Deutsche Telekom kauft VoiceStream

Mobil nach Übersee

Die EU-Kommission hilft der Deutschen Telekom beim Eintritt in den US-Markt - notfalls auch mit Sanktionen.

Kommen nun die Invasoren aus Europa? In den USA jedenfalls traut man sich mittlerweile nicht mehr, über die so genannte Eurosklerose zu spotten. Europäische Industriepolitik und europäische Unternehmen werden ernst genommen. Der Senator Ernest F. Hollings aus South-Carolina und mit ihm 29 seiner Kollegen glauben sogar, dass die USA gegen die Investoren aus Übersee verteidigt werden muss.

Einen der frechsten Angreifer zumindest, die Deutsche Telekom, solle man schleunigst wieder nach Hause schicken. Der Telekom war in der letzten Woche durch den Kauf des Mobilfunkanbieters VoiceStream der Einstieg in den US-amerikanischen Markt gelungen. Ob der Deal gelingt, hängt jetzt vom Urteil der amerikanischen Regulierungsbehörde für Telekommunikation (FCC) ab.

Die Regulierer dürfen sich auf einiges gefasst machen. Sie werden es nicht nur mit den Anwälten der fusionswilligen Firmen und ein paar Senatoren zu tun bekommen. Überraschend schnell und lautstark werfen sich auch die EU-Kommission und die deutsche Bundesregierung für die Deutsche Telekom in den Ring. Der Handelskommissar der EU, Pascal Lamy, will die Expansionsstrategien der Telekom zur Not auch mit Hilfe von Sanktionen durchsetzen. Vorsorglich drohte er der US-Regierung mit einer Klage vor der Welthandelsorganisation WTO.

Um die nationalen Grenzen in Richtung USA zu überwinden, musste ein rekordverdächtiger Preis von 46,5 Milliarden Dollar gezahlt werden. Pro VoiceStream-Kunde zahlt die Telekom damit rund 16 000 Dollar. Nach dieser Rechnung hat sich VoiceStream so teuer verkauft wie noch kein anderes Unternehmen. Der Aktienkurs der Telekom stürzte nach Bekanntgabe der Details des Kaufvertrags um elf Prozent.

Nach Ansicht der Telekom muss aber ganz anders gerechnet werden. VoiceStream ist in den letzten Jahren nicht nur rasant gewachsen, sondern verfügt in 23 der 25 großen Regionalmärkte über die nötigen Lizenzen, um mobile Telekommunikationsdienste anzubieten. Das sind ideale Voraussetzungen, um zu einem marktführenden Anbieter in den USA zu werden.

Die Investitionen in Infrastruktur und Marketing spielen in der Kalkulation nur eine untergeordnete Rolle. Firmen wie der Online-Buchhändler Amazon haben es vorgemacht: In der New Economy werden die Unternehmen hoch bewertet, die höchste Erwartungen auf zukünftige Gewinne erzeugen können - ganz egal, was das heute an Kosten und Verlusten einbringt.

Natürlich können sich die enthusiastischen Prognosen über die Wachstumspotenziale des Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen irgendwann als Seifenblase erweisen. Aber auch ein anderes Szenario ist denkbar. Der mobile Zugriff auf das Internet und die Telefonnetze wird ebenso selbstverständlicher Teil der Lebens- und Arbeitswelt werden, wie es heute der Computer ist. Ebenso hohe Gewinne sind zu erwarten.

In der Computerentwicklung waren US-amerikanische Firmen wie Microsoft und Intel die Pioniere. Sie dominieren noch heute den Markt für Betriebssysteme und Software. Entscheidend war nicht die Qualität ihrer Produkte, sondern der Vorsprung vor der Konkurrenz. So ist die Kombination aus dem Betriebssystem Windows mit Intel-Prozessoren, Wintel, ein Standard, an dem sich jeder Konkurrent orientieren muss.

Im Mobilfunk haben europäische Firmen die technischen Weiterentwicklungen am frühesten umgesetzt. Während in Europa Funktelefonate mit Hilfe des digitalen technischen Standards GSM (Global Standard for Mobile Communication) übertragen werden, arbeiten in den USA viele Anbieter noch mit einer analogen Technologie. Für digitale Telefonate wird in den USA meistens der Standard CDMA (Code Devision Multiple Access) verwendet. VoiceStream hält sich allerdings an die europäische Norm GSM, die auch von der Telekom verwendet wird.

Europäische Industriepolitiker wollen durch die Telekom-Akquisition von VoiceStream GSM als marktbeherrschenden Standard durchsetzen. Dies wäre ein Konkurrenzvorteil für europäische Netzbetreiber und Gerätehersteller, die sich schon lange auf GSM eingestellt haben.

Während es zu Beginn der neunziger Jahre japanische Auto- und Elektronikhersteller waren, die als Konkurrenten und Investoren in den USA Untergangsstimmung verbreiteten, treten seit einigen Jahren europäische, meist deutsche Unternehmen auf dem US-amerikanischen Markt auf: Chrysler fand sich als Juniorpartner von Daimler-Benz wieder, die Deutsche Bank kaufte Bankers Trust und Bertelsmann übernahm den Traditionsverlag Random House. Die europäischen Investoren sehen sich mit denselben nationalistischen Argumenten konfrontiert wie einst die japanischen.

Vor allem die Verbindung von Privatwirtschaft und Staat - popularisiert als Nippon AG - ist es, die in den USA auf Missfallen stößt. Deswegen fordern die 30 Senatoren eine Ablehnung des Vorhabens. Sie kritisieren, dass die deutsche Bundesregierung noch 58 Prozent der Telekom hält. In einem Brief an die FCC schreiben die Senatoren: »Wir haben unseren Telekommunikationsmarkt schließlich nicht deshalb dereguliert, weil wir ausländischen, staats-regulierten Unternehmen erlauben wollten, den US-Markt zu übernehmen.«

Für den Ökonom und Kommentator der New York Times Paul Krugman gibt es allerdings einen wichtigen Unterschied zwischen Japan und Europa: Während die Japaner ihren eigenen Markt für amerikanische Unternehmen abriegelten, halten sich die Europäer halbwegs an die internationalen Spielregeln, die vor allem von den USA geprägt wurden.

Als Folge der Marktöffnungen in Europa ist die Präsenz US-amerikanischer Unternehmen wie Wal-Mart oder General Motors selbstverständlich. Zudem baut die Bundesregierung ihren Bestand an Telekom-Aktien sukzessive ab. Direkte Eingriffe in die Geschäftsführung der Telekom unternimmt Finanzminister Hans Eichel nicht. Entsprechend gering war die Resonanz auf den protektionistischen Vorstoß der US-Senatoren. Statt Beifall mussten sie sich Belehrungen darüber anhören, dass die Globalisierung keine Einbahnstraße zur Beförderung amerikanischer Verhältnisse sei und ausländische Konkurrenz durch die Telekom am Ende den amerikanischen Telefonkunden zu Gute käme.

Es sind weniger die hehren Prinzipien von Freihandel und offenen Märkten, die eine Blockade-Politik gegen die Deutsche Telekom oder andere europäische Unternehmen verhindern werden. Vielmehr ist es die Einsicht, dass sich die Europäische Union zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten um den Führungsanspruch in der Weltwirtschaft entwickelt. Die EU-Kommission beginnt das zu machen, was die US-Regierung schon immer getan hat: Sie nutzt die Verhandlungsmacht und das Drohpotenzial einer ökonomischen Supermacht, um die eigenen Firmen in eine möglichst günstige Ausgangssituation im Wettbewerb um Marktanteile zu bringen.

In US-amerikanischen Unternehmen hat man sich längst an die Anwesenheit deutscher Manager gewöhnt. Neu ist, dass deutsche Staatssekretäre der US-Regierung drohen wie im Fall Deutsche Telekom/VoiceStream.