Global Kosovo

Die Weltsozialarbeiter

Das Kosovo könnte zum Modell einer global governance werden: Militärs und Hilfsorganisationen sorgen arbeitsteilig für »heimatnahe Fluchtabwehr«.

Die Vertreibungspolitik des Milosevic-Regimes gegen die Kosovo-Albaner zu stoppen, das sei das Ziel ihres Bombenkrieges, behauptete die Nato. Tatsächlich aber kam es erst mit dem Beginn der »humanitären Intervention« zu den Massenvertreibungen, die doch verhindert werden sollten: Serbische Milizen, Guerilla-Operationen der UCK und die pausenlosen Angriffe der Nato-Luftwaffe zwangen nach UNHCR-Angaben binnen weniger Wochen 750 000 Menschen zur Flucht in die Nachbarstaaten Montenegro, Mazedonien, Albanien und Bosnien-Herzegowina. Am Wechselspiel der Vertreibungen waren in verschiedenen Rollen alle Kriegsparteien beteiligt. Die Menschen flohen vor den Kämpfen zwischen UCK und jugoslawischer Armee und vor den Bombenangriffen der Nato. Von serbischen Milizen und von der jugoslawischen Sonder-Polizei wurden Flüchtlingstrecks ins Grenzgebiet getrieben, und anfangs schoben die jugoslawischen Behörden in großem Stil per Bus und Bahn nach Mazedonien ab.

Auf mazedonischem und albanischem Gebiet wiederum errichtete die Nato in enger Kooperation mit internationalen Hilfs- und Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) ein ausgedehntes System von Auffanglagern, in denen die Flüchtlinge interniert wurden. Der Ausdruck »interniert« beschreibt exakt die Bedingungen des Lagerdaseins: Kontakte zur Außenwelt sind so gut wie unmöglich, BesucherInnen gelangen erst nach strengen Einlasskontrollen und langen Wartezeiten in die Lager, die von hohen Drahtzäunen umschlossen sind und von bewaffneten Polizeipatrouillen mit scharfen Hunden bewacht werden. Wer im Lager lebt, ist zur Passivität gezwungen und zu vollständiger Abhängigkeit verurteilt. Wiederholt ist es vor allem in den mazedonischen Lagern zu Unruhen und versuchten Massenausbrüchen gekommen, während deren die Zäune umgerissen und Polizeistreifen und NGO-MitarbeiterInnen angegriffen wurden.

Tatsächlich übten die NGOs quasi-staatliche Funktionen in der Versorgung, Sistierung und Kontrolle der Internierten aus: Sie überwachten den »Grenzverkehr«, sammelten und erfassten die erschöpften, desorientierten und zum Teil traumatisierten Menschen und organisierten deren Verteilung in die bis weit ins Landesinnere Mazedoniens und Albaniens gestaffelten Zeltstädte. Dabei konnten sie u.a. auf Digitalkameras, spezielle Ausweisdrucker sowie auf Laptops mit einer eigens auf die Flüchtlingsregistratur abgestimmten Hard- und Software zurückgreifen, gesponsert von Microsoft und anderen Computerfirmen. In den Lagern sicherten die NGOs die Unterbringung, Ernährung und medizinische Versorgung der Flüchtlinge.

Eine Vorstellung vom Umfang dieser Aktivitäten vermittelt das Beispiel eines von österreichischen Militärs in Kooperation mit österreichischen NGOs (Rotes Kreuz, Malteserorden, Caritas, Diakonie) verwalteten Lagers in Albanien. In diesem Lager wurden 1 000 Flüchtlinge untergebracht; zu seiner Errichtung wurden 400 Soldaten, vier Lasthubschrauber und 18 Tieflader eingesetzt, die 2 200 Tonnen Material anlieferten. Der Spiegel fasste den Eindruck, den das Lager vermittelt, so zusammen: »Es ist eine Wagenburg entstanden, (...) mit Stromaggregat und Wasseraufbereitung, mit Feldpostamt, Lazarettmodulen, Metalldetektoren gegen UCK-Waffen, mit Wachturm, mit dreifachem Stacheldrahtverhau und striktem Befehl für die Aufpasser, das Camp nur in kompletter Kampfausrüstung zu verlassen. Ein Bunker befindet sich in Bau. Draußen ist Feindesland.« Rund um die Uhr war ein Fernsehteam im Einsatz, um die Öffentlichkeit vom Fortschritt der »humanitären Intervention« zu unterrichten; am 27. April 1999 stockte die österreichische Regierung die zur Überwachung der 1 000 Lagerinsassen abgestellten Mannschaften auf 490 Soldaten auf - »für die Sicherheit des Camps und der gespendeten Hilfsgüter sowie die Zutrittskontrolle am Eingang«.

Im Netz zwischen den Nato-Truppen, den diversen Regierungen und den NGOs kam und kommt der in Genf ansässigen International Organization for Migration (IOM) eine zentrale Rolle zu. Die IOM entstand während des sowjetischen Interventionskriegs in Ungarn 1956, wo sie - damals noch als Provisional Intergovernmental Committee for the Movement of Migrants from Europe (PICMME) - für die Versorgung der 180 000 ungarischen Flüchtlinge in Österreich und Jugoslawien zuständig war (1). In der Folgezeit wurde sie international zur führenden zwischenstaatlichen Institution der Migrationspolitik, und zwar sowohl in logistischer, operationaler wie in konzeptioneller Hinsicht. Wo immer Kriege, Aufstände, Aufstandsbekämpfung oder Repression zu Massenfluchten führten, war die IOM zur Stelle - nach eigener Auskunft stets dem »Prinzip« verpflichtet, dass »eine humane und geregelte Migration zugleich den Migranten und der Gesellschaft dient«.

In der Erfüllung der eigenen Mission ist sie allerdings auch den Interessen ihrer Mitgliedsstaaten verpflichtet, unter denen den USA und der EU schon aus finanziellen Gründen eine besondere Rolle zukommt. In Jugoslawien ist die IOM seit 1992 aktiv; nach dem Dayton-Abkommen von 1996 koordinierte sie logistisch und operational die »freiwillige« Rückkehr aller außerhalb Jugoslawiens lebenden Bosnien-Flüchtlinge. Gleich nach Beginn des Kosovo-Kriegs kontrollierte sie die Identifikation und Registratur der Flüchtlinge: Sie warb um Gelder, organisierte das Sponsoring und richtete im Lager Stankovac 2 bei Skopje eine Zentralstelle ein, in der die erhobenen Daten gesammelt wurden. Die dabei und in allen anderen Aktivitäten erworbenen Informationen wurden dann in Publikationen ausgewertet, die »neues Licht auf das Profil und die Einstellungen von Kosovo-Albanern im Ausland« warfen. Solche Expertisen werden dann den Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt.

Natürlich war es unter den gegebenen Umständen gerechtfertigt, den Opfern der Kriegsparteien Unterkunft und Hilfsgüter bereitzustellen. Entgegen der eigenen Verpflichtung auf »humanitäre Neutralität« aber wurden die NGOs politisch und materiell zur Kriegspartei. Politisch, weil sich die allabendlich live gesendeten Bilder des Lagerelends und der engen Kooperation von Nato- und NGO-Personal bestens in die militärhumanistische Propaganda der »internationalen Staaten- und Wertegemeinschaft« einfügten. Materiell, weil ohne die Hilfsdienste der NGOs der Fortgang der Kampfhandlungen unmöglich geworden wäre.

Manche NGOs haben den Status der Kriegspartei sogar willentlich und offensiv ausgefüllt. So nutzte der Chef des Notärztekomitees Cap Anamur, Rupert Neudeck, jede sich bietende Gelegenheit, sich in den Prime-Time-News entsprechend zu produzieren. Dabei ging er so weit, die Aufnahme von Flüchtlingen in Europa - das heißt: die reale Alternative zur Lagerinternierung - kategorisch abzulehnen, weil »mit dem Ausfliegen« ein Signal gesetzt werde, »dass man den Kosovo nicht zurückhaben« wolle. Deswegen solle nicht »die Erwartung geweckt (werden), es könnten am Ende Hunderttausende nach Mitteleuropa kommen«.

Inniger kann die Zusammenarbeit zwischen Staat und Zivilgesellschaft kaum ausfallen: Das im hilfserprobten Humanitarier personifizierte Weltgewissen legitimiert im selben Zug den Angriffskrieg der »Staatengemeinschaft«, das Flüchtlingsregime im eigenen Land und die ethnizistisch-rassistische Ideologie, die beide, den Krieg und das Flüchtlingsregime, miteinander vermittelt. Von Sabine Christiansen im Prominententalk »rübergebracht«, blieb dann nur noch eine Konsequenz: Jetzt musste schneller und mehr gebombt werden, um die einmal angefangene Sache zu Ende zu bringen. Mit der weiter gehenden Forderung nach dem Einsatz von Bodentruppen drang der Humanitarier - diesmal jedenfalls - nicht durch.

Hilfe für die UCK

Unmittelbar nach Kriegsende kehrten die meisten Flüchtlinge ins Kosovo zurück. UNHCR und Nato bedienten sich auch hier der IOM, die sowohl den Rücktransport wie den Empfang und die Verteilung der Flüchtlinge organisierte und zugleich die sofortige »Repatriierung« der ins EU-Ausland entkommenen Kosovo-AlbanerInnen übernahm, den Rücktransport in ein vom Krieg zerstörtes Land. Nach einer vom UNHCR in 141 Dörfern durchgeführten Bestandsaufnahme waren Anfang Juni 1999 64 Prozent der Häuser schwer und weitere 20 Prozent leicht beschädigt, 40 Prozent des Trinkwassers durch totes Vieh und verwesende Leichen verseucht. Zerstört waren auch zahllose öffentliche Gebäude, darunter rund die Hälfte aller Schulen. Nur in einem Drittel der Dörfer gab es Weizen, Öl und Zucker nur in einem Viertel. Früchte gab es nur in 18 Prozent, Kaffee in zwölf Prozent, Fleisch fand sich nur in sieben Prozent der Gemeinden, 80 Prozent der Kornproduktion waren vernichtet.

Unter diesen Bedingungen richtete die Nato ein Protektorat ein, dessen Verwaltung offiziell der United Nations Mission in Kosovo (Unmik) übertragen wurde. Deren Statthalter - an ihrer Spitze Bernard Kouchner, Gründer und langjähriger Präsident der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen - teilten sich die Macht von Anfang an mit den Bandenchefs der »Kosovo-Befreiungsarmee« UCK, die eigentlich gleich nach dem Waffenstillstand demobilisiert und entwaffnet werden sollte. Als die Warlords die Herausgabe der Waffen verweigerten, gingen Unmik und Nato dem direkten Konflikt aus dem Weg und wandelten die Guerilla in ein hilfspolizeiliches Kosovo Corps um. Dessen Rekrutierung wurde ebenfalls der IOM übertragen: Sie wählt die geeigneten Kandidaten aus und übernimmt zugleich deren Ausbildung zu einer »civilian emergency and humanitarian force«, die den fortgehenden »Rekonstruktions- und Rehabilitationsprozess« unterstützen und darüber hinaus als schnelle Eingreiftruppe bei »Naturkatastrophen und anderen Notfällen« dienen soll. Gelegenheiten, bei denen das migrationspolitische und migrationspolizeiliche Know-how der IOM nutzbringend angewendet werden kann.

Bis jetzt allerdings sind die Kandidaten der künftigen »humanitarian force« vornehmlich in den nun gegen SerbInnen und Roma gerichteten »ethnischen Säuberungen« engagiert. Dass gerade Roma der härtesten Repression ausgesetzt sind, liegt allerdings nicht nur an den fortgesetzten Angriffen albanischer Nationalisten, sondern auch an der mangelnden Bereitschaft der Besatzungstruppen und der Hilfsorganisationen, ihnen den erforderlichen Schutz zu gewähren. In vielen Dörfern werden Häuser der Roma niedergebrannt, immer wieder kommt es zu Entführungen oder Ermordungen. Hilfsorganisationen überlassen die Verteilung von Nahrungs- und Sachmitteln albanischem Personal, das die Herausgabe der Güter an Roma verweigert und jene, die auf ihrem Anteil bestehen, physisch bedroht. In aller Offenheit erklärte ein jetzt bei der katholischen NGO Mutter Teresa angestellter ehemaliger Offizier der UCK, dass in Pristina künftig keine Roma mehr geduldet würden - eine Drohung, die in derselben Offenheit auch auf Nicht-Roma ausgedehnt wurde, die sich für die Verfolgten einsetzen (2). Mittlerweile lebt der größte Teil der Roma in Flüchtlingslagern und Elendsquartieren in den Nachbarländern; Tausende haben sich seit dem letzten Jahr in überfüllten und zerbrechlichen Booten auf den Weg nach Italien gemacht.

Auch im Protektoratsregime fällt den NGOs eine zentrale Rolle zu. In großem Umfang werden Gelder, die ursprünglich für Maßnahmen der Nord-Süd-Entwicklungszusammenarbeit bestimmt waren, ins Kosovo gelenkt; die auf staatliche Fördermittel angewiesenen NGOs ziehen reihenweise mit, auch hier unter dem Banner einer »Neutralität«, die ihre Parteilichkeit kaum verhehlen kann. Damit sind sie nicht allein der Nato-Politik, sondern der UCK dienstbar: die Geldzuwendungen zerstören den Rest der noch während des Krieges funktionierenden Institutionen der von der Rugova-Fraktion dominierten kosovo-albanischen »Parallelgesellschaft«. An deren Stelle treten jetzt - finanziell vergleichsweise potent und technisch perfekt - allein im gesundheitspolitischen Bereich die Büros von mittlerweile 300 ausländischen NGOs.

Um deren Arbeit untereinander zu koordinieren, ist das Kosovo nicht nur in getrennte »Schutzzonen« der einzelnen Besatzungsmächte, sondern auch in so genannte Areas of Responsibility (AOR) unterteilt worden, die jeweils unter Federführung einer NGO stehen (3). So fiel unmittelbar nach Kriegsende die Region Pec an Mercy Corps International, die Region Djakovica an die Organisation Solidarité, die Region Prizren an die Catholic Relief Services, die Region Urosevac an Care, die Region Gnjilane an das International Rescue Committee, die Region Pristina gemeinsam an Action Against Hunger und die Organisation Children's Aid Direct und die Region Mitrovica an Oxfam. Nach einem vom UNHCR aufgestellten Plan koordinierten diese Organisationen die Verteilung der Lebensmittel und Hilfsgüter, entweder in Eigenarbeit oder in Zusammenarbeit mit so genannten Private Volunteer Organizations (PVOs). Die Arbeit in solchen PVOs ist zur einzig sicheren Einkommensquelle vieler Kosovo-Albaner geworden. Nicht wenige davon sind Unterorganisationen der UCK, die damit auch auf diesem Weg gefördert wird.

Weltinnenpolitik als Flüchtlingsabwehr

Dem Krieg ums Kosovo kommt gleich in mehrfacher Hinsicht paradigmatische Bedeutung zu. Zunächst einmal ist dort in bisher deutlichster Form sichtbar geworden, wie die dominanten Staaten der Neuen Weltordnung gegen die vorgehen werden, die sie als Bedrohung einschätzen. Sichtbar wurde auch, wer dabei zu den »Hauptfeinden« zählt: jene, die sich ihrer Unterdrückung, Ausbeutung und Ausgrenzung durch Migration entziehen wollen. Dem entspricht dann, dass die imperiale Weltinnenpolitik der Nato-Staaten zu einem erheblichen Teil eine rassistisch und ethnizistisch begründete Migrationspolitik ist. Sichtbar wurde zuletzt, dass eine so verstandene Weltinnenpolitik in gut neoliberalem Sinn auf einer Public Private Partnership aufbauen wird, deren Kern die systematische Kooptation von NGOs bildet.

Dreh- und Angelpunkt der ethnisierten Migrationspolitik ist die Ersetzung des in der Genfer Konvention niedergelegten - aber ohnehin nie wirklich durchgesetzten - individuellen Rechts auf Asyl durch die freiwillige und zeitlich begrenzte Aufnahme von bestimmten »Kontingenten« ethnisch definierter Flüchtlingsgruppen. Doch das Gros der möglicherweise Asylsuchenden soll den eigenen »Heimatboden« gar nicht erst verlassen.

Wie das zu organisieren ist, wurde erstmals während des Golfkrieges von 1991 in der so genannten Kurdischen Schutzzone vorgeführt. Nach dem Waffenstillstand zwischen dem Regime Saddam Husseins und der von den USA dominierten Anti-Irak-Koalition kam es zu Aufständen der schiitischen und der kurdischen Minderheit. Die Aufständischen rechneten mit der Unterstützung der »internationalen Staatengemeinschaft«, die während des Kriegs massiv zur Erhebung gegen Saddam aufgerufen hatte.

Wider Erwarten blieb jede Hilfe aus. Ungehindert warf die irakische Luftwaffe Napalm und Phosphor über den Rebellen-Gebieten ab, nachrückende Truppen trieben die Überlebenden der in Steinwüsten verwandelten Städte und Dörfer in die Flucht. Wenig später saßen rund 400 000 eingekesselte kurdische Flüchtlinge vor der hermetisch verschlossenen türkischen Grenze fest. In letzter Verzweiflung forderte die Kurdish Relief Association (KRA) als Hilfsorganisation der alliierten kurdischen Parteien die Uno und die NGOs zur Intervention auf. Statt die Türkei gemäß den Verpflichtungen der Genfer Flüchtlingskonvention zur Öffnung ihrer Grenzen zu nötigen, wurde schließlich auf irakischem Territorium - d.h. im Kriegsgebiet selbst und damit unter Verletzung der Flüchtlingskonvention - eine »Schutzzone« eingerichtet, in die die Flüchtlinge im Rahmen der Operation Provide Comfort zurückgeführt wurden. Nach freien Wahlen bildeten die Kurdische Demokratische Partei (KDP) und die Patriotische Union Kurdistans (PUK) eine Koalitionsregierung, deren Ziel eine Selbstverwaltung innerhalb einer nach dem Sturz Husseins zu schaffenden föderativen Republik des Irak war.

De facto aber blieb die kurdische Autonomie vollständig von den Hilfsdiensten und -lieferungen der NGOs und der militärischen Unterstützung der US-amerikanischen und britischen Luftwaffe abhängig. Drei Jahre später zerbrach die Koalition an den politischen und ökonomischen Differenzen zwischen KDP und PUK. In dieser Zeit wurden die BewohnerInnen der »Schutzzone« unausgesetzt von irakischen, iranischen und türkischen Truppen angegriffen, die jeweils auf eigene Rechnung Jagd auf die Eingeschlossenen machten.

Was 1991 noch ein durch unmittelbare Not begründeter Bruch mit dem Grundprinzip der Flüchtlingshilfe war, ist im Kosovo Strategie geworden. Das politische Ziel ist nicht (mehr) der Schutz für Flüchtlinge, sondern der Schutz vor ihnen. Insofern ist die systematische Abschottung der »Festung Europa« vor der »Flüchtlingsgefahr« der wahre Sieg der »humanitären Intervention«. Da ist es nur konsequent, dass jetzt nicht nur die Internierten der Lager, sondern auch die, die sich bis nach Europa durchschlagen konnten, zur »Rückkehr« in die Protektorate gezwungen werden. Dabei werden dann nicht mehr nur kurdische, sondern mittlerweile auch irakische Asylsuchende in die »Schutzzone« abgeschoben: da die Republikanergarden Husseins dort keinen Zutritt haben, gilt sie als »save haven« für alle Gegner des Bagdader Regimes.

Nach dem gleichen Muster werden Flüchtlinge aus dem Kosovo und aus Bosnien in ihre »Schutzzonen« abgeschoben. Diese bieten gegenüber dem Kurdenprotektorat den »Vorteil«, unmittelbar von den Kommandeuren der Nato und den Hilfsorganisationen verwaltet zu werden. Ein von der Forschungs-NGO Centre for European Policy Studies (CEPS) - nach der eigenen Homepage »the leading think tank in Brussels« - erstelltes Arbeitspapier schlägt der EU-Kommission vor, Kroatien, Albanien, Mazedonien, Bosnien und einem von Milosevic befreiten Jugoslawien ab 2000 bzw. 2002 den Status von »New Associate Members« (NAM) zu verleihen - eine Art virtueller EU-Mitgliedschaft ohne jegliches Mitbestimmungsrecht. Ab 2003 soll in der ganzen Region der Euro eingeführt werden; Verluste an Zolleinnahmen und aus den Wechselgeschäften mit der Landeswährung soll die Europäische Zentralbank ausgleichen. Bis zum Jahr 2006 sollen die NAMs bis zu fünf Milliarden Euro erhalten, hinzugerechnet noch einmal jährlich 250 Millionen an Kompensationszahlungen für die entstehenden Währungsverluste.

Die Gaben sollen allerdings an die bedingungslose Unterwerfung unters Regime der Zentralbank und »an die Zustimmung zu den jeweils erforderlichen Kontrollen und Maßnahmen durch die EU gekoppelt« werden. Dazu zählt insbesondere eine »EU-polizeiliche oder paramilitärische Aufsicht an Häfen und Grenzen, um die Korruption ein für allemal zu beseitigen«. Mit Bezug auf die für die Einreise der MigrantInnen nach Europa zentralen Häfen Albaniens schlägt das NGO-Papier vor, dass »die Zollposten von EU-Zollämtern nicht nur beraten, sondern geführt werden, Polizeikräfte und paramilitärische Einheiten, vorzugsweise aus Griechenland und Italien, könnten den Zustrom illegaler Migration kontrollieren, insbesondere den über das Adriatische Meer, dem an der albanischen Küste viel effektiver zu begegnen wäre, als nachts Schnellboote auf offener See zu jagen. Die einheimischen Polizeikräfte könnten eine Zeit lang von EU-Bürgern geführt und durch paramilitärische Kontingente geschützt werden«. Da weiß man doch, warum Rekrutierung und Ausbildung des Kosovo Corps ausgerechnet der IOM übertragen wurden.

Kosovo als Modell

Die Erfahrungen der »humanitären Intervention« in Jugoslawien und ihrer Vorläufer im Irak und anderswo hat die Nato anlässlich ihres 50. Jahrestags offiziell zur Strategie erhoben. Das neue strategische Konzept geht von einem »breiten Spektrum militärischer und nichtmilitärischer Risiken« aus, »die aus vielen Richtungen kommen und oft schwer vorherzusagen sind.« Dazu gehören: »Ungewissheit und Instabilität im und um den euro-atlantischen Raum sowie die mögliche Entstehung regionaler Krisen an der Peripherie des Bündnisses (...), ethnische und religiöse Rivalitäten, Gebietsstreitigkeiten, unzureichende oder fehlgeschlagene Reformbemühungen, die Verletzung von Menschenrechten und die Auflösung von Staaten (...). Sicherheitsinteressen des Bündnisses können von anderen Risiken umfassender Natur berührt werden, einschließlich Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten Verbrechens sowie der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen. Die unkontrollierte Bewegung einer großen Zahl von Menschen, insbesondere als Folge bewaffneter Konflikte, kann ebenfalls Probleme für die Sicherheit und Stabilität des Bündnisses aufwerfen«.

Dieses wahrhaft globale Bedrohungsszenario erfordert deshalb »militärische Fähigkeiten, die für das gesamte Spektrum vorhersehbarer Umstände wirksam sind«. Hinfällig wird damit der Paragraf fünf des Nato-Vertrags, der das Bündnis auf den gegenseitigen Beistand im Fall eines militärischen Angriffs auf einen Bündnispartner beschränkte. Jetzt stehen so genannte Non-article-5-missions gleichberechtigt neben der »Bündnisverteidigung«, und zwar ausdrücklich auch ohne Deckung durch die Uno oder die OSZE. Die Pläne zur »Reform« der Bundeswehr belegen, dass Deutschland dabei eine führende Rolle spielen will. So heißt es beispielsweise im Bericht der Weizsäcker-Kommission: »Die Aufgaben der Bundeswehr haben sich völlig verändert. Die Bundeswehr wird vornehmlich außerhalb Deutschlands eingesetzt werden - entweder zur kollektiven Verteidigung eines Bündnispartners oder - was wahrscheinlicher ist - zu regional begrenzten Einsätzen der Krisenvorsorge und Krisenbewältigung. (...) Die Fähigkeit, im kompletten Einsatzspektrum bis hin zu Konflikten mit hoher Intensität handeln zu können, muss künftig über große Entfernungen glaubhaft und dauerhaft sichergestellt werden.«

Zögernde Sozialarbeiter

Während sich die Nato zum Weltpolizisten macht, spielen die NGOs in diesem Szenario die Rolle der Weltsozialarbeiter, wie das Kosovo gezeigt hat. Allerdings sind nicht alle dem Marsch ins Kosovo umstandslos gefolgt. So haben die Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt, medico international und Weed den Krieg der Nato strikt verurteilt und die »emanzipatorischen Teile der Zivilgesellschaft« in einer gemeinsamen Erklärung aufgefordert, »alles in ihren Möglichkeiten Stehende zu unternehmen, um den demokratischen Kräften innerhalb Jugoslawiens und der anderen Länder der Region in ihrem Widerstand gegen die eigenen nationalistischen Regime wie gegen die militarisierte Großmachtpolitik der Nato-Staaten beizustehen«. medico hat unaufgefordert eingehende Spendengelder zur Versorgung in Deutschland lebender, mittlerweile zum Teil wieder abgeschobener oder von Abschiebung bedrohter Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien weitergeleitet. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat sich zwar im Kosovo engagiert, in einer öffentlichen Erklärung aber demonstrativ auf die Finanzierung ihrer Hilfsleistungen durch staatliche Gelder verzichtet.

In einem internen Diskussionspapier verwahren sich mittlerweile auch die im Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (Venro) zusammengeschlossenen NGOs ausdrücklich gegen den »zunehmenden Trend zur Verstaatlichung und Instrumentalisierung der humanitären Hilfe« im Zusammenhang mit dem »Umbau der Bundeswehr zu einer militärischen Interventionstruppe, die in Europa und den angrenzenden Regionen im Rahmen der EU, Nato oder Uno Krisen bewältigen und politisch-strategische Interessen der Bundesregierung durchsetzen soll«. Der explizit in Hinsicht auf die Fördergelder ausgesprochene Verweis auf die eigene, dem Militär überlegene Effizienz und Kompetenz, lässt die Motivation der NGOs allerdings in zweifelhaftem Licht erscheinen.

Der Vereinnahmung durch die global governance des »Sicherheits- und Ausgrenzungsimperialismus« können die NGOs vielmehr nur entgehen, wenn sie ihre humanitäre Neutralität in einer umfassenden Staats-, Gesellschafts- und Herrschaftskritik begründen, die eine adäquate Bestimmung der internationalen Macht- und Ausbeutungsverhältnisse einschließen muss. Erst eine dergestalt aufgeklärte Neutralität wird eine unbedingte Parteinahme auf der Seite der Opfer ermöglichen.

Thomas Seibert ist Mitarbeiter von medico international

Anmerkungen:

(1) Siehe auch: