Bankraub & Mobilität

Die Bonnot-Bande

Die Erfindung des Bankraubs durch den Automobilisten und Anarchisten Jules Bonnot.

Das Fluchtfahrzeug mit laufendem Motor gehört zu den unentbehrlichen Requisiten eines bewaffneten Bankraubs. Diese Tradition geht auf den Automobilisten, Anarchisten und Kriminellen Jules Bonnot zurück. Bonnot, 1876 geboren, sammelte seine Erfahrungen mit Automobilen um die Jahrhundertwende als Mechaniker in Lyon. Wegen anarchistischer Umtriebe immer wieder entlassen, verlegte er sich auf Diebstahl und Falschmünzerei hinter der Fassade einer Automobilwerkstatt. 1910 arbeitete er, so die Legende, für kurze Zeit in London als Chauffeur von Arthur Conan Doyle. Ende des Jahres kehrte er zurück und betrieb eine andere zukunftsweisende Profession: Er verschob gestohlene Autos zwischen der Schweiz und Frankreich. Im November 1911 wurde ihm das Pflaster in Lyon zu heiß und er floh mit seinem Kompagnon Platano, der 40 000 Franc aus einer Erbschaft dabeihatte, in einem gestohlenen Auto nach Paris.

Am Ende der Fahrt war Platano tot und Bonnot um 40 000 Franc reicher. In Paris suchte er Kontakt zu anarchistischen Kreisen und fand rasch Anschluss im Zirkel um das Blättchen l'Anarchie. Ein seltsamer Verein: individualistische Anarchisten, die aus Proudhons Satz »Eigentum ist Diebstahl« die Konsequenz zogen, »individuelle Wiederaneignung« sei der wahre revolutionäre Weg. Praktisch hieß das, dass sie sich mit Kleinkriminalität durchs Leben schlugen und ansonsten mit dem Chefredakteur ihrer Zeitung herumstritten, einem gewissen Victor Kibaltchiche, der den Weg der »individuellen Wiederaneignung« für ausgemachten Blödsinn hielt. Kibaltchiche sollte später unter dem Namen Victor Serge ein bekannter Romancier und ein Weggefährte und Biograf Trotzkis werden.

In diesen Haufen mit Revolvern bewaffneter Vegetarier und Sprudeltrinker platzte Anfang Dezember 1911 Jules Bonnot. Seine Botschaft war einfach: Statt Kleinkram große Coups, automobiler »Vorsprung durch Technik« - die Polizei verfügte seinerzeit in ganz Frankreich lediglich über vier Autos. Octave Garnier und Raymond Callemin schlossen sich ihm an, später kamen noch René Valet, Edouard Carouy, Elie Monnier und Andre Soudy dazu. Am 21. Dezember machte die Bande ihren ersten Überfall auf einen Kassenboten der Société Générale. Einem Industriellen wurde in der Nacht sein leistungsstarkes Auto aus der Garage entführt. Am nächsten Morgen fuhr man in die Rue d'Ordemer, die der Kassenbote mit seinem Leibwächter passierte. Der Wagen stoppte, die schwerbewaffneten Desperados sprangen heraus, schossen die beiden nieder, rissen die Geldtasche an sich und flohen mit dem Auto. Die Beute war mager: 5 000 Franc Bargeld, 300 000 in unveräußerlichen Papieren. Eine Tasche mit 40 000 Franc hatten die Banditen in der Eile zurückgelassen.

Es folgten weitere Überfälle nach demselben Muster, mit geringer Beute und etlichen Toten. Die Polizei war hilflos: Automobile fuhren tatsächlich schneller als Polizeifahrräder. Zwar wurde die Dienstanweisung ausgegeben, die Reifen fliehender Automobilisten mit dem Säbel zu zerstechen, doch erwies sich dies als wenig hilfreich. Am 25. März 1912 gelang der Bande ihr größter Coup, ein Überfall auf die Bankfiliale der Société Générale in Chantilly mit drei Toten und einer Beute von 50 000 Franc.

Nun verlegte sich die Polizei darauf, die anarchistische Szene zu überwachen und die Bande Mitglied für Mitglied auszuheben. Der stellvertretende Polizeichef von Paris hatte Pech, stieß unbewaffnet auf Bonnot und wurde prompt umgelegt. Beim nächsten Mal war die Polizei vorsichtiger und bot insgesamt 500 Bewaffnete auf. Bonnot starb, nachdem das Haus, in dem er sich verschanzt hatte, mit Dynamit gesprengt worden war. Als die Reihe an Valet und Garnier kam, trat gar ein ganzes Infanteriebataillon mit Maschinengewehren an. Auch die anderen Bandenmitglieder wurden nach und nach erwischt. Callemin, Monnier, Soudy sowie Eugène Dieudonné, der mit den Überfällen nichts zu tun hatte, wurden zum Tode verurteilt, viele andere, Beteiligte und Unbeteiligte, zu langjährigen Haftstrafen. Auch Victor Serge erhielt fünf Jahre für nichts.

Die Erfindung des automobilen Bankraubs sicherte der Bonnot-Bande bleibenden Ruhm. Bereits 1912 lieferte sie den Plot für einen der ersten Kriminalfilme, 1989 folgte eine weitere Verfilmung. Die Bande inspirierte Gedichte, Lieder (Joe Dassin, Kamionners du suicide, Paul Paillette), Filme, Anti-Kunstwerke (Michèle Bernstein) und mehrere Romane (Leo Malet). Im Mai 1968 richteten die situationistischen Wütenden anlässlich der Besetzung der Pariser Sorbonne einen Salle Jules Bonnot als Tagungsort des Besetzungskomitees ein.

Quellen:

Gyllenhak, Ulf: La Bande à Bonnot. In: Clavé, Florenci/Godard, Christian (Hg.): Viel Blut für teures Geld. Berlin 1990

Malet, Leo: Das Leben ist zum Kotzen. Hamburg 1992

Parry, Richard: The Bonnot Gang. London 1987

Thomas, Bernhard: Anarchisten. Ein Bericht. Freiburg 1970

Filme: »La Bande de l'auto grise« von Victorin Jasset, Frankreich 1912; »La Bande à Bonnot« mit Jacques Brel und Annie Girardot, Frankreich 1989.