Cherchez les terroristes!

Früher galt die östlich von Algier gelegene Küstenstadt als eine Hochburg des Terrorismus. Auf der Suche nach der Islamischen Errettungsarmee AIS.

Die Reise beginnt am Busbahnhof am Rande von Algier, zwischen dem nahen Meer und den östlichen Banlieues gelegen. Auf meiner Tour begleitet mich die 26jährige Nadia*. Sie studiert in Algier und arbeitet als freie Journalistin. Wir verlassen die östlichen und südöstlichen Vorstädte, fahren durch El-Harrasch und das Eucalyptus-Viertel, vorbei an langen Plattenbauriegeln, vorbei am Flughafen Houari-Boumediennel. Am Stadtrand von Algier bauen die Reichen, zumeist Militärs oder Angehörige der aus der Zeit des Ein-Parteien-Systems stammenden Nomenklatura. Häufig dient der Neubau als Kapitalanlage, und in 90 Prozent der Fälle werden die Häuser leer stehen.

Weiter in Richtung Osten passieren wir die Ausläufer des Atlasgebirges und überschreiten die Grenze der Kabylei, der durch die Minderheit der Berber bewohnten Region. Unser Ziel ist die rund 250 Kilometer Luftlinie entfernte, aber an die 400 Straßenkilometer östlich von Algier gelegene Küstenstadt Jijel.

Wegen des dort wütenden Terrorismus bewaffneter Fundamentalisten galt Jijel samt Umgebung jahrelang als eine Region, die von der "Landkarte gestrichen ist", so erzählt es uns später Sabiha, eine Psychologin, die in Jijel die Opfer des Terrors, insbesondere auch traumatisierte Kinder, betreut. In den letzten Monaten geriet Jijel in die Schlagzeilen, weil es dort zu Waffenniederlegungen in größerem Umfang kam. Andere terroristische Gruppierungen sind jedoch weiterhin aktiv. Im bergigen Umland von Jijel befindet sich auch das zentrale Lager der Islamischen Errettungsarmee AIS - des bewaffneten Arms der seit 1992 verbotenen Fundamentalisten-Partei FIS -, die im Oktober 1997 einen "Waffenstillstand" erklärte.

Noch vor drei oder vier Jahren wäre es unmöglich gewesen, die Bergroute nach Jijel zu befahren. Die bewaffneten Fundamentalisten attackierten alles, was zum "ungläubigen" Staat gehörte, auch die Busse der in den frühen neunziger Jahren noch überwiegend öffentlichen Transportunternehmen. Wie in anderen Sektoren auch wurde durch die Zerstörung öffentlicher Einrichtungen die wirtschaftliche Privatinitiative ganz ungemein gefördert. Ab 1994 schossen im ganzen Land die privaten Transportbetriebe wie Pilze aus dem Boden; alsbald wurden die Fahrpreise freigegeben, worauf sie prompt auf ein Mehrfaches kletterten.

Die radikalen Islamisten hatten erklärtermaßen nichts gegen das Privateigentum, soweit es nicht "unmoralischen" Zwecken (wie dem "gottlosen" Staat) diente. Und sofern die Eigentümer zur Entrichtung einer Art Revolutionssteuer bereit waren. Nicht wenige Neureiche und Angehörige der Nomenklatura profitierten vom Terror der bewaffneten Gruppen und erkauften sich einen Freiraum, in dem sie relativ ungestört ihre Wirtschaftsaktivitäten entfalten konnten.

Heute gilt die Straße, die von Algier aus durch den Bezirk Bouira bis in die Küstenstadt Beja•a führt, als weitgehend sicher. Alle drei bis fünf Kilometer befindet sich ein Kontrollposten der Armee oder der Gendarmerie. Riskanter dagegen ist es, in die abgelegeneren Regionen zu fahren, beispielsweise in die Gegend um die kabylischen Kleinstädte Dra-el-Mizan und Boghni, zu denen wir die Hinweisschilder am Straßenrand entdecken. Sie zu besuchen, davon hatte man uns in Algier ausdrücklich abgeraten.

Der erste Abschnitt unserer Reise endet in der Küstenstadt Beja•a - die Einwohner verwenden allerdings noch immer den aus der Kolonialzeit stammenden französischen Namen Bougie. Beja•a ist neben Tizi-Ouzou eines der beiden Zentren der Berber-Region. Hier ist man bis heute vom Terrorismus verschont geblieben. "Kein einziger Schuss ist hier jemals gefallen", berichten die Einwohner einmütig. Dazu trug zum einen bei, dass die Kabylen von Anfang wenig empfänglich für den Islamismus waren. Sie sind eine aufmüpfige Minderheit, die sich dem Projekt der "Arabisierung" Algeriens immer widersetzt hat und erfolgreich für den Erhalt ihrer Sprache gekämpft hat.

Zum anderen ist das Gebiet um Beja•a die am stärksten von der Emigration geprägte Region Algeriens; nahezu jede Familie hier hat Verwandte, die vor Jahrzehnten nach Frankreich ausgewandert sind. Man ist wirtschaftlich auf die Überweisungen der émigrés aus Europa angewiesen und hält daher wenig von der arabischen Identitäts-Politik. Zumal diese die Region von einer ihrer wichtigsten Einnahmequellen - dem Tourismus der émigrés - abschneiden könnte.

Von Beja•a aus führt eine schmale Küstenstraße weiter in das gut eine Autostunde entfernte Jijel. Wir verlassen allmählich die kabylische Region und kommen erneut in arabischsprachiges Gebiet. Die Strecke gilt als gefährlich, das nahe Gebirge ist ein Rückzugsgebiet der bewaffneten Gruppen. Tagsüber herrscht stärkerer Verkehr auf der Strecke, und alle zwei bis drei Kilometer findet sich ein Kontrollposten - "Khef, Asch-Schurta" (Halt, Polizei). Wenn die Posten am späten Nachmittag die Strecke verlassen, wird die Weiterfahrt riskant. Ein Teilabschnitt wird am frühen Abend gesperrt.

25 Kilometer vor Jijel durchqueren wir die Siedlung El-Aouana, eine unscheinbare Kleinstadt mit zwei oder drei grün gestrichenen Hochhausreihen und ein paar flachen Häusern. Hier fand Ende September einer der letzten terroristischen Morde in der Region statt. Am frühen Morgen kurz nach Wiedereröffnung des gesperrten Streckenabschnitts errichteten Terroristen der Gruppe "Taliban", die sich an den in Afghanistan regierenden Extremisten orientiert, einen "falschen Kontrollposten". Zwei jungen Männern wurde ihr Militärausweis zum Verhängnis. Sie gaben sich damit als Wehrpflichtige zu erkennen, als "Diener des gottlosen Staats". Wie fast alle Terrorismusopfer endeten die beiden als égorgés, also mit durchgeschnittener Kehle. Sie wurden getötet, nachdem die "Taliban" vor Augenzeugen eine Strafpredigt gehalten hatten.

Mitte der neunziger Jahre häuften sich Terrorakte dieser Art auf zahlreichen Landstraßen Algeriens. Hingerichtet wurden Frauen, die den Bekleidungs- und Verhaltensvorschriften der Fundamentalisten nicht genügten, Personen, die mit Alkohol erwischt wurden, oder Leute, die ein Musikinstrument bei sich trugen. Heute sind diese Überfallkommandos auf den großen Straßen selten geworden.

In Jijel hält der Bus vor dem weiß getünchten modernen Rathaus. Historische Gebäude fehlen in der Stadt, die durch zwei Erdbeben im 19. und im frühen 20. Jahrhundert weitgehend zerstört wurde. Jijel macht einen hermetischen Eindruck. Als eine von Bergen umrahmte Küstenstadt sei Jijel von der Außenwelt stets abgeschlossen gewesen, erklärt man uns, die umgebende Bergregion ist zudem stark bäuerlich und traditionell ausgerichtet. Die geografische Lage hat die Stadt geprägt.

In Jijel ist es nahezu unmöglich, dass sich Männer und Frauen in der Öffentlichkeit gemeinsam zeigen, z.B. ein Straßencafé besuchen, was in den meisten Stadtteilen von Algier zur Normalität gehört. Das soziale Klima der Stadt hat seinen Teil dazu beigetragen, dass hier besonders viele junge Männer sich für die islamische Guerilla, die Maquis, entschieden haben. Zu ihnen gesellten sich in den letzten Jahren Terroristen aus dem Großraum Algier, die vor dem dort wachsenden Druck der Sicherheitskräfte in die weiter östlich gelegenen Regionen flohen.

Die Region Jijel wurde schon früh zu einer Hochburg der Islamisten, die sich hier auf den "Heiligen Kampf" vorbereiteten, erklären uns Journalisten - lokale Korrespondenten der algerischen nationalen Presse -, die wir im örtlichen Pressezentrum treffen. Dies geschah lange bevor die Fundamentalistenpartei FIS massenhaften Zulauf hatte. In der Krise, die auf den Zusammenbruch des "sozialistischen" Ein-Parteien-Staates 1988/89 folgte, gelang es dem FIS, die soziale Revolte für seine fundamental-religiösen Interessen zu instrumentalisieren.

In den Jahren um 1986, so die Journalisten, beobachteten Einwohner der Region um Jijel bärtige junge Männer, die auf den Landzungen der nahegelegenen Mittelmeerküste an den Wochenenden und im Sommer Camps organisierten, um Kampfsportübungen zu betreiben und Gebete abzuhalten. Einige dieser Männer waren Rückkehrer aus Afghanistan, wo seit den frühen achtziger Jahren algerische Islamisten an der Seite der dortigen Mujaheddin gegen die damalige sowjetische Besatzungsmacht kämpften.

Im Frühjahr 1989 wurde auf einer Baustelle in einem nahen Dorf, elf Kilometer vom Stadtzentrum von Jijel entfernt, Dynamit gestohlen. Anwohner hatten in den Tagen zuvor bärtige Männer beobachtet, die sich in der Nähe zu schaffen machten. Aus dem Dorf stammt auch Madani Mezrag. Der Mann, der sich von seinen Untergebenen "General" nennen lässt, ist der "Emir", der Oberbefehlshaber der FIS-Armee AIS, die heute in den Bergen oberhalb von Jijel campiert. Bei anderen Gelegenheiten wurden auf Baustellen Zement oder Eisenstangen entwendet. In derselben Zeit begannen die Gruppen, die später zum "Glaubenskrieg" übergingen, mit dem Bau von Kasematten - einer Art primitiver, unterirdischer Bunker - im nördlichen Atlasgebirge.

In Begleitung der Pressekorrespondenten machen wir uns auf, um uns im höher gelegenen Bergland umzusehen. Am Busbahnhof von Jijel steigen wir in einen Autobus, der uns ins etwa 15 Kilometer entfernte und 800 Meter höher gelegene Texanna bringt, eine sehr ärmliche Siedlung mit einer Reihe grau-grüner Hochhausblöcke, bäuerlich anmutender Häuschen und einem kleinen zentralen Platz. Texanna galt lange als "Terroristenland", das Dorf selbst befindet sich aber heute wieder unter der Kontrolle der staatlichen Behörden, während die umliegenden Dörfer vor allem abends und nachts den bewaffneten Fundamentalisten gehören.

Kurz vor Erreichen von Texanna überholen ein Kleinbus und eine schwarze Mercedes-Limousine mit dem Kennzeichen von Algier unseren Bus. "Hier sieht man den Verkehr, der zwischen den Sicherheitskräften und der AIS herrscht", flüstert mir Raschid* ins Ohr, der für eine der vier großen Französisch-sprachigen Tageszeitungen im Lande arbeitet, "diese Fahrzeuge sind auf dem Weg ins Lager der AIS. Anscheinend sind Verhandlungen im Gange."

Mit einer vagen Handbewegung deutet er auf die von Korkeichen bedeckte Bergkette zu unserer Linken: "Dort irgendwo, unter diesem nahezu unduchdringlichen Gestrüpp, befindet sich das Lager der AIS. Wo genau, das weiß offiziell niemand."

In Texanna treffen die in Jijel ansässigen Zeitungskorrespondenten auf zwei Staatsfunktionäre, den Chef Da•ra - dessen Stellung entspricht der eines französischen Unterpräfekten - und den örtlichen Chef der Gendarmerie. Diese raten uns dringend davon ab, in die weiter oben gelegene Region zu fahren. Genaueres wollen sie aber nicht sagen.

Kaum haben sie sich von unserer fünfköpfigen Gruppe entfernt, führen uns unsere Begleiter auch schon zu einem Kleinbus, der zu den höher gelegenen Bauerndörfern fährt. Die Gegend ist karg und unwirtlich. Nach rund zwei Kilometern kommen wir nochmals an einer Straßensperre vorbei, an der drei oder vier Soldaten den Kleinbus durchwinken.

Nach wenigen Hundert Metern wird unsere Fahrt erneut gestoppt, da ein Auto den Kleinbus überholt hat. Heraus springen die beiden Staatsfunktionäre aus Texanna, die Raschid und seinem Kollegen bedeuten, dass wir aussteigen sollen. Eine Gruppe der GIA (Bewaffnete Islamische Gruppen) sei im näheren Umkreis aktiv, sodass wir ein hohes Risiko eingingen, falls wir die Fahrt fortsetzten. Die beiden Männer rufen ein Taxi, dessen Fahrer verpflichtet wird, uns - kostenlos - nach Texanna zurückzubefördern. Damit die Korrespondenten zufrieden sind, vertrauen sie ihnen nunmehr an, dass noch am selben Tag eine Hand voll Terroristen die Waffen niederlegen würde.

Der Taxi-Chauffeur erzählt uns auf der Rückfahrt, erst in der Vorwoche sei er von GIA-Terroristen angehalten worden. Die seien vor allem auf der Suche nach "Dorfschützern" - Mitgliedern einer vom Staat bewaffneten Selbstschutztruppe - gewesen, die derzeit das Hauptziel ihrer Attacken seien. Bei der Gelegenheit hätten sie ihn auch seiner Einnahmen beraubt.

Ob wir das Lager besuchen können, in dem Madani Mezrag und seine Anhänger untergebracht sind, fragen wir die Journalisten, als wir wieder in Jijel sind, und erfahren, dass das unmöglich sei. Nach unserer Vorstellung befinden sich in der Region um Jijel eine Reihe von Camps, in denen die ehemaligen islamistischen Terroristen unter staatlicher Aufsicht untergebracht sind. Und zwar, um darauf zu warten, nach Überprüfung ihrer Akten amnestiert und ins Zivilleben eingegliedert zu werden, wie es das am 13. Juli verabschiedete Gesetz vorsieht.

Tatsächlich seien die Mitglieder der AIS, so erzählt man uns, keineswegs in einem staatlich kontrollierten Lager untergebracht, wie dies in den Medien dargestellt wird. Madani Mezrag sei nach wie vor Herr über "sein" Territorium, oberhalb von Jijel, auch wenn er den Kampf gegen die Militärs durch die Erklärung des Waffenstillstands von 1997 eingestellt habe. Die AIS befinde sich auch nicht in einem Camp der Armee, sondern in ihrem eigenen Hauptquartier, unter dem sich vermutlich Madani Mezrags Bunker befinde.

Mezrag entscheide allein, ob er Journalisten bei sich empfängt. Bisher habe er dies stets abgelehnt, und den örtlichen Journalisten war es bis heute unmöglich, zu ihm vorzudringen. Möglicherweise verpflichtet ihn auch eine Klausel in dem Abkommen zwischen der Armee und der AIS, dessen Inhalt noch immer geheim gehalten wird, zum Schweigen über die Umstände des "Deals", der zwischen dem Staat und den Mezrag-Leuten geschlossen wurde.

Madani Mezrag ist heute ein wichtiger Mann in Algerien: Wenn ein internationaler Gipfel stattfindet und zugleich ein Fax aus dem Lager von Madani Mezrag eintrifft, dann kann man sicher sein, sagen die Journalisten, dass man sich im Präsidentenamt zuerst über das Fax von Mezrag beugt.

Welchen Status sieht das Geheimabkommen zwischen Armee und AIS, das dem Waffenstillstand von 1997 zu Grunde liegt, für die AIS vor? Genaues scheint niemand darüber zu wissen. Die Zeitung El-Joum will Kenntnis davon haben, dass die AIS auf zehn Jahre hinaus ihre Lager und ihre Waffen behalten werde und im Gegenzug an der Bekämpfung der GIA, die sich einem Kompromiss mit dem Staat verweigerten, teilnehmen werde.

Ein Teil der Öffentlichkeit interpretiert das Abkommen als einen pragmatischen Versuch, den ehemaligen AIS-Mitgliedern eine finanzielle Absicherung zu verschaffen, die ihnen die erfolgreiche und "sozial abgefederte" Eingliederung ins Zivilleben ermöglicht. Skeptiker hingegen vermuten hinter dem "Deal" zwischen Armee und AIS eine Zusage, dass die AIS als eine Art Staat im Staate oder als zweite Armee in den von ihr kontrollierten Gebieten weiter existieren kann. Die Verlierer wären in diesem Falle eindeutig die GIA, denen es an einem dem der AIS vergleichbaren Gewicht fehlt.

Am folgenden Tag treffen wir in Jijel ein ehemaliges Mitglied der GIA. Der Mann wird uns von Journalisten in einem Café vorgestellt. Seitdem er die Waffen abgegeben hat, arbeitet der etwa 40jährige, dessen Kriegsname im Maquis "Abu Salah" lautete, in einem Café im Stadtzentrum.

Abu Salah erzählt seinen Werdegang: Er war Gehilfe des Imam - des Vorbeters - in einer Moschee in einer Siedlung unweit von Jijel, anschließend sieben Jahr lang als Lehrer für Arabisch an einer nahe gelegenen Schule tätig. Nachdem er Leuten vom FIS angeboten hatte, sie in religiösen Fragen zu beraten, wurde er - ungefragt - in die Partei eingeschrieben. Nach der Annullierung der vom FIS gewonnenen Wahlen 1992 hat er zunächst abgewartet und sich schließlich dem Maquis angeschlossen. Nach 1995 habe es in den GIA zunehmend Streit über die richtige religiöse Haltung gegeben, erzählt Abu Salah. Die nationale Führung der GIA habe zu jener Zeit begonnen, "Fatwas" (religiöse Urteile) auszusprechen, zunächst gegen Polizisten, "ungläubige" Politiker und ihre Familien, bis schließlich ganze Bevölkerungsgruppen bedroht waren.

Die GIA-Gruppen der Region um Jijel zogen sich zu dieser Zeit, so erläutern die Journalisten, aus der landesweiten GIA-Struktur zurück. Denn im Unterschied zu den GIA im Großraum Algier, die unter den Bedingungen großstädtischer Anonymität agierten, konnten die Gruppen in einer ländlichen Region nicht so weit in den blutigen Wahn abgleiten - Mörder und Opfer kannten sich schließlich, und die GIA-Mitglieder waren der Bevölkerung ihrerseits bekannt.

Zur selben Zeit habe die AIS begonnen, gegen die GIA Stellung zu beziehen. Die GIA-Kampfgruppen um Jijel wiederum erklärten sich zu autonom handelnden Einheiten. Die Einheit, in der Abu Salah kämpfte, verkündete im April 1998, sich dem Waffenstillstand der benachbarten AIS anzuschließen. Die AIS habe aber die autonomen Kampfgruppen in diesem Jahr daran hindern wollen, auf eigene Initiative hin ihre Waffen abzugeben.

Wir erfahren, dass im Vormonat vier Mitglieder der örtlichen GIA-Gruppen durch die AIS festgehalten worden seien, um sie daran zu hindern, "eigenmächtig" aus den Bergen herunterzusteigen - die AIS fordere die Kontrolle und die Oberhoheit über den gesamten Prozess. Während unseres Aufenthalts in Jijel wird bekannt, dass die vier Männer, nach langem Hin und Her, von der AIS freigelassen worden seien.

Ungefähr zur selben Zeit tritt in Algier Innenminister Abdelmalek Sellal vor die Presse und verkündet die neuesten Zahlen über die Auswirkungen des Amnestie-Gesetzes. 534 bewaffnete Fundamentalisten haben demnach seit der Verabschiedung des Amnestie-Gesetzes im Juli und bis Anfang Oktober ihre Waffen abgegeben. 463 Mitglieder einer "abtrünnig" gewordenen GIA-Gruppe im Umland von Jijel hatten dies bereits im Juni, vor Verkündung des Amnestiegesetzes, getan. Die meisten Waffenniederlegungen hat es in Jijel gegeben, wo sich 91 Personen beteiligten.

Auf die Fragen von Journalisten der französischsprachigen Presse zum Status der AIS versucht der Innenminister zu beschwichtigen: "Die AIS ist kein Problem" und: "Lassen Sie die AIS in Ruhe". Die Tageszeitung Liberté verweist in ihrem Kommentar auf den Artikel 41 des Amnestiegesetzes. Der sieht vor, dass keinerlei staatliche Maßnahmen gegen Mitglieder einer Organisation ergriffen werden, "die aus eigenem Antrieb die Gewalttätigkeiten eingestellt und sich dem Staat zur vollen Verfügung gestellt hat". Damit kann nur die Beteiligung der AIS am Kampf gegen die Reste der GIA-Gruppierungen gemeint sein. Aber offen zugeben will das in Algerien niemand.

* Name von der Redaktion geändert