Justiz und Lokalpresse helfen NS-Verbrecher

Ein rüstiger Mörder

Mit Hilfe von Justiz und Lokalpresse gibt sich ein bekannter NS-Verbrecher in Nordrhein-Westfalen unschuldig. Antifaschisten hingegen werden juristisch verfolgt.

Es hätte ein ruhiger Lebensabend werden können. Fast fünfzig Jahre lang wohnte Karl Friedrich Titho unbehelligt im nordrhein-westfälischen Horn-Bad Meinberg. Doch nun wurde der 89jährige von seiner Vergangenheit eingeholt. Mit der Ruhe ist es vorbei. Nicht dass es in seinem Wohnort vorher niemand wusste, im Gegenteil. Trotzdem ließ es sich dort gut leben. Aber was im letzten Sommer geschah, war dem alten Mann dann doch zu viel. In einem Artikel im Internet wurde er als »Henker von Fossoli« und als »Nazi-Mörder« bezeichnet. Schlimm.

Manche alten Nazis, die schließlich doch noch als NS-Verbrecher enttarnt werden, geben sich senil und sagen gar nichts zu den Vorwürfen, die gegen sie erhoben werden. Andere, wie Karl Friedrich Titho, machen auf wehleidig und stilisieren sich zu Opfern vermeintlicher Hetzkampagnen. Titho fühlte sich verleumdet und erstattete Anzeige wegen Beleidigung und übler Nachrede.

Zunächst schien seine Anzeige folgenlos zu bleiben, lange Zeit geschah nichts. Anfang April jedoch wurde der Staatsschutz aktiv. Beamte des Bielefelder Staatsschutzes durchsuchten das Kulturzentrum Alte Pauline und drei Privatwohnungen in Detmold nach Beweisen für die Urheberschaft des inkriminierten Artikels. Dabei wurden Computer, Datenträger, Vereinsunterlagen und Flugblätter beschlagnahmt.

Für die Betroffenen ist der Fall klar. Bei der Aktion handele es sich um den Versuch, Antifas einzuschüchtern. Für diese Annahme spricht, dass die Durchsuchungsbeschlüsse bereits im August ausgestellt worden waren und eine Vollziehung fast acht Monate später wohl kaum mehr der Beweissicherung oder der Aufklärung des Sachverhaltes dienen kann. Es entstehe »der Eindruck, als sei eine einfache und zudem teilweise unbegründete Verleumdungsklage zum Vorwand genommen worden, unliebsame politische Akteure auszuforschen«, sagt Annelie Buntenbach, Abgeordnete der Grünen im Landtag von NRW.

Spätestens seit der Staatsschutzaktion steht Titho im Mittelpunkt einer Diskussion um NS-Verbrechen, die derzeit in der Region geführt wird. Vor allem die Lokalpresse spielt dabei eine unrühmliche Rolle. Die Lippische Landeszeitung etwa ist Titho wohl gesonnen. Statt zu beanstanden, dass sich »ein bekannter NS-Verbrecher mit Hilfe der deutschen Justiz als Opfer gebärden kann«, wie der Trägerverein der Alten Pauline die Berichterstattung der LZ kritisiert, bietet ihm das Blatt Raum für seine Selbstdarstellung als Opfer. »Da ist ein Popanz aufgebaut worden, gegen den man kaum noch ankommt«, wird Titho ohne Gegenrede zitiert. Dass die bürgerliche Presse gegen Antifas zu Felde zieht, ist nicht ungewöhnlich, doch die LZ bedient sich dabei ungeniert eines NS-Verbrechers. Da wundert es kaum, dass Titho in der LZ die Verbrechen der Nationalsozialisten unwidersprochen als ein bloßes »Verhängnis« bezeichnen durfte, das »immer unbegreiflicher werde«.

Vorige Woche berichtete das Blatt jubelnd, dass Titho nun die »Bereitschaft« bekunde, »in einem kleinen Kreis mit vernünftigen Leuten darüber zu reden«. Viel zu reden gibt es aber nicht, Tithos Werdegang ist schnell erzählt. 1932 trat er mit 21 Jahren in die SS ein, im folgenden Jahr wurde er NSDAP-Mitglied. Elf Jahre später, er hatte es inzwischen zum SS-Untersturmführer gebracht, wurde er Leiter des so genannten Polizeidurchgangslagers im italienischen Fossoli, das später nach Bozen verlegt wurde. Unter Tithos Kommando wurden tausende Juden und Antifaschisten in deutsche KZs deportiert, auch war er an der Erschießung von 67 politischen Häftlingen beteiligt, einer so genannten Vergeltungsmaßnahme für einen Partisanenangriff.

1943 machte er sich der Misshandlung von Häftlingen im niederländischen KZ Vught schuldig. Dafür und für seine Mitwirkung an der Erschießung von 70 sowjetischen Kriegsgefangenen in den Niederlanden, wurde Titho 1951 von einem niederländischen Gericht zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt. Nachdem er zwei Jahre abgesessen hatte, wurde er 1953 nach Deutschland abgeschoben.

Für seine Beteiligung an NS-Verbrechen ist das ehemalige SS-Mitglied weder in Italien noch in Deutschland je belangt worden. Alle Ermittlungsverfahren gegen ihn wurden eingestellt, teils wegen »Verjährung«, teils wegen »unzureichender Beweise«. »Wenn heute die Verbrechen den Tätern nicht mehr exakt zugeordnet werden können oder verjährt sind, ist das auch ein Versäumnis der deutschen Justizbehörden«, kritisiert Buntenbach die unzureichende Verfolgung von NS-Tätern in Deutschland.

56 Jahre nach dem Kriegsende ist die Bilanz der deutschen Ermittler niederschmetternd. Allein bei der Dortmunder »Zentralstelle in Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung nationalsozialistischer Massenverbrechen«, die auch gegen Titho erfolglos ermittelte, waren fast 1 300 Verfahren gegen NS-Verbrecher anhängig. Doch nur in 55 Fällen kam es überhaupt zu einer Verurteilung. Oft genug vereitelten altgediente Nazijuristen die strafrechtlichen Verfolgungen.

»Es stünde den deutschen Behörden besser an, das bislang ungesühnte NS-Unrecht juristisch aufzuarbeiten«, fordert Buntenbach. Allein, die zuständigen Behörden machen keinerlei Anstalten, erneute Ermittlungen gegen Titho aufzunehmen. Eine Gruppe aus dem Umfeld der Alten Pauline spricht in diesem Zusammenhang von einem mangelnden Verfolgungsinteresse der deutschen Behörden, das bis heute bestehe.

Und deshalb kann sich Titho sicher fühlen. So sicher, dass er jüngst in einem Artikel in der Lippischen Landeszeitung seinen Opfern dreist eine »Versöhnung« anbot: Wenn die Leitung eines Lagers schon Schuld bedeute, so seine Worte, dann wäre eine Entschuldigung angebracht. Seine Verbrechen in Italien gesteht Titho freilich nicht. Derartige Fragen überlässt er seinem Anwalt. Der hat erst kürzlich verkündet, sein Mandant habe »gar nicht die Kompetenz« gehabt, seine Opfer in die Vernichtungslager zu deportieren.