Redigieren und Schreiben I + II

Spuren der Fatz

Redigieren und Schreiben I

Das Beste an Herlinde Koelbls Ausstellung "Spuren der Macht" ist die Einladungskarte mit diesem kleinen schmalen Aufkleber im Zitat von FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher. Offenbar ist da jemandem ein fieser Fehler unterlaufen, und es musste nachgebessert werden. Ausgerechnet im Schirrmacher-Zitat! "'Man ist als Teil einer Institution immer auch Teilhaber ihrer institutionellen Kälte.' (Frank Schirrmacher, 1994)".

Das Wort "Kälte" ist aufgeklebt, zieht man den Streifen weg, steht da "Kräfte". Also: "'Man ist als Teil einer Institution immer auch Teilhaber ihrer institutionellen Kräfte.' (Frank Schirrmacher, 1994)" Wäre natürlich auch gegangen, "Kräfte" statt "Kälte". "Kälte" klingt natürlich besser, bei institutionellen Kräften denkt man vielleicht an die Putzfrau, und so hatte es Schirrmacher ja gar nicht gemeint, sondern ganz klar: die institutionelle Kälte, nicht die Kräfte, auch nicht die Kultur oder die Kybernetik, keine Katechetik oder Knorpel, Klingelgangster oder Knorr-Bremsen. Knorr-Bremse! Um Gottes Willen! "'Man ist als Teil einer Institution immer auch Teilhaber ihrer institutionellen Knorr-Bremse.' (Frank Schirrmacher, 1994)" "Knorr-Bremse" ist auch so lang, dass der "Kälte"-Aufkleber viel zu kurz gewesesen wäre. Aber es ist ja nochmal gut gegangen.

Redigieren und Schreiben II

Tatsächlich gibt es sie, die institutionelle Kälte in der FAZ, und damit sind jetzt nicht schlecht beheizte Redaktionsräume gemeint, sondern bärtige Redakteure und Autoren wie zum Beispiel Ulrich Fastenrath, die die FAZ in ihrer Broschüre "Sie redigieren und schreiben", einer Art Gegenausstellung zu "Spuren der Macht", mit Bild und Lebenslauf vorstellt, und manchmal erfährt man auch, wovon FAZ-Redakteure so träumen, wenn sie durch die zugigen Flure des Verlags eilen. "Das Beständige in Leben eines Eisenbahnerkindes ist der Ortswechsel. Am 24. April 1949 im niedersächsischen Oldenburg geboren, wuchs er nach kurzem Zwischenaufenthalt in Oberhausen im wesentlichen in Osnabrück auf", liest man zum Beispiel über den "akademischen Wandergesellen" Fastenrath, der sich für die "europäische Integration" interessiert und "redend und schreibend mit am 'Haus Europa'" baut, und man ahnt schon wohin die ganze Eisenbahn-Wandergesellen-Metaphorik-Schiene führt, denn am Ende heißt es hier für alle: Endstation FAZ! ("Akademischer Wandergeselle" geht eindeutig zu weit. Fastenrath hätte darauf bestehen sollen, dass das Wort überklebt wird.)

Richtig fest sitzt Joachim Müller-Jung, und zwar seit 1995 im Ressort "Natur und Wissenschaft". Dabei hatte alles so gut angefangen: "Joachim Müller-Jung (jom) wurde am 10. März 1964 in Heidelberg geboren. Nach dem Abitur am Wirtschaftsgymnasium erfüllte er sich seinen Jugendtraum: er studierte Biologie in Heidelberg und Köln." Gut möglich, dass Joachim Müller-Jung damit eigentlich auch schon das Beste hinter sich hatte. Studienabschluss 1992. "Zu dieser Zeit hatte er bereits sechs Jahre lang journalistische Gehversuche bei Agenturen, Zeitungen und Zeitschriften unternommen."

Lesen Sie bitte selbst, wie Müller-Jungs Blitzkarriere weiterging, und ignorieren Sie das dabei unweigerlich auf Sie zukommende Satzbauproblem: "In der Stadtredaktion der Kölnischen Rundschau absolvierte er dann als Volontär die harte Schule des Lokaljournalismus, dem es vergönnt war, seine naturwissenschaftlichen Interessen in die anderen Ressorts einzubringen. Im April 1995 Eintritt in die Frankfurter Allgemeine Zeitung."

Keine so großen Anlaufschwierigkeiten hatte Kollege Peter Penders vom Sport-Ressort. Sechs Jahre lang journalistische Gehversuche? Das konnte er sich sparen: "Peter Penders wuchs von Kindesbeinen an mit Zeitungen auf, denn der Vater war Verlagskaufmann. Der mittleren Reife in Bielefeld folgte die Ausbildung zum Verlagskaufmann beim Westfalen-Blatt. Die gleichzeitige freie Mitarbeit in der Sportredaktion ..." weckte wahrscheinlich den Wunsch undsoweiter.

Überhaupt wird bei FAZ-Redakteuren viel und früh gewünscht, meistens geht es schon in der Kindheit damit los, wie zum Beispiel beim wirtschaftspolitischen Korrespondenten Carl Graf Hohenthal. "Seit seiner Kindheit vom Fernweh geplagt, verwirklichte er einen Herzenswunsch und zog zunächst einige Monate auf den Spuren Pizarros durch die Andenstaaten. Anschließend folgte er dem 'Ruf der Heimat' und ließ sich zwei Jahre lang bei der Bundeswehr zum Reserveoffizier ausbilden. Vor die Wahl des Studienfachs gestellt, hielt er sich an einen Ratschlag Elias Canettis in dessen Memoiren: man solle etwas studieren, das sich nicht selbst erlernen lasse." Ob Canetti dem Grafen Hohenthal damit ein Studium der Volkswirtschaftslehre ans Herz legen wollte, ist allerdings zweifelhaft.

Und wie sehen Leute aus, die dem Ruf der Heimat folgen, ihre Studienberatung bei Canetti machen und von Kindesbeinen an mit Zeitungen aufwachsen? Sehen Sie selbst die Bilder zu "Spuren der Macht" II.