Alternative Lebensformen

Gezielt zuschlagen

»Raus aus der S-Bahn!« - »Nein.« - »Sofort, sonst leg' ick dir flach.« Als mir dämmerte, dass es der Einsatzleiter ernst meinte, war es schon zu spät. Bumms. Dicke Beule am Schienbein, drei Tage Bettruhe. Seit jenem Tag - Leipzig war am 1. Mai 1998 voller Nazis und der Zug auf dem Rückweg voller Bullen - lasse ich mich allenfalls noch als Zaungast bei Demos blicken.

»Schisser«, riefen mir die anderen Jungs früher schon, in der dritten Klasse, hinterher. Etwa zwölf Jahre später: linke Bewegung, Demos, Kämpfen. Das übliche halt. Nie wieder Schisser sein, Widerstand. Seit der unschönen Szene in der S-Bahn aber weiß ich: Kämpfen ist gut, Vorsicht ist besser. Dafür hänseln mich heute die Jungs aus dem Hausprojekt nebenan.

Aber in Berlin soll jetzt alles noch schlimmer werden. »Her mit dem neuen Knallhart-Knüppel«, forderte das Springer-Blatt B.Z. vorige Woche, die Hauptstadt-Polizei müsse mit so genannten Tonfas ausgerüstet werden - und zwar »flächendeckend«. Denn die Ordnungshüter haben es schwer: Sie werden »gedemütigt, geschlagen, bespuckt« (B.Z.). Und verachtet. Nicht nur von Schwerverbrechern und Linken, sondern auch von »Diplomatenfrauen«. Erst kürzlich soll die Ehefrau eines Angehörigen der ukrainischen Botschaft einem Polizisten bei einer Verkehrskontrolle ans Schienbein getreten haben.

Der Vorfall soll beweisen: Das Tonfa muss her, schnell. Schließlich ist es »eine Defensiv-Waffe«, mit der es auch »kleineren Polizisten und Frauen« gelinge, »Schläger auf Distanz zu halten oder auf den Boden zu zwingen«, wie Eberhard Schönberg, der Vorsitzende der Berliner Polizeigewerkschaft, der B.Z. erklärte.

»Bei richtigem Einsatz zerschlägt der Knüppel sogar Holztüren«, weiß die B.Z. Erste Versuche mit dem Tonfa gab es bereits. Vergangenes Jahr testeten Zivilpolizisten den »Knallhart-Knüppel« am Rande der 1. Mai-Demo in Kreuzberg, ausgerechnet an unbeteiligten Zaungästen.

Doch zum Glück ist es derzeit noch ungewiss, ob der Wunderknüppel überhaupt zum Einsatz kommt. Denn die Innenverwaltung macht ihre Finanznot geltend. »Fehlt bloß noch, dass wir auf die Schießausbildung verzichten«, wendet GdP-Landeschef Schönberg gewohnt kritisch ein. Dabei nimmt die Berliner Innenverwaltung die Sorgen der Beamten wirklich ernst. Wie in Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg oder Hessen darf nun auch die Berliner Polizei Pfefferspray einsetzen. Die Vorzüge gegenüber CS-Gas liegen auf der Hand. Pefferspray ist wirksamer, gesundheitsverträglicher und preiswerter, es bewährt sich sowohl bei Demonstrationen als auch im Nahkampf.

Eigentlich sollte man meinen, dass die Berliner Polizei damit zufrieden wäre. Doch weit gefehlt. Die »Polizisten schämen sich«, hieß es vergangene Woche erneut in der B.Z. »Tollkühne Männer« sitzen »in altersschwachen Kisten«, kritisierte das Blatt den veralteten Fuhrpark der Polizei. In der Tat, wenn man »Schläger und Randalierer« nicht einfangen kann, nützt die beste Kampfausrüstung nichts. Das finden auch die Jungs aus dem Hausprojekt nebenan und freuen sich über ihre schnellen Beine.