Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?

Knut Folkerts ist Lebenskünstler in Hamburg

Meine Erinnerung an 1974 ist überlagert von der Fußball-WM 1978 in Argentinien. Ich saß damals in einer Isolierzelle in Scheveningen. Aus sämtlichen Gefängnislautsprechern bildete sich ein Audiosmog mit Live-Berichterstattung zur Fußballweltmeisterschaft. In jener Zeit gab es noch eine andere Meisterschaft: In Argentinien und weiteren Ländern wurde Krieg gegen die Subversion geführt. Die bestand aus Frauen und Männern (und deren Kindern), die als Gefahr für die "Nationale Sicherheit" angesehen wurden, weil sie gegen herrschende Verhältnisse und für soziale Änderungen kämpften.

Der Krieg zielte nicht nur gegen militante Linke, er konnte treffen, wer Parolen an Wände schrieb oder "für die Armen war", oder weil er jemand kannte, der Parolen an Wände schrieb oder "für die Armen war". Unter Anleitung der Zentralen Intelligence Agentur der Nato-Führungsmacht USA wurden diese in Sammellager verschleppt, gefoltert und umgebracht. Nachdem sie die Eltern zu Tode gepeinigt hatten, "adoptierten" die Militärs deren Kleinkinder. Ein Folterzentrum hatte den sportlichen Namen "Club Atletico". Mindestens 30 000 Menschen wurden in jenen Jahren in Argentinien getötet. Nach der "Nacht der Bleistifte" am 16. September 1976, einer Aktion gegen die "Subversion an den Schulen", wurden die verstümmelten Körper der Jugendlichen in der Leichenhalle von C-rdoba aus Platzmangel übereinander gehäuft.

Verantwortlich für diese humanitäre Leistung, die sich über Jahre hinzog, sind neben Militärs und Polizei die USA. Gedeckt wurde das Verbrechen von der BRD. Aber eigentlich hat es nichts gegeben. Außer den Sieg der Militärs über "Terrorbanden", den das westdeutsche Geo-Magazin im Juni 1978 rühmte, ein bei StudienrätInnen und ähnlichen Einkommensklassen gern gelesenes buntes Blatt mit ganz viel Natur. "Es gibt keine politischen Gefangenen", so General Videla im selben Jahr. Unisono die westdeutsche Regierung im Vorfeld der WM: Über systematische Folter und Tötungen lägen der Bundesregierung keine Informationen vor. Kein Grund also gegen die WM in Argentinien. Das meinte selbstverständlich auch der DFB, denn der Ball ist rund. Gefangene, die entgegen dem Plan überlebten, berichten, ihre Folterer hätten regen Anteil an den Spielen gehabt. Mit der einen Hand Elektroden an subversive Körperteile anschließen, mit dem anderen Ohr am Radio. So wie es halt ist mit Sport und Nation, Sicherheit und Arbeit.

Im Jahr 1974 lebte ich mit freundlichen Subversiven, einige Jahre später der Schrecken von Bürgertum und Nation, in einer Kommune in Karlsruhe. Als wir gegen eine Propagandaveranstaltung von Deutsch-Chilenen demonstrierten, die den Militärputsch feierten, und es dabei zu einer Auseinandersetzung kam, schoß ein Polizist über unsere Köpfe. Christian Klar ist noch heute in Bruchsal in Haft.

Es gäbe keinerlei Rechtfertigung für die Anwendung von Gewalt, so bliesen später grün gewordene ehemalige "Revolutionäre Kämpfer" die moralischen Backen gegen uns auf und erfanden das Wort "gewaltfrei". Heute führen sie mit der Nato Krieg und bringen in Jugoslawien täglich mehrere Dutzend Menschen, zumeist Zivilisten, mit Bomben und Raketen um, und produzieren die Katastrophe, die sie zu bekämpfen vorgeben.

Als das Tor gegen die BRD fiel, war die Freude auf unserer Seite, und sie war groß. Alles, was dem BRD-Chauvinismus einen Tritt versetzte, und sei es ein Fußballtor, war uns recht. Wer der Schütze war, ist unwesentlich. Das Kollektiv zählte. Wie bei der RAF. Das Tor hat die staatliche Anerkennung der Deutschen Demokratischen Republik und des Vorsitzenden des Staatsrates und des Generalsekretärs der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vorangetrieben. Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt.