Alternative Lebensformen

Sonntagsfragen

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Ein Wahltag kann sehr spannend sein. Es stellen sich viele Fragen: Warum es so gekommen ist beispielsweise? Und warum nicht anders? Und was wäre gewesen, wenn dies oder das noch passiert oder gesagt worden wäre? Und was, wenn nicht? Und was bedeutet das Ergebnis nun eigentlich? Oder bedeutet es überhaupt irgend etwas?

Muss das Fernsehprogramm am Wahlabend wirklich immer so schlecht sein? Nur damit man jenen, die sich politisch interessiert nennen, am nächsten Tag nicht triumphierend unter die Nase reiben kann, dass sie einen schönen Spielfilm verpasst haben? Was finden die Sender nur so spannend an diesen bunten Säulendiagrammen, einigen Prozentzahlen und dem üblichen Politikergefasel? Bringt das etwa Einschaltquoten? Oder ist Wahlberichterstattung Teil der "Grundversorgung", die kaum einer nutzt und für die trotzdem alle 30 Mark im Monat zahlen müssen? Ist es Absicht oder Zufall, dass die ARD immer die schnelleren Hochrechnungen hat, aber die des ZDF dafür genauer sind? Gelingt es den Privatsendern überhaupt, ihrem Publikum zu erklären, was das ist - eine Hochrechnung, eine Prozentzahl, eine Legislaturperiode? Oder wissen es die Journalisten dort am Ende selbst nicht so genau?

Wen interessieren eigentlich die ganzen Details und Vergleichszahlen? Reicht es nicht, wenn diese Zahlen am nächsten Tag seitenlang in allen Zeitungen stehen? Wie viele Leute haben denn mitgemacht bei dieser Wahl? Lag's am Wetter, am Wahlkampf, am Kanzler? Vor allem: Wie viele Leute haben wirklich gewählt und nicht einfach jene Partei angekreuzt, die sie schon seit Jahren ankreuzen? Kennt überhaupt jemand den Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme? Und wenn ja: Könnte er ihn bitte mal für alle erklären? Oder interessiert das in Wahrheit gar niemanden - mal abgesehen von ein paar abgedrehten Statistikern und jenen Politikern, die ihr Mandat einer Erststimmen-Mehrheit verdanken?

Haben dieses Mal 0,01 oder sensationelle 0,02 Prozent der Wähler ungültig gestimmt? Wie viele von ihnen aus simpler Blödheit? Und wie viele, um später herumprahlen zu können, sie hätten es dem Scheiß-System mal wieder so richtig gezeigt? Sind das eigentlich auch Protestwähler? Oder haben die ihre Stimmen auf die Demagogen der Republikaner und der PDS verteilt? Verdankt die CDU ihre Prozente allein der Hetze gegen die Doppelte Staatsbürgerschaft? Und warum wählt überhaupt noch jemand die Kleckerpartei FDP? Hat der Mittelstand wirklich noch nicht begriffen, dass jetzt die Grünen angesagt sind? Wieso ist Gerhard Schröder eigentlich immer noch Kanzler, obwohl die SPD eine Wahl nach der anderen verliert? Ist so was überhaupt erlaubt? Droht etwa die Rückkehr von Helmut Kohl?

Was also bedeutet das Ergebnis vom Sonntag? Gibt es bald die erste schwarz-grüne Koalition? Oder ist die PDS nicht vielleicht doch der bessere Koalitionspartner für die Union? Wie wäre es mit Rot-Grün-Rosa? Und was für sonstige Kombinationen sind zwar absurd, aber damit noch lange nicht undenkbar? Lila gepunktet? Hellgrün gestreift? Braun gesprenkelt? Sind Farben wirklich politisch oder tun sie bloß so? Alles Fragen, die man nach jeder Wahl stellen könnte. Sonntag für Sonntag.

Wieso eigentlich immer sonntags?

Wie schon gesagt: Ein Wahltag kann sehr spannend sein. Vorausgesetzt, man beschäftigt sich nicht mit Politik und lässt die Glotze aus.