Überfrachtete Innenstadt

5 500 Quadratmeter für ein jüdisches Gemeindezentrum sind vielen Münchenern zuviel. Ein Architekturwettbewerb soll nun die politische Diskussion beenden.

Rund einen Monat ist es her, da machte sich der Münchener Stadtrat selbst ein Geschenk. Der Planungsausschuss beschloss, einen Wettbewerb auszuloben: Städtebauer sollen zeigen, wie ein jüdisches Gemeindezentrum auf den Jakobsplatz in der Innenstadt passt. Acht Monate Verhandlungen und Diskussionen zwischen dem Stadtparlament und der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) waren vorerst beendet - jetzt sollen die Architekten entscheiden. Das freut viele, waren doch unappetitliche Vorwürfe in die Lokalpresse gelangt: So wurden Stadträte zitiert, die - anonym zwar, aber deutlich - meinten, die Jüdische Gemeinde "überfrachte" das Areal mit "überzogenen" Forderungen.

Die Forderung der Kultusgemeinde ist eine Selbstverständlichkeit. Gehört doch zu jeder Kirche ein Gemeindezentrum mit Jugendräumen, bisweilen auch ein Kindergarten. Nichts anderes will die IKG. Seitdem die Hauptsynagoge am Lenbachplatz 1938 von den Nationalsozialisten zerstört wurde, findet jüdisches Gemeindeleben auf Münchens Hinterhöfen statt. Die Einrichtungen sind über das gesamte Stadtgebiet verstreut: Die Synagoge steht im südlichen Ausläufer der Innenstadt, die Schule knapp vier Kilometer entfernt in Bogenhausen, das Jugendzentrum zwei Kilometer weit weg in der Prinzregentenstraße. Zudem reichen die Räume schon seit einiger Zeit nicht mehr aus: Durch Zuwanderung aus dem ehemaligen Ostblock ist die Zahl der Gemeindemitglieder in den letzten vier Jahren von 4 000 auf das Doppelte gestiegen.

Mit der Stadt war man schon lange im Gespräch. Marian Offmann, Mitglied im Gemeindevorstand und Pressesprecher der Münchener CSU: "Vor drei Jahren sprach Ignatz Bubis mit der Stadt, auch seitens der CSU gab es immer wieder Anfragen." Das Vorhaben, so Offmann, sei gescheitert, weil der Mitinvestor - die Landeszentrale für Neue Medien - sich aus finanziellen Gründen zurückzog. "Danach ist nichts mehr passiert. Erst als im Frühjahr Wahlen anstanden, ging der Oberbürgermeister in die Offensive."

In der Tat traute sich der inzwischen wiedergewählte Oberbürgermeister Christian Ude plötzlich einiges. Im Februar schlug er vor, das neue Gemeindezentrum auf dem weitgehend ungenutzten Jakobsplatz in der City zu errichten. Für den suchen Stadtplaner schon seit Ende der siebziger Jahre nach attraktiveren Nutzungsmöglichkeiten. Geradezu generös der Vorschlag des OB, die städtische Wüste zu beleben: Die Grundstücke sollten der IKG von der Stadt unentgeltlich "im Rahmen eines sehr langfristigen Erbbaurechtsvertrags" zur Verfügung gestellt werden. Die Gesamtkosten des Projekts - geschätzt werden 40 bis 50 Millionen Mark - sollten sich Stadt, Freistaat Bayern und die IKG teilen.

Aber schon wenige Tage nach dem Vorschlag gab es erste Unstimmigkeiten zwischen Stadt und Gemeinde. Ude hatte von drei Projekten gesprochen - Synagoge, Museum und Gemeindezentrum -, während die IKG immer gefordert hatte, dass alle Einrichtungen - also auch Schule und Kindergarten - zusammengefasst würden. So legte die IKG zwei Tage nach Udes Vorstoß ein Bebauungskonzept vor, das auf 5 500 Quadratmetern Schule und Kindergarten unterbringt. Grund für den Dissens war, dass bereits vor Udes Angebot Gespräche der IKG mit der Stadt stattfanden. "Unsere Pläne für das Zentrum lagen bereits bei Stadtbaurätin Christiane Thalgott und wurden sehr positiv aufgenommen", erinnert sich Offmann. Auch Gemeindepräsidentin Charlotte Knobloch war im Februar optimistisch und rechnete mit dem Baubeginn binnen eines Jahres. Den nun beschlossenen Architekturwettbewerb lehnte sie ab: "Andernfalls käme in den nächsten zehn Jahren wohl nichts voran."

Inzwischen hat sie dem Wettbewerb zwar zugestimmt - geht aber immer noch von einem Baubeginn in frühestens zwei Jahren aus, während Offmann sogar mit fünf rechnet. Der Beschluss des Stadtrats, nun doch einen Wettbewerb für ein Zentrum mit Schule auszuschreiben, kann da kaum als Erfolg gelten. SPD-Fraktionschef Helmut Schmidt: "Natürlich gibt es Leute, die von Überfrachtung sprechen. Anscheinend gibt der Platz das alles ja nicht her. Die Frage ist, wie das Wettbewerbsergebnis da aussehen wird."

Wird der Konflikt durch den Wettbewerb nur aufgeschoben? Alexandra Weis, Mitarbeiterin für Stadtplanung der Grünen-Fraktion: "Die meisten Stadträte haben noch Bedenken. Es besteht die Gefahr, dass die Planung zu dicht wird. Schließlich ist der Platz nicht allein für die Gemeinde da. Dazu kommt das sicherheitstechnische Problem. Wir können uns als demokratische Institution hier doch nicht das Denken verbieten, bloß weil es die Jüdische Gemeinde ist."

Auch FDP-Stadträtin Heodrun Kaspar fürchtet "das Sicherheitsproblem". Welcher Art die Bedenken genau sind, will niemand so konkret sagen. Aber "sicherheitstechnische Probleme" und "Leute, die von Überfrachtung sprechen", machen es deutlich: Man hat Angst. 5 500 Quadratmeter Jüdische Gemeinde sind manchem Münchener doch zuviel.

Rationale Argumente helfen da wenig. Von rund 7 000 Quadratmetern Jakobsplatz blieben nach dem Bebauungsplan der IKG immerhin knapp 2 000 frei. Dem Überfrachtungsvorwurf widerspricht Knobloch entschieden: "Wir fordern doch nicht zuviel Platz, sondern orientieren uns an anderen jüdischen Gemeindezentren und an dem, was wir haben. Außerdem stehen Gemeindezentrum, Museum und jüdisches Restaurant allen Münchenern offen." Einen "Hochsicherheitstrakt" werde es nicht geben: "Wenn ich in ein Ministerium gehe, muss ich meinen Ausweis vorzeigen und durch eine Sicherheitsschleuse. Bei uns ist das nicht anders."

Nachdem sich der Stadtrat zu einer Entscheidung durchgerungen hat, wurde Anfang November ein peinliches Detail der unendlichen Geschichte bekannt. Jahrelang hatte das Planungsreferat ein von der Contipark GmbH am Jakobsplatz betriebenes Parkhaus als unverrückbare Gegebenheit dargestellt. Doch jetzt äußerte sich der Geschäftsführer der Contipark, Dieter Luchterhand, überraschend. Man sei schon an einem Abriss des "völlig überdimensionierten" Parkhauses interessiert. Ob der nun tatsächlich möglich und finanzierbar ist, sei dahingestellt. Fest steht: Seit fast vier Jahren hat die Stadt nicht mit der Contipark darüber gesprochen. Erst jetzt sollen Verhandlungen beginnen.

Für Marian Offmann verlief die bisherige Diskussion "erfreulich normal". Aber: "Es gibt offenbar immer noch massive Berührungsängste, wenn die jüdische Seite etwas von der nicht-jüdischen will und umgekehrt." Auch, oder erst recht, wenn es um ein ganz normales Gemeindezentrum geht.