Riot-Zones II

Es gärt in der Provinz

Sommer. In Berlin, in Potsdam und anderen Metropolen lassen die Herrschenden das Regieren sein. Schröder sonnt sich auf der Trauminsel Mallorca, Stolpe fährt »mal mit dem Fahrrad an den See«. Im unruhigen Hinterland gärt währenddessen der Aufstand.

Beispiel Briesensee. Mitten in dem Ort im Dreieck Lübben - Lübbenau - Groß Leine bringt ein gewaltiges Transparent die Stimmung der Bevölkerung auf den Punkt: »Wer kämpft, kann verlieren - Wer nicht kämpft, hat schon verloren.« Hinter dem Spruchband versteckt sich ein Wohnwagen. Darin hungert Doris Groger (48), die Bürgermeisterin der 247 Einwohner.

Frau Groger, außerhalb der Ferienzeit Lehrerin für Deutsch, Kunst und Englisch, meint es ernst: »Ich werde hungern, bis unsere Forderungen erfüllt sind.« Und sie ist nicht allein. Bei ihr ist ihre Freundin Anita Petri (65). Schon letztes Jahr haben die beiden Frauen gemeinsam gehungert - damals in Frau Petris Heimatgemeinde Damsdorf, 40 Kilometer westlich von Briesensee. Mit ihnen hungern fünf weitere Frauen - es werden immer mehr. »Ab heute«, erklärte schon bald Frau Grogers Stellvertreterin Gertrud Heider, »schließe ich mich dem Hungerstreik an. Mein Geburtsdatum ist der 3.10.1937. Ich bin also im 63. Lebensjahr.«

Früher war Frau Groger eine ganz normale Hausfrau, wie es Dutzende gibt im südlichen Brandenburg. Bis der lange Arm der Herrschenden im weit entfernten Potsdam (über 100 Kilometer) ihr Leben veränderte: Zwangsanschluss an die Kanalisation, lautete die Hiobsbotschaft. 5 000 Mark sollte jedeR BriesenseerIn zur Finanzierung der »illegalen Maßnahme« (Frau Groger) beisteuern.

Doch da kannten die Herrschenden ihre Briesenseerinnen schlecht. Den Schlachtruf »Sozialverträgliche Abwassergebühren!« auf den Lippen, verweigerten Frau Groger, Frau Petri, Frau Feuerherd und all die anderen ab sofort jegliche feste Nahrung. Ortsprominenz wie der anerkannte Taubenzüchter Max Kettlitz (67), Gesamtdeutscher Meister 1995 auf der Nationalen Rassegeflügelschau in Nürnberg (Rasse: Strasser schwarz gesäumt), schloss sich spontan an: »Da ich aus gesundheitlichen Gründen die Aufnahme fester Nahrung nicht verweigern kann«, verkündete Kettlitz mit donnernder Stimme, »bleibe ich ab heute am Platz des Hungerstreiks, solange die sieben Frauen hungern.«

Keine 100 Meter entfernt vom Ort des Widerstands liefert unterdessen der unablässige Lärm des Baggers die kakofonische Begleitmusik zur verzweifelten Aktion der Abwasser-Rebellinnen. In der Luft stehen dichte Mückenschwärme, die aus dem nahen Spreewald herüberkommen, einer permanenten Hochwasser-Gegend, wo sich die Dorfbewohner mit Stakkähnen besuchen.

»Die Gemeinde Briesensee, im ohnehin trockensten Bundesland Brandenburg gelegen«, schrieben Frau Groger und Frau Petri an das Umweltministerium in Potsdam, »will aus ökonomischen und ökologischen Gründen kleine Wasserkreisläufe zu vernünftigen und bezahlbaren individuellen Preisen auf ihrem Gemeindegebiet organisieren, statt großtechnische für den ländlichen Raum überholte Lösungen zu bezahlen. (...) Was spricht gegen ein Moratorium, damit der Konflikt in Ruhe geklärt werden kann? Welche weitere unsittliche Machtausübung versteckt sich dahinter?«

»Können wir schon nicht Schaden von den Bürgern Briesensees abwenden«, schreibt die Germanistin Frau Groger weiter, »geschweige denn deren Nutzen mehren, können wir schon nicht verhindern, dass unseren Kindern im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser abgegraben werden soll, so wollen wir mit diesem Hungerstreik eine größere Öffentlichkeit zum Nachdenken anregen, bevor noch mehr Landstriche verdorren und für die Ernährung zukünftiger Generationen unrettbar verloren sind.

Wir protestieren gegen die Machtdemonstration Bagger gegen Bürger für Rendite in Briesensee! (Ö) Angeblich will man unser Abwasser 'entsorgen'. Mit unverschämten Rechnungen und Strafbefehlen entstehen Briesensees Bürger erst die Abwasser-Sorgen! Wir vermuten dahinter folgendes: Die internationale Finanzwelt hat erkannt: Wasser schenkt Leben - Öl nicht. Öl kann ersetzt werden - Wasser nie! Also baggern für Profit und Machterweiterung: Rohre legen zum Austrocknen grüner Gärten und zum Auspressen bis jetzt noch schuldenfreier Bürger, damit sie Haus und Hof verlassen, endlich Platz machen für herrliche Sommerhausprojekte stressiger Städter! Wie kann ein überdrehter Finanzkreislauf sich weiter drehen, wenn nicht durch Finanzierung unüberschaubarer - Leben zerstörender - Großprojekte?«

Eine Analyse, der an Schärfe nichts mehr hinzuzufügen ist. Doch die Reaktion schläft nicht. Nicht nur soll die Gemeinde Briesensee bei einem Ausstieg aus dem Kanal-Projekt dessen gesamte Kosten (67 159 Mark) übernehmen. Jetzt will Elmar Spicker, Direktor des Amtes Oberspreewald, der tapferen Frau Groger auch noch persönlich ans Leder. Weil Frau Groger die Sitzungen des Amtsausschusses boykottierte, hat Spicker die Kommunalaufsicht eingeschaltet. Damit, so Landrat Martin Wille, soll erreicht werden, dass sich Frau Groger »ihrer Pflichten bewusst wird und wieder ordentlich mitmacht«.

Doch genau das will Frau Groger nicht mehr.