Dschungelbuch

Telegramm aus Patmos

Robert Lax ist ein sparsamer Poet und schreibt, als müsse er für jedes Wort bezahlen. Jetzt hat der Lyriker eine Multimedia-Box bekommen. Er hat sie sich verdient.

Eine Landschaft in Schwarz-Weiß: ein Hang, Steinwälle als dunkle horizontale Linien, vom unteren Rand zieht Rauch durchs Bild und verschwindet nach links. Eine lange Einstellung, in der nicht viel passiert, aber sich einiges verändert: "one / mo / ment / pass / es / an / oth / er / comes / on // - // how // was // was /// how // is // is /// how // will / be /// will / be", heißt es in dem Gedicht "is" des 1915 in Olean, New York geborenen Robert Lax. In ihrem Film "why should I buy a bed when all that I want is sleep?" gelingen den Dokumentarfilmern Nicolas Humbert und Werner Penzel Bilder, die Lax' Schreibbewegungen aufgreifen und übersetzen, indem sie am Augenblick entlangkratzen, manchmal daran hängen bleiben, ohne die flüchtige Schönheit zu zerstören.

Lax' Stimme, fast so wichtig wie die Texte selbst, hörte ich zum ersten Mal auf einer CD, dem Soundtrack zu einer Arbeit der beiden Filmemacher. Nach "Step Across the Border" hatten sie für ihren Film "Middle of the Moment" den britischen Gitarristen Fred Frith erneut auf einer seiner Reisen begleitet. Das Herzstück der Platte, die mehr noch als die Vorgängerin mit Klangspuren, musikalischen objets trouvés arbeitet, ist eine Aufnahme von nicht einmal einer Minute Dauer. Robert Lax liest da sein Gedicht "is".

Mit beiden, Frith und Lax, verbindet das Filmerduo eine große künstlerische Nähe. Immer gelingt es ihnen, Klangliches zu visualisieren. Sie blenden Leben und Werk ineinander, ohne bei einer langweiligen biografischen Abhandlung zu landen. Nicht zuletzt beweisen ihre Arbeiten, dass, wenn in der Bundesrepublik gute Filme gemacht werden, es sich nur in den seltensten Fällen um Spielfilme handelt.

Robert Lax' Arbeiten sind in einem fließenden Text kaum wiederzugeben. Er arbeitet mit den Mitteln der Reduktion, wie es radikaler kaum geht. Wörter stehen im Raum, zurückgeworfen auf ein Dasein als sprachliches Zeichen, als Kreise und Linien auf dem Papier oder Klänge im Raum. Lax negiert nicht die Bedeutung, vielmehr nimmt er das Spannungsverhältnis von Zeichen und Sinn mit in seine Texte hinein. Er reflektiert den Akt des Lesens oder Vortragens als Bewegung in der Zeit.

Wenn er beispielsweise repetitive Muster entstehen lässt, Wörter und Wortkombinationen in der Art eines meditativen Rituals wiederholt, dann darum, weil die Worte gerade nicht immer gleich sind, die Zeit geht durch sie hindurch, über sie hinweg. Indem er Worte und Silben untereinanderschreibt, Zwischenräume lässt, macht Lax das Drüberweglesen unmöglich. So erzeugt er rhythmische und grafische Strukturen. Es ist minimal poetry, die Kunst des Verlangsamens.

Viele der Texte erinnern wegen der strengen Bauweise an die Lautgedichte des Dada, die, oft zu Unrecht auf vermeintlichen Nonsense reduziert, sich an klassischen musikalischen Formen wie Fuge oder Sonate orientierten. Andere Texte weisen in ihrem assoziativen Voranschreiten eine Nähe zur Beat-Tradition auf. Jack Kerouacs "Essentials of Spontaneous Prose" sowie der gemeinsame Bezug auf die surrealistische écriture automatique sind hier wichtig. Doch geht Robert Lax einen eigenen Weg.

Seine Gedichte sind poetologisch, aber nie theoretisch. Zu Recht verweist die Biografin Sigrid Hauff auf Referenzpunkte wie die Sprachphilosophie Ludwig Wittgensteins, die Kritik der Beschleunigung bei Paul Virilio oder die Kompositionen John Cages.

Der zurückgezogen auf der griechischen Insel Patmos lebende Lax ist eben doch nicht als schlichter Gegenwartsverweigerer zu qualifizieren. Zu nah ist sein Werk an Theorie und Kunst dieses Jahrhunderts entlanggeschrieben.

Eine wunderschöne Einstellung in Humberts und Penzels Film zeigt zum Beispiel die Schuhe des auf einer Bank sitzenden Lax. Er redet über James Joyce, der gesagt habe, man müsse so schreiben, als sei es ein Telegramm, bei dem man jedes Wort teuer bezahlen müsse.

Robert Lax wählte einen anderen Weg als Allen Ginsberg & Co: Das frühe Beat-Szenario der 1940 im New Yorker erschienenen "radio-masque for my girl coming down from northampton", die Reisen mit einem kleinen Zirkus, sein karitatives Engagement, die Erkenntnis, als Werbetexter und Drehbuchautor nicht leben zu können, sind Steinchen im Mosaik der praktizierten Kritik am American Way of Life. Lax geht nach Frankreich, Mitte der Sechziger schließlich nach Griechenland, wo er bis heute lebt.

Sein Beharren auf der Bedeutung der Spiritualität ist mindestens genauso an Joyce geschult wie es sich auf ostasiatische Philosophie bezieht. Interessant ist, dass ihm, der sich in seiner Lebensweise so radikal gegen die moderne Welt wendet, esoterische Verbrämung ebenso verzichtbar ist wie essenzialistisches Denken.

Im Film von Humbert/Penzel gibt es eine Sequenz, in der Lax seine Idee von einem sich und die Welt befragenden Lebens erzählt. Er spricht ruhig, langsam und bestimmt. Schwarzblende, leise aus dem Off: "I have spoken!" Robert Lax lacht. Wir sehen ihn lachen. Auch über sich selbst. "Er wünscht sich", schreibt Hauff, "das ungetrübte Augenblicksbewusstsein des Kindes - jene Wachheit Menschen und Dingen gegenüber, der wir mit all unserem Wissen, auch dem von uns selbst, im Wege stehen." Wenn Lax auf die Frage nach seinen Kindheitserinnerungen mit der Anekdote von den Kriegsschiffe zeichnenden Kindergartenkindern erzählt, wenn er sagt: "That's where it all started", wird klar, dass es sich bei seinen Arbeiten kaum um ein weltfremdes Regressionsprogramm handelt.

Weit entfernt von dumpfem Kulturpessimismus und ohne geschichtsphilosophisches Netz und doppelten Boden, sind die Gedichte (auch) Einsprüche gegen die Verhältnisse.

Ein wenig wundert es schon, dass der kleine Münchner belleville-Verlag ausgerechnet jenen Robert Lax, der sein ganzes Leben lang nur in kleinen Verlagen und geringen Auflagen publizierte - wenn überhaupt! - mit einem so aufwendigen Projekt wie der sogenannten Multimedia-Box würdigt. Der Widerspruch ist allerdings nur ein scheinbarer, gelingt es doch durch die Kombination von Film, biografischen Texten, aufgezeichneten Lesungen sowie den Texten Lax', das Lebenskunstwerk des unbekannten Dichters eindrucksvoll zu präsentieren. Was den stolzen Preis nicht mindert - aber zu einer lohnenden Investition macht.

"left alone with the / instruments of my trade // i have come upon two / (rather paradoxical) / truths about them // one is the power / of words, particularly / the simplest // even (of) grammar // to evoke a deep / response // the second / is the / inadequacy of most / of them to the needs / of poetry". Hat dieser Dichter überhaupt einen Platz? Die vor kurzem in München gezeigte Ausstellung "Three Windows", auf die dieses Verlagsprojekt zurückgeht, haben, so der überraschte Verleger Michael Farin, immerhin gut zehntausend Leute gesehen. Beachtlich für ein so eigenwilliges, mitunter doch recht sperriges Oeuvre.

"I was made put together invented born for the simple purpose to watch and to wait". Der Film zeigt dazu das zerfurchte Gesicht des inzwischen Überachtzigjährigen in Nahaufnahme. Einmal wurde er gefragt, was passierte, fielen ihm keine Fragen mehr ein. Antwort: Er werde sich sicherlich fragen, was mit ihm los sei.

Robert Lax: Multimedia-Box "Robert Lax" (Video, zwei Bücher und drei CD). belleville, München 1999, DM 178