Unsichere Arbeitsplätze

Firmen wachsen. Und keiner sagt: Bist du aber groß geworden. Im Gegenteil. Wachstum ist wirtschaftliches Gesetz, und wer nicht mitzieht, verkümmert. Aber wer bei einer großen Firma arbeitet, hat noch längst keinen sicheren Arbeitsplatz. Überall in der frisch renovierten Fabriketage riecht es nach Farbe, der Teppich ist noch ganz flauschig und die meisten Möbel stehen dick verpackt mitten im Raum. In einer Ecke haben sich schon einige Mitarbeiter eine neue Heimat erschaffen. Stühle um Tische gruppiert, so wie sie es gewohnt sind, und Poster aufgehängt, um die triste Atmosphäre etwas aufzulockern.

Manchen reicht das aber nicht. Sie brauchen mehr. Viel mehr. Damit die Arbeit abwechslungsreich ist. Besonders in der Medienbranche werden diese Erlebnis-Qualitäten immer wichtiger. Manche Berliner Firmen machen mit ihren Mitarbeitern Urlaub in Tunesien oder veranstalten dekadente Partys in Hamburger Spielcasinos. Dabei sollten sie wissen, dass solche Angebote auf die Dauer nicht befriedigen. Emotionalität heißt das Zauberwort.

Man muss ganz nah dran sein, selbst betroffen sein, um zu fühlen, was geschieht. Da bieten Firmen, die ihre Mitarbeiterzahl ins Unüberschaubare schrauben, eine willkommene Experimentierfläche. Gerade erst aus dem Hinterhof-Chaos ins High-Tech-Fabriketagen-Chaos gezogen, und schon scheint alles erlaubt.

Poster werden umgehängt, Kaffeetassen entwendet und fettarme Milch wird heimlich gebunkert. Damit nicht genug. Es passieren schlimme Sachen: »Ich war völlig schockiert«, sagt Manfred R., Kontakter in einer Agentur. Ahnungslos begibt sich seine Unit gegen 14 Uhr in die Mittagspause. »Geschickt«, sagt Manfred R., sei die Abwesenheit seiner Unit genutzt worden, um einige der »Kontakterarbeitsplätze für die ITs zu sichern«. Programmierer aus dem dritten Stock haben den Kontaktern aus dem zweiten Stock die Stühle geklaut. Manfred R. schildert einen besonders schlimmen Fall, in dem seinem Kollegen, Georg, der für einige Zeit an einer Schulung teilnahm, nichts außer seinem Rechner gelassen wurde. »Sein Arbeitsplatz«, so der Zeuge Manfred R., »bestand nach dieser Aktion nur noch aus einem Stück Fußboden.«

Für neue Mitarbeiter aus Indien beispielsweise sei das nicht gerade motivierend. An manchen Schränken kleben weiße Papierstreifen: »Hier arbeiten fünf Leute.« Eine Inventur soll die Sicherheit der Arbeitsplätze gewährleisten. Aber das habe nicht geholfen. »Es geht hier zu wie in einem Kindergarten«, sagt Manfred R. Die Mitarbeiter nehmen sich gegenseitig das Spielzeug weg. Und die Post-It's mit der Aufschrift: »Das ist meins!« gleich dazu.

Manfred R. hat seinen Stuhl deshalb mit Klemmen am Boden montiert. Sein Arbeitsplatz ist sicher. Noch. Denn die ITs von oben werden immer dreister. »Die nehmen schon Werkzeug mit zur Arbeit«, will Manfred R. gesehen haben. Deshalb komme er jetzt früher und bleibe länger. Er will wissen, was geschieht. Dass es sich dabei um einen Trick seines Chefs handeln könnte, diese Idee kommt ihm nicht. Dem sei schließlich auch schon die Schreibtischlampe geklaut worden.