Linke Kritik und rechter Antiimperialismus

Eintragung ins Nichts

Das Talibanregime ist gestürzt. Viele Mitglieder von al-Qaida sind tot oder auf der Flucht. Die »gemäßigte« Nordallianz hat in Kabul die Macht übernommen und die US-Koalition »gegen den Terror« scheint vorerst auch in den islamisch geprägten Staaten zu halten. Vor dem einsetzenden Winter kann die »humanitäre Hilfe« für die Not leidende Zivilbevölkerung in Afghanistan nun telegen anlaufen. Und nebenbei rücken die USA Angriffsziele in anderen Ländern ins Visier. Auf der ganzen Linie nichts als Erfolgsmeldungen aus den westlichen Hauptquartieren, weitere Anschläge wie die vom 11. September werden sogar einkalkuliert.

Die Attentate von New York und Washington waren in jeder Hinsicht eine Steilvorlage für rechte Politik. Der Angriff auf die urbane Insel und das militärische Zentrum der USA, eines autoritären, aber demokratisch verfassten Staats, erfolgte in der Symbolsprache des Faschismus. Er zielte auf die größtmögliche Polarisierung und Homogenisierung zweier als absolut feindlich vorgestellter Blöcke. Wie zuvor bei den verheerenden Anschlägen auf die US-Botschaften in Daressalam und Nairobi verzichteten die Urheber der Massaker auf eine politische Erklärung. Ihre völkische Politik kennt kein Individuum, keine Unterscheidung zwischen zivilen oder militärischen Zielen und sucht die unbedingte und vernichtende Eskalation; diese Logik sehnt einen Gegenschlag der »Imperialisten«, der USA und ihrer Verbündeten, geradezu herbei. In der finalen Entscheidungsschlacht, so halluzinieren die rechten Führer, fegt der große Volksaufstand der muslimischen Massen dann den Westen und seine Statthalterregimes hinweg. Doch der Glaube allein versetzt keine Berge. Der rechte Antiimperialismus dürfte sich entscheidend verschätzt haben.

Bündnispartner von gestern. Die Situation und der Spielraum für islamistische Gruppen hat sich seit dem Ende des Kalten Kriegs erheblich verändert. So unterschiedliche islamistische Bewegungen wie die im Iran oder in Afghanistan konnten sich machtpolitisch nur mit der Duldung oder der aktiven Unterstützung des Westens gegen die laizistische Linke in ihren Ländern durchsetzen. Ihre Muskeln verdankten sie in erster Linie der westlichen Furcht vor Kommunismus und Weltrevolution. Heute ist Russland längst ein ganz normaler konkurrierender kapitalistischer Nationalstaat. Entsprechend schrumpfen viele der einst protegierten antikommunistischen Bewegungen wieder auf ihre nationale Dimension. Schon in Algerien kamen die siegessicheren Islamisten nicht mehr durch.

Ohne die »kommunistische Gefahr« haben viele der Islamisten ihre Bedeutung für den Westen verloren. Aus Waffenbrüdern sind teilweise sogar Feinde geworden. Die in blindem Unverstand gelegten Sprengsätze der Gia in Paris kündeten bereits - vor den fliegenden Menschenbomben vom 11. September in den USA - von einem neuen Frontverlauf. Was die noch brutaleren Anschläge in den USA allerdings jetzt auslösten, scheint so ziemlich das Gegenteil von einem Fanal für den erhofften Volksaufstand in Staaten wie Saudi-Arabien oder Ägypten zu sein. Stattdessen durften die Starken der kapitalistischen Staatenwelt die Katastrophe als Einladung zur direkten militärischen Intervention in Afghanistan verstehen, und sie sind dabei, ihre geostrategischen Positionen im Nahen Osten und in Zentralasien auszubauen. Statt die islamistische Revolution voranzutreiben, hat sich ein nicht unbeträchtlicher Teil der rechten Avantgarde zum Abschuss freigegeben.

Gescheiterte Dekolonialisierung

Die sozialen, staatlichen und religiösen Interessen sind auch in den islamischen Weltregionen viel zu unterschiedlich, als dass sie sich einfach durch Endzeitstimmung und Apokalypse vereinen ließen. Dennoch ist ein großer Teil der Bevölkerungen außerhalb der kapitalistischen Zentren oftmals hin- und hergerissen zwischen Bewunderung und Verachtung gegenüber »dem« Westen, seinen Lebensformen und Symbolen. Das hat ursächlich zumeist kaum etwas mit den verschiedenen kulturellen oder religiösen Traditionen zu tun. Der Antiimperialismus der Rechten speist sich historisch aus einer politisch tatsächlich erfahrenen kolonialen Unterdrückung. In Staaten wie Afghanistan oder dem Iran war der westliche Lebensstil bis zu den Revolutionen der siebziger Jahre das Privileg der monarchistischen Oberschicht und einer zahlenmäßig kleinen städtischen Mittelschicht. Eine Dekolonialisierung im Sinne einer materiellen Beteiligung der Massen an politscher, ökonomischer und kultureller Demokratie hat es unter den postkolonialen Diktaturen kaum gegeben.

Die laizistische Linke, die die Teilhabe an den Segnungen des kapitalitischen Westens (oder des davon gar nicht so groß abweichenden östlichen Staatskapitalismus) für alle einforderte, wurde in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg größtenteils vernichtet. Die islamistische Rechte behauptet heute in den Universitäten, Vorstädten und auf dem Land die verwaiste Stelle der Opposition. Sie hat die früheren linken Versprechen von internationaler Gleichheit und Teilhabe durch ihre nationalistisch-religiösen Floskeln von Überlegenheit und Abgrenzung ersetzt. Ihr Antiimperialismus sucht das Bündnis lokaler Bourgeosien und ist eine weitere Stimme im Chor der nationalstaatlichen, kapitalistischen Konkurrenz.

Neue Weltinnenpolitik

Nach dem Ende der Sowjetunion setzten die Staaten der kapitalistischen Zentren alles daran, so etwas wie eine neue Weltinnenpolitik zu verhindern. Mittlerweile holen die westlichen Alliierten sogar lieber Russland, China und Indien direkt in ihre Bündnisse, als dass sie die Zuständigkeit demokratisch zu kontrollierender Gremien der Vereinten Nationen ausbauten. Ob die USA oder die Europäer einen gerechten oder auch selbst nur einen heiligen Krieg führen, wollen diese künftig weiterhin selbst entscheiden. Und sie wähnen sich mit ihrer Menschenrechtsrhetorik auf der sicheren Seite. Doch die Interventionen gegen den Irak, gegen Jugoslawien oder jetzt in Afghanistan richteten sich eher zufällig auch gegen das Repressive an diesen Regimen. Saudi-Arabien, einer der wichtigsten US-Verbündeten im Nahen Osten, erlaubt Frauen noch nicht einmal, ein Auto zu lenken. Eine Opposition gibt es nicht und die Überkreuzamputation von Gliedmaßen ist eine bis heute beliebte Strafe. Beim Alliierten Pakistan gehen Männer straffrei aus, die Frauen wegen einer »Frage der Ehre« ermorden.

Der nationalstaatlich regulierte Kapitalismus lebt davon, dass er sich regional verschiedene Techniken der Herrschaft zu Nutze macht. Die mitkreierten Despotien werden jedoch in westlicher Überlegenheitsmanier zu den Besonderheiten der Dritten Welt erklärt, mit denen man sich zu arrangieren habe. So legitimiert, konnten auch deutsche Firmen im Iran - trotz des US-Embargos - ihren Geschäften nachgehen. Die Menschenrechtstränen sind für grüne und sozialdemokratische Parteitage. Außerhalb der westlichen Wohlstandsinseln gilt Nato- und nicht Menschenrecht, dies bezieht die Grenzsicherung gegen Migration aus dem Süden mit ein.

Die Anschläge vom 11. September sind das Produkt faschistischer Verschwörungstheorien. Keine Verschwörungstheorie aber ist, dass die Bevölkerungen des Südens durch die internationale Konstellation von der Teilhabe an Macht und Reichtum weitgehend ausgeschlossen sind. Derzeit deutet wenig darauf, dass sich daran etwas ändern soll. Die Allianz aus Nato- und Schurkenstaaten lässt in Zentralasien gerade die Feudalherren des 19. Jahrhunderts auferstehen. Es sind Garanten für Bürgerkriege, Elend und künftige Nato-Protektorate.

Neue Weltinnenpolitik? Wenige Tage vor dem 11. September wurde in Santiago de Chile ein Haftbefehl gegen den führenden US-amerikanischen Staatsterroristen Henry Kissinger erlassen. Kurz nach dem 11. September war er schon wieder im Fernsehen. Ihm stünde ein fairer Prozess vor einem Internationalen Strafgerichtshof genauso gut an wie den bin Ladens dieser Erde.

Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin veranstaltete Ende November eine Diskussion zu den Attentaten in den USA und zum Krieg in Afghanistan. Der Beitrag geht aus der dort gehaltenen Rede hervor.