Kongress der Antifa

Göttingen sehen und sterben

Der Antifa-Kongress ist vorbei. Es gibt aber keinen Grund zur Trauer: Zum geplanten Nachbereitungstreffen gibt es zwei Vorbereitungstreffen.
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Rund 600 Antifaschistinnen und Antifaschisten aus ganz Deutschland besuchten am vergangenen Wochenende den Antifa-Kongress in Göttingen. Aufbruchstimmung sollte von dem aufwendig vorbereiteten Kongress ausgehen. Veranstaltet hatten ihn die örtliche Autonomen Antifa (M), die Antifaschistische Aktion Berlin und das Bündnis gegen Rechts aus Leipzig.

Die Tagung wurde jedoch weniger ein Startsignal für eine Neuorganisation der Antifa-Bewegung, als vielmehr ein Abgesang auf die bundesweite Organisation AA/BO, die, wie erwartet, ihre Auflösung bekannt gab. Vielleicht war es auch ein Abgesang auf die Antifa-Bewegung insgesamt. Aber woran lag das?

Die Nazis

sind ja das Wichtigste. Ohne Faschos kein Antifaschismus. Allerdings verbot ein Gericht die von Steffen Hupka angemeldete Nazi-Demo gegen den Antifa-Kongress und folgsam blieben die Herrschaften zu Hause, anstatt ihren Beitrag zum Rahmenprogramm zu leisten. »Antifa - jetzt auch ohne Nazis« hieß es bereits in einem Thesenpapier zum Kongress. Ob das Zukunft hat?

Die Universität

als Veranstaltungsraum, das gibt Anlass zur Hoffnung. Aber in Hörsälen wird eben vor allem zugehört. Die wirklich interessanten Diskussionen finden bekanntlich auf den Fluren statt und die wirklich wichtigen in der Sauna. Eine Sauna gab es nicht.

Göttingen

ist eine wirklich nette Stadt mit ungeheuer vielen RadfahrerInnen. Nur verdammt schlecht ausgeschildert, das Nest.

Phrase des Tages

»Wir stehen nicht am Ende der Politik, sondern vor einem neuen Anfang«. Dieser Satz fiel schon bei der Auftaktveranstaltung. Bei der Abschlussveranstaltung hieß es dann: »Der Kongress ist nicht der Endpunkt, sondern der Ausgangspunkt für Diskussionen.«

Selbsterkenntnis des Tages

»Organisierung ist Flucht vor der eigenen Ohnmacht.«

Wichtigste Frage im Vorfeld

»Erst auflösen, dann neu gründen, oder andersrum?« Man entschied sich dafür, zuerst aufzulösen. Feierliche Begräbnisstimmung kam jedoch nicht auf. Und was nach der AA/BO kommt, bleibt völlig nebulös.

Die schönste Kunstpause

entstand, als der Referent der Auftaktveranstaltung verkündete, dass sich die AA/BO bereits im April aufgelöst habe, und offenbar mit einem Aufschrei der Verwunderung rechnete. Doch statt der Oohs und Aahs blieb es ein, zwei Minuten lang still, bis ein Altautonomer schließlich applaudierte.

Die Geschichte

der AA/BO wurde in einem ausführlichen Rechenschaftsbericht nachgezeichnet. Die Genesis geht etwa so: »Die AA/BO entstand als Organisation ohne Programm. Die Ziele waren das, was realisierbar ist.« Nämlich die Organisation zu schaffen. Die Revolution gehörte in die Abteilung »mittel- und langfristige Projekte«.

Heftig bejubelt

wurden Sätze wie: »Ich will den Kapitalismus abschaffen!«

Der Kapitalismus

ist sowieso das Wichtigste, wenn schon keine Nazis da sind. Denn dass der Anti-Nazi-Kampf so nicht weitergeht, wissen ja spätestens seit letztem Sommer alle. Es geht doch ums Ganze! Und das heißt, wir sind gegen den Kapitalismus, irgendwie, aber ganz bestimmt.

Die Globalisierung

ist aber nicht unbedingt das sinnvollste Aktionsfeld in dieser Angelegenheit. Das gab jedenfalls ein sehr fundiertes Referat zu diesem Thema zu bedenken, welches sich u.a. mit den reaktionären Elementen der Anti-Globalisierungs-Bewegung beschäftigte.

Antirassismus

könnte ja auch ein Thema sein. Eingeladen waren ein paar antirassistische AktivistInnen. Spätestens hier stimmte das Kongress-Motto: Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnahmen.

Uno-Blauhelme

aus der autonomen Szene moderierten eine mit Spannung erwartete Veranstaltung zu Sexismus und Vergewaltigung. Tatsächlich konnte über manche Tabu-Themen diskutiert werden, ohne dass die Veranstaltung von Feminstinnen gesprengt wurde. Damit hatte der Kongress jedoch auch eine Hauptattraktion weniger. Aus einem Flur-Gespräch: »Ganz schön öde, ich dachte, da geht es mehr ab!«

Kölner Klüngel

gab es ausnahmsweise mal nicht. Als sich die Antifaschistische Aktion Köln beim Abschlussplenum mit sich überschlagender Stimme über die Sexismus-Debatte echauffiert hatte und es kurzzeitig zu Tumulten im Saal zu kommen schien, trat eine Frau ans Mikro und erklärte: »Ich bin von der Antifa K aus Köln, und ich wollte nur sagen, dass wir nichts mit der Antifaschistischen Aktion Köln zu tun haben.«

Boykottieren

solle man wegen ihres Verhaltens zu einem Vergewaltigungsfall die Antifaschistische Aktion Berlin, forderten in penetranter Weise die Revolutionären Kommunisten (RK) aus Berlin. Dass die RK selbst noch vor wenigen Jahren wegen ihrer Gewaltexzesse boykottiert wurden, schien dabei nicht zu stören.

Thomas Ebermann

war auch da.

Jutta Ditfurth

fehlte. Wo war Jutta Ditfurth?

Wichtigste Fragen

Wo pennst du? Hast du schon 'nen Schlafplatz? Kann ich da auch schlafen? Wie kommst du zu deinem Pennplatz? Pennst du auch in der Turnhalle? Wo zum Teufel ist diese blöde Turnhalle?

Essen

gab es nur für Essensmarken, die es wiederum nur bei Entrichtung des Teilnehmerbeitrags von 50 Mark gab. Aber das McRib-Menü schmeckt ja auch immer wieder gut, und »Marco Polo« ist eine wirklich gute Pizzeria in Göttingen. Über eine Kartoffel-Gemüse-Suppe, die man auf dem Kongress reichte, wurde erzählt, dass sie in mit Mülltüten ausgeschlagenen Farbeimern gelagert wurde. Soll aber gut geschmeckt haben. Und über Mensa-Essen wird ja immer gerne gelästert.

Ohne Party

kein Kongress. Und feiern konnte die AA/BO immer schon! Daran ist sie nicht gescheitert! Selbst in der Uni-Mensa gelang es, Disko-Atmosphäre aufkommen zu lassen. Und trotz HipHop und Britney Spears gab es einen Anflug von Punkrock. Die AntifaschistInnen ignorierten größtenteils die großen Hinweisschilder: »Bitte nicht auf den Boden aschen!« Immerhin. Dann ist noch nicht alles verloren.

Punk

is not dead. Selbst in der Popantifa nicht! Fast zwar, aber nicht ganz. Gut, es gab weniger bunte Haare als in einer Brandenburger Vorstadt-Disko zu sehen, aber ein echter Punk war doch da! Er war sonnengebräunt und trug einen akkuraten Kurzhaarschnitt. Aber das Dead-Kennedys-T-Shirt verriet ihn. Punk ist eben eine Herzensangelegenheit!

Die Klamotten

sind nicht alles. Zusammenfassend lässt sich sagen: Nie war die Linke normaler als heute. Während bei der Kleidung gelegentlich der Marken-Mainstream-Style noch von ein paar autonomen Accessoires wie Kapuzenpulli oder Bundeswehr-Hose ergänzt wurde, herrschte bei den Haarschnitten die Otto Normalfrisur vor.

Diskriminierung

gab es auch! Wenn ModeratorInnen Wortmeldungen aus dem Publikum annahmen, sagten sie von kurzhaarigen, modisch angezogenen Leuten: »Der Genosse da«, zu bunthaarigen oder etwas alternativer ausschauenden: »Du da hinten«.

Falsche Redewendungen

gibt es nicht nur in der Antifa. Aber auch da. Jemand wollte das »Vakuum schließen«, welches die Auflösung der AA/BO hinter-lässt. Das geht nicht. Lücken werden geschlossen, ein Vakuum wird gefüllt. Aber bei so viel Leere weiß man eben manchmal gar nicht mehr, wo einem der Kopf steht.

Offene Fragen

hinterließ auch ein Seminar mit dem Thema »Macht Antifa dumm?« Konfrontiert mit Wertkritik und Postmoderne drohte der Kongress auf Abwege zu gelangen, allerdings fand die Debatte aus dem Seminarraum nicht den Weg in den großen Hörsaal und damit in die Bilanzen.

Die Zone

wurde ein Treppenabsatz genannt, auf dem DKP, Bolsevik Partizan und die junge Welt ihre Infotische aufgebaut hatten.

Innovation des Tages

war sicherlich das bei autonomen Veranstaltungen erstmals ausliegende Gästebuch. Darin fand sich unter anderem folgender Eintrag: »Bitter. Bernd«

Fragen zum Schluss

Auf dem Abschlussplenum ergab sich noch einmal die Gelegenheit zu einem Resüme der Tagung. Aus dem Publikum kamen unter anderem folgende Beiträge: Warum gab es kein veganes Essen? Die Diskussionskultur sollte man von der Kommune-Bewegung lernen. In Christiania in Kopenhagen schaffen es doch auch 2000 Leute, gesittet miteinander zu diskutieren. Mich ärgert, dass die Leute ihren Müll nicht weggräumen. Dieser ganze Müll, das ist doch auch Kapitalismus. Warum eigentlich sollte die Antifa nicht eines Tages auch einen Parlamentssitz haben?

Politische Einschätzungen

kamen eher vom Podium, auf dem ein Sprecher aus Leipzig bilanzierte: »Auf den Slogan 'Kapitalismus abschaffen' können sich alle einigen, nur bei den Details gibt es noch Unklarheiten.«

Das neue Projekt

ist erstmal keine neue Organisation, sondern eine neue Zeitung. Phase 2 soll sie heißen und bereits im Juni mit der ersten Nummer auf den Markt kommen. Offenbar das Lieblingsprojekt der Leipziger Antifa. Und natürlich soll alles ganz anders werden als bei den anderen 100 linken Zeitungsprojekten: Theorie und Praxis verbinden, kein Verlautbarungsorgan sein, sondern Diskussionen zu Analyse und Strategie der radikalen Linken anschieben. Nur wie das genau funktionieren soll, ist noch nicht klar.

Auf die Publikumsfrage: »Und wer entscheidet dann, was da reinkommt?« gab es die zunächst plausible Antwort: »Die Redaktion. Es gibt eine Redaktion.« Nachher hieß es jedoch, jede und jeder könne in dieser Redaktion mitmachen. Unwahr sind jedoch Gerüchte, dass die Redaktionskonferenzen auf zentralen Plätzen der Stadt Leipzig stattfinden sollen.

Nach dem Treffen

ist vor dem Treffen. Damit ja keiner glaubt, es gehe nicht weiter mit der Neuorganisationsdiskussion: Am 14. Juli findet in Leipzig zur Vorbereitung der neuen Organisierung ein Nachbereitungstreffen des Kongresses statt, zu dem es zwei Vorbereitungstreffen geben wird.