Mikrokosmos

We Don’t Need No Integration

Zur städtischen Modernisierung in Hamburg und zur Auseinandersetzung um die Rote Flora.

Am 23. September wird in Hamburg das Stadtparlament, die Bürgerschaft, gewählt. Das Thema »Innere Sicherheit« steht im Wahlkampf an erster Stelle. Von Rechtsaußen bis zu den Grünen, von Spiegel TV bis zum Hamburger Abendblatt wird gegen »schwarze Intensivdealer« gehetzt, die rechtsfreie Räume des Bahnhofsviertels St. Georg und des Schanzenviertels in St. Pauli in Drogensupermärkte verwandelten.

Der Innensenator Olaf Scholz (SPD) verkündete bereits Ende Juli, dass die Polizei und das Einwohnerzentralamt als »weiteres Element des behördenübergreifenden Anti-Drogenkonzepts für St. Georg« mit dem Wachdienst Weko einen Vertrag abgeschlossen hätten, der vorsehe, dass private Wachleute eigenmächtig »Dealer zurückführen« dürfen. Wer sich nach den Richtlinien des Ausländer- oder Asylrechts unrechtmäßig in Hamburg aufhält, den dürfen die Weko-Leute »schnell und unbürokratisch« ins Bundesgebiet abtransportieren. Scholz erklärte dazu: »Wir wollen die Dealer packen.« Hamburgs SPD steht so weit rechts, dass es aus ihren Reihen keinen Protest gegen diese Gleichsetzung von Dealern und Asylbewerbern gab.

Das Produkt Hamburg

Auch die Grünen in Hamburg (GAL) haben dem nur wenig entgegenzusetzen. Mit der populistischen Frage: »Schanze: Drogensumpf oder Yuppiekiez?« hatten sie zuvor auf sich aufmerksam gemacht. In diesem Motto klingt auch das zweite zentrale Wahlkampfthema an, die Umstrukturierung der Stadt zum neoliberalen Standort Hamburg. Während die GAL ihre eigene Regierungstätigkeit scheinbar kritisch begleitet, ist bei ihrem großen Koalitionspartner, der SPD, nur Jubel angesagt. Große Plakate verkünden, dass der Riesenairbus A 380 in Hamburg gebaut wird, und Bürgermeister Ortwin Runde gab Ende Juli bekannt, er wolle aus Hamburg eine »Event-Metropole« machen. Gleichzeitig forderte er ein »neues Bewusstsein für Made in Hamburg«, denn: »Das Produkt Hamburg ist sehr gut.«

Bereits 1983, als Hamburg im landesweiten Vergleich von der ökonomischen Spitzenposition ins Mittelfeld abgerutscht war, hielt der damalige SPD-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi vor dem Überseeclub, dem Treffpunkt der ökonomischen Eliten Hamburgs, eine richtungsweisende Rede. Dohnanyi distanzierte sich vom sozialdemokratischen Modell der gesellschaftlichen Daseinsfürsorge und propagierte das Leitbild einer »Unternehmensstadt«. Die Stadt solle als regionaler Wettbewerbsstaat handeln und wie ein Unternehmen um Marktanteile und Profite kämpfen.

Seinen Worten folgten Taten. Nicht mehr die unmittelbare ökonomische Aktivität städtischer Unternehmen und die Vergabe von direkten Subventionen standen nun auf der politischen Tagesordnung, sondern die Schaffung eines wirtschaftsfreundlichen Investitionsklimas.

Die Zusammenarbeit von Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung wurde durch privatwirtschaftlich organisierte Wirtschaftsförderungsgesellschaften gestärkt. Die Hamburger Handelskammer bestimmte, wie die privaten Förderungsgesellschaften zu arbeiten hatten, während der Senat die notwendigen Mittel bereitstellte. Gleichzeitig wurden infolge des Niedergangs des wirtschaftlichen Konglomerats von Hafen, Handel, Werft- und Schwerindustrie gezielt »zukunftsträchtige« Branchen aufgebaut und gefördert: die Kommunikationstechnologien, die Medizintechnik, der Flugzeugbau und der Bereich Multimedia. Außerdem versuchte der Senat, die so genannten weichen Standortfaktoren wie Wohnqualität, Freizeit und Kultur zu stärken, um Hamburg auch für die neuen Mittelschichten attraktiv zu machen. Diese Strategie war ökonomisch so erfolgreich, dass sie zum Vorbild für eine neoliberale Standortpolitik avancierte.

Die Ziele der rot-grünen Umstrukturierungspolitik hat Bürgermeister Ortwin Runde im vergangenen Jahr, ebenfalls im Überseeclub, dargelegt. Er konstatierte, dass Hamburg unter den deutschen Städten die Nummer eins bei der Informationstechnologie und den Multimedia-Unternehmen sei. Die Anzahl der Beschäftigten in diesen Bereichen - es sind etwa 60 000 - solle verdoppelt werden. Deswegen mahnte Runde eine Ausbildungsoffensive an. In diesem Zusammenhang warb er vor den Vertretern der Eliten für die soziale Stadt, in der »jeder seine Chance bekommt«.

Diese Aussagen verweisen auf die inzwischen entstandenen Probleme der neoliberalen Umstrukturierung. Die gesellschaftliche Polarisierung muss abgefedert oder zumindest kaschiert werden, damit der soziale Friede gesichert und eine ausreichende Zahl von qualifizierten Arbeitskräften bereitgehalten werden können.

Morbider Charme als Standortfaktor

Rundes Rede offenbarte auch seine differenzierte Einschätzung der sozioökonomischen Entwicklung. Er lobte das multikulturelle und alternative Flair des Schanzenviertels. »Es ist doch hoch spannend, wohin es die jungen und kreativen Leute aus den neuen Branchen zieht. Es zieht sie ins Schanzenviertel, (...) wo sich Urbanität entfalten kann, wo durch das Miteinander des Ungleichen und Ungleichzeitigen eine kreative Spannung entsteht.«

Ein Vertreter der Handelskammer ging so weit, nach den Krawallen in der Nacht zum 1. Mai ausdrücklich den Betrieb des autonomen Stadtteilzentrums Rote Flora zu verteidigen: »Wer die Schanze kennt, weiß, dass die Flora dort nicht als Fremdkörper empfunden wird - auch nicht von den Gewerbetreibenden vor Ort. (...) Die Flora ist mit ihrem morbiden Charme sogar zu einem Image-Faktor für das Viertel geworden. (...) Für die Gewerbetreibenden ist die negative Berichterstattung einiger Medien weitaus schädlicher als die Ausschreitungen.«

Derartige Äußerungen waren in den achtziger Jahren nicht vorstellbar. Als 1987, auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Hafenstraße, in der linksradikalen Szene das Senatspapier zur »Westlichen Innenstadt« kursierte, schien die Sache klar.

Die städtisch geplante Aufwertung der teilweise noch von urbaner Armut geprägten Altbauviertel würde nicht nur der Standortökonomie dienen, sondern auch die in den Vierteln organisierte alternative und linksradikale Szene »zerschlagen«. »Den Widerstand in den Vierteln organisieren«, hieß von nun an die Parole.

Damals konnte die linksalternative Szene nicht nur den Erhalt der Hafenstraße und weiterer Wohnprojekte durchsetzen, sondern in den Jahren 1989 und 1990 dem Senat sogar das linke Stadtteilzentrum Rote Flora abtrotzen. Das ursprünglich in dem Gebäude geplante Festspielhaus für Musicals musste einen Kilometer entfernt errichtet werden.

Zum letzten Mal scheiterte damals die Strategie des Senats, gegen die Wünsche der lokalen Bevölkerung, einschließlich der kleinen Gewerbetreibenden aus Handel und Handwerk, ein Großprojekt durchzuführen. Es gelang bereits nicht mehr, ein neues Bündnis gegen das Musicaltheater zu organisieren, das über die engen Kreise linker AktivistInnen hinausreichte.

Die soziale Stadt

Der SPD-Senat sah sich nach den schlechten Wahlergebnissen von 1991, 1993 und 1997 dazu gezwungen, die Sozialpolitik der Stadtregierung zu ändern. Die Wahlenthaltungen in den proletarischen SPD-Hochburgen und der Stimmenanteil rechtsextremer Parteien nahmen sprunghaft zu. Darauf reagierte die SPD ab 1992 mit dem Armutsbekämpfungsprogramm »Die soziale Stadt«. Damit sollten die so genannten sozialen Brennpunkte - beispielsweise Stadtviertel mit vielen SozialhilfeempfängerInnen und MigrantInnen - beseitigt werden.

Für die Bedürftigen ist diese Form der Armutsbekämpfung wenig hilfreich. Die finanzielle Kluft zwischen der neuen Mittelklasse und den städtischen Armen wächst weiter an, und der Umbau des Sozialstaats wird vorangetrieben. Soziale Transferleistungen in Form von Arbeits- oder Sozialhilfe erhalten inzwischen fast nur noch diejenigen, die jede noch so schlecht bezahlte Arbeit annehmen.

Nun also kann man auch in Westeuropa jene finden, die in den USA als working poor (arbeitende Arme) bezeichnet werden. Das Einkommen dieser Arbeiter ist, einschließlich der teilweise gewährten staatlichen Zuschüsse, so niedrig, dass sie - nach dem Armutskriterium der OECD - nicht einmal die Hälfte des gesellschaftlichen Durchschnittseinkommens erzielen können. In der Bundesrepublik sind, wenn man diese Berechnungen zugrunde legt, mehr als ein Drittel der Arbeiter verarmt, und täglich werden es mehr.

Damit schließt sich der Kreis. Die ökonomische Umstrukturierung führte zu einer Teilung des Arbeitsplatzangebotes in hochwertige Beschäftigungsverhältnisse und einfache Dienstleistungsjobs. Um die aus dem Fordismus übriggebliebene Tarifstruktur und ihre Transferleistungen wie das Arbeitslosenversicherungssystem aufzuweichen, wird der Zwang zur Arbeit zum bestimmenden Strukturmoment des Sozialstaates. Wer sich dieser Entwicklung in den Weg stellen könnte oder in seiner räumlichen Konzentration in den »sozialen Brennpunkten« unübersehbar wird, bekommt ein Armutsbekämpfungsprogramm verpasst. So kann sich die Hamburger SPD weiter als Partei des sozialen Ausgleichs präsentieren und sich mit diesem Ansatz auch noch vor ganz Deutschland brüsten.

Die neoliberale Umstrukturierungspolitik des Senats beeinflusst nicht nur die Bereiche der Ökonomie und der Sozialpolitik. Insbesondere die Verantwortlichen in den Wirtschafts-, Finanz- und Stadtentwicklungsbehörden treiben die städtische Privatisierungspolitik voran. Als Resultat dieser Politik nehmen Flexibilisierung, Dezentralisation, Entdemokratisierung und Entrechtlichung zu. Marktmechanismen bestimmen inzwischen auch jene Bereiche, die - seit dem Aufkommen des fordistischen Regulationsmodells in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts - durch staatliche Eingriffe kontrolliert wurden. Damals stellten staatliche Regulationsinitiativen die volkswirtschaftliche Stabilität in den liberalen Ökonomien wieder her.

Ein Hintergrund der Krise des Monopolkapitalismus im Übergang zum Fordismus war das Unvermögen des Marktes, sich in Bezug auf Angebot und Nachfrage selbst zu regulieren. Gleichzeitig wurde mit Kooperationsangeboten den LohnarbeiterInnen eine erweiterte Reproduktion im Sozialstaat ermöglicht. Das nährte die Illusion, mit staatlicher Kontrolle und Planung die Produktion zu einer unmittelbar gesellschaftlichen Angelegenheit machen zu können. Sowohl die außerökonomische Regulierung der Ökonomie als auch die reproduktive Absicherung der Lohnarbeit im Sozialstaat werden im Postfordismus aufgegeben.

Der Neoliberalismus kann allerdings nicht mit dem liberalen Kapitalismus des frühen 20. Jahrhunderts gleichgesetzt werden. In der aktuellen Restrukturierungsphase entledigt man sich zwar aus Wettbewerbsgründen überkommener außerökonomischer Regulationsformen, es entwickeln sich jedoch auch die bereits beschriebenen marktförmig-partizipativen Hybridformen einer neuen rekapitalisierten Regulationsweise.

New Economy und die Rote Flora

Im Schanzenviertel lässt sich die Politik des Hamburger Senats mit der sozioökonomischen Entwicklung dieses Viertels erklären. Der innenstadtnahe Bezirk war zur Zeit des Fordismus proletarisch und kleinbürgerlich geprägt. Vorherrschend waren mittelständische Unternehmen. Die Rote Flora zum Beispiel entstand vor hundert Jahren als Varietétheater und stammt aus der ersten Phase der städtischen Kulturindustrie.

Mit dem Beginn der achtziger Jahre setzte im Schanzenviertel ein alternativ-studentischer Gentrifizierungsprozess ein. Auf die Wohngemeinschaften in den Altbauwohnungen folgten die Betreiber des alternativen Kleingewerbes. Anfang der neunziger Jahren siedelten sich in den Hinterhöfen Dienstleistungsunternehmer an. Inhaber von Druckereien, Grafikbetrieben und Werbeagenturen fanden im Rahmen der postfordistischen Umstrukturierung attraktive und preiswerte Gewerbeflächen, um von dort aus ihre Kunden in der Innenstadt zu bedienen.

Seit dem Ende der neunziger Jahre gibt es hier auch Internetfirmen. Inzwischen existieren auf dem relativ kleinen Areal fast 80 Werbe- und Multimediafirmen sowie 30 Software-Unternehmen. Gleichzeitig wandelte sich das Schanzenviertel mit seinen 60 Gastronomiebetrieben zu einem Ausgehviertel für junge Wohlhabende. Teilweise wurden die herkömmlichen Dienstleistungsunternehmen verdrängt. Im Rahmen des städtischen Sanierungsprogramms soll nun eine große Anzahl neuer Bürohäuser gebaut werden.

Auch die politischen Auseinandersetzungen um die Rote Flora haben mit der ökonomischen Entwicklung des Schanzenviertels zu tun. In der Zeit von 1992 bis 1998 wurde die besetzte Rote Flora von der Stadtverwaltung kaum beachtet. Vielmehr konnten in diesem Zeitraum noch weitere Wohnprojekte im Schanzenviertel entstehen.

Im Bürgerschaftswahlkampf von 1997 versuchte der damalige SPD-Bürgermeister Henning Voscherau einem drohenden Verlust von Wählerstimmen, wenn auch vergeblich, mit einer rassistischen Kampagne zu begegnen. Zum ersten Mal wurden schwarze MigrantInnen, die sich im Schanzenviertel aufhielten, als Drogendealer und Kriminelle denunziert. Dagegen und gegen die gleichzeitig einsetzende Repression und die Etablierung rassistischer Bürgerinitiativen mobilisierte die linke Szene um die Rote Flora seit dem Herbst 1997. Allerdings folgten den antirassistischen Aktivitäten heftige Debatten um das weitere Vorgehen.

Die Auseinandersetzungen drehten sich insbesondere um die Frage, wie mit dem Rassismus aus der »Mitte der Gesellschaft« umzugehen sei. Ist allein der Staat für den Rassismus verantwortlich zu machen oder ist jeder einzelne Rassist für sein Handeln zur Rechenschaft zu ziehen? Die VertreterInnen des »sozialrevolutionären« Ansatzes zogen sich im Lauf der Zeit aus der Umgebung der Roten Flora zurück.

Die Repolitisierung und neue Außenorientierung der BetreiberInnen der Roten Flora wurde von der Stadt mit einem erhöhten Integrationsdruck beantwortet. Derzeit versucht die städtische Regierung - zum zweiten Mal seit 1998/99 -, den NutzerInnen der Roten Flora einen Vertrag aufzuzwingen.

Allerdings bleibt die Senatspolitik ambivalent und zielt bisher nicht auf eine unmittelbare Zerstörung des Projekts ab. Anscheinend wird gerne in Kauf genommen, dass das Projekt Rote Flora mit seinem morbiden Charme und dem subkulturellen Angebot als weicher Standortfaktor zur ökonomischen Aufwertung des Schanzenviertels beiträgt. Die NutzerInnen der Roten Flora versuchen nun mit der Absage an einen Vertrag und mit der Ablehnung von Gesprächen am »Runden Tisch« diese städtische Integrationspolitik zu unterlaufen.

Modernistische Regulation

In der politischen Entwicklung Hamburgs mit ihrem Zusammenspiel von Integrations- und Ausgrenzungspolitik sind vier Regulationstypen erkennbar. Es handelt sich dabei um zwei konservative und zwei neuere Varianten. Der erste Typ, geprägt von einer kleinbürgerlich-autoritären Tendenz, artikuliert den rückwärts gewandten Wunsch nach Ordnung, Sauberkeit, innerer und äußerer nationaler Abgrenzung und fördert eine ethnisierte Identitätsbildung. Ein starker Staat und eine völkische Gemeinschaft sollen die, durch eine Internationalisierung der Produktion bedingten, postmodernen Reproduktionsformen abwehren. Auf der Strecke bleiben diejenigen Menschen, die nicht ins Bild einer homogenisierten Mehrheitsgesellschaft passen.

Mithilfe der zweiten, konservativen Regulationsform wird versucht, den fordistischen Klassenkompromiss am Leben zu halten. Mit einer Re-Regulierungspolitik soll der klassische Wohlfahrtsstaat gerettet werden. Die Krisenbranchen werden mit Subventionen unterstützt, Beschäftigungsprogramme werden aufgelegt, die Volkswirtschaft wird mit protektionistischen Maßnahmen gesichert. Im internationalen Wettbewerb ist dieses Modell allerdings nur bedingt erfolgreich, weil die Akkumulationsrate hinter derjenigen neoliberal regulierter Ökonomien zurückbleibt und deshalb ein herkömmlicher Klassenkorporatismus nicht mehr finanzierbar erscheint.

Als erfolgreichster postfordistischer Regulationstyp hat sich die modernistische Variante erwiesen, weil sie die globalen ökonomischen Imperative befolgt. Indem Deregulierung und Flexibilisierung vorangetrieben und die Marktlogik zum fraglos gültigen Paradigma stilisiert wird, stellen sich ökonomische Standortvorteile ein. Das setzt allerdings eine allgemeine Verringerung der Lohnquote im Vergleich zur Profitentwicklung voraus. Nur bei den Einkommenseliten sieht es anders aus, weil um sie geworben wird. Insgesamt vertieft sich die Spaltung der Gesellschaft in GewinnerInnen und VerliererInnen. Diejenigen, die sich damit nicht abfinden wollen, werden entweder symbolisch befriedigt, beispielsweise durch öffentliche Konsumspektakel, oder an den Rand gedrängt und politisch marginalisiert.

Um eine destabilisierende Entwicklung dieser Konflikte zu vermeiden, ist im Rahmen der kapitalistischen Verwertungslogik auch noch Raum für einen sich progressiv verstehenden alternativen Regulationsansatz. Vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Anerkennung der postfordistischen Umstrukturierung wird dabei der gesellschaftliche Ausgleich zwischen jenen Gruppen gesucht, die unmittelbar von der Umstrukturierung profitieren, und denjenigen, die in die Armut getrieben werden. Im deutschen Kontext wird dieser Regulationsansatz um die Komponente des »ökologischen Umbaus der Gesellschaft« erweitert.

Bezeichnenderweise sind Rassismus und Lokalpatriotismus gleichermaßen bedeutende Faktoren in der Hamburger Politik. Die Sehnsucht nach dem fordistischen Klassenkompromiss wird von wesentlichen Teilen der traditionellen SPD- und Gewerkschaftsklientel mitgetragen. Im gesamtgesellschaftlichen Vergleich progressive Ansätze, vom linken Flügel der SPD und aus den Reihen der Grünen, spielen in den Konzepten der Bürgerbeteiligung genauso eine Rolle wie in der integrationistischen Politik gegenüber der Roten Flora oder im Konzept der sozialen Stadt. Dominant ist jedoch das modernistische Politikprojekt.

Regulation im Schanzenviertel

Bezieht man die dargestellten Regulationsansätze auf die Situation im Schanzenviertel, ergibt sich ein unübersichtliches Bild. So erhielten die Grünen bei Wahlen im Schanzenviertel teilweise die meisten Stimmen, während die SPD nur auf 25 Prozent und die CDU auf zehn Prozent kam. Entsprechend handelt es sich beim Schanzenviertel um ein Experimentierfeld für das sich als progressiv verstehende Regulationsmodell. Um auf die Bedürfnisse der teilweise alternativ geprägten Bevölkerung einzugehen, werden nicht nur Partizipations- und Aktivierungsprojekte entwickelt, sondern das Viertel wird, im Vergleich zu anderen Stadtgebieten, mit einem dichten Netz von Sozial- und Selbsthilfeeinrichtungen ausgestattet.

Allerdings hat sich im privatisierten Verwaltungsbereich der Stadtsanierung die Stadterneuerungsgesellschaft Steg, was die Planung und Umsetzung der Umstrukturierung im Schanzenviertel betrifft, in allen wesentlichen Belangen mit ihrer Strategie durchsetzen können. In städtebaulichen Verträgen wird privaten Investoren freie Hand gegeben, die Stadtplanung verzichtet meist auf Bebauungspläne, die eine BürgerInnenbeteiligung notwendig machen würden.

Diese gemischte alternativ-modernistische Strategie wird von einer autoritären Regulationstendenz ergänzt. Seit 1997, als die polizeiliche Vertreibung von Teilen der offenen Drogenszene vom Hauptbahnhof ins Schanzenviertel begann, haben sich im kleinbürgerlich-alternativen Milieu offen rassistische Strömungen etabliert. Den rechten Bürgerinitiativen und den Protestmärschen gegen Drogenkonsum, Drogenhandel und den damit einhergehenden Verelendungserscheinungen konnte die radikale Linke zwar teilweise etwas entgegensetzen, der Sozialchauvinismus lokaler Bevölkerungsteile ist jedoch weiterhin akut. Die Medienkampagnen, die diese Entwicklung begleiten, und die starke polizeiliche Repression sind trotz diverser Interventionsversuche ungebrochen.

Exemplarisch zeigt sich der Sozialchauvinismus der Bevölkerung am Verhalten gegenüber den NutzerInnen der Roten Flora. Ihre Existenz und insbesondere ihre kulturellen Aktivitäten werden vielfach für gut befunden. Kritisiert wird jedoch, dass die BetreiberInnen der Roten Flora, weil die Räumlichkeiten der nahe gelegenen städtisch subventionierten Fixerstube nicht ausreichten, an der Rückseite des Gebäudes einen Unterstand eingerichtet haben, damit dort illegalisierte Drogen konsumiert werden können. Während die MitarbeiterInnen der Roten Flora damit eine Aufgabe übernehmen, die eigentlich die Stadtverwaltung erledigen müsste, nämlich einen etwas humaneren Drogenkonsum zu ermöglichen, werden sie für das nun sichtbare Elend verantwortlich gemacht.

Linke Modernisierer

Die BetreiberInnen der Roten Flora haben die Forderung der Stadt, einen Vertrag mit dem Käufer des Objekts abzuschließen, nach monatelanger und kontroverser interner Diskussion abgelehnt. Damit nehmen sie in der Konsequenz auch eine Zerstörung des Projektes durch die Polizei in Kauf. Sie begründeten ihre Ablehnung damit, dass sie sich nicht in »das Zusammenspiel von Integration/Partizipation auf der einen und Verdrängung/Repression auf der anderen Seite« einbinden lassen wollen. »Die anstehenden Konflikte um die Zukunft der Roten Flora werden deshalb für uns der Ort sein, an dem die jahrelange Auseinandersetzung um Repression, Vertreibung und Umstrukturierung im Stadtteil aktuell zugespitzt werden«, schreiben die BetreiberInnen in einer Stellungnahme. Auch nach dem Verkauf des Objektes im April dieses Jahres wurde diese Position dem privaten Käufer gegenüber aufrecht erhalten.

Ein Blick auf die linke Geschichte macht die Dialektik dieser Position deutlich. Gerade auf die links-alternative Szene ist der Gentrifizierungsprozess des Schanzenviertels seit den achtziger Jahren zurückzuführen. So können sich Wohngemeinschaften Mieten leisten, die für eine ArbeiterInnenfamilie nicht bezahlbar sind. Auch die Entstehung und Etablierung diverser Kneipen, Cafés und Geschäfte, welche die Basis für den Aufschwung der Ausgehkultur im Schanzenviertel darstellen, geht vielfach auf die Bedürfnisse und die Infrastruktur der linken Szene zurück. Dieser Zusammenhang wird von den BetreiberInnen der Roten Flora erkannt. In ihrer Erklärung gegen eine vertragliche Lösung schreiben sie, dass die Rote Flora ein »weicher Standortfaktor ist, der die Aufwertung des Stadtteils mit begünstigt«.

Der Bogen vom Zusammenhang der politisch-sozialen Praxis der Neuen Linken seit 1968 und der postfordistischen Modernisierung des Kapitalverhältnisses lässt sich allerdings noch weiter ziehen. Während der Fordismus gerade in der Wirtschaftspolitik von zentral geplanten Großprojekten geprägt war, wandte sich die antiautoritäre Linke vielfach dezentralen Basisprojekten zu. Die von der Linken entwickelten antihierarchischen sozialen und politischen Praktiken wurden in der Krise des Fordismus in den siebziger Jahren zwar nicht direkt vom Kapital und vom Staat übernommen, trugen aber in transformierter Form zur Modernisierung der kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse bei.

Wenn heute flexible Arbeitsformen angewendet werden oder die Beteiligung von MitarbeiterInnen an der kontinuierlichen Verbesserung des Produktionsprozesses eine allgemein akzeptierte Praxis ist, dann gehen die Anstöße für diese Veränderungen der fordistischen Arbeitsweise nicht nur auf die kapitalistische Verwertungskrise, sondern auch auf bestimmte Formen des inner- und außerbetrieblichen Widerstandes zurück.

In ihrem Selbstbild konnte sich die alternative und radikale Linke lange Zeit unabhängig von der Mitwirkung an den gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen fühlen. Sie organisierte sich überwiegend in Gegenwelten, die nicht unmittelbar in die herrschenden Produktions- und Reproduktionsprozesse integriert waren. Im Bereich städtischer Reproduktionspolitik, wie im Gebiet um die Rote Flora, muss man jedoch konstatieren, dass die eigenen radikalen Politikansätze der kapitalistischen Vergesellschaftung wenigstens teilweise geholfen haben.

In diesem Bereich der Politik bildet die radikale Linke immerhin einen kleinen Machtfaktor. Denn hier ist sie nicht gänzlich darauf beschränkt, nur inhaltliche Kritik zu üben. In Anbetracht der politischen, wenn auch nicht personellen Kontinuität des langen Kampfes gegen die Umstrukturierung wird jedoch deutlich, dass seit den siebziger Jahren eigentlich nichts gewonnen wurde. Erreicht wurden alternative Einsprengsel in die herrschenden Verwertungsstrukturen, die nicht frei davon sind, das Kapitalverhältnis durch neue Produktions- und Reproduktionsansätze auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene zu erneuern.

Die Frage, was Linke im Hinblick auf die Situation um die Rote Flora tun können, bleibt demnach zunächst offen. Im Rückblick auf die Krise im Übergang vom liberalistischen Monopolkapitalismus zum Fordismus in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts kann man erkennen, dass die kapitalistischen Verwertungsstrukturen einer immer stärkeren außerökonomischen Regulierung unterworfen wurden. Deshalb stellte die sich positiv entwickelnde sowjetische Planwirtschaft nach dem Börsenkrach von 1929 für bürgerliche Ökonomen eine Alternative dar. Für sie ging es darum, einzelne Elemente der Planwirtschaft in die kapitalistische Ökonomie zu integrieren.

Die antikapitalistische Politik der damaligen Linken hatte demnach teilweise die wirtschaftliche Entwicklung auf ihrer Seite. Später trug diese Politik aber dazu bei, dass der Verwertungsprozess mithilfe der Sozialdemokratie, unabhängiger Sozialisten und nach 1968 auch der undogmatischen Linken auf eine neue Grundlage gestellt werden konnte. Das ist zwar in der Dynamik der kapitalistischen Entwicklung so angelegt, den radikalen Linken ging es in ihrem Selbstverständnis jedoch eigentlich darum, mit der kapitalistischen Verwertungslogik zu brechen.

Dieses historische Beispiel ist von Bedeutung, weil schon damals die Marktdynamik als primäres Moment nicht mehr ausreichte, die Entwicklung des Verwertungsprozesses zu gewährleisten. Bei der heutigen Akkumulationsrichtung des Postfordismus, dem eine verstärkte Dynamisierung der Marktkräfte zugrunde liegt, ist es ebenfalls vorstellbar, dass er in die Krise geraten könnte, wenn die selbst regulierenden Kräfte nicht mehr ausreichen. Dann würden zur Bewältigung einer weltweiten Krise neue Regulierungsinitiativen benötigt, damit der Selbstzerstörungsprozess mit politischen Steuerungsmomenten aufgehalten werden könnte.

Das bedeutet für die Linke, dass sie in ihrer aktuellen Politik nach politischen Ansätzen suchen muss, welche die möglichen Krisentendenzen der gegenwärtigen Entwicklung antizipieren. Gleichzeitig sollte sie so wenig wie möglich zu einer neuen Modernisierung der Verwertungsdynamik und ihrer Regulationsformen beitragen.

Die Praxis der Restlinken

Zurück zum Schanzenviertel. Hier bedeutet das zunächst, sehr vorsichtig mit den konkreten Veränderungsforderungen umzugehen. Gegen den repressiven Sicherheitsstaat sollte mit Störungen und dem Versuch, Marginalisierte zu schützen, vorgegangen werden. Der städtischen Privatisierungspolitik kann auf der abstrakten Ebene mit der Forderung nach Vergesellschaftung - nicht nach Verstaatlichung, denn die hatte weder im sozialdemokratischen Keynsianismus noch im Realsozialismus ein weitreichendes emanzipatives Potenzial - begegnet werden. Vergesellschaftung würde bedeuten, dass die ProduzentInnen und KonsumentInnen unmittelbar die demokratische Kontrolle in den jeweiligen Bereichen ausüben.

Ob es auf dem Weg zu einer solchen Umwälzung sinnvolle Zwischenschritte geben kann, und wenn ja, welche, ist dagegen derzeit völlig unklar und wird unter Linken wenig diskutiert. In Bezug auf den repressiven Sozialstaat und seine Workfare-Programme fällt eine Antwort genauso schwer. Reaktionen wären wohl nur mit so genannter Massenpolitik möglich, die aber gegenwärtig im besten Fall über reformistische Perspektiven nicht hinausgeht. Im schlimmsten Fall gipfelt sie in einer rassistischen Praxis, in der Arbeitsplätze zuerst für Deutsche gefordert werden.

Auch im Hinblick auf städtische Partizipationsangebote gibt es keine einfachen Lösungen. Mit diesen Angeboten werden beispielsweise scheinbar die Forderungen des Bündnisses im Kampf gegen die Errichtung eines Musicalpalastes in der Roten Flora erfüllt. Die NutzerInnen der Roten Flora haben sich schon vor dem aktuellen Konflikt gegen eine Teilnahme an Runden Tischen ausgesprochen, weil dort aus ihrer Sicht nur das Interesse der KapitalistInnen und der tonangebenden Bevölkerung reproduziert wird.

Bei Angeboten an die Bevölkerung, an der Planung teilzuhaben, wie sie gegenwärtig bei der Erweiterung des Messegeländes, das an das Schanzenviertel grenzt, gemacht werden, ist abzusehen, dass problematische städtische Projekte gerade wegen der Beteiligung der BürgerInnen kaum noch Widerspruch hervorrufen werden. Deshalb müssen diese Partizipationsforen von Linken nicht nur boykottiert, sondern auch als systemstabilisierende politische Maßnahmen benannt und entsprechend behindert werden. Die Frage ist allerdings, ob darin eine praktische Perspektive liegt, die über defensives Handeln hinausgeht.

Keine Integration

Derzeit scheint es so, als gebe es noch hinreichend kapitalistische Vernetzungsmöglichkeiten, um die Flexibilisierungspolitik weiter auszudehnen. Diejenigen Linken, die sich auf die vorherrschenden Regulationsformen beziehen, werden unter den gegenwärtigen Voraussetzungen nur zur Fortschreibung der kapitalistischen Logik beitragen. Andere Linke, die mit ihren Argumenten nicht gänzlich in einer postfordistischen und staatsnahen Dynamik aufgehen wollen, könnten sich auf der Suche nach einer systemkritischen Praxis von der Politik der BetreiberInnen der Roten Flora inspirieren lassen.

Der Bezug auf diese Politik birgt allerdings das Risiko, immer wieder Niederlagen zu erleben, zum Beispiel, wenn die Rote Flora doch noch eines Tages geräumt werden sollte. Das aber wäre weit weniger schwer wiegend als zuzulassen, dass ein weiteres linkes Projekt dem demoralisierenden Zerfall mittels Integration unterworfen wird.

Vielmehr entsteht mit der Weigerung der NutzerInnen der Roten Flora, sich unmittelbar integrieren zu lassen, eine Position der begrenzten Gegenmacht, auch wenn sie gesamtgesellschaftlich marginal bleibt. Wie 1986/87 bei den Auseinandersetzungen um die Hafenstraße oder, in abgeschwächter Form, gegenwärtig im Wendland, könnte das Establishment gezwungen werden, den KritikerInnen eine gewisse Legitimität zuzuerkennen.

Ein strategisches Vorgehen, das unmittelbar auf Erfolge abzielt, kann nur dann dynamisch bleiben, wenn der inhaltliche Ausgangspunkt, die konkrete Praxis und die Perspektive systemkritisch sind. Nur so lässt sich eine Praxis, die im »falschen Gesamtzusammenhang« agiert, mit den in der Zukunft liegenden, theoretisch vermittelten emanzipativen Zielen in Beziehung setzen.

Wichtig ist dabei, dass im Kampf um die Rote Flora weiterhin Erfahrungen gemacht werden, die als politisch selbstbestimmt und im Ansatz systemkritisch gelten können. Denn im Gegensatz zu den deterministischen Revolutionserwartungen vor achtzig oder den Reformabsichten vor dreißig Jahren ist nach 1989 noch deutlicher geworden, dass emanzipative Veränderungen nicht von selbst geschehen. Sie entstehen nur als Selbstkonstituierung und -organisierung in der bewusst geführten politischen Auseinandersetzung, im Versuch, gesellschaftlich einzugreifen.

So stellt das Experimentieren und gemeinsame Lernen mit diesen Praxisformen eine wenn auch kleine Antwort auf die gegenwärtigen gesellschaftlichen Umstrukturierungsprozesse dar. Im Hinblick auf die vorangegangenen Erfahrungen der Linken, die man sich immer wieder aus der Perspektive der eigenen gesellschaftlichen Weiterentwicklung neu aneignen muss, kann dies zu einem kumulativen Lernprozess beitragen und somit trotz der allgemeinen Ratlosigkeit Fundamente für weitere Auseinandersetzungen legen.

Das ist nicht viel, aber es ist zumindest ein Weg, sich weiterentwickeln zu können. Denn allein mit einer theoriegeleiteten Suche nach Alternativen, die sich nicht in einem dialektischen Austausch mit den konkreten gesellschaftlichen Widersprüchen befindet, entsteht weder eine brauchbare Theorie noch hätte eine solche Theorie irgendeinen Einfluss auf die Welt.