Feindbilder

An der Heimatfront

Die Deutschen Kriegsausstellungen im Ersten Weltkrieg dienten nicht nur der Propaganda. Der koloniale Blick militarisierte sich, Fremde wurden zu Feinden.

Ein Krieg mit territorialen Zielen benötigt ein geografisches, sprich: nationales Kollektiv, das ihn will und führt. Dafür muss die Grenze zwischen Drinnen und Draußen möglichst genau definiert werden. Es geht dabei nicht nur um Regionen, Länder und Staaten, sondern auch um Bevölkerungsgruppen - im Ersten Weltkrieg schienen diese Kategorien noch ungefähr deckungsgleich.

Das 1871 gegründete Deutsche Reich, das von 1914 bis 1918 mit seinen Verbündeten, vor allem Österreich-Ungarn, gegen das restliche Europa kämpfte, beanspruchte ebenso wie die übrigen kriegführenden Parteien das Recht, die Welt in ein »Selbst« bzw. »Freunde« und in »Feinde« zu unterteilen. Den Feinden wurden entsprechende Eigenschaften zugeschrieben. Das Besondere an der deutschen Propaganda war, dass somit auch der eigene Angriff legitimiert werden konnte. Um neben der Feldfront auch die erstmals als Heimatfront bezeichnete deutsche Zivilbevölkerung für den Krieg zu mobilisieren, bedurfte es daher eindeutiger Zielscheiben, also Feindbilder, und verfügbarer Munition, also sprachlicher, visueller und plastischer Formulierungen, die möglichst vielen Deutsche aufnehmen und selbst anwenden sollten.

Bereits zwei Jahre vor der Einrichtung eines offiziellen Propagandaorgans, das Bild- und Filmamt (Bufa) wurde 1917 gegründet, hatte das Preußische Kriegsministerium eine Serie von Deutschen Kriegsausstellungen geplant. Dies geschah in Zusammenarbeit mit dem monarchistisch-militaristisch orientierten Roten Kreuz. Die Ausstellungen sollten auch zur Geldbeschaffung für dessen Aktivitäten in der Kriegsfürsorge dienen. Damit benutzte die militärische Führung ein Medium, das weder vorher, im deutsch-französischen Krieg von 1870/71, noch danach, im Zweiten Weltkrieg, eine erwähnenswerte Rolle in der Propaganda spielte.

Realisiert wurden die Deutschen Kriegsausstellungen in fünf ähnlich aufgebauten Expositionen, die nach dem Prinzip von Wanderausstellungen in den Jahren 1916 und 1917 durch viele deutsche Städte tourten. Gezeigt wurden hauptsächlich feindliche Waffen, Geschütze, Flug- und Fahrzeuge, die die deutsche Armee auf dem Schlachtfeld erobert oder vorgefunden hatte. Gleichzeitig veranschaulichten die Exponate die neuen Arten der Kriegstechnologie und Kriegsführung in der Luft, unter Wasser und in den Schützengräben des Stellungskrieges an der Westfront. Diese Trophäenparks beeindruckten durch ihre Ausmaße sowie durch die Zahl und Gefährlichkeit der Exponate. Die Phantasie der BesucherInnen erregten aber vor allem jene Abteilungen, die den Feind selbst zeigten.

In der Berliner Schau, im Januar 1916 als erste Deutsche Kriegsausstellung in den Ausstellungshallen am Zoologischen Garten eröffnet - dort steht heute das Kino Zoopalast -, wurden die Feinde in einem Seitenflügel gezeigt. Links vom Mittelgang lagen oder hingen feindliche Uniformen, rechts davon befanden sich vollständig eingekleidete Wachspuppen mit unterschiedlichen Physiognomien, die »Russen«, »Engländer«, »Franzosen« und »Belgier« darstellten. Der Bildteil des Amtlichen Führers (Berlin 1916) zeigte nicht nur Fotos von diesen Puppen, sondern »einige besonders hervorstechende Uniformen unserer Feinde teils in Originalzeichnungen«. Die vermeintlichen Charaktere der Gegner, ablesbar an Gesichtszügen, Körperstatur und -sprache, wurden ebenso betont wie die militärische Ausrüstung.

Die in der Berliner Exposition arrangierte Galerie von Feinden nahm die Presse als ein »Panoptikum der Heereskleidung« (Berliner Börsen-Courier vom 8. Januar 1916) oder als »gespenstisches Wachsfigurenkabinett der blutigen Weltenwende von 1914 bis ?« (Vossische Zeitung vom 8. Januar 1916) wahr. Spätere Versionen der Deutschen Kriegsausstellungen richteten sogar ganze Szenen mit Handlung und landschaftlichem Hintergrund ein. Gerade für die Repräsentation der Kolonialbewohner, die die englische und die französische Armee als Hilfstruppen für

den bewaffneten Kampf in Europa einsetzten, schienen sich diese »Schaugruppen« anzubieten. In mehreren Städten wurden etwa »Gurkhas und Sikhs« gezeigt, die an einem Drahtzaun, der im Grabenkrieg zur Abschimung der Stellungen diente, entlangschlichen.

Ein Fundus für die Ausstattung von afrikanischen und asiatischen Menschen waren außer dem Schlachtfeld und seinen Leichen auch die Kriegsgefangenenlager. Sie lieferten nicht nur Kleider und sonstige Utensilien, privilegierte Militärs nutzten sie auch zum »Studium« von lebenden Fremden. Diese wurden abgelichtet und dann als »Typen unserer Feinde« katalogisiert - in einer Art von ethnografischer Fotografie.

Die Theaterszenen in den Deutschen Kriegsausstellungen zeigten die Feinde entweder bei militärischen Handlungen oder bei angeblich landestypischen Beschäftigungen (»Russische Lagerrunde zur Balalaika tanzend«). Damit griffen sie auf Präsentationsstrategien zurück, die sich im vorangegangenen Jahrhundert ausgebildet hatten. War es bereits in der Renaissance üblich gewesen, lebende ExotInnen in fürstlichen Gärten zu halten, so übernahmen nach der Aufklärung die Zoologischen Gärten diese Funktion. Viele der temporären, aber mit hohem Aufwand betriebenen Industrie-, Welt- und Kolonialausstellungen des 19. Jahrhunderts bauten ganze ethnografische Dörfer auf. In der Berliner Gewerbeausstellung von 1896 etwa lagen neben Straßenzügen von Kairo afrikanische Hütten, in denen für die Dauer der Ausstellung Menschen aus Neu-Guinea, Kamerun und Togo, außerdem Papuas, Suaheli, Wakonde, Massai, Herero und Witboi wohnten. BesucherInnen konnten so alles besichtigen, was sie sich unter den Alltagstätigkeiten der Fremden vorstellten.

Eine dramatisierte, mit inszenierter Handlung versetzte Variante der Ausstellung von ExotInnen boten die 1874 von dem Hamburger Zoobesitzer und Tierhändler Carl Hagenbeck initiierten Völkerschauen. Hier mussten gemietete Gruppen verschiedener Völker ihre Kultur in Tänzen und Ritualen vorführen. Später wurden die Inszenierungen immer sensationeller. Zum Beispiel hatten Indianer einen Postkutschenüberfall darzustellen. Auch leblose Fremde waren der deutschen Öffentlichkeit zugänglich: Medizinische Kabinette, Völkerkundemuseen und Wachsfigurenkabinette stellten dreidimensionale Nachbildungen von ExotInnen aus.

Die Deutschen Kriegsausstellungen übernahmen also Präsentationsstrategien bildungsbürgerlicher und vergnügungskultureller Institutionen. Diese Tatsache verdeutlicht, dass der Krieg nicht die Mittel veränderte, sondern die ideologischen Implikationen. Der ethnografische und koloniale Blick des Imperialismus militarisierte sich, bzw. diese Komponente verschärfte sich und wurde offensichtlich. Ins Visier gerieten die Feinde, in denen die Kategorie der Fremden aufging. Obwohl das kulturell Interessante nun begleitet wurde vom Vorzeichen des Bösen, blieb der Bevölkerung trotzdem das Vergnügen der Safari in einer spektakulären Ausstellung erhalten. So blieb es möglich, die neue und bedrohliche Situation Krieg nach eingeübten Mustern zu erfassen. Die Heimatfront aktualisierte bekannte Worte und Bilder vom Fremden, um nun Feinde zu beschreiben. Dabei blieb die Zivilbevölkerung - wie die BetrachterInnen von ExotInnen in Kolonialausstellungen und Zoos - in ihrem Selbst, im Recht und in sicherem Abstand.