben schon per Spielzeug den Raum femininer Kindheit verloren, und diese Dimension ihrer Sozialisation wird von Williams, anders als bei Libera, nicht in die sexuelle Fantasie eines Erwachsenen überführt, sondern als reale Bedrohung für das als weiblich verfertigte Kind gezeigt.

Inez van Lamsweerde bringt auf den Punkt, was gemeint ist mit "dem Mißtrauen gegenüber jeder Identitätsfestlegung, die sich der Herausforderung nicht stellt, in dem, was sie sagt, auch das, was sie verschweigt, zu reflektieren" (Sabine Hark). "Kirsten" ist ein Konglomerat artifizieller, phantasmatischer Bilder des Weiblichen. Die im Computer nachbearbeiteten Glanzlichter auf der Unterlippe dieser weiblichen Oberfläche aus Plastikpuppe und Totenmaske lassen keinen Zweifel darüber, daß es hier um ein Geschöpf gehen soll und nicht um ein Porträt. Dieses Gesicht ist ein Produkt der Medien, das wird durch die Ähnlichkeit mit einer der bekannteren Abbildungen Marilyn Monroes deutlich gezeigt. Im Unterschied zu Ellen von Unwerths Arbeit wird hier kein Mädchen vermarktet, sondern werden die Mechanismen der Vermarktung offengelegt.

Hierin zeigt sich die unterschiedliche Politik ästhetischer Praktiken. Lamsweerde konzipiert Repräsentation als abbildendes Verhältnis, während Unwerth nicht abbildet, im Sinne einer künstlerisch verfertigten Dokumentation, sondern in der Abbildung "tatsächlich Hierarchisierungen und Herrschaftsverhältnisse produziert" (Isabell Lorey).

Wie unübersichtlich das Changieren zwischen Identität und Identifikation bei der Einübung erwachsener weiblicher Sexualität manchmal sein kann, zeigen die beiden Fotografien von Sally Mann "Jessie as Jessie" und "Jessie as Madonna". Natürlich ist Jessie als Jessie nicht authentischer als dieselbe als "Madonna". Auch das Foto eines ungeschminkten jungen Mädchens ist eine Repräsentation, das heißt eine Darstellung, die zugleich und untrennbar damit verbunden ein bestimmtes - melancholisches, weiches, liebenswertes - Bild des Mädlichen herstellt. Wohl aber kann man sagen, daß Jessie als Madonna eine Ansammlung so prägnanter Zeichen von "Madonna" ist, daß Individualität zum Bild "Madonna" verallgemeinert wird, wobei "verallgemeinert" zugleich sexualisiert meint.

Die besondere Anverwandlung an ein Popidol heißt, sich zum identifizierbaren Zeichen von etwas zu machen, was per definitionem als Ikone schon eine Reduktion auf Eindeutiges ist. Der Versuch, mögliche Geschlechtsidentitäten als historisch gewordene, als kontingente und flüchtige zur Diskussion zu stellen, kollidiert mit einer Marktstrategie, die auf Wiedererkennung setzen muß. Identität wird ein Merchandising-Effekt.

Ginger Roberts zeigt eine Möglichkeit, Identität und Differenz zusammen zu denken. Knutschflecken sind Signets des Stolzes, romantische Relikte unbeaufsichtigter Momente (tapsiger Intimität), vor denen in großen Lettern steht: Erwachsenen ist der Zutritt verboten. Auf der Schulter aber einer weiblichen Erwachsenen sind sie auch melancholische, womöglich sentimentale Erinnerungen, durch welche die eigene Geschichte auf eine bestimmte Weise verfertigt wird. Roberts' Arbeit zeigt, daß die ästhetische Produktion von weiblicher Kindheit nicht feminine Kindheit meint, sondern wie weibliche Kindheit im Spiegel einer weiblichen und männlichen Erwachsenenrealität jeweils gemacht wird.

In diesem Sinne wirken die theoretischen identitätspolitischen Debatten erwachsener Frauen natürlich in Kindheit hinein: "Es gilt, (...) die soziale Produktion von Identität als den fortwährenden und unbarmherzigen Prozeß der hierarchisierenden Differenzierung zu verstehen, der aber zugleich immer auch der Neudefinition, der Intervention und Veränderung unterworfen ist." (Sabine Hark)

Ohne dieses Verständnis könnte "Basis" nicht singen: "Ich will euer (Scheiß-)Leben nicht", und hätte nicht soviel Erfolg damit.