Die Ökonomie der Bildung

Die Betriebswirtschaftslehre als neue Leitdisziplin der Universität: Wie Studenten und Hochschulen ihre eigene Verwertung organisieren.

Was macht ein Staat, der »von seinen Köpfen, nicht von seinen Rohstoffen« lebt, wie es in einer Erklärung der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) kürzlich zu lesen war? Ganz einfach: Er investiert in die Ausbildung der eigenen Kinder oder er greift sich den bereits geschulten Nachwuchs auf dem internationalen Markt. Die Greencard ist der deutsche Einstieg in den Wettbewerb um die besten Köpfe auf globaler Ebene. Das allein reiche aber nicht, meint die BDA. Um die Nachfrage zu befriedigen, müsse die schwierige Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt vor allem als ein Qualifikationsproblem angesehen werden.

»Viel zu viele gering qualifizierte Arbeitslose auf der einen Seite und dafür immer dringender gesuchte Fachkräfte auf der anderen Seite« kennzeichnen aus Sicht der BDA den hiesigen Arbeitsmarkt. »Eine wesentliche Ursache liegt in unserem Bildungssystem, das nur noch zweitklassig ist.« Deutschland fehle es überall am Wettbewerb: in und zwischen den Hochschulen, in der Wissenschaft und unter den StudentInnen.

Dynamisch-flexible Arbeitskraft-UnternehmerInnen sollen sie einmal werden. Doch »eigentümlich ist zunächst die Situation des Studenten, weil er halb erwachsen ist, halb nicht erwachsen sein darf«. Obwohl vor knapp 40 Jahren geschrieben, hat diese Feststellung auch heute noch sozial- und familienrechtliche Gültigkeit. Jürgen Habermas, Ludwig von Friedeburg, Christoph Oehler und Friedrich Weltz untersuchten damals den »politischen Habitus« der Studenten und veröffentlichten ihre Ergebnisse unter dem Titel »Student und Politik«. Während nach 1968 bis in die neunziger Jahre Studien mit ähnlichen Titeln vor allem um die Frage kreisten, wann die Studenten wieder den Aufstand proben, würde dieses Thema heute eher ein müdes Lächeln hervorrufen. Statt um das Verhältnis von Studenten und Politik dreht sich heute alles um die Verbindung von Universität und Wirtschaft.

Studienanfänger gelten heute wieder als unpolitisch und sie haben andere Sorgen, als sich um das Elend der Welt zu kümmern. Der so genannte Normalstudent aktueller Sozialerhebungen lebt außerhalb des Elternhauses, ist ledig, befindet sich im Erststudium und plagt sich mit Leistungssorgen, die von A wie Arbeitslosigkeit nach dem Studium bis Z wie Zulassung zur nächsten Prüfung reichen.

Mit den vielzitierten Humboldtschen Idealen der Freiheit der Wissenschaft, der Einheit von Forschung und Lehre und des Primats von Bildung vor beruflicher Ausbildung haben Hochschulen des Jahres 2000 nichts mehr zu tun. Für Humboldt war die Universität ein Ort totalitätsstiftender Kraft der Wissenschaften unter Führung der Philosophie. Dort, wo die Einheit von Wissenschaft und Moral, von Wissenschaft und Aufklärung, von Wissenschaft und individueller Persönlichkeitsbildung anzutreffen sei, sollte die Kultur im Ganzen reflektiert werden.

Humanistische und staatsnützliche Bildung kennzeichneten die »kulturstaatlich verfasste Ordinarienuniversität«, die als Leitbild vom 19. Jahrhundert bis zum Ende der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts dominierte. Sie war geprägt vom Übergang des feudalen Absolutismus zum bürokratischen Kapitalismus.

Der Marburger Sozialwissenschaftler Andreas Keller hebt in seiner Dissertation über die Verfasstheit deutscher Universitäten hervor, das »Humboldtsche Bildungsideal« könne kein Bezugspunkt emanzipatorischer Bildungspolitik sein, da es unmissverständlich in das Denken der »Ordinarienuniversität« eingebettet sei. Autonomie stand hier zwar hoch im Kurs, doch war diese verbunden mit einer hierarchisch organisierten Institution, an deren Spitze wenige Professoren amtierten. Universitäten waren primär staatliche Ausbildungsanstalten und finanziell vom Staat abhängig. »Die Wissenschaft wurde sowohl als ein System mit eigener Zweckbestimmung und Sachlogik als auch als integraler Bestandteil staatlichen Handelns verstanden«, schreibt Keller.

Die Last mit den Studenten

Auch die bis in die neunziger Jahre vorherrschende staatlich regulierte, von den Professoren dominierte Gruppenhochschule hat wenig mit dem zu tun, was heute als Widerpart allgegenwärtiger Ökonomisierung der Bildung hoch gehalten, verteidigt oder geschmäht wird. Ende der sechziger Jahre mangelte es der deutschen Wirtschaft an akademischen Fachkräften. Dieses Defizite sollte durch gezielte Förderung von Arbeiterkindern ausgeglichen werden. 1970 wurden Studiengebühren (das so genannte Hörergeld) abgeschafft und 1972 trat das Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög) in Kraft. Das ökonomische Kalkül der Bildungspolitik war mit dem Anspruch von »Bildung als Bürgerrecht« verknüpft.

Für marxistische Wissenschaftler sah der 1972 sozialdemokratisch verordnete Radikalenerlass allerdings eine Ausnahme vor: Ihre Bürgerrechte - in diesem Falle die freie Berufswahl - wurden drastisch eingeschränkt, durch Ausschluss aus dem öffentlichen Dienst.

Studenten bildeten - im hierarchischen Sinne des Wortes - eine Gruppe unter anderen, sie waren jedoch als Mitglieder der Hochschule grundsätzlich anerkannt. Unter der gewerkschaftlichen Forderung nach Mitbestimmung strebten Studenten nach Festigung und Ausbau ihres inneruniversitären Status. Mit dem Hochschulurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973 wurde den formalen Demokratisierungsbemühungen ein ebenso formales Ende gesetzt. Seitdem gelten Professoren qua Amt, Würde und grundgesetzlicher Autorität als Wahrheitsträger wissenschaftlicher Erkenntnis - die paritätische Gruppenuniversität war klinisch tot.

Der »Traum immerwährender Prosperität« (Burkart Lutz), der seit dem so genannten Wirtschaftswunder die BRD beherrschte, erwies sich mit der ökonomischen Krise 1973/74 als kurzes historisches Zwischenspiel. Von der erstmals seit zwanzig Jahren wieder auf über eine Million gestiegenen Arbeitslosenzahl wurden 1975 auch Akademiker erfasst. In den folgenden zehn Jahren wuchs die bis dato faktisch bedeutungslose Arbeitslosigkeit unter Akademikern drastisch an, 1998 waren rund 200 000 Akademiker arbeitslos.

Von hochschulpolitischer Bedeutung war dabei der Öffnungsbeschluss von 1977: Formal sollten die Hochschulen für alle offen gehalten werden, allerdings ohne weiteren Hochschulausbau. Dieser Doppelbeschluss - offen für alle, aber ohne entsprechende Finanzierung - erwies sich als Anfang der letzten sozialstaatlichen Initiative im Bildungssektor und gebar ein Schlagwort, das die Hochschulpolitik der achtziger Jahre prägte: das »Überlastproblem«. Das heißt v.a.: Zwei StudentInnen teilen sich einen Studienplatz. Halb Kind, halb erwachsen und schon eine hochschulpolitische Überlast - so sahen für Studenten die achtziger Jahre aus.

Marktbewusster Wirtschaftsbürger

In den Neunzigern kam alles anders. Das studentische Subjekt wurde wieder entdeckt und zunächst rhetorisch mit neuer Souveränität ausgestattet. Vom Mitglied der Gruppenuniversität zum Kunden der Hochschule und Lebenslaufmanager mit aktiver Selbstveredelungsstrategie - aus dem universitären Staatsbürger sollte ein marktbewusster Wirtschaftsbürger werden. Torsten Bultmann, bildungspolitischer Experte des Bundes demokratischer WissenschaftlerInnen (BdWi), beschreibt den Hintergrund dieses Wandels als »Übergang vom ðÜberlastÐ-’ zum ðEffizienzproblemЫ.

Effiziente Mittelverwendung, Entbürokratisierungen und - als Leitbegriff - »Autonomie« sind per se keine neoliberalen Ungehörigkeiten. Erst die Definition dieser Ziele, also welche Strukturen die staatlich-bürokratischen ablösen und woher eine autonome Hochschule künftig ihre Gelder bezieht, macht die Diskussion problematisch. Im Unterschied zur Situation zu Zeiten der sozialdemokartischen Bildungsreform ist die Wirtschaft nicht mehr allein äußerer Bezugsrahmen der Bildungspolitik. Vielmehr sollen ökonomische im Sinne von betriebswirtschaftlichen Strukturen direkt im Inneren der Institutionen die (Aus-) Bildung des Humankapitals steuern. Nicht allein für die Wirtschaft, sondern wie in der Wirtschaft soll ausgebildet werden.

Vollkommen neue Beziehungen der Hochschulen zu Staat, Gesellschaft und StudentInnen kennzeichnen diesen Transformationsprozess. Bultmann bezeichnet das neue Leitbild als »standortgerechte Dienstleistungshochschule«.

Globalhaushalte ersetzen die althergebrachte Kameralistik. Die Grundidee ist simpel: Anstatt den Hochschulen eine zuvor berechnete Summe für einzelne Ausgabenposten fest zuzuweisen, stellt der Staat ein gewisses Budget zur vergleichsweise freien Verfügung. Im Rahmen der so genannten Globalhaushalte entscheiden nicht mehr die faktischen Ausgaben über die Höhe der Mittel, sondern die »Leistung«, d.h. der Output des Wissenschaftsbetriebs. Leistung muss wiederum vergleichbar, also messbar sein, was eine Quantifizierung notwendig macht.

Doch wie soll ein wissenschaftliches Produkt quantifiziert werden? Danach, wie oft es sich verkauft, wie häufig Wissenschaftler in einschlägigen Fachmagazinen veröffentlichen? Die Frage liefert die Antwort gleich mit: Fachbereiche, die mehr Drittmittel einwerben, leisten mehr, und sie erhalten demzufolge mehr Geld. Erfolge bei der Aquise von Drittmitteln hängen überwiegend davon ab, was gerade als mainstream der scientific community gilt oder was von der Wirtschaft nachgefragt wird. Eine fundamentale Kritik der Atompolitik sponsored by Siemens klingt wenig realistisch.

Be your own profit center

Und die Studenten? Rhetorisch bereits in den Rang von Kunden erhoben bzw. dazu degradiert, fehlt ihnen noch das entsprechende Bewusstsein als »Konsumenten«. Aber auch hierfür gibt es ein Zauberwort: Studiengebühren. Der studentische homo oeconomicus leitet seine Ansprüche auf gut ausgestattete Bibliotheken und begleitende Studienberatung durch Professoren nicht mehr von seinem Recht auf Bildung ab, sondern verlässt sich schlicht auf sein Portemonnaie. Studiengebühren kreieren ein schlichtes Anreizmodell: Ihn treibt das Bedürfnis, innerhalb kürzester Zeit eine erste Ausbildung zu absolvieren, die auf dem Arbeitsmarkt eine optimale Ausgangsbedingung für die individuelle Beschäftigungsfähigkeit ermöglicht. Für ganz Eilige sieht das Hochschulrahmengesetz (HRG) seit 1998 ein Studium light, sprich Bachelor (BA), vor. Besonders Kluge schauen auf Rankings, wie die vom Spiegel, um die richtige Uni zu wählen.

Die Hochschule ist im ökonomischen Sinne Vertragspartner, der einen akademischen Abschluss in angemessener Zeit anbietet. Zusätzlichen Ansporn liefert der Staat, der die Höhe seiner Zuwendungen an die Hochschule von der Menge der innerhalb der Regelstudienzeit produzierten Akademiker abhängig macht. Rational sollen sich sowohl Dienstleister als auch Kunden verhalten. Sie suchen sich gegenseitig aus. Was für Studenten mit wenigen Einschränkungen (z.B. ZVS-Fächer, NC) schon immer möglich war, hat die Bundesregierung ebenfalls vor zwei Jahren durch die Änderung des HRG den Hochschulen ermöglicht: Sie können sich ihre Kunden teilweise selbst aussuchen. Aufnahmeprüfungen verdrängen das Abitur nicht, sondern gestalten die Selektion beim Hochschulzugang restriktiver.

Für Bultmann sind Studiengebühren deshalb ein »zentrales Kettenglied, ökonomische Selbstanpassung der Subjekte, institutionelle Modernisierung der Hochschulen und gesellschaftliche Märkte miteinander zu verkoppeln«. Kurz: Sie dienen als Steuerungsinstrument in einem marktorientierten Modell, das Autonomie auf Konsumentensouveränität beschränkt.

Im Kern geht es um eine innere Durchkapitalisierung der Hochschulen und der Subjekte selbst. Wenn von Autonomie geredet wird, ist die Freiheit des (studentischen) Marktsubjektes gemeint, sich nach Angebots- und Nachfragekriterien zu entscheiden. Der endgültige Wert einer jeden Entscheidung richtet sich nach der erwirtschafteten Rendite. Dabei kann oder muss von weiteren inhaltlichen Kriterien wie Sinn oder Unsinn von Forschung, Erkenntnisinteresse jenseits der Verwertung usw. abgesehen werden. Deshalb begrüßen Befürworter von Studiengebühren die vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) vorgelegte Untersuchung, aus der die Rendite einzelner Studiengänge abzulesen ist. Grob wurden Verdienstausfälle während des Studiums gegen wahrscheinliche Mehreinnahmen nach dem Studium abgewogen. Die Vergleichsgröße bildete das Einkommen von Abiturienten ohne anschließendes Studium. Das im Mai 1994 gegründete CHE - getragen von der Bertelsmann Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) - versteht sich selbst als Think Tank und Berater von Hochschulen. Es gehört zu den maßgeblichen Stichwortgebern und Institutionen der Politikberatung, die sich für eine betriebswirtschaftliche Reorganisation des Hochschulwesens einsetzen.

Für einzelne Fachbereiche rückt mit dem neuen Steuerungsmodell die Marktgängigkeit ihrer Inhalte in den Mittelpunkt. So genannte Diskussionswissenschaften - sprich Sozial- und Geisteswissenschaften - müssen sich fragen lassen, ob sie ihren künftigen Kunden eine Dienstleistung anbieten können, die zu einer höheren Beschäftigungsfähigkeit führt. Schließlich ist für jeden Betrieb selbstverständlich, nur das zu produzieren, was sich hinterher auch verkaufen lässt. Innerhalb des Gesamtbetriebes entwickeln sich die Fachbereiche zu Profit-Centern, zu autonomen, nach betriebswirtschaftlichen Kriterien funktionierenden Einrichtungen.

Den Begriff »Bildungsökonomie« hat Elmar Altvater vor gut dreißig Jahren als »ausgesprochen glückliche Kombination von Wörtern« verstanden. Denn »Bildung« verweise noch auf die humanistische Tradition der Menschenbildung, auf die Fähigkeit zur Reflexion, auf die Konstitution des autonomen bürgerlichen Individuums, während im Begriff »Ökonomie« das Moment der Ausbildung, der Konditionierung des Individuums und vor allem das Kalkül von Kosten und Nutzen enthalten sei. »Die Bildungsökonomie«, so Altvater weiter, sei nichts Weiteres »als Ausdruck dafür, dass Bildung oder Ausbildung gar nicht mehr ins Belieben der Individuen gestellt sein können«. Was für Humboldt die Philosophie war, wird künftig die Betriebswirtschaftslehre sein.

Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Global Sourcing statt freie Migration und Pflicht zur marktgerechten Ausbildung statt Recht auf Bildung ergänzen einander wunderbar.