Redigieren und Schreiben V

Journalisten lernen nie (aus)

Sie dachten, man lernt nie aus? Das dachte sich der American Jewish Congress (AJC) auch - und wollte helfen. Weil deutsche Journalisten größtenteils keine Ahnung vom Thema Zwangsarbeit im Nationalsozialismus haben, aber aus Gründen der Aktualität trotzdem darüber schreiben müssen, hatte der AJC eine gar nicht so schlechte Idee: Machen wir doch mal eine eintägige Nachschulung speziell für die deutschen Berichterstatter.

Es wäre ja auch ganz gut, wenn die Journalisten bei diesem Thema einige Grundregeln beherrschen würden. Dafür ist aus den USA Alissa Kaplan angereist, bis vor kurzem selbst Journalistin und jetzt Sprecherin der Jewish Claims Conference.

Regel 1: Artikel werden nicht nur geschrieben und Rundfunk-Sendungen nicht nur produziert. Sie werden auch gelesen bzw. gesehen oder gehört. Darum immer die Wirkung der eigenen Beiträge überdenken! Am besten, bevor man sie veröffentlicht.

Regel 2: Komplexe Themen kann man nicht immer sofort ganz überblicken. Aber es gibt einen Geheimtipp für alle, denen Sachen noch unklar sind: Fragen stellen. Einmal, zweimal oder wenn nötig auch dreimal. So lange, bis man es selbst begriffen hat.

Regel 3: Nicht alle Gesprächspartner sagen die Wahrheit. Manche versuchen auch, die Medien für ihre Zwecke zu funktionalisieren. Also: sich bei der Berichterstattung nicht auf eine Quelle verlassen und deren Behauptungen weiterverbreiten. Lieber noch jemanden fragen.

Regel 4: Mit Veröffentlichungen über die Geschichte schreibt man selbst Geschichte (wer nicht weiß wieso, sollte nochmal bei Regel 1 anfangen). Also nicht irgendetwas über die Vergangenheit in die Öffentlichkeit hinausposaunen, sondern grundsätzlich die Fakten checken!

Soviel zu den grundsätzlichen Dingen. Daneben gibt es noch spezielle Aspekte: Dass Juden auch Deutsche sein können, dass die wenigsten Zwangsarbeiter ins KZ eingepfercht wurden und dass man vom Anteil der überlebenden Zwangsarbeiter nicht mal eben auf die Zahl der ermordeten Juden schließen kann.

»Nett und in Ordnung, dass sie uns sagen, wie wir recherchieren sollen«, findet Mathias von Arnim von der Frankfurter Rundschau. Es klingt so, als hätte er statt »nett und in Ordnung« lieber was anderes gesagt, sich aber nicht getraut. Verstanden hat er noch nicht so richtig, was er hier soll und verwechselt seine Nachhilfestunde mit einer ausgedehnten Pressekonferenz.

Wie die meisten seiner Kollegen: Kaum erzählt auf dem Podium jemand etwas von falschen Opferzahlen, stürzen sich fast alle darauf. Sie sind eben Journalisten - stets auf der Suche nach einer Sensation. Gelernt haben sie an diesem Tag nichts und sollten besser noch mal bei Regel 1 anfangen.

Der AJC hätte seine Nachhilfe wohl doch als Monatsseminar anbieten sollen. Und wenn er schon dabei ist, am besten nicht nur für Journalisten.